Was kann Modellierung zur Influenza-Pandemie

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Dynamische Simulation einer Influenzapandemie - Planungshilfe für Entscheidungsträger
Martin Eichner, Markus Schwehm, Stefan Brockmann
In jüngster Zeit breitete sich die aviäre Influenza (H5N1) bei Haus- und Wildgeflügel
weltweit aus. Obwohl diese Krankheit bisher nur in seltenen Fällen auf Menschen
übertragen wurde, verstärkte das Auftreten der Vogelgrippe in Deutschland die
Furcht vor einer neuen Influenzapandemie. Bereits im Vorfeld waren die Mitgliedsländer von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Vorbereitung auf eine erwartete Grippepandemie aufgefordert worden.
Der Nationale Influenzapandemieplan gibt den Bundesländern, welche letztlich in der
Verantwortung stehen, Orientierungshilfe und zielt darauf, die Auswirkungen einer
solchen Pandemie auf nationaler und regionaler Ebene zu begrenzen (Anonym
2005). Zahlreiche Interventionen beeinflussen den Verlauf einer Influenzawelle. Generell kann man eine Epidemie bremsen, indem man (a) die Empfänglichkeit der Bevölkerung gegenüber einer Infektion senkt, (b) die Infektiosität von Infizierten reduziert oder (c) den Kontakt zwischen Infizierten und Gesunden einschränkt. In interpandemischen Phasen ist die Grippeimpfung das beste Werkzeug, um die Empfänglichkeit zu reduzieren und die Morbidität und Mortalität zu senken. Im Falle einer
Pandemie können wir – zumindest für die ersten Monate – nicht mit einem Impfstoff
rechnen und müssen daher auf andere Maßnahmen zurückgreifen. Medikamentöse
Prophylaxe für stark exponierte Personen kann deren Infektion verhindern und einen
späteren Krankheitsverlauf mildern. Die Dauer einer epidemischen Welle, während
der die Medikamente eingenommen werden müssten, sowie Nebenwirkungen, mögliche Resistenzbildungen und die begrenzte Verfügbarkeit der Medikamente haben
dazu geführt, vor einer allgemeinen medikamentösen Prophylaxe Abstand zu nehmen. Die antivirale Behandlung von Erkrankten kann deren Erkrankungsintensität
und -dauer reduzieren und ihre Infektiosität senken. Nicht-pharmazeutische Maßnahmen beinhalten z.B. die Absonderung Erkrankter, die Empfehlung spezifischer
Hygienemaßnahmen und die Kontaktreduktion in der Bevölkerung durch Schulschließungen oder Absage von Massenveranstaltungen.
Modellgestützte Pandemievorbereitung
Infektionsepidemiologische Modellierung ist derzeit in aller Munde. In der wissenschaftlichen Fachliteratur veröffentlichte Modelle befassen sich vorwiegend mit der
Bekämpfung einer aufkeimenden Pandemie mittels antiviraler Medikamente an der
Quelle. Dies wird für die Warnperioden der Stufen 4 und 5 zunächst höchste Wichtigkeit haben (Longini et al. 2005; Ferguson et al. 2005). Bund und Länder sind aufgerufen, Pandemiepläne zu erstellen und sich bestmöglich auf eine Pandemie vorzubereiten (WHO 2005). Angesichts dieser komplexen Aufgabe sind konkrete Planungshilfen zur Umsetzung auf nationaler und regionaler Ebene nötig.
Zur Pandemievorbereitung wurde von der Universität Tübingen in Zusammenarbeit
mit dem Landesgesundheitsamt Stuttgart und der Firma ExploSYS GmbH ein dynamischer
Influenza-Pandemiesimulator
entwickelt,
der
in
den
badenwürttembergischen
Pandemieplan
aufgenommen
wurde
(http://www.unituebingen.de/modeling/Mod_Pub_Software_de.html). Das Programm InfluSim visualisiert den Verlauf einer Influenzapandemie, berechnet die täglich benötigten Ressourcen und erlaubt abzuschätzen, wie verschiedene Interventionen den Verlauf der
Epidemie beeinflussen. Parameter zur Demographie sowie zur Infektiosität und Pathogenität des Virus können mittels Schieberegler verändert werden und erlauben
die Abschätzung von Best- und Worst-case-Szenarien. Außerdem berücksichtigt der
Simulator zahlreiche Interventionen, die miteinander kombiniert werden können (Tab.
1).
Die Standardeinstellung des Simulators basiert auf der Altersverteilung der deutschen Bevölkerung und auf den folgenden Annahmen: Die mittlere Inkubationszeit
beträgt 1,9 Tage, die mittlere Dauer der Erkrankung beträgt – je nach Alter und
Schweregrad – 4,1 bis 7 Tage. Ein Drittel der Infizierten bleibt asymptomatisch, ein
weiteres Drittel hat einen moderaten Verlauf und das letzte Drittel hat einen schweren Verlauf, der einen Arztbesuch nötig macht. Ein Teil der Schwerkranken muss
hospitalisiert werden und kann sterben. Asymptomatische Fälle und Infizierte in der
Prodromalphase sind nur halb so ansteckend wie moderat oder schwer Erkrankte.
Die Infektiosität ist am Beginn der Erkrankung am höchsten und fällt im zeitlichen
Verlauf exponenziell ab. Die Basisreproduktionszahl beträgt 2,0.
Bei den gewählten Annahmen tritt für eine Bevölkerung von 100.000 Personen etwa
7 Wochen nach Einschleppung der Gipfel der Epidemie auf. An diesem Tag suchen
1.500 Influenzapatienten den Arzt auf und 187 Krankenhausbetten sind mit Influenzapatienten belegt. Ungefähr 75% der Arztbesuche und Krankenhauseinweisungen
finden in den drei Spitzenwochen um den Gipfel der Epidemie statt. Die gesamte
Dauer der Epidemie beträgt ungefähr 8-10 Wochen. Bis zum Ende haben etwa
25.600 Patienten den Arzt besucht (26% der Bevölkerung), etwa 640 Patienten wurden ins Krankenhaus eingewiesen (0,64% der Bevölkerung) und etwa 170 Patienten
verstarben. Die Arbeitsausfälle, berechnet aus der Anzahl Krankheits- und Rekonvaleszenztage der gesamten erwachsenen Bevölkerung (16-60 Jahre), beträgt mehr
als 28.600 Wochen.
Interventionsplanung mit dem Simulationsprogramm InfluSim
Die Behandlung von Patienten mit antiviralen Medikamenten beeinflusst die Ausbreitung der Infektion und führt zu einer Abflachung der Kurve und zu einer Verzögerung
des Gipfels der Epidemie. In Abb. 1 ist die Veränderung der epidemischen Kurve – je
nach Verfügbarkeit von antiviralen Medikamenten – dargestellt. Schon der frühzeitige
Einsatz von geringen Mengen führt zu einer merklichen Verzögerung des epidemischen Gipfels. Ein späterer Einsatz der vorhandenen Ressourcen würde im Wesentlichen nur direkte aber kaum noch indirekte Auswirkungen zeigen.
Neben der pharmazeutischen Intervention verdienen gerade die nichtpharmazeutischen Maßnahmen besondere Beachtung (Eichner 2003, WHO
2006a+b). Schon eine teilweise Absonderung der Erkrankten und eine moderate Reduktion der Übertragungsrate in der Bevölkerung durch Verhaltensänderungen und
spezifische Hygienemaßnahmen führt zu einer weiteren Abflachung der Kurve und
kann den epidemischen Gipfel in einen Bereich verschieben, in dem möglicherweise
bereits ein Impfstoff zur Verfügung steht (Abb. 2). Diese handlungsrelevanten Erkenntnisse des vorgestellten infektionsepidemiologischen Simulationsmodells sind in
Situationen der Unsicherheit von potentiell erheblichem Wert.
Demographische Parameter Altersverteilung
Risikogruppen
Kontakte innerhalb und zwischen den Altersgruppen
Infektionsparameter
Basisreproduktionszahl R0
Infektiosität während der Prodromalperiode
Infektiosität nach Schweregrad der Erkrankung
Veränderung der Infektiosität während der Erkrankung
Klinische Parameter
Dauer der Inkubationszeit
Dauer der Prodromalphase
Krankheitsverlauf (nach Alter und Risikogruppe)
Hospitalisierungsquote (nach Alter)
Letalität (nach Alter)
Dauer der Erkrankung (nach Krankheitsverlauf und Alter)
Zeitpunkt des Arztbesuches
Dauer der Rekonvaleszenz
Therapie-relevante Parame- Verfügbarkeit der Anzahl Therapieeinheiten
ter
Therapeutisches Fenster
Anteil behandelter Patienten (nach Schweregrad und
Zeit)
Wirkung von Neuraminidaseinhibitoren
Reduktion der Infektiosität
Reduktion der Krankheitsdauer
Reduktion der Hospitalisierungen
Reduktion der Letalität
Kontaktreduktionsparameter Absonderung von Kranken (nach Schweregrad)
Zeitlich begrenzte Kontaktreduktion in der Bevölkerung
Schließung von Kindergärten und Schulen
Absage von Massenveranstaltungen
Tabelle 1. Parameter des Simulationsprogramms InfluSim.
Abbildung 1. Tägliche Inzidenz der Arztbesuche bei unterschiedlicher Verfügbarkeit
von Neuraminidaseinhibitoren. Die linke Kurve zeigt den Verlauf ohne Behandlungen, von links nach rechts kommen Verläufe, die man erhält, wenn für 1%, 2%, ...,
15% der Bevölkerung Therapieeinheiten zur Verfügung stehen.
Abbildung 2. Belegte Hospitalbetten für drei simulierte Pandemieszenarien. (a) links:
ohne Intervention; (b) Mitte: mit antiviraler Behandlung; (c) rechts: zusätzlich zur Behandlung werden Fälle teilweise abgesondert und die Allgemeinbevölkerung
schränkt ihre Kontakte ein. (b)-(c) Sobald der Vorrat an antiviralen Medikamenten
(eingestellt: 7.500 Behandlungsdosen pro 100.000 Einwohner) aufgebraucht ist, steigen die Hospitalisierungskurven sprunghaft an.
Literatur siehe Literatur zum Schwerpunktthema.
www.elsevier.de/phf-literatur
Martin Eichner
Markus Schwehm
Institut für Medizinische Biometrie
Westbahnhofstr. 55
72070 Tübingen
[email protected]
Stefan Brockmann
Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg
Regierungspräsidium Stuttgart
[email protected]
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