„in vivo – Das Magazin der Deutschen Krebshilfe“ 14.10.2008 Expertengespräch zum Thema „Weichteilsarkom“ Annika de Buhr, Moderatorin: Und zu diesem begrüße ich jetzt Professor Peter Hohenberger, der Leiter der Sektion Chirurgische Onkologie und Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum in Mannheim. Schön, dass Sie zu uns gekommen sind. Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Hallo. Annika de Buhr, Moderatorin: Bei Frau O. wurde zunächst an einen Muskelfaserriss gedacht. Was war denn an der Diagnose, also an der richtigen Diagnose, so schwer? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Sarkome sind eine seltene Tumoridentität. Manche Ärzte sehen in ihrem Leben überhaupt nur einmal so einen Patienten. Insofern ist es sehr häufig, dass das verkannt wird und zunächst als ein Bluterguss, als ein Muskelfaserriss oder auch als eine Fehlbelastung nach Fitnessstudiotraining eingeschätzt wird. Annika de Buhr, Moderatorin: Warum ist denn bei ihr, bei dieser Patientin, das Bein jetzt gelähmt? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Das liegt an zwei spezifischen Problemen dieses Tumors, den Frau O. hatte. Zum einen hat er den Ischiasnerv ummauert, das heißt, man konnte bei der Operation den Ischiasnerv nicht erhalten. Und zum anderen war es ein speziell aggressiver Subtyp eines Sarkoms, sodass eine kombinierte Therapie notwendig war, das heißt, eine Bestrahlung des Beines und des Tumors vor der eigentlichen Operation. Annika de Buhr, Moderatorin: Bevor wir noch mehr gleich erfahren von Ihnen haben wir unseren Zuschauern ein paar Informationen kurz zusammengefasst im Film. Sprecherin: Sarkome sind Krebserkrankungen, die an nahezu jeder Stelle des Körpers entstehen können. Zu 70 Prozent jedoch an Beinen und Armen, weil diese überwiegend aus Weichgewebe wie Muskulatur-, Binde- und Fettgewebe bestehen. Mit etwa 2500 Neuerkrankungen im Jahr zählen Weichgewebesarkome zu den sehr seltenen Krebsarten. Sie treten vermehrt im Kindes- und Jugendalter sowie zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr auf. Deutsche Krebshilfe e.V. – Buschstr. 32 – 53113 Bonn Telefon 02 28 / 7 29 90-0 Die Ursachen für die Entstehung von Weichgewebesarkomen sind weitgehend unklar. Eine vorausgegangene Bestrahlung und bestimmte Chemikalien wurden jedoch mit einem erhöhten Krankheitsrisiko in Verbindung gebracht. Oft werden die Tumoren erst entdeckt, wenn sie bereits eine gewisse Größe erreicht haben und Druck auf die umliegenden Gewebe ausüben. Erste diagnostische Methode ist der Ultraschall. Tiefer liegende Sarkome können jedoch nur mit einer Kernspintomografie lokalisiert werden. Durch eine Gewebeprobe wird anschließend untersucht, ob der Tumor bösartig ist. Falls ja, muss der komplette Tumor chirurgisch entfernt werden. Durch den Einsatz von Chemo- und Strahlentherapie können die Heilungschancen verbessert werden. Je nach Zeitpunkt der Behandlung, Tumortyp und Lage liegen sie für an Weichgewebesarkomen erkrankte Patienten zwischen 60 und 85 Prozent. Annika de Buhr, Moderatorin: Warum erkranken Kinder und Jugendliche denn häufiger als Erwachsene an einem Weichgewebesarkom? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Warum das so ist, kann man nicht sagen. Da gibt es keine Ursachenforschung darüber. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche ganz andere Sarkomsubtypen als Erkrankung haben. Das ist besonders wichtig für die Therapie, weil systemische Chemotherapie immer ein wesentlicher Betstandteil der Behandlung ist, ganz im Gegensatz zum Erwachsenen, wo das nur eingeschränkt oder im metastasierten Stadium zur Anwendung kommt. Annika de Buhr, Moderatorin: Aber wie erkennt man denn überhaupt ein Sarkom? Ich kann es ja auch einfach für eine Fettgeschwulst, einen Knubbel halten und sehe gar keine Veranlassung als Patient zum Arzt zu gehen. Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Der entscheidende Punkt ist das Größenwachstum einer Schwellung. Die kann zum Teil lange vorbestehen. Oft über Jahre, aber entwickelt dann ein Größenwachstum. Das muss nicht unbedingt schmerzhaft sein, lediglich wenn das in dem Bereich von Nerven liegt und auf Nerven drückt, dann gibt es im Ausbreitungsgebiet dieser Nerven Pelzigkeitsgefühle, manchmal auch einschießende Schmerzen. Aber das Größenwachstum einer Schwellung, das ist eigentlich das entscheidenden Alarmzeichen und sollte den Verdacht in Richtung auf ein Sarkom lenken. Annika de Buhr, Moderatorin: Das heißt, das muss ich bemerken und bedenken als Patient. Es ist aber sicherlich auch so, dass Mediziner ein besonderes Augenmerk auf solche Schwellungen legen sollten. Ich denke mal so einen Knubbel kann man auch übersehen. Oder es gibt häufig auch Mediziner, die sagen: “Mensch, das ist doch nur so klein, da wollen wir an Ihnen mal nicht rumschneiden.“ Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Das ist eine ganz problematische Situation für Sarkome. Die werden sehr häufig sehr spät diagnostiziert, auch Ärzte halten das - habe ich ja schonmal angedeutet – für Hämatome, Blutergüsse, für Gantulien, Zysten, Überbeine, wie das im Volksmund so heißt, und dadurch kommt es zu erheblichen Diagnoseverzögerungen. Die Tumoren werden oft nur anoperiert, Deutsche Krebshilfe e.V. – Buschstr. 32 – 53113 Bonn Telefon 02 28 / 7 29 90-0 Teile entfernt, manche werden auch versucht abzusaugen, weil man sie für einen Bluterguss hält, und trotzdem kommen viele Patienten sehr frühzeitig auf eine falsche Behandlungsschiene. Annika de Buhr, Moderatorin: Sicherlich ist auch ein Problem, dass Sarkome von der Art her sehr unterschiedlich sein können, nicht wahr? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Ja, Sarkome können äußerst unterschiedlich sein. Einmal von dem Subtyp her und der Aggressivität her. Es gibt wenig aggressive Sarkome, die auch wenig metastasieren und es gibt hochaggressive Subtypen, die auch sehr schnell zu Fernmetastasen, meistens in der Lunge, neigen. Entscheidend ist die Diagnose durch einen Pathologen zu stellen, in einem erfahrenen pathologischen Institut, das auch die Möglichkeiten der Molekularbiologie und Molekularpathologie hat, um diese Tumoren richtig zu klassifizieren. Annika de Buhr, Moderatorin: Also darauf muss ich auch als Patient achten, muss man an der Stelle tatsächlich mal sagen. Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Ja. Annika de Buhr, Moderatorin: Wie sieht idealerweise die Therapie aus? Wie kann sie aussehen? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Therapie ist eine Frage, dass man eine entscheidende Diagnose vorher hat, Fernmetastasen, ein sogenanntes Staging hat. Wie weit hat sich der Tumor ausgebreitet? In welchen Nachbarstrukturen wächst er ein? Liegen Lungenmetastasen vor? Das ist etwas, was in einem interdisziplinären Team erarbeitet werden muss. Dazu gehören Radiologen, diagnostische Radiologen, Pathologen, Molekularbiologen, chirurgische Onkologen, medizinische Onkologie, Strahlentherapie. Und dann wird normalerweise in einem Tumorboard, in einem erfahrenen Sarkomzentrum, ein Behandlungsplan erstellt. Das kann bedeuten, dass man erst eine Operation als ersten Therapieschritt macht, gefolgt vielleicht von einer Bestrahlung. Aber auch bei spezifischen Subtypen von Sarkomen kann man auch erst eine Chemotherapie oder auch eine Strahlentherapie vor der eigentlichen Operation machen. Annika de Buhr, Moderatorin: Manchmal sind ja auch Amputationen notwendig. Das war jetzt bei Frau O. nicht so. Aber wann? In welchen Fällen? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Für Weichegewebesarkome ist die Amputation eigentlich keine primäre Therapie. Sie verhindert auch nicht - was immer noch so durch die Bevölkerung geistert – die Fernmetastasierung. Das heißt, man sollte immer zuerst einen Versuch machen einer Extremitäten erhaltenden Therapie. Langfristig, sagen wir über fünf bis zehn Jahre, liegt an erfahrenen Zentren die Amputationsquote in einer Größenordnung von 15 Prozent. Deutsche Krebshilfe e.V. – Buschstr. 32 – 53113 Bonn Telefon 02 28 / 7 29 90-0 Annika de Buhr, Moderatorin: Können Sie noch etwas sagen über die Rückfallquote? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Das hängt davon ab in welchem Ausbreitungsstadium der Tumor entdeckt wird und welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Größenordnungsmäßig zehn bis 20 Prozent als örtlicher Tumorrückfall und in Abhängigkeit von der Aggressivität des Tumors zwischen 15 und 40 Prozent Fernmetastasierung. Annika de Buhr, Moderatorin: Wie hoch würden Sie die Heilungschancen anlegen? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Es gibt auf jeden Fall Heilungschancen, also das denke ich wäre die wesentliche Botschaft. Langfristig bis zu etwa 70, 75 Prozent. Ich behandele Patienten, die kenne ich seit nahezu 15 Jahren, die ein Sarkom haben, die immer wieder auch mal einen Rückfall kriegen, wo man trotzdem immer wieder etwas tun kann. Annika de Buhr, Moderatorin: Professor Hohenberger, hätten Sie noch einen abschließenden Rat? Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: An die Patienten geht der Rat: Wenn man von einem Sarkom betroffen ist, sich möglichst in einem kompetenten Sarkomzentrum behandeln zu lassen, wo in einem interdisziplinären Team Entscheidungen getroffen werden und alle Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Für Einzelsituationen gibt es eine kostenlose Hotline, das ist 0800 - SARKOME, auf die man bei Notfällen jederzeit zurückgreifen kann und vor allem an kompetente Ärzte verwiesen wird. Ich möchte vor allem aber dahin gehend ein bisschen Mut machen, dass wir in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt haben, in der Therapie und Diagnostik von Sarkomen auf einer europäischen Ebene, gefördert durch die EU, aber auch durch die Studienorganisation der EORTC, wo wir einen hervorragenden Datenaustausch, aber auch gemeinsame Therapiestudien mit anderen europäischen Ländern durchgeführt haben. Annika de Buhr, Moderatorin: Professor Hohenberger, ganz herzlichen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind. Prof. Dr. Peter Hohenberger, Universitätsklinikum Mannheim: Bitteschön. Annika de Buhr, Moderatorin: Liebe Zuschauer, mehr Informationen zu den anderen Themen der Sendung und zu diesem Thema finden Sie wie immer auch im Internet unter www.krebshilfe.de. Deutsche Krebshilfe e.V. – Buschstr. 32 – 53113 Bonn Telefon 02 28 / 7 29 90-0