AXEL RÜDLIN, CHEFKOCH IM HOTEL KEMPINSKI, ST. MORITZ Ich bin kein Sterne-Koch Seine Küche ist hochwertig, zeitgenössisch mediterran, mit regionalen Einflüssen und klarem Fokus auf Nachhaltigkeit. «Alle Komponenten müssen geschmacklich und optisch miteinander harmonieren. Wenn eine Karotte in einem italienischen Gericht nichts zu suchen hat, dann hat sie auch als Dekoration auf dem Teller nichts verloren», sagt Alex Rüdlin, seit 2013 Executive Chef im Kempinski Grand Hôtel des Bains in St. Moritz. Ein Gespräch über Rütlischwur, Edel-Lokale, Michelin und Pasta. INTERVIEW Hans R. Amrein PORTRÄT-BILD Tanya Hasler FOOD & BEVERAGE KÜCHENPORTRÄT Axel Rüdlin ist seit Sommer 2013 Chefkoch im Kempinski Grand Hôtel des Bains, St. Moritz. Seine Philosophie: «Ich kann nach unten stapeln, aber ich muss das Top-Niveau beherrschen.» A xel Rüdlin, woher stammt eigentlich Ihr Name? Hat der Name was mit dem Rütlischwur zu tun? Ja, in der Tat! Meine Vorfahren stammen aus der Zentralschweiz, unser Stammbaum geht zurück bis zum Rütlischwur. Sie haben an der Hotel-Fachschule in Heidelberg als «Hotel-Betriebswirt» abgeschlossen. Mir ging es einfach darum, auch die wirtschaftliche Seite einer Küche und eines Hotels kennenzulernen. « MEIN VORGÄNGER IN ST. MORITZ HAT ZU MIR GESAGT: AXEL, ICH HABE NOCH NIE ERLEBT, DASS EIN KOCH AUCH RECHNEN KANN. » AXEL RÜDLIN Sie sind erst 33 und schon Chefkoch bei «Kempinski». Eine steile Karriere. Das sagen Sie. Sie standen bei Dreisterne-Koch Dieter Müller am Herd, später bei Claus-Peter Lumpp im «Bareiss», ebenfalls ein Dreisterne-Star in Deutschland. Jetzt sind Sie für vier Restaurants mit über 40 Köchen verantwortlich. Warum eine Grossküche und kein kleines Edel-Lokal? Es ist die Vielfalt, die mich reizt und täglich herausfordert. Vier verschiedene Lokale, dazu Frühstück, Room Service, Bankette, Bar und Lobby – ein einzigartiges Angebot. Wir machen hier im 28 «Kempinski» fast alles – von japanischer Sushi-Küche über Italien bis zu Grill- und Fleischspezialitäten. Ich kann meiner Kreativität freien Lauf lassen. Ja, ich kann mich hier so richtig austoben, um es mal so zu sagen. Trotzdem: Sie hätten das Potenzial, als Sterne-Koch irgendwo auf dieser Welt auf höchstem Niveau zu kochen. Ich kenne diese Welt und habe sie bei Dieter Müller oder bei Claus-Peter Lumpp im «Bareiss» durchlaufen. Meine Philosophie war immer: Ich kann nach unten stapeln, aber ich muss das Top-Niveau beherrschen. Axel Rüdlin, Sternekoch, Chef eines renommierten, hochgelobten Gourmet-Lokals. Davon träumt fast jeder Koch … … ich nicht. Die von Ihnen erwähnten Restaurants sind alle wunderbar und edel. Was die kochen, ist toll, keine Frage. Aber schauen Sie sich mal die betriebswirtschaftliche Seite dieser Sterne-Lokale an! Viele verdienen kein Geld und überleben nur dank Sponsoring oder Mäzenatentum. So gesehen bin ich hier im «Kempinski» total happy. Wir haben nicht nur die Küche im Griff, sondern auch die Zahlen. Sind Sie ein Zahlenmensch? Ja, Zahlen faszinieren mich. Mein Vorgänger hier in St. Moritz hat zu mir gesagt: Axel, ich habe noch nie erlebt, dass ein Koch auch rechnen kann. Ihr Restaurant «Cà d’Oro» hat 17 Punkte (Gault & Millau) und einen Michelin-Stern. Rechnet sich das? Ja, es rentiert. Wie schaffen Sie das mit nur 35 Plätzen? Unser sechsköpfiges Küchenteam im «Cà d’Oro» ist so eingespielt, dass es eben funktioniert. Und die Warenkosten? Die liegen aktuell bei 23 Prozent. Beim Personal sind wir bei 35 Prozent. Andere Luxushäuser in St. Moritz liegen mehr als 40 oder 50 Prozent darüber. Sie sind in der Tat ein Meister der Zahlen. Ich achte ständig auf Effizienz und Kosten. Dabei stehen aber Qualität und Top-Service stets im Mittelpunkt. Schön gesagt, aber das Preisniveau im «Kempinski» ist entsprechend hoch … Unser Degustationsmenu liegt bei etwas über 200 Franken. Es gibt in St. Moritz teurere Lokale auf diesem Niveau. Wie würden Sie Ihren Kochstil umschreiben? Puristisch, mediterran, sehr stark auf den Geschmack – und erst dann auf Optik fokussiert. Im Vordergrund steht bei mir immer der Geschmack. Für mich muss es auch vom Kopf her immer miteinander harmonieren, deswegen werde ich auch nie eine Karotte mit einer Zucchini zusammen zubereiten. Die Karotte gehört für mich gekocht und die Zucchini gebraten. Benoît Violier in Crissier (3 Sterne, 19 Punkte) setzt auf zwei bis höchstens drei Aromakomponenten. Und Sie? Maximum drei. Wir wollen den Gast ja nicht überfordern. 5 I2015 FOOD & BEVERAGE KÜCHENPORTRÄT « WIR SETZEN AUF MAXIMAL DREI AROMAKOMPONENTEN. WIR WOLLEN DEN GAST JA NICHT ÜBERFORDERN. » AXEL RÜDLIN Keine Experimente? Nein, wobei wir ab und zu Elemente aus der molekularen Küche einfliessen lassen. Aber nur, wenn es Sinn macht. Viele Spitzenköche klagen, wenn es um die Beschaffung von Top-Produkten geht … … für mich kein Problem. Das Gemüse kommt aus Italien, über den Maloja. Der Fisch kommt frisch aus Zürich. Ab und zu kriegen wir auch Fische aus dem Tessin. Wir verwenden USPrime-Beef – und natürlich lokale Produkte aus dem Engadin, wenn diese verfügbar sind. Thema Küchentechnik: Arbeiten Sie auch mit der Sous-vide-Methode? Ja. Auch im Gourmet-Restaurant und in der Hauptküche. Es macht den Tagesablauf weniger stressig. Das Fleisch ist zarter, man ist mit den Speisen schneller am Gast. Kochen Sie auf einem Induktionsherd oder nach alter Methode auf Gas? Induktion. Doch mein grösster Stolz ist unser Grill. 80 cm Durchmesser. Ein Riesending. Er kann bis zu 350 Grad heiss werden, hat einen Deckel und speichert die Hitze. Genial. Man sagt, das «Kempinski», St. Moritz, habe das grösste und beste Frühstücksbuffet der Schweiz oder gar Europas. Mindestens 30 verschiedene Konfitüren … Lohnt sich das? Sagen wir es so: Der Aufwand für unsere Gäste lohnt sich bestimmt, doch wenn es um die Wirtschaftlichkeit geht, darf man nicht zu genau hinschauen. Sterne, Punkte, Ratings: Wie wichtig ist Ihnen die Meinung der Gastrokritiker? 5 I2015 Es ist schon wichtig, was diese Kritiker sagen oder schreiben. Sie machen unseren Namen in der ganzen Schweiz und sogar im Ausland bekannt. Doch ich sehe mich in keiner Weise als Sterne-Koch. Nichts gegen 17 Punkte im Gault & Millau, aber die Sterne von «Michelin» leuchten für fast alle Köche noch heller am Gastrohimmel. Die Sterne von «Michelin» sind ganz klar die höchste Ehre, die ein Koch erhalten kann. Sie stammen aus einer Gastronomenfamilie. Ja, meine Eltern betreiben zwischen Basel und Freiburg im Breisgau ein kleines bürgerliches Restaurant. Da gibt es Wurst und Schnitzel. Mein Vater ist übrigens auch Winzer. Ich stehe oft mit ihm im Weinberg. Haben Sie eigentlich ein Privatleben? Freizeit, Freundin oder Ehefrau …? Ich bin derzeit noch ledig. Der Beruf kommt ganz klar an erster Stelle. Als ambitionierter Koch muss man Workaholic sein. Ihr Ziel oder Traum? Vielleicht ein eigenes Restaurant im Schwarzwald? Warum nicht! Dann kochen Sie Spätzle und Maultaschen? Nicht unbedingt, aber sicher eine regionale Küche, der ich meinen Stempel aufdrücken würde. Was kochen Sie persönlich am liebsten? Ich wurde immer die «Pasta-Maschine» genannt – ich habe immer selber Pasta gemacht, egal in welche Richtung: Gnocchi, Spaghetti, Ravioli. Da kann ich meinen Jungs auch gut noch was vormachen, und sie sagen dann immer: Wow! Der kann es ja! Pasta ist meine Leidenschaft. Wo liegt kulinarisch gesehen der Trend der Zukunft? Auf einer leichten und aromenreichen Küche – einfach gesund und schmackhaft muss die Küche sein. Dahin geht der Trend. H WER IST AXEL RÜDLIN? Axel Rüdlin ist Executive Chef im Kempinski Grand Hôtel des Bains in St. Moritz. Von 2010 bis zur Wintersaison 2012/13 kochte er als Executive Sous-chef mit dem Ziel vor Augen, die Führung in der «Kempinski»-Küche zu übernehmen. Darauf vorbereitet hat ihn vor allem seine Erfahrung als ChefPoissonier bei Dreisterne-Koch Dieter Müller im Restaurant Schlosshotel Lerbach und seine Ausbildung als Hotel-Betriebswirt an der Hotel-Fachschule Heidelberg. In St. Moritz ist Axel Rüdlin (geboren 1982) kein Unbekannter. Bereits von 2002 bis 2004 kochte er als Chef Entremetier in Jöhris «Talvo». Anschliessend folgten Stationen im Restaurant Barreis, im «Ikarus Hangar 7» in Salzburg, als Souschef auf Schloss Brunegg in Kreuzlingen und im Hotel Kristiania in Lech am Arlberg. Axel Rüdlin beschreibt seinen Kochstil mit einfachen Worten: «Ich koche, wie ich bin: geradlinig und ohne Firlefanz», und fügt mit einem breiten Grinsen hinzu: « ... und Butter ist der Sex des Alltags». Rüdlin ist seit Sommer 2013 als Executive Chef des Kempinski Grand Hôtel des Bains für folgende Restaurants verantwortlich: Les Saisons (14 Punkte Gault & Millau), Enoteca (15 Punkte Gault & Millau), Sra Bua (14 Punkte Gault & Millau) und gemeinsam mit Gourmet-Chef Matthias Schmidberger Cà d’Oro (1 Michelin-Stern und 17 Punkte Gault & Millau) sowie für die Lobby & Bar und den Room Service. ÜBER KEMPINSKI-HOTELS 1897 gegründet, ist Kempinski-Hotels die älteste Luxus-Hotelgruppe Europas. Insgesamt betreibt das Unternehmen 80 Luxus-Hotels in 30 Ländern. Dieses Angebot wird kontinuierlich durch neue Hotels in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika und Asien erweitert. Zum Portfolio zählen historische Grandhotels, Stadthotels, Resorts und edle Residenzen. Daneben ist Kempinski Gründungsmitglied des weltweit tätigen Hotel-Netzwerks Global Hotel Alliance (GHA). Bis Mitte 2014 war der Schweizer Top-Hotelier Reto Wittwer CEO und Präsident der Kempinski-Gruppe, die mehrheitlich dem thailändischen Königshaus gehört. Der Hauptsitz von Kempinski befindet sich in Genf. 29