BRUNDIBÁR Vision einer Zukunft Ein Kooperationsprojekt der Musikmittelschule und der Josef Matthias Hauer Musikschule Wiener Neustadt Im Zentrum dieses Projektes steht die Erarbeitung und Aufführung der Oper „Brundibár“ , die 1938/39 von dem tschechischen Komponisten Hans Krása nach einem Libretto von Adolf Hoffmeister komponiert wurde. Sie entstand als Beitrag für einen Wettbewerb, den das damalige Ministerium für Schulwesen und Volksbildung für eine Kinderoper ausgeschrieben hatten. Zu einer Auswertung des Wettbewerbes ist es nie gekommen – dafür zu einer ersten heimlichen Uraufführung im Prager Jüdischen Waisenhaus im Spätsommer 1942. Im Juli 1943, Hans Krása war zu dieser Zeit bereits seit elf Monaten im Theresienstädter „Ghetto“, kam der letzte Transport mit Kindern vom Jüdischen Waisenhaus nach Theresienstadt – und mit ihnen die Noten von „Brundibár“. Dieses Singspiel war für die Kinder ein Stück Heimat, das sie ins Ghetto gerettet hatten – und deshalb lag es nahe, das Stück hier wieder aufzuführen. Am 23. September 1943 war die Premiere von „Brundibár“ im Saal der Magdeburger Kaserne in Theresienstadt. Und wie eine zynische Laune des Schicksals mutet es an, dass Nazis selbst die Aufführung förderten: Als der Besuch einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes in Theresienstadt bevorstand und aus diesem Anlass ein Nazi-Propagandafilm gedreht werden sollte (bekannt geworden unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“), war „Brundibár“ Teil der perfekt inszenierten Kulisse. Insgesamt 55-mal wurde „Brundibár“ in Theresienstadt aufgeführt. Jeder kannte die eingängigen Melodien. Für die meisten war die Musik die letzte Freude ihres kurzen Lebens. Brundibár war eine Projektionsfigur für alles Böse, das in das Leben der Kinder Unheil gebracht hatte. Damit wurde diese Kinderoper die auf die Bühne gebrachte Vision einer Zukunft, die vom Prinzip Hoffnung und vom Glauben an einen Sieg über Hitler und die Nationalsozialisten getragen wurde. Grenzenloser Zynismus Der öffentliche Blick auf Theresienstadt ist bis heute geprägt von der NaziPropaganda. Altersghetto, Kultur-Ghetto, jüdisches Siedlungsgebiet – diese Begriffe relativierten die Leiden der Opfer und verschleiern was Theresienstadt wirklich war: Ein Umsteigebahnhof nach Auschwitz Birkenau. Der Zynismus der Nazis kannte keine Grenzen. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, verbreiteten sie in Deutschland und Österreich das Märchen, Theresienstadt sei eine Art Kurort für privilegierte deutsche Juden. Gegen eine erhebliche Geldsumme (150 Reichsmark im Monat bei einer erwartenden Lebenserwartung von 85 Jahren) verkaufte man Heimplätze, garantierte Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Betreuung auf Lebenszeit. Wer es sich leisten konnte, unterschrieb und hoffte seinen Lebensabend in Ruhe verbringen zu können. Das Entsetzen bei der Ankunft war für die Ankömmlinge kaum vorstellbar. Die Betrogenen waren völlig unvorbereitet. Mit Erinnerungsstücken und feiner Garderobe im Gepäck trafen sie im Lager ein, in dem es am Nötigsten fehlte, vom Bettzeug bis hin zu Lebensmitteln. Zur allgemeinen Not, zu Hunger, schlechter Unterbringung und katastrophalen hygienischen Bedingungen, kam das Bewusstsein aufs Schlimmste getäuscht worden zu sein. Zum Projekt: Die Oper Der instrumentale Teil wird von Schülerinnen und Schülern der Josef Matthias Hauer Musikschule einstudiert. Alle Rollen der Oper (Solisten, Chor), mit Ausnahme von Brundibár (der von einem Schauspieler dargestellt wird), werden von Schülerinnen und Schülern der Musikmittelschule besetzt. Es werden ca. 110 Schülerinnen und Schüler daran teilnehmen. Die einzelnen Darstellerinnen und Darsteller wurden durch ein „Casting“ ermittelt. Die Probenarbeit beginnt nach einem genauen Plan ab September 2015. Die Aufführungen sind für 11. Und 12. Mai 2016 im Stadttheater (4 Vorstellungen) vorgesehen. Die Inszenierung der Oper wird in die „Jetztzeit“ transferiert, da „Brundibár“ als Projektionsfigur des „Bösen“ in der heutigen Zeit auch in verschiedensten aktuellen Erscheinungsformen existiert. In seiner Essenz war und ist die Oper ein Lehrstück für geistigen Widerstand und Selbstbehauptung unter schwierigsten Bedingungen. Was für die Nazis ein harmloses Kinder-Singspiel war, wurde für die Ghetto Gefangenen zum Lebensanker – es wurde zum „Überlebensmittel“, zu einem Stück Kindheit, zu einem Stück heile Welt inmitten des Grauens. Das Schlusslied: „Ihr müsst auf Freundschaft bau´n, den Weg gemeinsam geh, auf eure Kraft vertrau´n und zueinandersteh´n, dann wird man auf euch schau´n und euch klug nennen, dann kann euch nichts trennen, ihr seht ja, wie es war: Wir schlugen Brundibár, uns kann man nicht trennen…Freundschaft alle Zeit, hilft euch in jedem Streit und schafft Gerechtigkeit. Nehmt euch an der Hand, und knüpft das Freundschaftsband.“ – ist in seiner Aussage heute genauso wichtig wie damals und soll als Motto für das Projekt stehen. Holocaust und Theresienstadt Bei diesem Projekt, das sich über das ganze Schuljahr erstreckt und alle Unterrichtsfächer einschließt, sollen der geschichtliche Hintergrund, biografische Aufzeichnungen, Dokumentationen, Situationen in den Konzentrationslagern, persönliche Schicksale, Widerstand,… den Jugendlichen ein möglichst umfassendes Bild über diese schreckliche Zeit vermitteln. Didaktisch aufbereitete Materialien sollen dabei helfen, dass einerseits Tatsachen nicht verschwiegen werden, andererseits daraus aber auch kein sprachloses Schuldgefühl oder womöglich eine düstere neonazistische Faszination entsteht. Ein Schwerpunkt wird dabei Theresienstadt und die Situation und das Leben der Kinder dort sein. Projektziele - Produktion der Oper Brundibar - Wine möglichst umfassende, innovative und altersadäquate Beschäftigung mit der Thematik. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich mit den Stärken der Opfer des Nazismus verbinden. Sie verbinden sich mit deren Kultur, mit deren Wertmaßstäben, mit ihrer spirituellen Orientierung und Überlegenheit. Sie verbinden sich – auch indem sie selbst daran teilhaben – mit dem, was Rabbi Jizchak Nissenbaum im Warschauer Ghetto „Heilung des Lebens“ genannt hat. Darunter sind alle gewaltlosen kulturellen und spirituellen - - Aktivitäten der Opfer und ihrer Helfer zu verstehen, die es ihnen ermöglicht haben, sich über ihre Situation zu erheben. Es soll immer auch eine Verbindung zur „Jetztzeit“ hergestellt werden Durch die geschichtliche Auseinandersetzung und Aufarbeitung sollen die Schülerinnen und Schüler für gefährliche menschendiskriminierende Tendenzen und ideologische Fehlentwicklungen in der heutigen Zeit sensibilisiert werden Begegnung mit Zeitzeugen Auseinandersetzung mit altersadäquater Literatur Dokumentation des gesamten Projektes Kooperation mit Organisationen und Personen die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen Aus der Geschichte Lernen – damit sich die Geschichte nicht wiederholt Pädagogische Strategien gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus Warum das Projekt notwendig ist Schulische und außerschulische Pädagogik stehen vor den Anforderungen, auf politische Lernherausforderungen zu reagieren, die mit dem sich krisenhaft vollziehenden gesellschaftlichen Umbruch einhergehen. Sie sind aufgefordert, den ideologischen Krisendeutungen und Problemlösungsmodellen der Neuen Rechten an demokratischen und menschenrechtlichen Prinzipien ausgerichtete Sozialisations-, Lern- und Bildungsangebote entgegenzusetzen, die auch solche Jugendliche erreichen, die Einwanderer als bedrohliche Fremde wahrnehmen und ihre Interessen in der Politik der demokratischen Parteien nicht, oder zu wenig repräsentiert sehen. Angesichts der fortschreitenden Durchsetzung der Informationstechnologien in der Arbeitswelt und insgesamt steigender Leistungsanforderungen wird die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt zum Kernauftrag des Bildungssystems und zum Schlüssel der gesellschaftlichen Integration erklärt. Demgegenüber ist die Notwendigkeit einer Qualifizierung von Kindern und Jugendlichen für das Leben in einer demokratischen und menschenrechtlichen Grundsätzen verpflichteten Einwanderungsgesellschaft keineswegs ein zentrales Thema der bildungspolitischen und pädagogischen Diskussion "Bildungsarbeit gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“, „antirassistische Erziehung“, „ akzeptierte Arbeit mit rechten Jugendcliquen“ und „interkulturelles Lernen“ sind immer noch Spezialthemen, mit denen sich an Schulen, Hochschulen und in der Jugendarbeit nur wenige Spezialisten und ausgewählte Projekte beschäftigen. Denn Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sind nicht nur – gerade aus aktuellem Anlass der Flüchtlingsproblematik – bei einer kleinen und klar abgrenzbaren Minderheit auffälliger Extremisten vorzufinden. Zentraler Bezugspunkt und Interventionsort pädagogischen Handelns sind Prozesse, in denen Jugendliche (und auch Erwachsene) sich in Auseinandersetzung mit gesellschaftlich (in ihren sozialen Milieus und den Massenmedien) zirkulierenden Deutungsangeboten bestimmte Wahrnehmungs-, Deutungs-, Bewertungs-, und Handlungsmuster als ihnen begründet und plausibel erscheinende Sichtweisen aneignen, die es ihnen erlauben, für sie bedeutsame gesellschaftliche Sachverhalte und Entwicklungen zu verstehen. Rechtspopulistische und zum Teil auch rechtsextreme Parolen und Sätze, wie wir sie tagtäglich aus Medien und auf einschlägigen Plakaten sowie durch lautstarke Parolen kennen sind so betrachtet sowohl Verstehensangebote gesellschaftlicher Probleme und Konflikte als auch imaginäre Lösungsangebote für diese. Aus der Sicht des aufgeklärten Beobachters handelt es sich bei solchen und anderen rechten und rechtsextremen Deutungsmustern um irrationale Vorurteile und Feindbilder, die moralisch verwerflich sind und rationaler Überprüfung nicht stand halten. Es wird eine wichtige Aufgabe des Projektes sein Prozesse anzuregen, in denen ein an demokratischen und menschenrechtlichen Prinzipien orientiertes Lernen möglich ist. Es geht darum, quantitativ ausreichende und konzeptionell angemessene Gegengewichte zu den Bemühungen des organisierten und subkulturellen Rechtsextremismus zu schaffen, Einfluss auf die Sozialisationsund Bildungsprozesse Jugendlicher zu nehmen. Die Entwicklung einer politischen Kultur, in der Einwanderer, Flüchtlinge und Minderheiten als Mitmenschen respektiert und in der ihrer Grund- und Menschenrechte anerkennt werden, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dieses Projekt bietet die Chance sich mit alten und neuen Vorurteilen, Feindbildern und Bedrohungsszenarien sowie realen Schwierigkeiten und Konflikten der Einwanderungsgesellschaft auseinander zu setzen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Auseinandersetzung mit dem Leben im Ghetto und KZ Theresienstadt, die Begegnung mit einer Zeitzeugin und vor allem das künstlerische Tun und Erarbeiten und Aufführen der Oper „Brundibár“ wird eine Erfahrung sein, die die Schülerinnen und Schüler ihr Leben lang begleiten wird. Sie werden am Ende gelernt und begriffen haben, dass diese Art des geistigen Widerstandes den Lebenswillen stärken oder ganz neu schenken kann. „Die Kunst“, sagt eine der Überlebenden, „haben wir gebraucht wie Brot – oder sogar mehr“. Es ist dies eine Lektion, wie sie wichtiger für Jugendliche von heute kaum sein könnte. Johannes Winkler