Internationale Zeitschrift für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung 1|2011 15. Jahrgang Herausgegeben von Franz Berger und Christian Korunka FAC H B E I T R Ä G E Karin Wunderlich: Der Organismus. Materialien und Überlegungen zu einem vielschichtigen Begriff und seiner Bedeutung im Personzentrierten Ansatz 5 Gabriela Schreder: Ich bin die Andere – Die Bedeutung der Differenz in der Erfahrung psychotherapeutischer Gegenseitigkeit 17 Rosina Brossi: Fragmente „en gros et en détail“ zum Thema ethische Fragen im psychotherapeutischen Alltag 25 Ute Binder: Störungsspezifische Verstehensprozesse versus diagnosegeleitete Einstellungen 37 Eva-Maria Biermann-Ratjen: Empathie heute 44 Margret Katsivelaris: Personzentrierte Aspekte zur Entwicklung kindlicher Sexualität in der Beziehung zur Mutter 52 Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen: Gesprächspsychotherapie unter Interventionsgesichtspunkten 62 REZENSIONEN 73 ISSN 1028-6837 PERSON. Internationale Zeitschrift für Personzentrierte und Experienzielle Psychotherapie und Beratung Die Herausgeber sind dem von Carl Rogers und seinen Mitarbeitern begründeten Personzentrierten Ansatz verpflichtet. Dieser Ansatz wurde im deutschen Sprachraum im Rahmen der Psychotherapie unter den Bezeichnungen „Gesprächspsychotherapie“, „Klientenzentrierte Psychotherapie“ und „Personzentrierte Psychotherapie“ bekannt. Seit Beginn hat der Ansatz unterschiedliche Differenzierungen und Weiterentwicklungen erfahren. Die Begriffe „personzentriert“ und „experienziell“ und die mit ihnen verbundenen Konzepte und Prozesse beruhen auf einer umfassenden und reichhaltigen Geschichte und sind ständig in Entwicklung begriffen. Die Bezeichnung „personzentriert und experienziell“ wurde gewählt, um fortgesetzten Dialog und beständige Entwicklung zu fördern; es ist nicht beabsichtigt, ein bestimmtes Verständnis dieser Ansätze und ihrer Beziehung zueinander zu bevorzugen. Die Zeitschrift dient als Forum der Diskussion dieser Entwicklungen und ihrer Umsetzung innerhalb und außerhalb der Psychotherapie in den Bereichen der Human- und Sozialwissenschaften, der Ausbildung, Kultur und Wirtschaft. Dies gilt sowohl für die wissenschaftliche Forschung und Theoriebildung als auch für Lehre und Praxis. Die Zeitschrift bietet außerdem einen Rahmen für Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit anderen kulturellen, wissenschaftlichen, philosophischen und künstlerischen Strömungen. Herausgeber ÄGG – Ärztliche Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie c/o Dr. L. Teusch, Ev. Krankenhaus, D-44577 Castrop-Rauxel, Grutholzallee 21 Tel.: + 49 2305 102 28 58; Fax: + 49 2305 102 28 60 E-Mail: [email protected] Forum – Forum Personzentrierte Praxis, Ausbildung und Forschung der APG (Arbeitsgemeinschaft Personzentrierte Gesprächsführung, Psychotherapie und Supervision. Vereinigung für Beratung, Therapie und Gruppenarbeit) A-1090 Wien, Liechtensteinstr. 129/3 Tel./Fax: + 43 1 966 79 44; E-Mail: [email protected] GwG – Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V. c/o Karl-Otto Hentze, D-50825 Köln, Melatengürtel 125a Tel.: +49 221 92 59 08-0; Fax: +49 221 25 12 76; E-Mail: [email protected] Institut für Gesprächspsychotherapie und personzentrierte Beratung Stuttgart (IGB) D-70374 Stuttgart, Sechselbergerstr. 26 Tel.: +49 711 580182; Fax: +49 711 580192; E-Mail: [email protected] IPS – Institut für Personzentrierte Studien der APG A-1030 Wien, Dißlergasse 5/4 Tel.: + 43 1 713 77 96; Fax: + 43 1 718 78 32; E-Mail: [email protected] ÖGwG – Österreichische Gesellschaft für wissenschaftliche klientenzentrierte Psychotherapie und personorientierte Gesprächsführung A-4020 Linz, Altstadt 17 Tel./Fax: + 43 70 78 46 30; E-Mail: [email protected] pca.acp – Schweizerische Gesellschaft für den Personzentrierten Ansatz Weiterbildung. Psychotherapie. Beratung. CH-8005 Zürich, Josefstr. 79 Tel.: + 41 44 271 71 70; Fax: + 41 44 272 72 71; E-Mail: [email protected] VRP – Vereinigung Rogerianische Psychotherapie A-1091 Wien, Postfach 33 Tel.: +43 664 4173170, E-Mail: [email protected] Herausgeber dieses Hefts Franz Berger und Christian Korunka Erscheinungshinweise und Bezugspreise Heftpreis: € 9,50 / SFr 15,– zzgl. Versandkosten Abonnement: € 16,– / SFr 25,– zzgl. Versandkosten Es erscheinen jeweils 2 Nummern pro Jahr. Bestellungen sind über jede Fachbuchhandlung oder direkt beim Verlag möglich. Ein Abonnement verlängert sich automatisch, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende schriftlich gekündigt wurde. Mitglieder der herausgebenden Vereinigungen haben jeweils spezifische Bezugsbedingungen. Verleger und Druck Facultas – Universitätsverlag, A-1090 Wien, Berggasse 5 Tel.: + 43 1 310 53 56; Fax: + 43 1 319 70 50; E-Mail: [email protected] Satz und Layout Gerhard Krill, 1060 Wien; E-Mail: [email protected] Redaktion Christiane Bahr, Michael Behr, Franz Berger, Ulrike Diethardt, Jobst Finke, Mark Galliker, Diether Höger, Dagmar Hölldampf, Robert Hutterer, Wolfgang W. Keil, Christian Korunka, Gerhard Lukits, Peter F. Schmid, Hermann Spielhofer, Tobias Steiger, Gerhard Stumm, Monika Tuczai Redaktionssekretariat Edith Muggenhumer, A-1140 Wien, Sonnenweg 88 Tel.: +43 (0)1 596 29 19, Fax: +43 (0)1 596 29 19 - 9 E-Mail: [email protected] Fachbeirat von PERSON Clara Arbter-Rosenmayr, Elisabeth Ardelt-Gattinger, Béatrice Amstutz, Anna Auckenthaler, Niklas Baer-Stählin, Elfriede Bartosch, Robert Bauer, Ludwig Becker, Edwin Benko, Eva-Maria Biermann-Ratjen, Johannes Binder, Ilona Bodnar, Claudia Boeck-Singelmann, Rosina Brossi, Rainer Bürki, Jef H. D. Cornelius-White, Olaf de Haas, Miriam de Vries, Martina Dienstl, Gottfried Dohr, Ulrike Dollack, Harald Doppelhofer, Sybille Ebert-Wittich, Jochen Eckert, Karin Eisner-Aschauer, Ulrich Esser, Ruth Etienne Klemm, Reinhold Fartacek, Christian Fehringer, Andrea Felnemeti, Irmgard Fennes, Peter Figge, Peter Frenzel, Klaus Fröhlich-Gildhoff, Renata Fuchs, Sylvia Gaul, Christiane Geiser-Juchli, Susanne Gerckens, Herbert Goetze, Walter Graf, Simone Grawe, Charlotte Gröflin-Buitink, Hiltrud Gruber, Regula Haefeli, Klaus Heinerth, Ernst Hemmert, Hans Henning, Ruth Hobi, Viktor Hobi, Beate Hofmeister, Anita Hufnagl, Dorothea Hüsson, Catherine Iseli Bolle, Dora Iseli Schudel, Elisabeth Jandl-Jager, Bettina Jenny, Annette Jessinghaus, Stephan JürgensJahnert, Dietlinde Kanolzer, Sylvia Keil, Sonja Kinigadner, Lore Korbei, Ruth Koza, Franz Kraßnitzer, Jürgen Kriz, Dorothea Kunze, Barbara Kurzmann, Elke Lambers, Margarethe Letzel, Germain Lietaer, Hans-Jürgen Luderer, Ulf Lukan, Brigitte Macke-Bruck, Ueli Mäder, Margarete Mernyi, Jörg Merz, Christian Metz, Beatrix Mitterhuber, Christiane Monden-Engelhardt, Dietrich Moshagen, Doris Müller, Khalid Murafi, Gerd Naderer, Sibylle Neidhart, Nora Nemeskeri, David Oberreiter, Alfred Papst, Brigitte Pelinka, Josef Pennauer, Henriette Petersen, Marlis Pörtner, Klaus Renn, Klaus Riedel, Brigitte Rittmannsberger, Eckart Ruschmann, Bruno Rutishauser, Klaus Sander, Jochen Sauer, Eva-Maria Schindler, Stefan Schmidtchen, Christoph Schmitz, Wolfgang Schulz, Reinhold Schwab, Helmuth Schwanzar, Klaus-Peter Seidler, Karl F. Sommer, Gert-Walter Speierer, Dora Stepanek, Norbert Stölzl, Ursula Straumann, Hans Swildens, Reinhard Tausch, Beatrix Teichmann-Wirth, Beatrix Terjung, Ludwig Teusch, Brian Thorne, Ottilia Trimmel, Richard van Balen, Martin van Kalmthout, Angelika Vogel-Hilburg, Helga Vogl, Madeleine Walder-Binder, Robert Waldl, Christine Wakolbinger, Kurt Wiesendanger, Agnes Wild-Missong, Johannes Wiltschko, Marietta Winkler, Andreas Wittrahm, Hans Wolschlager, Heidrun Ziegler, Elisabeth Zinschitz, Carola von Zülow, Günther Zurhorst Richtlinien und Hinweise zur Manuskriptabgabe finden Sie auf der hinteren Umschlagseite. PERSON 15. Jg. 2011, Heft 1 Herausgegeben von Franz Berger und Christian Korunka Inhalt Editorial .................................................................................3 Fachbeiträge Karin Wunderlich Der Organismus. Materialien und Überlegungen zu einem vielschichtigen Begriff und seiner Bedeutung im Personzentrierten Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Gabriela Schreder Ich bin die Andere – Die Bedeutung der Differenz in der Erfahrung psychotherapeutischer Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . 17 Rosina Brossi Fragmente „en gros et en détail“ zum Thema ethische Fragen im psychotherapeutischen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Ute Binder Störungsspezifische Verstehensprozesse versus diagnosegeleitete Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Eva-Maria Biermann-Ratjen Empathie heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Margret Katsivelaris Personzentrierte Aspekte zur Entwicklung kindlicher Sexualität in der Beziehung zur Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen Gesprächspsychotherapie unter Interventionsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Veranstaltungskalender 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Person 1 (2011) 3 – 4 Editorial Die Beiträge in diesem Heft dokumentieren, mit welchen Fragen und macht. Von dieser Überlegung geht Gabriela Schreder aus. Wenn wir Themen sich die dem Personzentrierten Ansatz verpflichteten Fach- Fremdheit gegenüber den Erfahrungen anderer empfinden und mit leute für Psychotherapie und Beratung derzeit auseinandersetzen. dem Verständnis für und von anderen an Grenzen stoßen, besteht Ganz besonders freuen wir uns darüber, dass fast alle Beiträge die- die Chance einer Begegnung, in der sich zwischen Beteiligten wech- ses Heftes von Frauen verfasst wurden. Die Autorinnen setzen sich selseitig eine Bereicherung, ein Mehr und Anderes entfaltet. Die mit der Vielschichtigkeit der Begriffe im Personzentrierten Ansatz Autorin sieht in der Erfahrung von Ähnlichem und Verschiedenem (PZA) auseinander, machen scheinbar Selbstverständliches explizit, das vorantreibende Moment in der Beziehung unter Menschen und stoßen dabei auf Vorannahmen, Bilder, Ungereimtes, auf „Stolper- in der Psychotherapie. Diese Erfahrung setzt voraus, dass wir offen steine“. Sie überbrücken die Spanne zwischen Konzepten, die auf sind, uns auf die Angst einlassen, das Fremde in den Anderen und hohem Abstraktionsniveau angesiedelt sind, – dem Organismus, der in uns selbst aushalten und Fremdes nicht abwehren durch Kate- Empathie, der Ethik –, und dem konkret-spezifischen, singulären gorisierung und Pathologisierung. Schreder erörtert ausführlich die Handeln im Alltag, so etwa im Fallbeispiel von Schreder zur Be- entwicklungspsychologische Bedeutung der Erfahrung von Vertrau- gegnung als Zusammentreffen von Fremdem und Eigenem, in den tem und Fremdem und erläutert allgemein und in einer Fallstudie, Fallvignetten von Katsivelaris oder in der Beschreibung von Ein- wie sich dieses Verständnis in der psychotherapeutischen Praxis führungsseminaren zum Thema Ethik im Beitrag von Brossi. „Hier darstellt und auswirkt. Das Thema des Fremden im Vertrauten provoziert einen neuen, ist Genauigkeit gefragt, und wohl auch noch Diskussion, Reflexion und vor allem begriffliche Weiterentwicklung“, schreibt Wunder- differenzierenden Blick auf das Konzept der Empathie im PZA. lich in ihrem Beitrag. Die Beiträge vermitteln zahlreiche Brücken Schreder betont die Differenz in der Erfahrung von Gegenseitigkeit, zwischen Theorie und Praxis und können durchwegs als person- von Bezogenheit und weist auf die ethischen Konsequenzen die- zentrierte Theorieentwicklung im besten Sinne bezeichnet werden. ser Akzentuierung hin: Alterität als Herausforderung. Implizit be- Im Zentrum des letzten Heftes standen das interdisziplinäre Er- legt die Autorin eine Übereinstimmung der Beziehungstheorie des kenntnismodell der Systemtheorien und ihr Erkenntnisgewinn für PZA mit aktuellem philosophischem Denken, etwa mit dem Ringen den PZA. Eine erhellende Fortführung dieser Thematik präsentiert Foucaults nach radikaler Singularität oder den Thesen Levinas’ – Karin Wunderlich in ihren Überlegungen zum mehrdeutigen Begriff dem ‚Denker des Anderen‘ – zur Ethik. Die Objektivierung, Verall- Organismus, einem zentralen Begriff im Denken von Rogers. Wun- gemeinerung, Neutralisierung einer Beziehung führt nach Levinas derlich verweist zunächst auf die Mehrdeutigkeit dieses Konzepts, zwangsläufig zu ‚Gleich-gültigkeit‘ (in-difference); die Begegnung das Rogers aus angrenzenden Wissenschaftsgebieten übernommen ‚von Angesicht zu Angesicht‘ mit der Andersheit macht wach für hatte. Mit begrifflicher und gedanklicher Klarheit widmet sie sich die ‚Nicht-Gleich-Gültigkeit‘ (non-in-difference), für die ethische den schillernden Facetten dieses Begriffs und zeigt Wege zu einem Antwort. Diese These ist kompatibel mit Rogers‘ ‚unconditional handlungsrelevanten Verständnis von Organismus auf. Was ist unter positive regard’ als Beziehungsprozess. Für den Begegnungsphilo- organismischer Erfahrung zu verstehen und wie ist ihr Verhältnis sophen Levinas ist das Ethische der Anruf des Anderen, wir stehen zur organismischen Bewertung? In welchem Verhältnis stehen Or- in der Verantwortung, der Alterität zu antworten. ganismus und Selbst zueinander? Was sagt die Neurobiologie zu Zur Ethik im psychotherapeutischen Alltag steuert Rosina Brossi Rogers’ Befunden, dass der menschliche Organismus, um sich zu in ihrem Beitrag ‚Fragmente‘ bei. So selbstverständlich inzwischen entfalten und erhalten, auf die Einbettung in zwischenmenschliche die Ethik für die psychotherapeutische Praxis erachtet wird, so Beziehungen angewiesen ist? Konsequenzen aus den Betrachtungen wenig ist es mit einer schlichten Bejahung der Wichtigkeit von zum Organismus – so führt die Autorin zum Schluss aus – ergeben Ethik in unserem professionellen Handeln getan. Es geht der Au- sich für die psychotherapeutische Praxis, für die Ethik und nicht torin allerdings nicht um eine Begründung einer Kontroll- und zuletzt für die (Gesundheits- und Umwelt-) Politik. Disziplinierungspraxis, sondern um die Suche nach Fairness, nach „Selbstheit gibt es nur in Relation zur Andersheit“, schreibt einer verantwortlichen, persönlichen, im Sinne Levinas’ „an-archi- Wunderlich. Wir wissen, dass die Person sich selbst unter dem Blick schen“, d. h. herrschaftsfreien Ethik. Brossi bearbeitet in diesem (‚regard‘) des Anderen konstituiert, sofern der ihn nicht zum Objekt Rundgang durch philosophische, entwicklungspsychologische und 3 Editorial soziale (Begriffs-) Räume Gedankenstränge, die der Verknüpfung Empathie und Kongruenz der Mutter ist auch für die Entwick- von allgemeinen Handlungsgrundsätzen, ethischen Richtlinien und lung der sexuellen Identität von Kindern von Bedeutung, das be- der subjektiven, nicht delegierbaren Verantwortlichkeit nachspü- legt Margret Katsivelaris. In ihrem Beitrag widmet sie sich einem ren, und berichtet anhand ihrer Erfahrung als Ausbilderin in der im PZA eher vernachlässigten Thema. Sie definiert Sexualität unter Schweiz , wie in der Weiterbildung zur Psychotherapeutin die Sen- drei Aspekten: als sich entfaltendes Potenzial des Organismus, als sibilisierung für die ethische Dimension und für den Umgang mit körperliches Erleben mit Bedeutungszuschreibung und als Erlebens- ethischen Dilemmata gefördert werden kann. Sie schildert auch ihre form und Ausdrucksmöglichkeit von kontextabhängiger Begrenzung. permanente Verunsicherung bei der Auseinandersetzung mit dem Katsivelaris nennt als Bedingung für die Entfaltung der Sexualität Thema. Das ist – aus der Perspektive von Levinas’ Ethik – nicht die Schaffung eines „adäquaten erogenen Milieus“, und sie weist verwunderlich: „Das Ethische ist (…) nie ungefährdet, und seine auf die Missbrauchsgefährdung hin. größte Gefährdung ist die, sich seiner sicher zu sein“ (Stegmaier, Jochen Eckert und Eva-Maria Biermann-Ratjen antworten mit 2009, S. 92)1. ihrem Beitrag auf die Frage, ob sich die Gesprächspsychotherapie Um Störungswissen im Dienst therapeutischer Empathie ging mit Begriffen der Interventionstechnik beschreiben lasse. Ein Aus- es Ute Binder im hier postum publizierten Salzburger Vortrag aus schuss der Gesundheitsbehörde in der Bundesrepublik Deutschland dem Jahr 2004. Wie können Psychotherapeuten und Psychothera- hat die GPT als „aus drei Interventionselementen zusammenge- peutinnen dem Anliegen von Patienten, in ihren gestörten oder setzte Interventionstechnik“ bezeichnet und ihr die sozialrechtliche schwer zugänglichen Bereichen verstanden zu werden, gerecht Anerkennung versagt. Dieser Vorgang illustriert, was Foucault in werden, ohne der Begegnung ihre Einmaligkeit und den Charakter seinen Ausführungen zum Diskurs beschrieb: Jeder Diskurs (somit eines kooperativen Prozesses zu nehmen? Prozessuale Diagnosen auch der wissenschaftliche Diskurs zur Psychotherapie) folgt nicht können als vertraute Hypothesen den Psychotherapeuten vor de- reiner Rationalität und auch nicht einer absoluten Idee, sondern struktiven Erwartungen schützen und seine Intuition verbessern. lässt bestimmte Vorstellungen als wahr gelten (die „Wahrheit“) Die Aktualität des Themas veranlasste die Redaktion, diesen von und grenzt andere als falsch aus. Diese Vorstellungen haben be- tiefreichenden Erfahrungen geprägten Text in Zusammenarbeit mit stimmte – historisch gewordene – Machtstrukturen und Interes- Johannes Binder und Wolfgang Keil zu bearbeiten und zu veröf- sen zur Grundlage („Dispositive“), und sie erzeugen und erhalten fentlichen. Ute Binder bringt uns den Begriff der „Beziehungslust“ ihrerseits Machtstrukturen. Die Autorin und der Autor akzeptieren nahe, eine den Beziehungsprozessen inhärente Freude an inter- die Ausgrenzung nicht und lassen sich auch nicht zum Schweigen subjektiven Austauschprozessen. Sie hat sie im Beruflichen und bringen, sie schalten sich in den Diskurs ein und stellen sich einer Persönlichen gelebt. interdisziplinären, d. h. das Begriffssystem des PZA überschreiten- Mit seinem Buch „The Age of Empathy“ hat Frans de Waal2 rege den wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Sie rufen zunächst Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden. Er weist nach, dass in Erinnerung, dass die von Rogers formulierten Begriffe die the- Primaten und andere Säugetiere innerhalb ihrer Art Verbundenheit rapeutische Beziehung auf unterscheidbaren Abstraktionsebenen herstellen und ihr in ‚gezielten Hilfestellungen‘ Ausdruck verleihen, erfassen. Nimmt man diese Perspektive ein, lassen sich im klien- die zum Gedeihen und Überleben der Art sinnvoll sind. Diese biolo- tenzentrierten Therapeutinnenverhalten sehr wohl definierbare In- gisch begründete Empathie setzt voraus, dass das Individuum sich terventionsregeln, Interventionsprinzipien und Interventionstech- von anderen Individuen abzugrenzen vermag (minimaler Grad von niken erkennen. Eckert und Biermann-Ratjen klären das Verhältnis Selbstwahrnehmung) sowie zu emotionaler Erregung und zur Per- zwischen diesen Begriffen, also zum Beispiel zwischen dem The- spektivenübernahme fähig ist. Ist damit das Zeitalter der Empathie rapieprinzip ‚Empathisches Zuhören‘ und den differenzierten kon- angebrochen und besteht zu diesem Konzept Klarheit und Konsens? kreten Therapeutenantworten, und zeigen damit auf, wie vielfältig Eva-Maria Biermann-Ratjen präzisiert in ihrem Beitrag „Empathie die Möglichkeiten im PZA sind, „das therapeutische Verhalten den heute“ diesen für den PZA zentralen Begriff im Licht neuerer For- Patienten und der jeweiligen Situation im Therapieprozess entspre- schung. Sie prüft – nach einem Abriss zur Geschichte des Empa- chend differenziert auszurichten.“ Sie belegen, dass der PZA Regeln thiebegriffs im PZA – Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln zu der methodischen Strenge und logischen Disziplin folgt, und set- einem differenzierteren Verständnis von Empathie. Forschungser- zen sich so mit wissenschaftlichen Argumenten zur Wehr gegen die gebnisse aus der Entwicklungspsychologie, der Psychotherapiefor- politisch motivierte Ausgrenzung durch einen derzeit nicht eben schung, der Neurobiologie und den eigenen Studien im Ansatz zur humanistisch geprägten Diskurs zur Psychotherapie. Beziehungsqualität untermauern die Bedeutung der von Rogers Die nächste Ausgabe von PERSON ist ein Schwerpunktheft, es definierten Empathie. widmet sich dem historischen Hintergrund des Personzentrierten Ansatzes. 1 Stegmaier, W. (2009). Emmanuel Levinas zur Einführung. Hamburg: Junius. 2 de Waal, F. (2011). Das Prinzip Empathie. München: Hanser. Franz Berger und Christian Korunka 4