Umwelt Text : Stefanie fotos : Moritz Feuer am Himmel Wie viele Kindernasen drückten sich schon neugierig an Fensterscheiben, als draussen der Tag zur Nacht wurde, als es in Strömen regnete, rüttelte und wehte, bevor der ­Himmel sekundenlang von einem leuchtenden Zick-Zack erhellt wurde? Die Welt schien unterzugehen, dachten wir, während wir bangend zählten: Eins – zwei – drei, dann der Schlag! Ein Donnern, das mehr einem Dröhnen glich, es liess uns zusammenzucken und vertrieb den winselnden Hund mit ­eingezogenem Schwanz unter den Tisch. Das Spektakel, das sich während Gewittern abspielt, lässt sich pro Tag immerhin 44 000 Mal beobachten – allerdings verteilt über die ganze Erde. In der Schweiz sind jedes Jahr knapp 500 000 Blitze zu sehen, die meisten davon im Juli. Der eigentliche Blitz ist ein Ausgleich unterschiedlicher elektrischer ­Ladungen zwischen Wolke und Erde. Wer das Phänomen verstehen will, muss deshalb zuerst den Aufbau einer Gewitterwolke kennen. Der Anfang einer Gewitterzelle ist stets eine harmlose Quellwolke, die durch aufsteigende Luftpakete immer grösser wird. Dies geschieht vor allem dann, wenn viel feuchte Bodenluft vorhanden ist. Deren Kondensation setzt beim Aufstieg zusätzliche Wärme frei, was dem Luftpaket weiteren Antrieb verleiht (zur Wolkenbildung siehe «marina. ch» 33, Juli/August 2010). Die immer grösser werdende Wolke türmt sich auf, bis die ­aufsteigenden Luftpakete eine Umgebungsluft erreichen, deren Temperatur und Dichte ihrer eigenen entspricht. Hat sich die anfängliche Schäfchenwolke erst einmal in eine ­riesige Cumulonimbus-Wolke verwandelt, herrschen darin starke Aufwinde. Diese ­verhindern, dass die kondensierten Regentropfen aus der Wolke nach unten fallen. Stattdessen werden die Tropfen immer ­wieder umhergewirbelt. Je höher nach oben die Wolke reicht, umso kälter wird es, und so verwandeln sich die Tropfen mit der Zeit in Eiskristalle. Wenn sich genug Eis abgelagert hat und die Körner schwer genug sind, fallen sie schliesslich als Graupel, Hagel oder dicke Regentropfen auf die Erde. Die typischen, sommerlichen Platzregen sind dabei nichts Was passiert, wenn der düstere Gewitterhimmel plötzlich durch einen leuchtenden Feuertanz erhellt wird und wilde Blitze durch die Nacht zucken? Der Erklärungsversuch eines sagenhaften Schauspiels. 48 Pfändler von Hacht marina.ch mai 12 mai 12 marina.ch marina.ch Ralligweg 10 3012 Bern Tel. 031 301 00 31 [email protected] www.marina-online.ch Tel. Abodienst: 031 300 62 56 Umwelt anderes als geschmolzene, schwere ­Hagelkörner, die aus riesigen Wolken­ türmen herausfallen. einem Wolkenblitz – oder zwischen Wolke und Erde. Letzteres führt dann zum bekannten ­Erdenblitz. Jeder ­eigentlichen Blitzentladung geht eine Vorentladung voraus, die sich stufenweise aufbaut und die einen Blitzkanal zwischen Wolke und Erde schafft. Die Richtung dieser Vorent­ladung zeigt immer von Wolke zu Erde, kann aber leicht variieren oder sich aufspalten, was zu der typischen Zick-Zack-Form von ­Blitzen führt. Kurz bevor die Vorentladung die Erde erreicht, tritt aus spitzen Gegenständen eine so genannte Fangentladung aus, die den Blitzkanal schliesst. Sie lässt sich manchmal an Kirchtürmen, Masten oder Bäumen als dunkles, bläuliches Licht beobachten. Der Blitzkanal ist maximal 12 Millimeter dick. Sobald er geschlossen ist, findet darin die Hauptentladung statt, die sehr hell ist und die unser Auge als eigentlichen Blitz wahrnimmt. Durchschnittlich bilden vier bis fünf Hauptentladungen einen Blitz, es wurden jedoch schon bis zu 42 aufeinanderfolgende Entladungen gemessen. Da auf jede Ent­ ladung eine kurze Pause folgt, wird der Blitz manchmal als flackernd wahrgenommen. Elektronen-Austausch in der Wolke Während die verschieden grossen Körner in der Wolke herumgewirbelt werden, kolli­ dieren kleine Eiskristalle mit grösseren Graupelteilchen und geben an diese Elektronen ab. Die grossen Teilchen werden dadurch negativ geladen, während die kleinen Teilchen durch das verlorene Elektron eine positive Ladung annehmen. Weil die leichten Teilchen wieder nach oben getragen werden, die schweren allerdings weiter absinken, ist der obere Teil der Wolke positiv geladen, der untere negativ. Zusätzlich lädt sich der Erdboden unter der Wolke positiv auf, wodurch eine für Gewitter­ zellen typische, ungleiche Ladungsverteilung entsteht, deren Spannung sich ­irgendwann entladen muss. Dieser sogenannte Potenzial­ ausgleich kann entweder innerhalb einer Wolke stattfinden – man spricht dann von 50 marina.ch mai 12 Blitzeinschläge auf dem Wasser Blitzeinschläge auf Schiffen und Sportbooten kommen relativ selten vor, insbesondere bei hohen Masten ist ein gewisses Risiko aber dennoch vorhanden. Obwohl ein Kunststoff- oder Holzboot keinen hundertprozentigen Schutz bietet, sind Menschen unter Deck vor Blitzen relativ sicher. Blitzschutzvorrichtungen sorgen dafür, dass eine durchgehende elektrisch leitende Verbindung zwischen der Mastspitze und einer Erdung besteht, wodurch der Blitzstrom gefahrlos abgeleitet wird. Von diesen Vorrichtungen sowie von jeglichen metallischen Gegenständen sollte jedoch ein so marina.ch grosser Abstand wie möglich eingehalten werden. Ralligweg 10 Befindet sich während eines Gewitters jemand im Wasser, kann er im Falle eines 3012 Bern Blitzeinschlags über mehrere Kilometer hinweg elektrische Impulse spüren. Sogar schwächste Ströme können dabei Muskeln blockieren und zu Krämpfen oder Lähmungen führen. Während ein Blitz an Land durch das eine Bein hinein- und durch Tel. 031 301 00 31 das andere wieder hinausgeleitet wird, fliesst der Strom im Wasser durch den kom- [email protected] pletten Körper – das Herz bekommt also die volle Ladung ab. Dies kann zu Herzstillständen führen. Doch selbst wenn ein Schwimmer nur ohnmächtig wird, so kann www.marina-online.ch dies im Wasser fatal sein. Tel. Abodienst: 031 300 62 56 mai 12 marina.ch Umwelt Heisse Luft und Donnergrollen Während der Entladung erhitzt sich die lokale Luft schlagartig auf rund 30 000 Grad ­Celsius. Um den Blitzkanal herum verhindert ein schlauchförmiges Magnetfeld die Ausdehnung dieser heissen Luft, was im Kanal selbst zu einem extrem hohen Druck führt. Mit dem Ende des Blitzes bricht das Magnetfeld zusammen und die Luft dehnt sich explosionsartig aus. Dies führt zu einem Knall, der im Anschluss an den Blitz den ­Donner bildet. Da sich Schall langsamer bewegt als Licht, kann aus der zeitlichen Differenz der beiden Phänomene die Entfernung Besondere Blitzformen Die Form von Blitzen kann von einem einfachen Linienblitz ohne jegliche Verzweigung bis zu einem stark verzweigten Blitzkanal variieren, der eher als eine einzige, leuchtende Fläche wahrgenommen wird. Der Kugelblitz ist eine besonders mythenbeladene Form von Blitzen, deren Entstehung nach wie vor umstritten ist. Es existieren nur sehr wenige Bilder von Kugelblitzen, die angeblich sogar durch Mauern und Ritzen dringen können. Inzwischen konnten Kugelblitze mit Mikrowellenstrahlung im Labor erzeugt werden. Diese künstlichen Blitze haben bereits Keramikplatten durchwandern können. Das Elmsfeuer ist eine weitere Blitzform, die in ihrer Erscheinung eher dem Nordlicht ähnlich ist. Es handelt sich dabei um eine Funkentladung, die von Gegenständen wie Antennen- und Schiffsmasten, Flugzeugen oder Gipfelkreuzen an die Umgebungsluft abgegeben werden. Wegen der Potenzialdifferenz stehen Personen regelrecht die Haare zu Berge. Obwohl dies lustig aussehen mag, sollte man sich so rasch wie möglich entfernen, da es sich bei Elmsfeuer technisch um eine Vorentladung handelt, welche das Risiko eines Blitzeinschlags deutlich erhöht. 52 des Blitzes berechnet werden. Drei Sekunden entsprechen dabei rund einem Kilometer. Die Hauptentladung hat eine ungefähre Stromstärke von 20 000 Ampere, was am Einschlagsort zu schweren Schäden – meist in Form von Verbrennungen – führen kann. Schlimmer als der eigentliche elektrische Schock ist allerdings oft ein anderes Phänomen: Dort, wo der Blitz einschlägt, entsteht ein kreisförmiges Spannungsfeld, dessen Spannung nach aussen hin kontinuierlich ­abnimmt. Opfer, die mit zwei Beinen auf dem Boden stehen, haben dadurch in jedem Bein ein anderes Spannungspotenzial. Diese ­Differenz führt im Körper zu gravierenden Organschäden. Vor allem vierbeinige Tiere sind deshalb bei Gewittern besonders gefährdet. Wegen dem Spannungskegel ist es bei Blitzgefahr fatal, sich flach auf den Boden zu legen. Solch extreme Spannungsdifferenzen können selbst dann Schäden verursachen, wenn der Blitz etwas weiter weg einschlägt. Sinnvoller ist es, sich mit beiden Beinen nah beieinander auf den Boden zu kauern. Obwohl es inzwischen eher selten ­vorkommt, dass Menschen von Blitzen­ ­getroffen werden, erfuhr Roy Sullivan in diesem Zusammenhang zweifelhaften Ruhm: Der US-Farmer wurde zwischen 1942 und 1977 sieben Mal von ­Blitzen ­getroffen. Trotz starker Verbrennungen hat er alle Einschläge überlebt. Alle sieben Blitzeinschläge wurden ärztlich dokumentiert und belegt. Allerdings wurden die dazugehörigen Geschichten von Mal zu Mal ­verworrener. Mehrere Male wurde Sullivan nach eigenen Angaben von einer Gewitterwolke regelrecht verfolgt, einmal erwischte ihn ein Blitz durch das ­offene Fenster seines Trucks und ein ­a nderes Mal war in die ­groteske Geschichte gar der Angriff eines Bären involviert. Diesen konnte Sullivan zwar mit einer Angelrute ­a bwehren, doch wurde ihm dieses Gerät jedoch blitztechnisch zum Verhängnis. Trotz ­Sullivans Schicksal gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Blitzeinschlag nach dem ersten Mal ansteigt und letztlich zeigt sich, dass es Dinge gibt, die deutlich lebensbedrohlicher sind als Blitze: Im Alter von 71 Jahren setzte Sullivan seinem Leben selber ein Ende – wegen einer uner­widerten Liebe. marina.ch mai 12 marina.ch Ralligweg 10 3012 Bern Tel. 031 301 00 31 [email protected] www.marina-online.ch Tel. Abodienst: 031 300 62 56