52_Gedankenschritte 07.03.2008 13:38 Uhr Seite 52 workout & science | hirnforschung Gedankenschritte 52 앚 trainer 2/2008 52_Gedankenschritte 07.03.2008 13:39 Uhr Seite 53 hirnforschung | workout & science Wie Gehen das Denken fördert Ergebnisse der aktuellen Hirnforschung lassen vermuten, dass Gehen und Laufen die Leistungsfähigkeit des Gehirns verbessern und die altersbedingte Verschlechterung der Gehirnfunktionen verzögern können. Auslöser für diese Annahme ist der Nachweis, dass sich bei freiwilliger körperlicher Aktivität von Mäusen Nervenzellen neu bilden. D Rhythmus des Denkens Die Gehirnregion, in der Kempermann den Beweis für seine These sucht, heißt Hippocampus und ist kaum größer als ein Knopf. Im Hippocampus werden unsere Erinnerungen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übertragen. Eindrü- cke werden so zu geordneten Erinnerungen. Wie alle Nervenzellen leisten auch die Zellen im Hippocampus ihre Arbeit in einem gleichförmigen Takt. Prof. Dr. Kempermann fand heraus, dass dieser Gleichtakt Denken erst möglich macht und durch den Rhythmus des Gehens stimuliert wird. Indem wir gehen, sammeln wir nicht nur Denkmaterial, sondern halten die Struktur fit, die dieses Material aufbewahrt. Die Taktfrequenz der Schritte stabilisiert den Rhythmus des Gehirns und lässt die zu speichernden Gedanken leichter ins Langzeitgedächtnis gelangen. Das Experiment Den Beweis dafür liefern Experimente mit Mäusen. Prof. Kempermann teilte sie in Lerner, Schwimmer und Läufer auf. Die Lerner wurden in einem Wasserlabyrinth darauf trainiert zu schwimmen. Die Schwimmer sollten sich ebenso lange über Wasser halten, nur ohne vorher Schwimmen zu lernen. Für die Läufer stand in Käfigen ein Laufrad bereit, auf dem sie freiwillig laufen konnten. Der Forscher wollte vor allem wissen, ob „körperliche Aktivität in freiwilliger oder unfreiwilliger Form“ die Bildung neuer Nervenzellen bei erwachsenen Säugetieren steigert und wie lange die so gewonnenen Nervenzellen auch tatsächlich aktiv bleiben. Denn Hirnleistungen lassen vor allem deshalb nach, weil Zellen mit der Zeit absterben, ohne in aus- Prof. Dr. Gerd Kempermann ass sich Spaziergänge klärend auf die Gedanken auswirken können und manche Idee sich beim Gehen entwickelt, ist nicht neu. Viele Schriftsteller, darunter Persönlichkeiten wie Goethe und Rousseau, haben sich schon mit der inspirierenden Wirkung von Spaziergängen befasst. Friedrich Nietzsche war der Ansicht, das Denken könne sehr wohl den Rhythmus des Gehens annehmen, genauso wie den des Sitzfleischs. Auch Läufer berichten davon, dass sie ihre Gedanken beim Laufen sortieren und den Tag überdenken. Dass Laufen klüger macht, glaubten schon die Peripathetiker („Umherschlenderer“) im alten Griechenland: Sie dachten grundsätzlich im Gehen nach. Ein enger Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Bewegung scheint einleuchtend. Der Neurologe Prof. Dr. med. Gerd Kempermann, der seit Juni 2007 am „DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien“ der TU Dresden arbeitet, hat die Ahnung in Wissen verwandelt. Seine Formel: Gehen fördert das Denken aufgrund besonderer Eigenschaften einer Region des Gehirns. Hippocampus einer Maus: Neue Nervenzellen für neue Erinnerungen (grün) reichender Zahl durch Neurogenese, d.h. durch die Neubildung von Nervenzellen, ersetzt zu werden. Forschungsergebnisse Das Ergebnis der Studie war verblüffend. Weder das Schwimmtraining noch das erzwungene Schwimmen hatten einen Effekt auf die Neurogenese. Das Laufen jedoch verdoppelte die Zahl der neuen Nervenzellen. Das Ergebnis zeigt, dass freiwillige körperliche Aktivität ausreicht, um eine Steigerung der Neurogenese trainer 2/2008 앚 53 52_Gedankenschritte 07.03.2008 13:39 Uhr Seite 54 workout & science | hirnforschung Für Sie vor Ort! Besuchen Sie uns in Halle 2 Stand A16 Immer top informiert! Health and Beauty Business Media GmbH Karl-Friedrich-Str. 14 -18 • 76133 Karlsruhe www.bodylife.com • www.bodylifeforum.com im Hippocampus erzeugt werden. Vor auszulösen. Ein Resultat, das wahrdiesem Hintergrund will Ulman Lindenscheinlich auch auf den Laufrhythmus berger, Professor am Berliner Maxzurückzuführen ist. „Die bei Mäusen erzielten ForPlanck-Institut für Bildungsforschung, schungsergebnisse sind nicht unmitteleine Methode finden, den Hippocambar auf den Menschen übertragbar“, bepus zu trainieren, um Nervenzellen zu tont Prof. Dr. Kempermann. Dennoch bilden, die im Falle von Alzheimer oder scheint es plausibel, dass sich RhythAltersdemenz die verringerte Gedächtmen positiv auf unsere Denkleistung nisfunktion hinauszögern. auswirken. Der Rhythmus des Gehens Ausgehend von der Vermutung, dass stabilisiert den Rhythmus des Gehirns Gehen und Laufen auch den menschund regt uns so zu einer intensiveren lichen Hippocampus vergrößert, hat er Denkleistung an. Der Beweis dafür steht gemeinsam mit Martin Lövden eine Vernoch aus. suchsanordnung überlegt. Sie schicken Bis in die 90er Jahre galt eine Neuroältere und jüngere Erwachsene auf ein genese im menschlichen zentralen NerLaufband, das sie in die virtuelle Reavensystem als völlig ausgeschlossen. lität eines Tiergartens führt. Man hielt die Möglichkeit, dass neue Der virtuelle Zoobesuch Neuronen wachsen, für völlig absurd. Die Versuchspersonen laufen auf dem 1998 zeigten schwedische WissenBand und sehen auf dem Bildschirm schaftler, dass es auch im menschlichen den Eingang zu einem Tierpark. Laufend Gehirn eine Neurogenese gibt, sich also erkunden sie die Wege. Die Testpersoneue Nervenzellen bilden. Allgemein ist nen müssen das Training 14 Wochen über die Funktion neu gebildeter Nerlang absolvieren. Davor und danach venzellen noch wenig bekannt. Es wird werden sie an der Universität in Magdeangenommen, dass eine Zu- oder Abburg mittels Kernnahme dieser Zellspintomografie neubildung verantuntersucht. wortlich ist für die Erwartet wird ein Fähigkeit des NeuWachstum des Hiplernens. Ob sich pocampus, der körperliche Aktivität www.trainer-magazine.com durch drei Faktoren tatsächlich auf die Benutzername: trainer02 zustande kommen Fähigkeit zu denken Passwort: design kann: die Bildung auswirkt, dazu lie+ + D E I N I N FO - P LU S + + neuer Blutgefäße, gen noch keine Erneuer Synapsen gebnisse vor. Am und neuer Nervenzellen. Frühestens EnTaub Institute of Research in New York de März 2008 wird der experimentelle forscht Scott A. Small daran, ob AktiTeil der Studie mit 100 Personen beenvität die Neubildung von Nervenzellen det sein. Ob sportliche Betätigung zum im menschlichen Gehirn ermöglicht. Erhalt der Leistungsfähigkeit des GeDie Neurogenese hirns und somit des Denkens beiträgt, Aus bisherigen Untersuchungen weiß darüber wird man dann vielleicht mehr Rita Hoogestraat man, dass neu gebildete Neurone entwissen. lang fester Pfade in die Großhirnrinde (Cortex) wandern, wo sie reifen und faLiteratur serartige Fortsätze (Axone) bilden, die elektrische Impulse weiterleiten könKempermann G.: Adult neurogenesis. Stem cells and neuronal development in the adult brain, nen. Anschließend bilden sie Synapsen Oxford University Press, 2005 und fügen sich in das neuronale NetzLövdén M., Schaefer S., Pohlmeyer A., Lindenwerk des Gehirns ein. Synapsen sind berger U.: Walking variability and working meKontaktstellen zwischen Nervenzellen mory load in aging: A dual-process model relating cognitive control to motor control perund anderen Zellen (z.B. Muskelzellen), formance? Manuscript submitted for an denen die elektrische Weiterleitung publication, Max Planck Institute for Human von Informationen stattfindet. Dies gilt Development, Berlin, 2007 vor allem im Hippocampus. Rereira AC, Huddleston DE, Brickman AM, Sosu- Versuchsreihe mit Menschen Prof. Gerd Kempermann hat in seinem Experiment mit Mäusen gezeigt, dass bei Aktivität zusätzliche Nervenzellen 54 앚 trainer 2/2008 nov AA, Hen R, McKhann GM, Sloan R, Gage FH, Brown TR, Small SA: An in vivo correlate of exercise-inducted neurogenesis in the adult dentate gyrus, Proc National Academy of Science USA, 2007 Mar 27; 104(13):5638-43, Epub 2007 Mar 20, PMID: 17374720