ADIPOSITAS CHIRURGIE Wunderwaffe gegendasÜbergewicht? Die spannendste Erfahrung nach der Operation war, dass ich jetzt satt werde. Das Gefühl kannte ich früher kaum, weil mein Magen überdehnt war. Die Magen-OP ist oft der einzige Ausweg bei krankhafter Esssucht. Doch die Operation ist nur ein Krückstock, die Veränderung tiefgreifend. Ein Schwerpunkt. SONJA SAURUGGER Werner Gruber, Physiker und Kabarettist GRUBER: Es gibt zwei Einschränkungen, von denen mich aber nur eine trifft. Das ist einerseits der Alkohol. Trinkt man ein Achtel Wein, ist man angesoffen. Das stört mich nicht, ich habe schon früher wenig getrunken. Was mich aber betrifft, ist, dass ich keine Kohlensäure trinken kann, denn das tut weh. Können Sie noch genießen? GRUBER: Ich habe so gut wie keine Einschränkungen beim Essen, also habe ich auch den Genuss. Was ist Ihr Wunschgewicht? GRUBER: Ich will unter die 100 Kilo kommen. Können Sie Ihren berühmten Schweinsbraten noch essen? GRUBER: Zu meinem Geburtstag habe ich einen gemacht, davon habe ich aber noch immer einiges eingefroren. Was raten Sie Menschen, die vor so einer Operation stehen? GRUBER: Ich glaube, entscheidend ist, wer operiert. Man sollte sich also mit anderen besprechen, die schon operiert wurden, und so den besten Chirurgen finden. E s klingt nach einem Wundermittel: Nach einer Operation, die den Magen verkleinert, purzeln plötzlich die Kilos wie von alleine, der jahrelange Kampf gegen das Übergewicht ist gewonnen und die Vorher-nachher-Fotos, mit denen sonst Diätmittel beworben werden, werden Wirklichkeit. Ist mit der sogenannten Adipositas-Chirurgie wirklich das Allheilmittel gegen krankhaftes Übergewicht gefunden? Oder sind die Konsequenzen weitreichender, als es auf den ersten Blick scheinen mag? Die Experten klären auf: Nach einer solchen Operation ändert sich das ganze Leben. Und: An der Ernährungsumstellung führt trotzdem kein Weg vorbei. Voraussetzungen. Eine Operation kommt nur für Patienten infrage, die krankhaft adipös sind: Das gilt ab einem BMI von mehr als 40. „Haben Patienten einen BMI von 35 und schon Krankheiten, wie Diabetes oder Gefäßerkrankungen, ist eine Operation auch empfohlen“, sagt Karl Mrak, Chirurg an der LKHUniklinik Graz. Denn genau sol- che Erkrankungen will man Operationstechniken. „Die interdurch die Operation verhin- national häufigste Operation ist dern: Durch weniger Körperge- heutzutage der Magenbypass“, wicht sinkt der Blutdruck, der sagt Chirurg Mrak. Mit dem ByFettstoffwechsel wird besser pass erzielt man zwei Effekte: und Betroffene leben länger. Tut Einerseits wird der Magen auf man nichts geein Minimum gen das Übergeverkleinert, anWISSENSWERT wicht, kommt es dererseits umzu Diabetes, Gegeht man ein Die Voraussetzung für eine fäßverkalkung Stück DünnAdipositas-Operation: und Herzerdarm, wodurch Body-Mass-Index (BMI)I krankungen, die weniger Nährüber 40 oder BMI über 35 zu den häufigsstoffe aus der und Erkrankungen, die mit ten TodesursaNahrung aufgedem Übergewicht zusamchen führen: nommen wermenhängen (Diabetes, Herzinfarkt und den. „Durch den Herzerkrankungen) Schlaganfall. Bypass kommt Der BMI beschreibt Warum es überes nicht nur das Verhältnis von haupt eine Opeschneller zum Körpergröße zu Gewicht: ration braucht, Sättigungsgeum abzunehfühl, sondern Körpermasse (in kg) men? „Ab einem man kann auch 2 Körpergröße (in m) gewissen Übernur noch eingegewicht sind Beschränkt Fettes troffene in einem Esssuchtver- und Süßes essen“, sagt Chirurg halten gefangen“, sagt Reinhard Mittermair. Als Alternative gibt Mittermair, Adipositas-Chirurg es die Möglichkeit, nur den Maam Klinikum Klagenfurt. Ernäh- gen zu verkleinern, wodurch ein rungsumstellung, Bewegung Magenschlauch entsteht (siehe oder Psychotherapie sind dann Grafik nächste Seite). Ausgenicht genug – es braucht die Fortsetzung auf Seite 42 Operation als Unterstützung. 42 | GESUNDHEIT KLEINE ZEITUNG SAMSTAG, 1. AUGUST 2015 Fortsetzung von Seite 41 dient hat hingegen das Magenband: Der Erfolg war zu gering, die Nebenwirkungen zu schwerwiegend. Aber auch beim Magenbypass muss man sich auf unerwünschte Wirkungen einstellen. Nebenwirkungen. Durch die Operation können KomplikaDie tionen (NarkoOperation se-Probleme, narbige Engstelist nur ein len) auftreten. kleiner Teil, Außerdem müses braucht die sen Patienten nach der Operaumfassende tion ihr EssverBetreuung. halten umstellen. Kleine PorKarl Mrak, tionen, gründliChirurg LKH Graz ches Kauen und getrenntes Essen und Trinken sind die Voraussetzung – sonst kann es schnell zu Übelkeit und WISSENSWERT Eine Adipositas-Operation sollte nur in einem erfahrenen Zentrum durchgeführt werden. Es braucht umfassende Betreuung durch Psychologen, Internisten und Ernährungsberater. Einen Überblick über die Therapieangebote bei Adipositas in Österreich finden Sie unter. www.adipositas-austria.org. Erbrechen kommen. Das sogenannte Dumping ist eine häufige Konsequenz von zu viel, zu süßem und zu fettigem Essen: Wie der Name sagt, „plumpst“ der Nahrungsbrei direkt in den Darm, was zu einer Unterzuckerung führt, die sich durch Schwindel, Zittern und Herzrasen äußert. „Die Operation ist nur ein kleiner Teil, Patienten brauchen schon vor der Operation eine Ernährungsberatung, damit sie wissen, was sie erwartet“, sagt Mrak. Durch die Mangelernährung kann es außerdem zu Mangelerscheinungen kommen. Mangelerscheinungen. „Mit der Operation nimmt man in Kauf, dass die Patienten ihren Bedarf an Eiweiß und Nährstoffen nicht mehr über die Ernährung decken können“, sagt Karin Schindler, Ernährungswissenschaftlerin am AKH Wien. Zwar treffen Mangelerscheinungen nicht jeden, aber: Schon vorsorglich bekommen Magenoperierte Eiweiß, Vitamine und Spurenelemente als Ergän- sen: Schlingen ist nicht mehr zungsmittel – damit der Man- möglich, für eine kleine Portion gelzustand gar nicht erst ent- braucht man eine Dreiviertelstunde, weil sorgfältig steht. Diese Ergängekaut werden muss. zungsmittel können Durch diese belebenslange Begleischränkte Nährstoffter bleiben. Denn aufnahme nimmt man eine Mangelernähschnell und viel an rung hat unangeGewicht ab, aber: nehme Folgen: Mü„Nach spätestens digkeit, Abgeschlazwei Jahren ist die genheit, häufige InHoneymoon-Phase fekte, Wundheivorbei, dann geht Ablungsstörungen. nicht mehr Auch Haarausfall Wenn der nehmen von alleine“, sagt betrifft viele, legt Schindler. Spätestens sich aber meist Chirurg viel nach sechs Mona- Erfahrung mit sol- bis dahin müssen die Betroffenen gelernt ten. Regelmäßige chen Operationen haben, sich gesund zu Blutuntersuchunernähren – denn isst gen gehören daher hat, ist es ein weiterhin zu fett zum Prozedere Routineeingriff. man und zu süß und benach einer Magenoperation. Reinhard Mittermair, wegt sich nicht, geht das Gewicht auch Lebensumstellung. Chirurg am Klinikum wieder nach oben. An „Man muss sich da- Klagenfurt der Umstellung des rauf einstellen, dass sich das Leben nach der Opera- Essverhaltens führt also kein tion verändert“, sagt Schindler. Weg vorbei – oder wie SchindDas betrifft einerseits das Es- ler sagt: „Die Operation ist ein OPERATIONSMETHODEN Der Magenbypass ist die häufigste Operationsmethode bei Übergewicht. Dabei wird der Magen stark verkleinert und ein Stück Dünndarm umgangen. Eine Alternative ist der Schlauchmagen. Magenbypass Schlauchmagen Der Magen wird stark verkleinert, man kann viel weniger 70 bis 80 Prozent des Magens werden abgetrennt und essen. Durch Umgehung des Dünndarms werden entfernt. Dadurch kann weniger gegessen werden. weniger Nährstoffe aufgenommen. Neuverbindung Großteil des von Magenbeutel Magens wird Verdauungssaft und Dünndarm abgetrennt Nahrung Magenbeutel („pouch“) Verbleibender Schlauchmagen überbrückter Zwölffingerdarm Restmagen Richtung Dickdarm Restmagen entfernter Magen Leerdarm Zweiter Teil des Dünndarms Leerdarm Verdauungssäfte werden aus Zwölffingerdarm eingeleitet + Nicht nur kleinere Portionen, sondern auch weniger Süßes und Fettes kann gegessen werden. + Mit dem Magen werden auch HungerRezeptoren entfernt – weniger Esslust. – Durch die eingeschränkte Nährstoffaufnahme kann es zu Mangelerscheinungen kommen. – Es kann zu Sodbrennen kommen. Durch große Essmengen kann sich Magen wieder ausdehnen. GESUNDHEIT | 43 KLEINE ZEITUNG SAMSTAG, 1. AUGUST 2015 Krückstock, aber gehen muss man alleine.“ Auf diesem Weg passieren noch andere Veränderungen: Man wird schlanker und attraktiver, das kann sich auf die Beziehung auswirken. Der Abnehmerfolg wird meist von einem Hochgefühl begleitet – in seltenen Fällen kann es aber auch Die zu depressiven Zuständen kommen, Operation ist da das Essen als ein Krückstock, Frustbewältigung aber gehen wegfällt. Betreuung. An spe- muss man zialisierten Zentren schon selbst. betreut ein Team aus Diätologen, Karin Schindler, Psychologen und ErnährungswissenInternisten Patien- schaftlerin am AKH Wien ten vor und nach dem Eingriff. Denn die Operation alleine ist nun mal kein Wundermittel. Von 144 auf 70 Kilo: Bernhard Traint lebt seit drei Jahren mit einem Magenbypass MEINE GESCHICHTE M eine Magenbypass-Operation ist schon drei Jahre her und in meinem Leben hat sich eigentlich alles verändert. Von meinen damals 144 Kilogramm bin ich richtiggehend auf mein Wunschgewicht hinuntergerasselt. Heute wiege ich 70 Kilo, das sind sogar zehn Kilo weniger, als ich angestrebt habe. Auf diesem Gewicht stehe ich jetzt schon seit fast einem Jahr – dünner möchte ich jetzt nicht mehr werden. Nach der Operation konnte ich nur winzige Portionen essen, das hat sich mit der Zeit ein bisschen verändert: Heute kann ich schon einen Toast mit zwei Toastscheiben essen, früher musste ich einen Toast der Länge nach teilen. Aber ich habe gelernt, genau auf meinen Körper zu hören, und höre auf, zu essen, wenn es nicht mehr geht. Muss ich auch, denn sonst muss ich erbrechen. Prinzi- KK, KLZ/KANIZAJ „Von meinem alten Leben ist nicht viel übrig“ Bernhard Traint erhielt bereits vor drei Jahren einen Magenbypass. Sein Leben hat sich völlig verändert. piell könnte ich alles essen, ich verzichte aber auf Schweine- und Rindfleisch, weil es lange im Magen liegt und ich dadurch auch lange nichts trinken kann. Essen und trinken geht nach wie vor nur getrennt. Ich esse hauptsächlich Geflügel und Fisch und damit geht es mir gut. Ich habe bisher auch noch keine Mangelerscheinungen, lasse aber trotzdem regelmäßig mein Blutbild kontrollieren. Meine Haut ist in der Zwischenzeit schon zurückgegan- gen, aber ich habe heuer schon eine Bauchdeckenstraffung machen lassen. Das hat gut funktioniert, nach fünf Tagen konnte ich wieder nach Hause. Die Narbe der Operation sehe nur ich, sie ist gut unter der Badehose versteckt. Ich sehe sie als Kriegsverletzung, als Erinnerung an eine vergangene Zeit. Freunde verloren Von meinem alten Leben ist nicht mehr viel übrig: Ich habe viele Sportarten ausprobiert, spiele Speedminton und Tennis und stelle mich auch auf die Slackline. Das wäre früher, mit Übergewicht, nicht möglich gewesen. Heute kann ich auch 20 Kilometer Skaten gehen, auch das war früher undenkbar. In meinem Freundeskreis hat es auch einige Veränderungen gegeben, leider. Mein ehemals bester Freund war auch stark übergewichtig: Zuerst hat er mich nach meiner Operation unterstützt, doch bald hat er sich nicht mehr gemeldet und hinter meinem Rücken gemault. Ich denke, da spielt wohl der Neid mit. Auch einige andere Freunde können mit meinem neuen Selbstbewusstsein nicht umgehen oder vergönnen mir mein neues Leben nicht. Trotzdem sage ich: Die Operation war die beste Entscheidung meines Lebens.