Diagnostik von Teilleistungsstörungen bei Menschen mit

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Teilleistungsstörungen
Fritz Haverkamp
EFH Bochum
Teilleistungsstörungen/
Umschriebene Entwicklungsstörungen
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Definition und Begriffsklärung
Klassifikation von Teilleistungsstörungen/umschriebene
Entwicklungsstörungen
Neurobiologisches Erklärungsmodell am Beispiel LRS
Vorkommen bei Spina bifida/Hydrozephalus
Folgen für das Lernvermögen
entwicklungsabhängiger Phänotyp
Schlussfolgerungen für Diagnostik, Förderung und Bewältigung
Definition
Esser
Teilleistungsstörungen sind Leistungsdefizite in begrenzten
Funktionsbereichen, die aufgrund allgemeiner Intelligenz,
Förderung sowie körperlicher und seelischer Gesundheit des
Betroffenen nicht erklärt werden können.
Graichen
Teilleistungsstörungen sind Leistungsminderungen einzelner
Glieder innerhalb größerer funktioneller Systeme, die zur
Bewältigung komplexer Anpassungsaufgaben erforderlich
sind.
Definitorische Voraussetzungen
bei Teilleistungsstörungen
Überprüfung zweier Grundannahmen
Normalitäts- und Diskrepanzannahme
1. Normalitätsannahme setzt voraus, ansonsten normale
Intelligenz, keine Sinnesschädigung oder
neurologische Störung, emotionale Probleme sind
Folge und nicht Ursache
2. Diskrepanzannahme fordert bedeutende Differenz
zwischen allg. Leistungsniveau und der spezifischen
Teilleistungsstörung
Klassifikation nach Esser
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einfache Artikulationsstörungen
expressive und rezeptive
Sprachentwicklungsstörungen
Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen
Rechenstörungen (Dyskalkulie)
Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS)
Weitere Klassifikationen
Neuropsychologie
ƒ
Störung von Gedächtnisfunktionen
ƒ
Störungen von Aufmerksamkeitsfunktionen
Wahrnehmung
ƒ
visuelle Wahrnehmungsstörung
ƒ
auditive Wahrnehmungsstörung
Epidemiologie
Prävalenz
12-15% Normalpopulation
erhöht in Risikogruppen (z.B. Frühgeborene) zwischen 20-50%
Ätiologie
in Normalpopulation meist genetisch, familiär
in Risikopopulationen überwiegend erworben
Artikulationsstörungen
Definition
korrekte Artikulation ist gestört
- z.B. Zischlaute
Epidemiologie
meist Knaben betroffen
Diagnostik
deutliche Normabweichung des Kindes
Ausschluss organischer Ursachen
Schule und Beruf
keine Auswirkungen
Expressive und rezeptive Sprachstörungen
expressive Sprachentwicklungsstörung
• Dyslalie
• reduzierter Wortschatz
• Dysgrammatismus
rezeptive Sprachstörung
• eingeschränktes Verständnis von Begriffen
• und von grammatikalischen Strukturen
• Erkennen von Sprachmelodie und Sinngehalt ist reduziert
Motorische Teilleistungsstörungen
Definition
leichte Koordinationsstörung
diagnostische Bedeutung von Soft Signs
Abwesenheit von Paresen
Einteilung
Variante A
Schwerfälligkeit, Balanceprobleme und
Ungeschicklichkeit
Variante B
feinmotorische Beeinträchtigungen
Variante C
A+B
Motorische Teilleistungsstörungen
Ätiologie
überwiegend genetisch
pathologische Kortexbeteiligung bei Affektion von Feinmotorik
Förderung
grobmotorische Ungeschicklichkeit
Psychomotorik
feinmotorische Probleme
Ergotherapie
Rechenstörung/Dyskalkulie
Definition
umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Rechenfertigkeiten
Prävalenz
ca. 6-7% Normalpopulation
Diagnostik
entwicklungsneurologische Untersuchung durch Arzt
motorische Testverfahren
Neuropsychologie
Störung der verschiedenen Aufmerksamkeitsfunktionen
visuell-räumliche Störungen
Arbeitsgedächtnisstörungen
exekutive Dysfunktionen
Lese-Rechtschreib-Störung (LRS)
Epidemiologie
Prävalenz allgemein 4-7%
Komorbidität
oftmals gemeinsames Auftreten von LRS und Dyskalkulie (20-60%)
Ätiologie
multifaktoriell, 40% Wiederholungsrisiko bei betroffenem Elternteil
Lese-Rechtschreib-Störung (LRS)
ƒ
Pathogenese
Modelle neurofunktioneller Funktionsstörungen:
Gestörte visuelle, sprachliche oder intermodale Informationsverarbeitung
ƒ phonologische Hypothese
- eingeschränktes phonologisches Bewusstsein
ƒ Rapid Auditory Processing Deficit Hypothesis
- eingeschränkte sequentielle auditive Informationsverarbeitung
ƒ cerebelläre Defizit-Hypothese
- beeinträchtigtes Automatisieren beim Lesen und Schreiben
ƒ Aufmerksamkeitshypothese
- Probleme bei der visuellen Aufmerksamkeit (oft mit Phonologie
korreliert)
Neurobiologisches Erklärungsmodell für LRS
Unterschiedliche cerebrale Störungen führen zu ähnlichem Phänotyp
neurologische
Bewegungsstörung
cerebro-cerebelläre
Funktionsstörungen
erworben
genetisch
Schreiben
Artikulationsstörung
Störung von
neuropsychologische
Defizite
Automatisierungsprobleme
Lesen
Visuelle Teilleistungsstörungen
Pathogenese
•
visuellen Verarbeitung
•
der Lateralisation
•
der Okulomotorik
•
der visuomotorischen Koordination
•
der Figur-Grund-Wahrnehmung
Diagnostik
• visuelle Informationsverarbeitung
(nonverbale Intelligenztests, DTVPII/Figur-Grund-Unterscheidung)
Auditive Wahrnehmungsstörungen
Störung der auditiven Wahrnehmung und deren Diagnostik
- periphere Hörschwäche
- der intermodalen Verarbeitung
- zentrale Fehlhörigkeit
z. B. Pädaudiologie
Cerebrale Lokalisation wichtiger Funktionsareale
Entwicklungsabhängiger Phänotyp
Vorschulalter
ƒ Sprachentwicklung
- Artikulationsstörungen
- verzögerte Sprachentwicklung (reduzierter WS)
ƒ räumliches Vorstellungsvermögen
- ungeschickte Feinmotorik, Schwierigkeiten beim Zeichnen
- Wiederfindungs- u. Reorientierungsprobleme
ƒ Entwicklung motorischer Funktionen
- häufiges Stolpern, Anrempeln,
- bastelt und malt nicht gerne
ƒ psychosoziale, emotionale Entwicklung
- niedriges Selbstbewusstsein
- soziale Kompetenz- bzw. soziale Distanzprobleme
- spielt mit jüngeren Kindern
- Verhaltensstörungen
- Tics
Entwicklungsabhängiger Phänotyp
Schulalter
ƒ geringe Schul-Motivation
ƒ Probleme, dem Unterricht zu folgen
ƒ schlechte Schulleistungen (Deutsch, Mathematik, Sport, Malen)
ƒ Belastung durch Anforderungen, die anderen Schülern Spaß machen
ƒ Verhaltensauffälligkeiten im Kontext schulischer Anforderungen
Psychopathologische Komorbidität
Teilleistungsstörungen
als Ursache bzw. assoziiert mit
„
Verhaltensstörungen
„
emotionalen Störungen
(Ängste, Depression)
Differentialdiagnostische
Herausforderung!
Verwechslung von primärer und
sekundärer Morbidität
Umschriebene Hirnfunktionsstörungen bei
Hydrozephalus/Spina bifida
Epidemiologie
Prävalenz 30-40%
Symptomatik
• neurologische Bewegungsstörungen
• allgemeinen Intelligenzminderung
• Defizite in den Bereichen
- Gedächtnis
- Aufmerksamkeit
- räumliches Vorstellungsvermögen
- Steuerungs- und Planungsfunktionen
Lernstörungen
TLS beeinflussen das Lernvermögen
Folgen für Schule und Beruf
Individuelles
neurokognitives
Profil bei
Hydrozephalus/
Spina bifida
• Ressourcen
• Risiken
5 Komponentenmodell
des normalen Lernens
1. Entwicklung von
Lernstrategien
2. Metakognitive Fähigkeiten
3. Wissen aktivieren
4. Vorhandensein
operationaler
Voraussetzungen
5. Motivation zum Lernen
Lernstörungen
• passager
• persistierend
• allgemeine
beruflicher
Erfolg
Teilleistungsstörungen bei
Hydrozephalus/Spina bifida
Prognose
gut, wenn
a)
keine Hirnfunktionsstörung
b)
normaler IQ
Probleme und Forschungsdefizite bei
der Diagnostik von TLS
„
keine einheitliche TLS-Definition
„
oft (vorschnelles) Expertenurteil
- ohne standardisierte Testung
- als Ergebnis selektiver Testung
„
Problem der Diagnose bei mehr als einer
Teilleistungsstörung
„
Verwechslung von Pathologie mit Normalität und umgekehrt
„
fragliche pathologische Relevanz der Störung
Ohne differenzierte Untersuchung keine differenzierte Diagnose!
Probleme und Forschungsdefizite bei
der Förderung von TLS
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häufig ungenaue Therapieindikation
bislang oftmals allgemeine, wenig spezifische
Interventionsstrategien
Ohne differenzierte Diagnose keine differenzierte Therapie/Förderung!
Probleme und Forschungsdefizite bei
der Bewältigung von TLS
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„
unklare Begrifflichkeiten (Wahrnehmungsstörung)
unterschiedliche Begrifflichkeiten bei verschiedenen
Therapeuten
unterschiedlicher impliziter psychosozialer
Belastungsgehalt in Abhängigkeit der Prognose
(Entwicklungsverzögerung vs. geistige Behinderung)
Ohne differenziertes TLS-Konzept keine adäquate Bewältigung!
Der diagnostische Prozess
relevante Entwicklungsbereiche
normale Entwicklungsvariabilität? niedriges Begabungsniveau?
psychosoziales Verhalten, emotionale Reife
kognitive Entwicklung
- < 2 Jahre - Testung psychomotorische Entwicklung
- > 2,5 Jahre (+ Intelligenz- und Sprachtestung)
- > 4 Jahre (+ neuropsychologische Testung)
entwicklungsneurologische Untersuchung
Kausalität ?spezifische Förderungsoption?
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
[email protected]
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