Fortbildung Protrahierte bakterielle Bronchitis Frühe Diagnose verhindert spätere Bronchiektasen Thomas Nüßlein Der Begriff „protrahierte bakterielle Bronchitis“ taucht erst seit knapp zehn Jahren in medizinischen Publikationen auf. Seitdem heißt es, die betroffenen Patienten zu identifizieren und adäquat zu therapieren. A uch wenn das Medizinstudium vielleicht gar nicht so lange zurückliegt, in den Lehrbüchern von damals wird man die Diagnose „protrahierte bakterielle Bronchitis“ (Abb. 1) wahrscheinlich nicht finden. Denn erst im Jahr 2006 taucht der Begriff in der Medizinliteratur-Datenbank PubMed auf. Dennoch handelt es sich um eine Pathologie, die es wohl schon immer gegeben hat. Nun eröffnet die klare Benennung überprüfbare und inzwischen auch überprüfte Therapieoptionen. Damit wird sich die Häufigkeit einer bedrohlichen Folgeproblematik – der Bronchiektasie – sehr wahrscheinlich drastisch reduzieren lassen. Im folgenden Beitrag geht es darum, betroffene Patienten aus der riesigen Gruppe hustender Kinder zu identifizieren, die wenigen Differenzialdiagnosen abzugrenzen und damit die Diagnosekriterien zu benennen, den natürlichen Verlauf der Problematik bei Nicht-Behandlung aufzuzeigen, Therapieempfehlungen abzuleiten und zu guter Letzt die Relevanz für den pädiatrischen Alltag hervorzuheben. Identifizierung potenziell betroffener Patienten Akuter Husten ist im Kindesalter so gut wie immer auf akute Virusinfekte zurückzuführen. Persistiert der Husten © T. Nüßlein Abb. 1: Eitrige Tracheobronchitis als Korrelat des chronisch-produktiven Hustens bei einem 5-jährigen Mädchen mit protrahierter bakterieller Bronchitis 20 über einige Wochen, erfolgt die Umbenennung zu chronischem Husten. Für diese Situation gibt es eine große Zahl zum Teil exotischer Differenzialdiagnosen. Einen nach Häufigkeit und auch nach Invasivität der Diagnostik geordneten Weg zeigt die Übersichtsarbeit von Shields und Mitarbeitern auf (Abb. 1) [1]. Demnach sollte ein Kind mit isoliertem, quälendem, chronischem Husten ohne andere Krankheitszeichen zunächst antiasthmatisch behandelt werden, das heißt in der Regel mit einem inhalativ zu verabreichenden Steroid. Bei Erfolglosigkeit sollte die Behandlung beendet und nochmals intensiv nach möglichen spezifischen Hinweisen gefahndet werden. Spätestens an dieser Stelle lässt sich das Kind mit protrahierter bakterieller Bronchitis identifizieren und zwar daran, dass der Husten produktiv ist. Mit dieser Konstellation kommen nach dem erwähnten Diagnostik-Algorithmus von Shields nämlich nur vier relevante Differenzialdiagnosen in Betracht: Zum einen ist eine Mukoviszidose per Schweißtest zu sichern oder auszuschließen. Wegen der Bedeutung dieser Weichenstellung sollte die Untersuchung nach dem Goldstandard erfolgen, das heißt mit Messung der Chloridkonzentration im Schweiß. Die primäre Ziliendyskinesie als zweite Differenzialdiagnose ist charakterisiert dadurch, dass der produktive Husten nicht erst seit einigen Wochen und Monaten, sondern seit dem Tag der Geburt besteht und begleitet ist von einer ebenso produktiven Rhinitis. Immundefekte schließlich dürften sich auch mit anderen Krankheitszeichen als nur dem produktiven Husten manifestieren, an dieser Stelle sei verwiesen auf die Listen mit Alarmzeichen. pädiatrie hautnah 2015; 27 (5) Als vierte der vier Differenzialdiagnosen bei chronisch-produktivem Husten bleibt die protrahierte bakterielle Bronchitis. Spezifische Hinweise aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, ThoraxRöntgen, Spirometrie (> 5 Jahren) pädiatrie hautnah 2015; 27 (5) Asthma Nein Diagnosekriterien Vor allem das genannte klinische Kriterium des chronisch-produktiven Hustens über einige Wochen, allenfalls Monate, ohne weitere Krankheitsmanifestationen führen zur Diagnose „protrahierte bakterielle Bronchitis“. Darüber hinaus ist das Krankheitsbild charakterisiert vom Nachweis vermeintlich „banaler“ bakterieller Erreger, insbesondere Haemophilus influenzae, mit deutlich geringerer Häufigkeit auch Steptococcus pneumoniae, Moraxella catarrhalis, selten auch einmal Staphylococcus aureus und andere [2]. Man versteht die protrahierte bakterielle Bronchitis heute als Verschiebung im Mikrobiom der Lunge hin zu potenziell pathogenen Erregern [3]. Wenn man broncho-alveoläre LavageFlüssigkeit betroffener Kinder zytologisch untersucht, ist außerdem eine neutrophile Entzündung nachweisbar [4]. Es bleibt ein dritter Baustein zu benennen, am besten zu umschreiben mit „Besonderheiten in den Atemwegen geringeren Ausmaßes“ (Abb. 3, Abb. 4). So hat man in der Gruppe von Kindern mit protrahierter bakterieller Bronchitis gehäuft eine Tracheomalazie gefunden [2], auch kleinere Verzweigungsanomalien, auf Zellebene eine verminderte Interferon-Gamma-Produktion [5] und bei manchen Kindern eine fehlende Produktion von spezifischen Antikörpern für Pneumokokken [6]. Im Tiermodell ist darüber hinaus belegt, dass das Krankheitsbild der protrahierten Bronchitis sich simulieren lässt durch parallele Exposition gegenüber Tabakrauch und nicht typisierbarem Haemophilus influenzae [7]. Nimmt man diese drei Charakteristika der Kinder mit protrahierter bakterieller Bronchitis zusammen, das heißt Infektion, Inflammation und kleinere Störungen in Anatomie und Physiologie der Lunge, lässt sich ein Teufelskreislauf ableiten. Zu Papier gebracht hat das schon vor vielen Jahren Peter Cole [8]. Er beschrieb 1986 das Konzept der Entstehung von Bronchiektasen. Tatsächlich (Episoden mit Giemen, andere atopische Erkrankungen) Ja (Räuspern, Juckreiz in der Nase) Isolierter Husten, ansonsten guter Allgemeinzustand Ist der Husten wirklich lästig? Nein (Feuchter/ produktiver Husten) Ja (Testung des Ansprechens auf Bronchodilatatoren oder Peak-flow-Protokoll) Beruhigen, beobachten, Follow-up Persistierende bronchiale Infektion: _ Cystische Fibrose, _ primäre Ziliendyskinesie, _ Immundefekte, _ protrahierte bakterielle Bronchitis (Würgen beim Essen/ Atembeschwerden nach dem Essen) Versuch mit antiasthmatischer Therapie Kein Ansprechen „post nasal drip“/ Allergische Rhinitis (Rasselnder oder bellender Husten) Rezidivierende Aspirationen Tracheo-/Bronchomalazie, Kompression der Atemwege Ja Antiasthmatische Therapie absetzen Antiasthmatische Therapie absetzen Weitere Untersuchungen in Betracht ziehen und Follow-up Erneute antiasthmatische Medikation nur bei Hustenrezidiv (Bizarrer Husten, verschwindet im Schlaf, „la belle difference“) Psychogener Husten (Trockener Husten, atemlos und Restriktion im Lungenfunktionstest) Interstitielle Lungenerkrankung (Zunehmender Husten, Gewichtsverlust, Fieber) Lungentuberkulose Abb. 2: Chronischer Husten bei Kindern: Entscheidungsbaum vom unspezifischen Symptomen zur ätiologisch definierten Diagnose nach Häufigkeit und Invasivität der Diagnostik (nach [1]) ist das aktuelle Verständnis dieses vermeintlich neuen Krankheitsbildes protrahierte bakterielle Bronchitis, dass es sich um die Anfangsphase des Entstehungsprozesses von Bronchiektasen handelt [9]. Natürlicher Verlauf bei Nicht-Behandlung Die Erkenntnis, dass radiologisch gesicherte Bronchiektasen weder angeboren sind noch plötzlich entstehen, ist nicht neu. Sowohl radiologisch lässt sich die schlussendlich manifeste sackförmige Bronchiektasie häufig in den Röntgenbildern und Schichtaufnahmen zurückverfolgen bis hin zu den Anfängen einer deformierenden Bronchitis. Auch Be- griffe wie Prä-Bronchiektasie oder suppurative Lungenerkrankung tauchen in der Pathogenese von Bronchiektasen auf. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass funktionelle Untersuchungen, insbesondere Lungenfunktionsuntersuchungen, nicht sensitiv sind für den Nachweis der genannten strukturellen Störungen, auch die native Röntgenaufnahme des Thorax identifiziert Patienten mit einer frühen Phase von Bronchiektasen nicht. Therapieempfehlungen So banal die nachgewiesenen Erreger sind, so banal ist die resultierende Therapieempfehlung. Eine orale antibiotische Behandlung mit zum Beispiel Am- 21 Fortbildung Protrahierte bakterielle Bronchitis Literatur 1. 2. 3. © (2) T. Nüßlein 4. 5. Abb. 3: Akzessorischer Oberlappenabgang als kleinere anatomische Besonderheit bei einem Vorschulkind mit protrahierter bakterieller Bronchitis oxicillin ist wirksam, sogar so zuverlässig, dass man das Durchbrechen des Krankheitsverlaufes mittels dieser Behandlung als diagnostisches Kriterium für die Diagnose protrahierte bakterielle Bronchitis ex post heranzieht. In Einzelfällen, vor allem beim Nachweis von Staphylococcus aureus, wird es sinnvoll Fazit für die Praxis Die protrahierte bakterielle Bronchitis: — ist ein sicher schon immer existierendes Phänomen, — wird gerade als eigene Entität wahrgenommen, — ist wahrscheinlich recht häufig, — ist nach klinischen Kriterien zu diagnostizieren, — entsteht durch einen Circulus vitiosus aus Infektion und Inflammation, — erhöht unbehandelt das Risiko für Bronchiektasen, — lässt sich recht einfach mit Amoxicillin, bei Nachweis von Staphylococcus aureus mit Amoxicillin/Clavulansäure behandeln, — ist darüber definiert, dass sie unter der genannten Therapie verschwindet, allenfalls ergänzt um Physiotherapie zur Mobilisation des Sekrets, — erklärt möglicherweise Erfolge einer antibiotischen Therapie bei „AsthmaPatienten“, die dann eigentlich gar kein Asthma haben, sondern eine protrahierte bakterielle Bronchitis. 22 Abb. 4: „Grübchen“ im Bronchialsystem als kleinere anatomische Besonderheit bei einem Mädchen mit protrahierter bakterieller Bronchitis sein, Amoxicillin/Clavulansäure einzusetzen [10]. Zu beachten ist, dass es eine „prophylaktische Dosis“ für die Behandlung der Atemwege nicht gibt, anders als dies zum Beispiel bei Harnwegsinfektionen der Fall ist. Neben der Dosis scheint auch die Dauer entscheidend zu sein. Es gibt Hinweise, dass eine 6-wöchige Behandlungsdauer zielführend ist. In Anbetracht der bei Identifizierung des Krankheitsbildes sehr günstigen Prognose bedarf es in aller Regel nicht des zweiten Bausteins der Therapie produktiver Atemwegserkrankungen, nämlich der Physiotherapie zur Sekretmobilisation. In Einzelfällen, insbesondere dann, wenn die Problematik schon länger besteht, durchbricht jedoch auch die regelmäßige Entfernung von Sekreten aus den Atemwegen den Krankheitsverlauf. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Shields MD et al. BTS guidelines: Recommendations for the assessment and management of cough in children. Thorax 2008;63 Suppl 3:iii1–iii15 Kompare M, Weinberger M. Protracted bacterial bronchitis in young children: association with airway malacia. J Pediatr 2012;160(1):88–92 van der Gast CJ et al. Three clinically distinct chronic pediatric airway infections share a common core microbiota. Ann Am Thorac Soc 2014;11(7):1039–48 Zgherea D et al. Bronchoscopic findings in children with chronic wet cough. Pediatrics 2012;129(2):e364–9 Pizzutto SJ et al. Children with chronic suppurative lung disease have a reduced capacity to synthesize interferon-gamma in vitro in response to non-typeable Haemophilus influenzae. PLoS One 2014;9(8): e104236 Lim MT et al. Specific antibody deficiency in children with chronic wet cough. Arch Dis Child 2012;97(5):478–80 Lugade AA et al. Cigarette smoke exposure exacerbates lung inflammation and compromises immunity to bacterial infection. J Immunol 2014;192(11):5226–35 Cole PJ. Inflammation: a two-edged sword-the model of bronchiectasis. Eur J Respir Dis Suppl 1986;147:6–15 Chang AB et al. Chronic wet cough: Protracted bronchitis, chronic suppurative lung disease and bronchiectasis. Pediatr Pulmonol 2008;43(6):519–31 Marchant J et al. Randomised controlled trial of amoxycillin clavulanate in children with chronic wet cough. Thorax 2012;67(8): 689–93 Chang AB et al. A multicenter study on chronic cough in children : burden and etiologies based on a standardized management pathway.Chest 2012;142(4): 943–50 Relevanz für den pädiatrischen Alltag Mit diesen Erkenntnissen der letzten wenigen Jahre deckt sich manch eine Krankengeschichte später oder im Rückblick auf. Analysiert man solche Populationen von Kindern mit chronischem Husten, scheint die protrahierte bakterielle Bronchitis tatsächlich häufig zu sein, häufiger sogar als das Asthma im Kleinkindesalter [11]. So ist zu erhoffen, dass die Zahl sogenannter idiopathischer Bronchiektasien bei Kindern, die aktuell bei etwa 25 % liegt, zukünftig sich den 0 % annähert. PD Dr. med. Thomas Nüßlein Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein gGmbH Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitätsmedizin der JohannesGutenberg-Universität Mainz Koblenzer Straße 115–155 56073 Koblenz Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass bei der Erstellung des Beitrags kein Interessenkonflikt vorlag. pädiatrie hautnah 2015; 27 (5)