Juni /Juli 12 48 ANATOMIE Hände taub werden Wenn die Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Fingern und Händen sind unangenehm und beängstigend zugleich. Solche Beschwerden treten recht häufig auf, bei Frauen dreimal häufiger als bei Männern. Nicht immer ist die Ursache das Karpaltunnel-Syndrom (CTS). Regelmässige Yogapraxis und komplementärtherapeutische Massnahmen können helfen, die Ursachen im Bereich des MuskelskelettSystems zu beseitigen und die Symptome zu lindern. Schultern und der Arme kontrollieren und versorgen. Aus diesem Nervengeflecht entspringen drei grosse Armnerven: der Speichennerv (Nervus radialis), der Ellennerv (Nervus ulnaris) und der Mittelnerv (Nervus medianus), die unterschiedliche Teile des Arms, der Hände und der Finger versorgen (siehe Grafik). Je nachdem, an welchem Teil der Hand die Sensibilitätsstörung auftritt, wird deutlich, welcher der drei Armnerven betroffen ist. Die Ursache der Beschwerden ist in den meisten Fällen eine Kompression des sensorischen Nervenstrangs oder der Nervenwurzel. Schulmedizinisch werden folgende Ursachen unterschieden: • Raumforderung im Schädel, z.B. durch einen Hirntumor (Druck auf die Nervenwurzel) • Ausstrahlende Symptome, die von der Wirbelsäule im Bereich des 5. Halswirbels bis zum 1. Brustwirbel ausgehen • Störung im Bereich des Handgelenkes. Text: Sonja Krenger* Auch ein Mangel an Mineralstoffen und Vitaminen (Magnesium, Vitamin B1, B6 und B12) kann zu Hautkribbeln und Taubheitsgefühlen führen. Gehen die Beschwerden vom Nacken aus, kommen als Ursachen degenerative Erscheinungen der Wirbelsäule oder ein Problem des Muskel-Skelett-Systems in Frage. Bei einer Osteoporose der Wirbelsäule oder durch den Elastizitätsverlust der Bandscheibe verengt sich der wischen dem 5. Halswirbel und dem 1. Brustwirbel, am Übergang vom Nacken zum Rumpf, befindet sich der Plexus brachialis, ein Nervengeflecht von Spinalnerven, welche die komplexen Funktionen und Bewegungsabläufe des Nackens, der Z PERIPHERES NERVENSYSTEM 49 Durchgang zwischen den einzelnen Wirbeln (Foramina), aus denen die Spinalnerven austreten. In der Nacht tuts weh Beim Karpaltunnel-Syndrom gehen die Beschwerden vom Handgelenk aus. Erste Symptome sind meist nächtlich auftretende Schmerzen, die von der Hand aus in den Arm ausstrahlen. Der Karpaltunnel ist eine bindegewebige, tunnelartige Sehnenscheide, durch die der Mittelnerv sowie die Beugesehnen der Hand verlaufen. Die Innenseite der Sehnenscheide ist mit einem Flüssigkeitsfilm überzogen, damit die Sehnen mühelos gleiten können. Druck im Innenraum entsteht einerseits durch Vermehrung des bindegewebigen Inhalts oder durch vermehrte Wassereinlagerungen z.B. während der Schwangerschaft oder bei einer Langzeiteinnahme von Cortison. Als Ursache für Schmerzen kommt auch eine Sehnenscheidenentzündung durch Überbeanspruchung des Handgelenks in Frage. Bevor ein chirugischer Eingriff in Betracht gezogen wird, sollten verschiedene schonende Massnahmen ausprobiert werden: z.B. Ruhiggestellen der Hand oder die Einnahme von wassertreibenden Tees aus Brennesseln, Holunder oder Lindenblüten. Beim chirurgischen Eingriff wird der Karpaltunnel in Längsrichtung aufgeschlitzt, um den Druck auf den Nerv zu lösen. So oder so – wenn Taubheitsgefühle oder Schmerzen längere Zeit andauern, empfiehlt es sich, die Ursachen durch bildgebende Diagnostik wie ein CT oder ein MRI abklären zu lassen. So kann die passende Therapie gefunden werden. Mit Blöcken arbeiten Wenn anatomische oder degenerative Ursachen ausgeschlossen werden konnten und die Beschwerden durch chronische Muskelverspannungen oder eine Fehlhaltung verursacht werden – was in der Praxis sehr häufig vorkommt –, kann gezieltes, ausdauerndes Üben, aufmerksa- mes Beobachten und Geduld nachhaltig Besserung bringen. Fähigkeiten also, die Sie als Yoga-Übende bereits kennen und erworben haben. Worauf Sie im Yoga achten sollten: Wenn Sie akute Beschwerden am Handgelenk haben, verzichten Sie auf Stützübungen, bis die Schmerzen abklingen oder verwen- Juni /Juli 12 50 ANATOMIE den Sie Blöcke unter den Händen, um den Druck aufs Handgelenk zu reduzieren. Achten Sie darauf, dass die Handstellung wie unten beschrieben genau nach vorn ausgerichtet ist. Als Komplementärtherapeutin betrachte ich Beschwerden immer mit einem ganzheitlichen Blick auf den gesamten Körper. Bei Schmerzen an den Händen, Ellbogen und Schultern schaue ich mir die Wirbelsäule, die Beckenhaltung und den Schultergürtel sehr genau an. Bei einem übermässig gerundeten Brustwirbelbereich und eingefallenen Schultern sind gewisse Muskeln am oberen Rücken ständig gedehnt, während ihre Gegenspieler am Kraft und Spannung verlieren. Sehr häufig stelle ich fest, dass die Muskulatur, welche die Arme hebt, falsch eingesetzt wird: Fehlende Kraft wird kompensiert durch Anspannung des Trapezmuskels und Anhebung des Schulterblattes. Bei Fehlhaltungen treten sehr häufig Muskelverspannungen im Bereich des Trapezmuskels oder der tieferliegenden Muskelschichten der Nackenmuskulatur auf. Genau in diesem Bereich verlaufen die drei Armnerven, die dadurch komprimiert werden können und die Sinnesstörung in den Armen oder Händen verursachen. Für die Korrektur von Fehlhaltungen und die Regulation von muskulären Disbalancen der HandEllbogen-Schulterachse sind Stützübungen, wie abwärtsblickender Hund, Katze, Brett oder Übungen im Vierfüsserstand sehr hilfreich. Sie fördern die Kraft in Schultern, Armen und Händen. Eine präzise Stellung der Hände und aller drei Gelenke der oberen Extremität ist unerlässlich für die Korrektur von muskulären Disbalancen. Legen Sie besonderes Augenmerk darauf, dass die Hände immer schulterbreit stehen, mit gespreizten Fingern und den Mittelfingern, die genau geradeaus zeigen. Nach Möglichkeit sind alle Finger möglichst gestreckt und mit Bodenkontakt an allen Fingergrundgelenken, speziell dem Daumen und dem Zeigefinger. Wir erzeugen damit etwas mehr Druck auf den inneren Teil des Handgelenks. Die Ellbogeninnenseite wird leicht nach vorn, die Bizepsmuskulatur leicht auswärts gedreht, sodass die Schulterblätter nach unten und dicht an die Rippen gezogen werden. So bleibt der Bereich Schulter/Schlüsselbein vorn breit und geöffnet. Lassen Sie sich von Ihrer Yogalehrerin oder Ihrem -lehrer anleiten und korrigieren. Aufrecht werden Auch eine aufrechte Körperhaltung ist sehr wichtig. Trainieren Sie Ihre Rumpf-Stützmuskulatur und mobilisieren Sie die Brustwirbelsäule durch sanftes, leichtes Rückbeugen, z.B. mit der Kobra. Die Ellbogen sollen dicht an den Brustkorb gezogen werden, die Schultern nach hinten gedreht, die Schulterblätter dicht beieinander. Alle Übungen, die den vorderen Teil des Schultergelenkes, also die Linie vom Schlüsselbein zum Schulterkopf öffnen, sollen regelmässig durchgeführt werden, z.B. solche, bei denen die gestreckten Arme mit verschränkten Fingern hinter dem Körper gehalten werden. Dabei werden die Muskeln des Schulterblattes zusammengedrückt, was die Verspannung dort löst, während die Brust und vorderen Rippen geöffnet und angehoben werden. Wenn Sie in dieser Haltung eine Vorbeuge machen, soll die Schulterblattmuskulatur unbedingt angespannt bleiben. Sonst sacken die Schultern nach vorn. Chronisch verspannte Muskeln müssen manuell gelöst werden. Begeben Sie sich dafür in die Hände eines gut ausgebildeten manuellen Therapeuten. Besonders emp- «Beim Karpaltunnel-Syndrom gehen die Beschwerden vom Handgelenk aus.» PERIPHERES NERVENSYSTEM fehlenswert sind Rolfing, Shiatsu, Polarity und Akupunkturmassage nach Penzel, denn diese arbeiten am gesamten Körper mit allen Geweben, nicht nur an den Muskeln. Faszien, also die Haut, die die Muskeln umgibt, und das Bindegewebe spielen eine wichtige Rolle. Die drei letztgenannten Methoden arbeiten mit dem Energiesystem und energetischen Blockaden, die im Fall von Muskelverspannungen und Fehlhaltungen immer vorliegen. Energetisch sind Arme und Hände mit dem Herzchakra verbunden. Bei einer eingefallenen Haltung der Brust wird die Funktion dieses Chakras beeinträchtigt. Liegen die Beschwerden im Bereich der Nackenwirbel, könnte auch ein Besuch bei einem Osteopathen angezeigt sein. Eule Gern stelle ich Ihnen abschliessend eine ausgezeichnete Selbsthilfeübung aus meiner Methode vor, die hilft, Verspannungen des Trapezmuskels zu lockern. Greifen Sie mit der rechten Hand und festem Griff den Muskel zwischen Ihren Schultern und dem Nacken auf der linken Körperseite. Atmen Sie ein und drehen Sie den Kopf langsam, so weit Sie können, zur linken Seite (zur Hand auf der Schulter). Atmen Sie aus und drehen Sie den Kopf langsam zur Gegenseite. Drehen Sie den Kopf jeweils dreimal nach rechts und nach links und versuchen Sie, die Bewegung mit der Atmung zu koordinieren. Hal- 51 ten Sie dabei die Nacken- und Schultermuskulatur entspannt und das Kinn parallel zum Boden. Drehen Sie Ihren Kopf dann zurück zur Mitte. Atmen Sie erneut ein und heben dabei das Kinn leicht nach oben. Atmen Sie aus und senken Sie das Kinn Richtung Brust. Diese Bewegung wiederholen Sie ebenfalls dreimal. Wenn der Kopf in der Mitte angekommen ist, lösen Sie die rechte Hand und legen sie auf dem Oberschenkel ab. Spüren Sie für einen kurzen Moment nach. Legen Sie nun die linke Hand mit festem Druck auf die rechte Schultermuskulatur. Atmen Sie ein und drehen Sie den Kopf ganz langsam nach rechts in Richtung der Hand. Mit der Ausatmung drehen Sie den Kopf zurück zur linken Schulter. Wiederholen Sie dies dreimal und führen den Kopf dann zur Mitte. Mit der nächsten Einatmung heben Sie das Kinn leicht nach oben, mit einer Ausatmung senken Sie das Kinn und ziehen den Hinterkopf leicht nach hinten. Wiederholen Sie dies dreimal und führen den Kopf dann in die Mitte. Lösen Sie die Hand und legen Sie sie auf den Oberschenkel. Spüren Sie kurz nach. Die Übung kann im Stehen oder Sitzen gemacht werden. *Die Autorin arbeitet als Komplementärtherapeutin OdA KT mit der Methode Polarity in eigener Praxis in der Stadt Zürich und unterrichtet therapeutischen Yoga. Sie ist Aktivmitglied des Polarity Verbandes Schweiz und Mitglied von Yoga Schweiz. www.energieort.ch