DEUTSCHES ÄRZTEBLATT DAS FORUM AIDS-Routinetest erhöht nicht die Sicherheit des Personals Seit dem Nachweis von HIV- und Virusmaterial in verschiedenen Körperflüssigkeiten wird diskutiert, inwieweit medizinisches Personal bei der Betreuung AIDS-infizierter Patienten oder beim Umgang mit infektiösem Material gefährdet ist (siehe auch J. G. Meyer, „Argumente für AIDS-Tests zum Schutz von Ärzten und Pflegekräften", Deutsches Ärzteblatt Heft 46, vom 12. November 1987). Der Verfasser, der bei der AIDSBeratungs- und Informationsstelle der Gesundheitsbehörde Hainburg tätig ist, legt im folgenden Forum-Beitrag dar, weshalb seiner Meinung nach eine routinemäßige Durchuntersuchung nicht empfehlenswert ist. B eim gegenwärtigen Stand epidemiologischer Erkenntnisse sowie der Erkenntnisse experimenteller Forschung gilt eine HIV-Übertragung über die intakte Haut mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen. Alle Übertragungen im medizinischen Bereich, über die bisher berichtet wurde, sind durch infiziertes Blut erfolgt. Übertragungswege können Stich- und Schnittverletzungen mit HIV-verunreinigten Instrumenten sein oder der Kontakt HIV-infizierten Blutes auf Schleimhaut und auf verletzter oder geschädigter Haut. Infektiosität von Hepatitis B und HIV Nach Schätzungen müßten bei Verletzungen 10 ffl und mehr infektiöses Blut übertragen werden, um eine Ansteckung zu bewirken (1). Bei Kontakten mit Schleimhaut oder nicht intakter Haut sind weitaus größere Blutmengen und eine lange Kontaktzeit notwendig. Nach einer Untersuchung von Napoli (2) haftet an einer benutzten, das heißt verunreinigten Kanüle im Durchschnitt „nur" noch 1µl Blut, also etwa Vio der für eine Übertragung relevanten Blutmenge. Das Risiko, sich an einem entsprechend verunreinigten Instrument zu infizieren, wird von verschiedenen Autoren wie folgt geschätzt: — Für die Hepatitis-B-Übertragung auf 6 bis 30 Prozent (3), A 846 - — für die HIV-Übertragung auf 1 bis 3 Prozent (4,5). Eine indirekte Bestätigung für die geringe Infektiosität des HIV liefert die Studie von LIFSON (6) aus den USA: Von den bis Mai 1986 gemeldeten 16 748 AIDS-Fällen gehörten 5,5 Prozent den Gesundheitsberufen an; genausoviel, nämlich 5,4 Prozent aller Beschäftigten in den USA, gehören zur Gruppe der „Health Care Workers". Eine Durchsicht der Literatur zeigt, daß bis Mitte 1987 insgesamt 114 Fälle von berufsbedingten Stichverletzungen und Kontakten von HIV-infektiösem Blut mit Schleimhäuten oder mit nicht intakter Haut veröffentlicht waren (7). Davon sind 7 Fälle einer HIV-Üb ertragung wahrscheinlich (= Serokonversion nach Kontakt). 4 weitere sind möglich (= Zeitpunkt der Serokonversion unklar). In 103 Fällen ist es nicht zu einer HIV-Übertragung gekommen Bei 108 der 114 Fälle von Blutkontakten mit und ohne nachfolgender Infektion war dem medizinischen Personal offenbar der HIVSerostatus der Patienten bekannt, und zwar bei 3 von 7 Fällen mit wahrscheinlicher Infektion, bei 2 von 4 Fällen mit möglicher Infektion, bei 103 Fällen ohne Infektion. Dennoch kam es zu unfallbedingten Verletzungen oder zu Schleimhautund Hautkontakten, weil keine Schutzmaßnahmen angewendet wurden. Bei den übrigen Blutkontakten handelte es sich um Notfälle oder (34) Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 andere Situationen, in denen die HIV-Infektion der Patienten nicht bekannt sein konnte. Nach alledem muß bezweifelt werden, daß die routinemäßige Durchführung von HIVAntikörper-Tests bei allen Patienten die Sicherheit des Personals erhöht. Methodische Einschränkungen der HIV-Antikörper-Tests ( „diagnostische Lücke" bis zu drei Monaten und länger) lassen bekanntermaßen viele Virusträger „unentdeckt". Außerdem ist es wissenschaftlich bisher nicht erwiesen, daß Schutzvorschriften dann besser befolgt werden, wenn der HIV von Patienten bekannt ist. Nicht zuletzt könnte die Identifizierung eines „gefährdeten" Patientenkollektivs zur Vernachlässigung der grundsätzlich notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz des Personals beitragen, weil eine Scheinsicherheit vorgetäuscht wird. Hygienevorschriften noch immer ignoriert Meyer hat keine sachliche Grundlage für seine Aussage, daß bestimmte Berufsgruppen „bei Erfüllung ihrer Pflichten akut HIV-gefährdet" seien und „der Rechtsanspruch (. . . ) auf Schutz ihrer Gesundheit bislang ignoriert wird." Vielmehr werden immer noch die Unfallverhütungs- und Hygienevorschriften ignoriert. Beschäftigte in den Gesundheitsberufen haben einen Rechtsanspruch darauf, daß Arbeitgeber die Einhaltung dieser Vorschriften ermöglichen und überwachen. Die vorliegenden Erkenntnisse über das berufliche HIV-Infektionsrisiko rechtfertigen in keiner Weise eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zum Schutz des medizinischen Personals. Eine „Generalklausel im Aufnahmeformular: AIDS-Test für alle" kann dem Aufklärungsanspruch und dem Einwilligungserfordernis nicht genügen (8). Literatur beim Verfasser Dr. Jens Jarke Lübeckertordamm 5 2000 Hamburg 1