„in vivo`` -- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 26.09.2011

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„in vivo‘‘ --- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 26.09.2011
Expertengespräch „Schilddrüsenkrebs‘‘
Annika de Buhr, Moderatorin:
Und jetzt begrüße ich den Privatdozenten Dr. Bruno Neu, leitender Oberarzt der zweiten medizinischen Klinik und Poliklinik am Klinikum rechts der Isar in München, schön dass Sie bei uns sein
können.
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Grüß Gott.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Herr Dr. Neu, Frau H. wurde ja in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht, immer wieder
punktiert, warum erst jetzt der Krebsbefund?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Bei Frau H. wurde ja die Diagnose eines Schilddrüsenkarzinoms nach der Operation und erst nach
der feingeweblichen Aufarbeitung des Schilddrüsenpräparates gestellt. Dabei handelt es sich um
ein nur vier Millimeter großes Karzinom, Schilddrüsenkarzinom, ein so genanntes Mikrokarzinom.
Mikrokarzinome sind kleiner als zehn Millimeter, also sehr kleine Karzinome und wir wissen auch
noch nicht genau, was die Prognose diesen Mikrokarzinomen ist. Wahrscheinlich entwickelt sich
nur eins von 200 Mikrokarzinomen zu einem bösartigen Karzinom, das wirklich dann Probleme
bereitet. In den allermeisten Fällen wird die Diagnose erst postoperativ gestellt.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie sieht es bei ihren beiden Töchtern aus? Gibt es für die jetzt möglicherweise eine genetische
Veranlagung für Krebs?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Möglich schon, ja, aber sehr unwahrscheinlich. Also nur fünf von ungefähr 100 Schilddrüsenkarzinomen haben eine familiäre Genese, d.h. dabei handelt es sich um ein familiäres nicht medulläres
Schilddrüsenkarzinom, also in ihrem Fall eher unwahrscheinlich.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Gleich habe ich weitere Fragen an Sie, aber wir haben zunächst für unsere Zuschauer noch ein paar
wichtige Informationen kurz zusammengefasst im Film.
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Sprecherin:
Pro Jahr erkranken rund 5.300 Menschen in Deutschland neu an Schilddrüsenkrebs, dabei sind
Frauen deutlich mehr betroffen als Männer. Die Erkrankung tritt am häufigsten im Alter zwischen 50
und 60 Jahren auf. Die Schilddrüse ist ein schmetterlingsförmiges Organ, das unterhalb des Kehlkopfes liegt. Hier werden die Hormone T3 und T4 gebildet, die den Stoffwechsel des Körpers regeln,
dafür benötigt die Schilddrüse Jod, das wir mit der Nahrung aufnehmen. Ursachen für Schilddrüsenkrebs können Jodmangel, eine genetische Veranlagung und Vorerkrankungen der Schilddrüse
wie eine chronische Entzündung sein. Mögliche Symptome für eine Tumorerkrankung in dem Organ
entstehen durch die Nähe zur Luft- und Speiseröhre, wie z.B. Druckgefühl im Hals, Luftnot,
Schluckbeschwerden, Husten und Heiserkeit und vergrößerte Lymphknoten. Der mit Abstand häufigste Schilddrüsenkrebs ist das so genannte differenzierte Karzinom. Bei dieser sehr langsam
wachsenden Tumorart entstehen Knoten in den Follikeln der Schilddrüse, die die Stoffwechselhormone produzieren. Dabei wachsen die Tumorzellen in den Follikelhohlraum hinein. Unabhängig
von der Art des Karzinoms wird nach der Diagnose meist die gesamte Schilddrüse operativ entfernt.
Die gängige Therapie danach ist die Radiojodbehandlung. Durch die Einnahme einer Kapsel mit
aufgeladenem Jod werden mögliche Schilddrüsenreste und Metastasen beseitigt. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind die Chemo- und Strahlentherapie. Die Heilungsaussichten sind bei einem
rechtzeitig erkannten Schilddrüsenkrebs sehr gut.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Nicht jeder Knoten ist ja bösartig, aber welche Knoten sind eben gefährlich?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Ja, das ist eine gute Frage, mit der beschäftigen wir uns Mediziner schon seit langer Zeit. Schilddrüsenknoten sind in Jodmangelgebieten, wie wir sie hier in Süddeutschland haben, sehr häufig.
Wir gehen davon aus, dass ungefähr jeder Dritte einen Schilddrüsenknoten hat. Sie sehen also die
Problematik, die wir haben: Wir haben ein sehr häufiges Vorkommen von Schilddrüsenknoten und
eine sehr seltene Diagnose des Schilddrüsenkarzinoms. Jetzt ist die Schwierigkeit, unter diesen
Schilddrüsenknoten die gefährlichen herauszufinden. Es gibt sonographische Befunde, die uns
aufhorchen lassen. Das sind z.B. eine Größe über zehn Millimeter, ein echoarmes Ultraschallmuster, ein solides Wachstum, punktuelle Verkalkungen, also alles sonographische Kriterien und natürlich ein Kriterium ist im Verlauf die Größenzunahme. Das ist sehr wichtig für uns, wir schließen
im übertragenen Sinne von der Geschwindigkeit auf den Fahrzeugtyp, d.h. ein Porsche ist gefährlicher als ein Polo.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Es ist doch oftmals so, bei gesundheitlichen Problemen, die ein Patient meldet wird eigentlich ganz
wenig auf die Schilddrüse geschaut. Aber bei welchen Symptomen sollte das eigentlich unbedingt
getan werden?
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PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Ja, das ist auch ein Problem der Schilddrüsenkarzinome, dass sie sehr spät erst Symptome hervorrufen und diese sind leider auch sehr uncharakteristische Symptome, die nicht sofort an ein
Schilddrüsenkarzinom denken lassen. Also im Fall von Frau H. hat natürlich das vier Millimeter große Karzinom keine Beschwerden verursacht. Es tritt nur auf im Spätstadium, d.h. durch das Tumorwachstum, durch Verdrängung oder Infiltration von Nachbarorganen und dabei kann es dann zu
einer Heiserkeit kommen, es kann zu pathologischen Geräuschen bei der Einatmung kommen, das
sind so Symptome oder dann halt natürlich sichtbares Wachstum.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wenn der Befund positiv ist, welche Therapiemöglichkeiten gibt es inzwischen?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Also der Regeleingriff bei einem Schilddrüsenkarzinom ist die operative vollständige Entfernung
der Schilddrüse und bei Befall von Lymphknoten, auch der benachbarten Lymphknoten. Drei bis
vier Wochen nach der Operation schließt sich dann die Radiojodtherapie an. Das ist ein Verfahren,
mit dem dann Tumorrestgewebe oder auch Lymphknotenbefall oder auch Fernmetastasen zerstört
werden können.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Muss denn die radikale Entfernung der Schilddrüse immer sein?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Nein, wir sind da heute auch schon weiter, als noch vor etlichen Jahren. Das heißt, wir wissen, dass
bei papillären Mikrokarzinomen oder minimal invasiven follikulären Karzinomen nicht die vollständige Entfernung der Schilddrüse notwendig ist.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie sieht das denn aus, wenn das Ersatzhormon nach der Entfernung der Schilddrüse gegeben
werden muss? Welche Nebenwirkungen kann das haben?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Das entspricht dem menschlichen Hormon und dadurch hat es relativ wenige Nebenwirkungen. Die
Patienten vertragen das in der Regel sehr gut, bei einer Überdosierung kann es allenfalls zu etwas
Nervosität oder Unruhezuständen kommen. Das berichten die Patienten dann auch ihrem Arzt und
der wird dann eine direkte patientengerechte Anpassung der Dosierung vornehmen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Kann man auch ohne Schilddrüse ein relativ normales Leben führen?
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PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Ja. Die allermeisten Patienten haben keine Beeinträchtigung in ihrer Lebensqualität, bis auf die
einmal tägliche Einnahme des Schilddrüsenpräparates auf nüchternen Magen und wir empfehlen
eine halbjährliche Kontrolle der Schilddrüsenhormone.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Aber ich denke, gerade bei diesem Thema können Selbsthilfegruppen einiges leisten, oder?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Ja, da sind wir den Selbsthilfegruppen sehr dankbar, weil sie uns natürlich in der Arbeit sehr unterstützen bei der Betreuung der Patienten, uns aber auch wichtiges Feedback geben. Da ist die
Schilddrüsenliga natürlich zu nennen, Schmetterling e.V. für junge Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen oder unser Dachverband die Deutsche Endokrinologische Gesellschaft.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Herr Dr. Neu, hätten Sie noch einen abschließenden Rat für unsere Zuschauer?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
Ja, wie gesagt, wir sind ein Jodmangelgebiet, nach wie vor noch.
Annika de Buhr, Moderatorin:
In Süddeutschland?
PD Dr. Bruno Neu, Klinikum rechts der Isar, München:
In Süddeutschland. Das heißt, wir gehen davon aus, dass 30 Prozent der Patienten immer noch
eine moderate Jodunterversorgung haben, trotz der Jodierung des Speisesalzes, 20 Prozent sogar
eine zum Teil schwere Jodunterversorgung. Solange das der Fall ist, werden wir Schilddrüsenknoten haben und wenn Sie die Diagnose eines Schilddrüsenknotens von Ihrem Hausarzt bekommen
oder von Ihrem Schilddrüsenspezialisten, nicht in Panik geraten. Es hat bei Weitem nicht diese
Bedeutung einer Präkanzerose wie ein Polyp im Dickdarm. Dennoch, falls es der Fall sein sollte,
Schilddrüsenknoten über zehn Millimeter müssen kontrolliert werden. Einmal bitte eine sonographische Kontrolle beim Spezialisten und weiterhin muss man noch sagen, falls Symptome auftreten sollten wie Heiserkeit, das was wir vorhin schon genannt hatten oder Sie bemerken ein Wachstum von Knoten, neu aufgetretene Knoten, wenden Sie sich an Ihren Schilddrüsenspezialisten.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wunderbar. Dankeschön für diese Informationen und dass Sie bei uns waren Herr Dr. Neu.
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