t i t e lt h e m a Entfernungstechniken, Diagnostik, Therapie „Zecken-Beratung“ in der Hausarztpraxis Jilg Abb. 1: Zu einer sehr drastischen Methode der Zeckenentfernung griff ein Chirurg bei seinem Kind. Das Ausschneiden „tief im Gesunden“ ist aber sicher übertrieben. Vera Seifert: Bericht von der Fortbildungsveranstaltung des Ärztlichen Kreisverbands Regensburg „Was tun bei FSME und Borreliose?“ Bei Erkrankungen, die durch Zecken übertragen werden, ist der Hausarzt in aller Regel der erste Ansprechpartner. Er ist u. a. gefordert, wenn eine Zecke entfernt werden muß, mögliche Schutzmaßnahmen besprochen werden sollen oder wenn sich Symptome zeigen, die auf eine Borreliose oder FSME hindeuten könnten. Der folgende Beitrag geht auf häufige Fragen rund um das Thema „Zecken“ ein, denen sich der Hausarzt stellen muß. Eine Zecke lebt etwa drei bis vier Jahre lang, zuerst als Larve, dann als Nymphe, schließlich als adultes Tier. Mit fortschreitendem Entwicklungsstadium erweitert sich auch ihr Aktionsradius (Abb. 2). Allgemein gilt, daß Zecken im Boden leben, aber an Pflanzen emporklettern können. Den Menschen erklimmen die Insekten entweder von den Füßen ausgehend, z. B. beim Laufen durch Gras oder Waldboden, oder sie lassen sich von Büschen/Bäumen abstreifen, erklärte Prof. Dr. med. Wolfgang Jilg vom Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg. Schnellstmöglich entfernen Zecken stechen und beißen nicht etwa. Ihr „Rüssel“, das sogenannte Hypostom (Abb. 4), bohrt sich dabei in die Haut und läßt sich aufgrund der Widerhaken nur schwer entfernen. In jedem Stadium müssen Zecken Blut saugen, um sich zu ernähren. Die kleinen Larven (Durchmesser: ca. 0,6 mm) und Nymphen (ca. 1,1 mm) sind schneller satt als die 3 – 5 mm großen ausgewachsenen Tiere (Abb. 3). Ihr Gewicht kann dabei um das bis zu Hundertfache (!) zunehmen. Hat man eine festsitzende Zecke entdeckt, sollte man sie schnellstmöglich entfernen. Eine FSME läßt sich dadurch zwar nicht verhindern, weil die im Speichel der Zecke enthaltenen Viren sofort nach dem Stich übertragen werden. Die Borrelien halten sich dagegen im Darm der Zecke auf und brauchen 16 bis 24 Stunden, bis sie nach oben gewandert sind. Zecken haben kein Gewinde Beim Entfernen der Zecke gilt: Kein „Erstickungsversuch“ mit Klebstoff, Nagellack, Öl etc. Im Todeskampf wird die Zecke bei diesen Maßnahmen noch mehr Speichel in die Wunde ausstoßen, was die Infektionsgefahr erhöht. Auch das „Herausdrehen“ – egal ob mit oder gegen den Uhrzeigersinn – entbehrt jeder Grundlage, weil das Stechwerkzeug schließlich kein Gewinde besitzt. Einfach die Zecke mit einer Pinzette möglichst dicht an der Haut fassen und herausziehen, lautet die Devise. Verbleibt der Kopf in der Wunde, kann man ihn chirurgisch entfernen, um Fremdkörperreaktionen (Granulombildung) zu verhindern. Das Infektionsrisiko beeinflußt man damit jedoch nicht. Auf keinen Fall gerechtfertigt ist ein HerausDer Allgemeinarzt 11/2007 TITELTHEMA schneiden des gesamten Insekts „tief im Gesunden“ (Abb. 1). FSME: Das Wichtigste in Kürze Die Inkubationszeit einer Infektion mit FSME-Viren beträgt 6 bis 14 Tage. Nach einem kurzen Prodromalstadium mit unspezifischen grippalen Symptomen folgt ein fieberfreies Intervall von bis zu 20 Tagen, gefolgt von den Symptomen der Organmanifestation (Meningitis, Meningoenzephalitis, Meningo­ enzephalomyelitis). 90 % der Infektionen verlaufen inapparent oder unspezifisch. Der Nachweis der Infektion erfolgt über spezifische Antikörper (IgG und IgM) in Serum und Liquor. Die Erkrankungsfälle in Deutschland haben in den letzten Jahren zugenommen: 2004 gab es 274 Fälle, 2005 433 und 2006 540 Fälle. Da wegen des milden Winters mehr Zecken als sonst überlebt haben, fürchtet man in diesem Sommer eine weitere Zunahme der Erkrankungen. Die Wirksamkeit der beiden in Deutschland zugelassenen FSME-Impfstoffe (Encepur® und FSME-Immun®) liegt bei 95 – 98 %. Präparate zur passiven Prophylaxe sind nicht mehr im Handel. Impfstoffe für Kinder (Encepur® bis 12. Lebensjahr, FSME-Immun® bis 16. Lebensjahr) enthalten die halbe Menge des Erwachsenenimpfstoffs. Geimpft wird zweimal im Abstand von vier Wochen, dann nach einem Jahr. Auffrischungen sollten alle drei bzw. bei Personen un- ter 50 Jahren alle fünf Jahre erfolgen. Stärkere Lokalreaktionen (Granulome) nach der Impfung aufgrund des Adjuvans Aluminiumhydroxid sind möglich, verschwinden jedoch von selbst wieder. Im allgemeinen ist die FSME-Impfung gut verträglich. Kleinkinder entwickeln manchmal nach der ersten Impfung Fieber. Sonstige Komplikationen wie Larve adulte Zecke Nymphe Abb. 3: Zecken verschiedener Entwicklungsstadien im Größenvergleich allergische Reaktionen oder Neuritiden kommen nur in Einzelfällen vor. Geimpft werden sollten Menschen, die in Risikogebieten leben oder sich häufig dort aufhalten und Zeckenkontakt haben. Außer den südlichen Bundesländern Deutschlands sind Österreich, Polen, die Schweiz, die Slowakei, Tschechien, Ungarn, die baltischen Staaten, aber auch Südschweden Risikoregionen. Borreliose: Das Wichtigste in Kürze Borrelien sind spiralförmige Bakterien (Abb. 5) und verbreiten sich nach dem Zeckenstich zuerst lokal in der Haut, was sich in Form eines Erythema migrans (Abb. 6) äußert. Diese Hauterscheinung macht sich einige Tage nach dem Stich bemerkbar und stellt das Stadium 1 der Borreliose dar. Bei der generalisierten Ausbreitung gelangen die Borrelien über Lymph- und Blutgefäße in die verschiedenen Organe. Im Stadium 2 (nach Wochen) stehen Muskel- und Gelenkbeschwerden, bei Befall des ZNS Meningitis oder eine Fazialisparese und bei Herzbeteiligung eine Myokarditis oder ein AV-Block im Vordergrund. Im Stadium 3, das noch nach Jahren eintreten kann, kommt es z. B. zu Arthritiden, einer Acrodermatitis chronica atrophicans, einer chronischen Enzephalomyelitis oder einer Kardiomyopathie. Für die Borreliose gilt: Behandelt wird nur die Erkrankung, nicht ein serologischer Befund ohne vorhandene Symptome. Nach einem Zeckenstich kommt es in 3 bis 6 % der Fälle zu einer BorrelienInfektion, bei 0,3 bis 1,4 % der Infektionen zu einer manifesten Erkrankung. Die Inzidenz wird auf ca. 60 000 Fälle pro Jahr in Deutschland geschätzt. Zur Labordiagnostik einer Borreliose wird cm 100 90 80 adulte Tiere 70 60 50 40 30 Nymphen Larven 20 alle Abb.: Archiv 10 0 -10 Eier Abb. 2: Aktionsradius der einzelnen Entwicklungsstadien von Zecken Der Allgemeinarzt 11/2007 Abb. 4: Elektronenmikroskopische Aufnahme der Mundwerkzeuge einer Zecke. Gut zu erkennen: Das Hypostom mit den Widerhaken TITELTHEMA Abb. 5: Borrelia burgdorferi meist der Nachweis von Antikörpern mit ELISA oder Westernblot (Immunoblot) herangezogen. Allerdings ist die Antikörper-Diagnostik mit Problemen behaftet: 1.Spezifische Antikörper bilden sich nicht selten erst Wochen nach dem Erregerkontakt. 2.IgM-Antikörper persistieren oft über Monate und Jahre ohne klinische Manifestation. 3.Bei Erkrankungen des Stadiums 3 lassen sich häufig keine IgM-Antikörper nachweisen. 4.In vielen Gegenden liegt die Antikörperprävalenz bei 10 bis 20 %, meist ohne Erkrankung! Für die Therapie gilt: Behandelt wird die Erkrankung, nicht ein serologischer Befund. Deshalb macht es auch keinen Sinn, nach jedem Zeckenstich die Borrelien-Antikörper zu bestimmen oder gar das Bakterium in der Zecke nachzuweisen (was sowieso meist nicht gelingt). Denn selbst bei positivem Befund würde man bei fehlenden Symptomen nicht behandeln. Die Grundzüge einer Borreliose-Therapie lauten: • I m Frühstadium Doxycyclin (zweimal 100 mg/Tag über 14 bis 21 Tage) Impfung direkt nach dem ­Zeckenstich? 1. Fall: Eine Mutter kommt mit ihrem 11jährigen Sohn wegen eines Zeckenstichs in die Praxis. Sie entfernen das Tier, das wahrscheinlich vom Waldspaziergang am Vortag stammt. Der Junge ist nicht gegen FSME geimpft. Sollte man jetzt sofort die erste Impfdosis geben, um evtl. eine FSME-Infektion verhindern zu können? Mit einer ersten Impfdosis läßt sich eine mutmaßlich erfolgte FSME-Infektion durch den aktuellen Zeckenstich nicht verhindern. Man könnte jedoch die Gelegenheit eines Impfbeginns zum Schutz vor künftigen Infektionen beim Schopf packen, da der Junge nun schon mal da ist. Dagegen spricht allerdings, daß man sich damit die diagnostischen Möglichkeiten verbaut für den Fall, daß tatsächlich eine FSME-Infektion stattgefunden hat. Prof. Jilg empfiehlt daher, vier bis sechs Wochen nach dem Stich zu impfen. Riedl 2. Fall: Ein 47jähriger Forstbeamter sucht Sie wegen eines Zeckenstichs auf. Die Zecke am Rücken wurde von der Ehefrau bereits entfernt, die Einstichstelle ist noch leicht gerötet. Der Patient hat vor sieben Jahren eine vollständige Grundimmunisierung gegen FSME erhalten, seitdem keine Auffrischimpfungen. Sollte man sofort eine Auffrisch­ impfung durchführen? Hier besteht eine reelle Chance, durch die Auffrischimpfung eine aktuell stattgefundene Infektion durch den Zeckenbiß zu verhindern. Eine sofortige Auffrischimpfung ist daher zu empfehlen. Abb. 6: Erythema migrans nach Zeckenstich. • Bei neurologischen Komplikationen Ceftriaxon i. v. (1 – 2 g/Tag über 14 bis 28 Tage •B ei Arthritis Doxycyclin (zweimal 100 mg/Tag über 30 bis 60 Tage) oder Ceftriaxon i. v. (1 – 2 g/Tag über 14 bis 28 Tage) •K inder erhalten statt Doxycyclin Amoxicillin oder Erythromycin dreimal täglich. ▪ Der Allgemeinarzt 11/2007