„in vivo`` -- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 14.09.2010

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„in vivo‘‘ --- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 14.09.2010
Expertengespräch zum Thema „Gehirntumoren bei Kindern‘‘
Annika de Buhr, Moderatorin:
Und ich begrüße jetzt bei uns Prof. Dr. Rutkowski, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für pädiatrische Hämatologie und Onkologie am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf.
Schön, dass Sie zu uns kommen konnten. Herr Prof. Rutkowski, der kleine Nick hat ja so viel durchgemacht und jetzt, wo er so gerade wieder ins Leben zurückfindet, ist offenbar eine erneute Chemo
notwendig. Warum eigentlich?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Tatsächlich ist es so, dass wir durch die bisher durchgeführte Therapie die Erkrankung von Nick
sehr weit zurückdrängen konnten und wir freuen uns auch sehr, dass er jetzt zunehmend am normalen Leben wieder teilnehmen kann. Wir haben allerdings noch Hinweise auf eine mögliche Resterkrankung und um das Rückfallrisiko, das ja davon ausgehen kann, weiter zu minimieren, machen
wir jetzt noch mal eine wenig intensive und auch in dieser Phase gut geeignete Therapie, um dann
eben die höchstmögliche Sicherheit zu haben, dass tatsächlich dieser Tumor nicht mehr zurückkommt.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie kann man sich das eigentlich erklären, dass ein so kleiner Mensch einen solchen Kraftaufwand, einen solchen Energieaufwand aufbringt, um das alles durchzustehen?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Also im Gegensatz zu dem, was man erwarten würde, ist der kindliche Organismus eigentlich viel
widerstandsfähiger als der Körper von Erwachsenen. Das heißt, rein körperlich gesehen, erholen
sich die Organsysteme viel, viel schneller und auch besser, als das bei den Erwachsenen der Fall
ist. Natürlich ist das Ganze nur möglich, wenn Kinder auch in sich geborgen sind, das heißt, das
Umfeld auch einen unterstützenden Einfluss auf das Kind hat. Nur so kann das Kind eine so intensive Therapie durchstehen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Bevor wir uns gleich weiter unterhalten, haben wir für unsere Zuschauer ein paar Informationen
kurz zusammengefasst, im Film.
Film:
Hirntumore sind bei Kindern die zweithäufigste Krebsart nach Leukämie. Eins von 3000 Kindern
erkrankt jährlich an einem Hirntumor, zumeist bevor es das 10. Lebensjahr erreicht hat. Hirntumo-
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ren können höchst unterschiedliche Symptome verursachen. Dazu gehören Seh- und Verhaltensstörungen, starke Kopfschmerzen, Ungeschicklichkeit oder morgendliches Erbrechen. Sicher diagnostizieren kann der Arzt einen Tumor nur durch eine neurologische Untersuchung sowie eine
Computer- und Kernspintomographie. Ab einer gewissen Größe verdrängen Tumoren das umliegende Gewebe oder zerstören es. Dadurch werden zum Teil schwere Funktionsstörungen des Gehirns ausgelöst. Die Therapie richtet sich nach der Art des Tumors sowie nach seiner Lokalisation
und Größe. Eine Operation ist zumeist die erste Behandlungsmethode, verbunden mit einer Strahlen- oder Chemotherapie. Das Risiko, nach erfolgreicher Therapie an einem Zweittumor zu erkranken, liegt bei unter fünf Prozent.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Nick hat ja einen sehr seltenen Hirntumor. Kann man Ursachen benennen, wann und warum Kinder
an Hirntumoren erkranken?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Zum Glück sind Hirntumoren bei Kindern sehr selten, allerdings sind sie die zweithäufigste Ursache
für Krebs im Kindesalter. Und Nick selber hat auch den häufigsten bösartigen Hirntumor, den man
im Kindesalter kennt. Die Ursachen sind vielschichtig und in ganz seltenen Fällen entstehen diese
Tumoren auch auf Grund einer familiären Neigung. In den meisten Fällen entstehen sie aber sporadisch. Das bedeutet, man hat eigentlich keinen äußeren, erkennbaren Auslöser, auf den man jetzt
diesen Tumor zurückführen kann.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Ist ein Hirntumor bei Kindern grundsätzlich schwerer zu erkennen als bei Erwachsenen?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Die Schwierigkeit am Erkennen dieser Hirntumoren ist, dass viele der Beschwerden, mit denen die
Kinder auffallen, viel häufiger auch bei harmloseren, anderen Erkrankungen auftreten, als dass es
bei Hirntumoren der Fall ist. Deswegen denkt man initial gar nicht an einen Hirntumor.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wann sollte man oder könnte man an einen Hirntumor denken? Bei dem kleinen Nick war das so, er
hatte erst mal Übelkeit und Erbrechen. Das deutet in erster Linie nicht unbedingt auf einen Hirntumor hin. Bei welchen Symptomen sollten die Alarmglocken läuten?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Wir unterscheiden zum einen sogenannte Hirndruckzeichen, dazu gehören eben Kopfschmerzen,
Übelkeit, Erbrechen und manchmal auch eine zunehmende Müdigkeit, die bis zur Schläfrigkeit hingehen kann. Dann treten manchmal auch sogenannte neurologische Ausfallserscheinungen dazu.
Das heißt auffälliges Gangbild, Sehstörungen, manchmal Krampfanfälle oder Gefühlsstörungen.
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Insbesondere bei sehr langsam wachsenden Tumoren kann es auch zu Veränderungen am Hormonhaushalt kommen. Ein Minderwuchs oder ein Wachstumsstillstand kann zum Beispiel ein Hinweis auf einen Hirntumor an bestimmter Stelle des Gehirns sein.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie sehen denn mittlerweile die Therapiemöglichkeiten aus?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Die Säulen der Behandlung bestehen im klassischen Sinne eigentlich aus Dreien, nämlich aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Je nachdem wie alt die Kinder sind, welchen Hirntumor sie
haben und wie das Stadium der Erkrankung ist, setzen wir diese drei Modalitäten ein. Das Ziel der
Behandlung ist sozusagen, so intensiv wie nötig zu therapieren, aber doch so schonend wie irgendwie möglich, um eben auch den Spätfolgen, die durch die Behandlung entstehen können, gerecht zu werden.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Sie haben gerade die Spätfolgen bei den Kindern angesprochen. Welche Spätfolgen sind das?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Auch das ist eine relativ breite Palette. Was im Vordergrund des Interesses steht, ist die sogenannte neurokognitive, das heißt auch geistige Entwicklung, insbesondere der jungen Kinder, nach dieser Behandlung. So versucht man zum Beispiel besonders belastende Behandlungselemente wie
zum Beispiel bei jungen Kindern eine Bestrahlung, zu vermeiden, zu verzögern oder wenn sie nötig
ist, eben so wenig intensiv wie möglich zu gestalten.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Ist es denn bei Kindern immer notwendig, bei der Chemo eine Narkose zu machen?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Immer sicherlich nicht. Das kann im Einzelfall notwendig sein. Insbesondere bei jüngeren Kindern,
bei denen die Prozeduren der Therapie dann zu belastend werden. Aber wie gesagt, kann man bei
den meisten Kindern die Therapie auch ohne Narkose durchführen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie sieht es denn mit der Prognose bei Hirntumoren bei Kindern aus?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Hirntumoren sind ja wie gesagt ein sehr breites Spektrum an Erkrankungen. Insgesamt haben sich
die Heilungsraten deutlich verbessert. Sie reichen allerdings immer noch von 10-20 Prozent im
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ungünstigsten Fall bis zu über 80 Prozent bei vielen bösartigen Tumoren, wo wir eben doch erhebliche Fortschritte erzielen konnten.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Hätten sie noch einen abschließenden Rat?
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Ich denke, man sollte bestehende Fragen sehr, sehr offen ansprechen, aber auch Vertrauen fassen
zu den behandelnden Ärzten und mit Zuversicht in die Behandlung gehen. Gerade am Anfang der
Behandlung hat es sich aus meiner Sicht bewährt, auch in kleineren Etappen zu denken. Gerade für
die betroffenen Eltern, bei denen das, was da alles in den ersten Tagen und Wochen auf sie zukommt, sehr schwierig ist. Es ist schwer, das alles zu verarbeiten.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Professor Rutkowski, ganz herzlichen Dank für die Information und, dass sie bei uns waren.
Prof. Dr. Stefan Rutkowski, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:
Gerne.
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