Moderne Experimente mit geladenen Teilchen

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Kapitel 7
Moderne Experimente mit geladenen
Teilchen
7.1
Speicherring-Experimente mit hochgeladenen Ionen
Die atomphysikalische Untersuchung der Dynamik und Struktur hochgeladener schwerer Ionen ist vor allen Dingen durch ihre astrophysikalische Relevanz und durch die Möglichkeit für
Präzisionstests der Quantenelektrodynamik in starken Feldern motiviert.
Hinsichtlich der Dynamik hochgeladener Ionen gehören Stöße zwischen Elektronen und Ionen
zu den ganz elementaren atomphysikalischen Prozessen. Neben den in den vorangegangenen
Kapiteln bislang besprochenen Ionisations- und Anregungsprozessen, ist die Rekombination der
dritte wichtige Stoßprozeß zwischen Elektronen und Ionen. Unter Rekombination versteht man
den Einfang von freien Elektronen durch Ionen. Man unterscheidet bei den Rekombinationsprozessen zwischen der Photorekombination (PR), bei der die durch den Einfang des Elektrons
frei werdende Energie in Form von Licht emittiert wird und der Drei-Körper-Rekombination
(TBR), bei der ein weiteres Elektron als dritter Stoßpartner Energie und Impuls aufnimmt.
Diese Prozesse können in Speicherringen sehr gut untersucht werden.
Die QED gilt heute als die am besten verifizierte physikalische Theorie. Dieser Ruf beruht
jedoch im wesentlichen auf experimentellen Tests bei kleinen Kernladungszahlen Z (siehe z.B.
die Zweiphotonenspektroskopie an Wasserstoff oder der g-Faktor des freien und gebundenen
Elektrons), denn bisher ist die Genauigkeit der Experimente für hohe Kernladungszahlen Z um
mehrere Größenordnungen geringer. Eine Überprüfung bei hohen Z ist wünschenswert, da hier
das elektrische Feld des Atomkerns, das insbesondere die am stärksten gebundenen 1s-Elektronen
spüren, extrem groß wird. Der Erwartungswert des elektrischen Feldes für ein Elektron im 1sZustand eines wasserstoffartigen Ions als Funktion der Kernladungszahl ist in Abb. 7.1 gezeigt.
Man sieht, dass es im Uran mit ∼ 2·1016 V/cm um mehr als 6 Größenordnungen stärker ist als im
Wasserstoff. Dieser Wert ist beinahe so groß wie die kritische Feldstärke Fkr = 2,6 · 1016 V/cm,
bei der die spontane Paarerzeugung beginnt1 . Daher spricht man bei schweren Ionen auch von
der QED starker Felder. Wegen der hohen Kernladungszahl Z muß in den QED-Rechnungen
auch die Vorgehensweise gegenüber leichten Ionen geändert werden. Typischerweise dient für
kleines Z die Größe αZ mit α ≈ 1/137 als Entwicklungsparameter, bei großem Z geht αZ → 1,
so daß eine solche Entwicklung nur noch schlecht konvergiert.
Für wachsende Kernladung Z beginnt durch das relativistische Zusammenschrumpfen der
1
Die kritische Feldstärke Fkr wird dadurch abgeschätzt, daß sich das elektrische Potential über eine Distanz
von der Größe der Compton-Wellenlänge um 2me c2 /e ändert, d.h. Fkr ∼ 2 × 511 kV/386 fm ≈ 2, 6 · 1016 V/cm
[Grei1995].
138
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
139
Abb. 7.1: Erwartungswert des elektrischen Feldes für das 1s-Elektron (links) und Niveauschema
der K- und L-Zustände (rechts) in einem wasserstoffähnlichem Ion
elektronischen Wellenfunktionen in Kernnähe auch die endliche Ausdehnung des Atomkerns eine
zunehmend bedeutendere Rolle zu spielen. So ändert sich die Bindungsenergie eines 1s-Elektrons
im Uran durch den Unterschied zwischen einem punktförmig angenommenen Kern und einem
ausgedehnten Kern um beinahe 200 eV und ist damit in schweren Ionen ebenso groß, wie die
radiativen Korrekturen. Die Untersuchung hochgeladener schwerer Ionen ist daher auch für
Kernstrukturuntersuchungen von großem Interesse wie wir im Folgenden noch sehen werden.
Dieses Kapitel des Scripts lehnt sich an die Dissertationen von C. Brandau [Bran2000], A.
Gumberidze [Gumb2003] und P. Seelig [Seel1999] an. Viele der Abbildungen stammen aus diesen
Arbeiten.
7.1.1
7.1.1.1
Grundlagen
Atomare Struktur schwerer Ionen mit wenigen Elektronen
Zunächst soll ein kurzer Abriß über die theoretische Beschreibung der atomaren Struktur von
schweren Ionen mit wenigen Elektronen, gegeben werden. Die dabei zu Grunde liegende Theorie ist die Quantenelektrodynamik (QED). Sie vereinigt die Gedankengebäude der Quantenmechanik, der spezielle Relativitätstheorie und der Elektrodynamik. Im engeren Sinne versteht
man unter QED-Effekten jedoch diejenigen Anteile, die über die relativistische Dirac-Theorie
hinausgehen. In der QED wird die elektromagnetische Wechselwirkung durch den Austausch
eines oder mehrerer Photonen zwischen geladenen Teilchen beschrieben. Die Stärke der Kraft
zwischen zwei Elementarladungen wird durch die elektromagnetische Kopplungskonstante, die
Feinstrukturkonstante α ≈ 1/137 bestimmt, wobei jedes Photon einer Ordnung in der Kopplungskonstante α entspricht. Entsprechend ist Zα ein Maß für die Kraft zwischen Elektron
und Atomkern. Da die Kopplungskonstante α klein ist, braucht man selbst für eine genaue theoretische Vorhersage häufig nur die niedrigsten Ordnungen in α zu berücksichtigen. Die Anteile
zur Bindungsenergie, die sich nicht im Rahmen der Dirac-Theorie beschreiben lassen, nennt
man auch radiative Korrekturen. In den Feynman-Diagrammen sind sie entweder durch eine
geschlossene Elektronenschleife (Erzeugung und Vernichtung eines Elektron-Positron-Paares)
gekennzeichnet, oder durch das Emittieren und Reabsorbieren eines virtuellen Photons durch
140
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
dasselbe Elektron.
Radiative Korrekturen Zur Berechnung der atomaren Niveaus in einem wasserstoffähnlichen System geht man zunächst von der Dirac-Bindungsenergie für einen
punktförmigen und unendlich schweren Atomkern aus (siehe z.B. [Bran1983])

Dirac
Enκ
= me c2 1 +
Zα
p
n − K + K 2 − (Zα)2
!2 −1/2

− me c2 ,
(7.1)
mit K = |κ| = j+1/2. Nach der Dirac-Theorie sind Energieniveaus mit gleichem Gesamtdrehimpuls j entartet. In ihrem berühmten Experiment konnten Lamb und Retherford jedoch nachweisen, daß zwischen dem 2s1/2 -Zustand und dem 2p1/2 -Zustand in Wasserstoff ein Energieabstand von ca. 1057,8 MHz vorhanden ist. Die gemessenen Abweichungen zur Dirac-Theorie,
die man auch als Lamb-Verschiebung bezeichnet, rühren beim Wasserstoff-Atom zum größten
Teil von der Selbstenergie (SE) und der Vakuumpolarisation (VP) her. Abbildung 7.2 zeigt die
Feynman-Diagramme für Selbstenergie und Vakuumpolarisation in erster Ordnung in α (1 Photon). Ihre Auswirkungen auf die Lage der tiefliegenden Energieniveaus in waserstoffähnlichen
7
Systemen ist in Abb. 7.1 (rechts) dargestellt. Zur Erklärung der Selbstenergie (Abbildung
7.2
1.1
Einordnung
a)
b)
Abbildung 1.1: Feynman-Diagramm fur die Selbstenergie (a) und die Vakuumpolarisation (b) fur geAbb. 7.2:
Feynman-Diagramme
Selbstenergie
(a) und
bundene
Elektronen. Die Doppellinienfür
symbolisieren
Wellenfunktionen
undVakuumpolarisation
Elektronenpropagatoren im (b).
externen Feld eines Atomkerns.
(a)) nimmt man an, daß das gebundene Elektron ein virtuelles Photon, dargestellt durch die
externer Felder bis an jene ultimative Grenzen zu fuhren, bei der man schlielich den Rahmen der QED
Schlangenlinie,
und oder
anschließend
reabsorbiert.
Im Rahmen der Heisenbergschen Unverlaemittiert
t und wo nukleare
subnukleare Eekte
dominant werden.
schärferelation
stellt
dieser
Prozess
keine
Verletzung
der
Energieerhaltung
dar.
Dieser Effekt
Die grundlegenden und zugleich wichtigsten quantenelektrodynamischen
Prozesse, auf die ausf
uhrlich
einzugehen
sein
wird,
sind
durch
die
beiden
Feyman-Diagramme
in
Abb.
1.1
gegeben.
Die
Doppellinien
ist umso stärker je näher das Elektron am Kern befindet. Dies läßt sich klassisch mit der sehr
beschreiben die erklären,
Propagation von
(oder Positronen)
im externenerfährt
Coulomb-Feld
Atomkerns.
großen Beschleunigung
dieElektronen
das Elektron
in Kernnähe
unddes
die
nach der ElektroDabei wird das sogenannte Furry-Bild { eine spezielle Version des Wechselwirkungsbildes { impliziert,
dynamik zur welches
Emission
von
Strahlung
führt.
Die
darauf
zurüückzuführende
”Zitterbewegung”
die Wechselwirkung mit dem externen Potential in den Wellenfunktionen bzw. den Propagatoren
des Elektronsexakt
verursacht
eine
Elektronenladung,
dass das Elektron nicht
Storungsentwicklung
ebener
Wellenzustande oder auf so
berucksichtigt.
Es ”Verschmierung”
wird also auf die Naherungder
nach der externen
Wechselwirkung
verzichtet. InElektronenradius
Teil (a) der Abb. 1.1 ist führt
die Selbstenergie
dargestellt,
mehr als punktförmig
erscheint.
Der endliche
zu einer
Verringerung der
bei
der
ein
virtuelles
Photon
vom
gebundenen
Elektron
emittiert
und
wieder
absorbiert
wird.
Aufgrund
Bindungsenergie, insbesondere für s-Zustände wegen derer hohen Aufenthaltswahrscheinlichkeit
der relativ kleinen Elektronenmasse dominiert dieser, die permanente Wechselwirkung des gebundenen
am Kernort Teilchens
und hebt
dieStrahlungsfeld
nach Dirac
gegebenevirtuelle
Entartung
Zustände
mit gleichem j aber
mit dem
widerspiegelnde,
Proze die der
QED-Beitr
age zur Niveauverschiebung imℓWassersto.
Teil (b) stellt den Proze der Vakuumpolarisation dar. Der Kern induziert virtuelle
unterschiedlichem
auf.
Elektron-Positronpaare, mit denen
ein gebundenes
durch den durch
Austauschdas
virtueller
Photonen
Bei der Vakuumpolarisation
(Abbildung
7.2 Elektron
(b)) werden
starke
Feld des Kerns
wechselwirkt. Man beachte, da diese virtuellen Elektron-Positronpaare im externen Coulomb-Feld eines
kurzzeitig virtuelle
Elektron-Positron
Paare
erzeugt
und
wieder
annihiliert
(doppelter
Kerns mit der Ladungszahl Z propagieren. Die relevante, eektive Kopplungskonstante Z ist im Falle ”Loop” in
Abbildung 7.2
(b)),Elemente
die sich
verhalten.
DieAus
Richtung
dieses
schwerer
nicht wie
mehr ein
klein polarisierbares
gegen 1. BeispielsweiseMedium
betragt sie Z
' 0:67 im Uran.
dieQED
in starken Feldern
sem Grund besitzen
diezu
Untersuchungen
zur Phanomenologie
”Polarisationseffektes”
führt
einer stärkeren
Bindungderdes
Elektrons,
alsohochgeladener
umgekehrt, wie man
Ionen zugleich Modellcharakter
bezuglich
Studiums anderer
Eichtheorien
mit entsprechend
es von der ”klassischen”
Ausrichtung
vondesDipolen
in einem
elektrischen
Feld groen
erwarten würde
Kopplungskonstanten, wie z.B. der Quantenchromodynamik. Es sei betont: Vakuumpolarisation ist ein
[Soff1998]. Dies
man
sichund
so erklären,
dienicht
s-Elektronen
in den
Kern
wenn
statt eintauchen
Elektronen und hier
Eektkann
externer
Quellen
deren Felder, dass
der sich
grundsatzlich andert,
und Positronen weitaus exotischere Teilchen in den gebundenen Zustanden oder in der Vakuum-Schleife
auftreten.
Beide QED-Prozesse, sowohl die Selbstenergie als auch die Vakuumpolarisation sind mit Divergenzen
behaftet und erfordern daher spezische Regularisations- und Renormierungsprozeduren, um denierte
Ergebnisse zu liefern. Obwohl die Prinzipien der Renormierungstheorie grundsatzlich klar sind, erfordert
gerade ihre Anwendung und ihre technische Umsetzung die Entwicklung neuer numerischer Methoden.
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
141
die unabgeschirmte Ladung des Kerns erfahren. Die Absenkung durch die Vakuumpolarisation
gleicht aber den stärkeren Effekt der Selbstenergie nicht aus und deshalb sind die s-Niveaus
insgesamt angehoben.
Während beim Wasserstoff die relativistischen und QED-Beiträge sehr klein sind, werden ihre Einflüsse in schweren wasserstoffartigen Systemen sehr viel ausgeprägter und dominieren das physikalische Erscheinungsbild. Die QED-Beiträge zur 2s1/2 − 2p1/2 -Aufspaltung
im lithiumähnlichen Uran liefern beispielsweise ca. 15% der Gesamtaufspaltung. Dies ist durch
den Umstand bedingt, dass die führenden QED-Korrekturen zur Bindungsenergie, Vakuumpolarisation und Selbstenergie, aber auch beispielsweise die Feinstrukturaufspaltung mit Z 4 , der
nichtrelativistische Anteil der Bindungsenergie hingegen nur mit Z 2 anwächst. Wie bereits eingangs erwähnt, ist in schweren Ionen Zα keine kleine Größe mehr, so daß die Entwicklung in Zα
fraglich ist. Man benutzt hier Verfahren, in denen die Wechselwirkung des Elektrons mit dem
Kernpotential grundsätzlich in allen Ordnungen αZ berücksichtigt wird. Tatsächlich tragen bei
der Selbstenergie schon für mittlere Z ≈ 50 höherer Ordnungen in Zα stärker zur Gesamtkorrektur bei als die Beiträge erster Ordnung. Bei der Vakuumpolarisation ist dies anders. Hier
dominiert selbst für die schwersten Ionen die niedrigste Ordnung Zα, das sog. Uehling-Potential,
wohingegen die Wichmann-Kroll Korrekturen genannten Terme der Ordnungen (Zα)n , mit
n ≥ 3 (vgl. Abbildung 7.3) deutlich kleiner sind.
1s-Lamb-Verschiebung DE [a/p (Za)4 mc2]
Für die Stärke der radiativen Korrekturen ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons am Kernort |Ψ(0)|2 maßgeblich, daher sind QED-Effekte für s-Elektronen wesentlich
stärker ausgeprägt als für Zustände mit höherem Drehimpuls. Dies erklärt auch, warum für
größer werdende Hauptquantenzahl n die QED-Einflüsse schnell mit n−3 abnehmen. Die meisten QED-Beiträge besitzen eine führende Z 4 -Abhängigkeit, so daß diese zur Darstellung häufig
herausgerechnet wird. Abbildung 7.3 zeigt einzelne Beiträge zur 1s-Lamb-Verschiebung ∆ELamb
10
Selbstenergie
1
(-)Uehling
0,1
Kernausdehnung
0,01
Wichmann-Kroll
0,001
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Kernladung Z
Abb. 7.3: Verschiedene Beiträge zur 1s-Lamb-Verschiebung in wasserstoffähnlichen Ionen nach
[John1985]. Dargestellt ist die Funktion F(Zα) (Gleichung 7.2). Die Anteile zur Vakuumpolarisation in 1. Ordnung Zα (Uehling) und höheren Ordnungen (Wichmann-Kroll) sind getrennt
dargestellt.
142
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
in wasserstoffähnlichen Ionen [John1985]. Dargestellt ist die Funktion F(Zα), die durch
∆ELamb =
α (Zα)4
· F(Zα) · me c2
π n3
(7.2)
definiert ist. Für leichte Ionen wird die Lamb-Verschiebung ganz wesentlich von der Selbstenergie
bestimmt. Z.B. trägt in Wasserstoff die Vakuumpolarisation nur zu ungefähr 1/40 zur LambVerschiebung bei, der Einfluß der endlichen Kernausdehnung ist mehrere Größenordnungen
geringer. Mit steigender Kernladungszahl nimmt der Anteil der Vakuumpolarisation an der
Lamb-Verschiebung immer stärker zu, so daß bei wasserstoffähnlichem Uran der Beitrag zur
radiativen Korrektur durch die Vakuumpolarisation ca. 1/4 des Wertes für die Selbstenergie
ausmacht. Allerdings haben die Energieverschiebungen durch Selbstenergie und Vakuumpolarisation unterschiedliche Vorzeichen. Die Selbstenergie führt zu einer Lockerung der Bindung,
wohingegen die Vakuumpolarisation die Bindung des Elektrons verstärkt.
Für Vergleiche mit heutigen Präzisionsexperimenten ist die Berechnung radiativer Korrekturen die über die erste Ordnung α hinausgehen wichtig. Stärker noch als die radiativen Korrekturen steigt der Beitrag auf Grund der Einflüsse des Atomkerns, insbesondere dessen räumlicher
Ausdehnung. Dies wird im folgenden Abschnitt diskutiert.
Bei Mehrelektronensystem (hier sind besonders lithium- und helium-ähnliche Systeme interessant) wird die theoretische Behandlung komplizierter. Neben der Korrelation der Elektronen, die bei der relativistischen Behandlung des Vielkörperproblems berücksichtigt werden
muss, treten auch relativistische (Breit-Wechselwirkung) und QED-Korrekturen zur CoulombWechselwirkung zwischen den Elektronen hinzu. In den vergangenen Jahren hat die theoretische
Behandlung solcher Mehrelektronensysteme große Fortschritte gemacht. Ein besonderer Reiz
liegt darin, dass man auf QED-Korrekturen zweiter Ordnung in α sensitiv ist.
Wechselwirkung mit dem Atomkern Bei der Berechnung der Dirac-Energien geht man
zunächst von einem unendlich schweren Atomkern aus. Man muß jedoch berücksichtigen, daß
Elektronen und Kern eine gemeinsame Schwerpunktsbewegung durchführen. Die Energien aus
Gleichung 7.1 müssen also entsprechend korrigiert werden. Per Konvention wird der nichtrelativistische Anteil dieser Korrektur
rm
=−
∆Enκ
mel
E Dirac
mel + mion nκ
(7.3)
nicht mit zur Lamb-Verschiebung hinzugerechnet [Soff1998]. Der Beitrag des relativistischen
Kernrückstoßes (engl. relativistic nuclear recoil) zur 1s-Lamb-Verschiebung liegt in schweren
Ionen bei einigen zehntel eV.
Von großer Bedeutung bei Systemen mit hoher Kernladungszahl ist der Einfluß , den die
endliche Ausdehnung des Kerns auf die Energieeigenwerte hat (vgl. Abbildung 7.3). Dabei ist
es wichtig zu beachten, dass die Wellenfunktionen für schwere Ionen durch relativisitische Effekte über die Bohrsche 1/Z Skalierung hinaus kontrahieren. Für die am stärksten gebundenen
Elektronen ist der Atomkern kein punktförmiges, strukturloses Gebilde mehr, und die Elektronen besitzen eine entsprechend große Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Kernort. So wächst
beispielsweise das Überlappintegral der 1s-Elektronenorbitals mit dem Atomkern von 1, 2 · 10−14
im Wasserstoff auf 2, 7 · 10−5 im Uran an.
Die Energieunterschiede die sich bei der Wahl verschiedener Kernladungsradien ergeben, ist
zum Teil beträchtlich, so dass die Genauigkeit, mit denen die Kernparameter bestimmt sind,
eine untere Grenze für den Test der QED in starken Feldern darstellt. Für den 1s-Zustand in
197 Au, 232 Th und 238 U liegt die Unsicherheit zwischen 0,1 eV und 0,16 eV. Allerdings sind für
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
143
Tabelle 7.1: Die wichtigsten Beiträge zur 1s Lamb-Verschiebung in U91+
Dirac
-132279,96
Vakuumpolarisation
-88,60
Selbstenergie
355,05
Selbstenergie
355,05
Kernausdehnung
198,81
Summe Lamb-Shift
Bindungsenergie
463,95 ± 0,5
-131816,01 ± 0,5
das doppelt magische 208 Pb die Unsicherheiten um eine Größenordnung geringer, so daß Blei
für einen Test der QED in starken Felder sehr geeignet ist.
Über die bisher beschriebenen Korrekturen hinaus muß man berücksichtigen, daß der Atomkern nicht strukturlos ist. Der Überlapp der elektronischen Wellenfunktion mit dem Kern führt
dazu, daß die inneren Freiheitsgrade des Kerns angeregt werden können. Die daraus entstehende
Energieverschiebung nennt man Kernpolarisation (engl. nuclear polarization). Sie liegt für das
1s-Elektron in wasserstoffähnlichem 238 U bei 180 meV, wobei für den Wert eine Unsicherheit von
25% angegeben wird. Dieser rührt im wesentlichen von den nur ungenau bekannten nuklearen
Daten, die in die Rechnungen eingehen, her.
Man kann die starke Abhängigkeit von den Eigenschaften des Atomkerns dazu nutzen, bestimmte Kernparamter durch spektroskopischen Untersuchungen schwerer hochgeladener Ionen
im Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment zu bestimmen. Besonders geeignet sind hierzu
Differenzmessung für verschiedene Isotope (Isotopieverschiebungen), da viele Korrekturen sich
gegenseitig aufheben oder vernachlässigbar werden. Die Spektroskopie von schweren Ionen mit
wenigen Elektronen ist dabei komplementär zu ”klassischen” Verfahren wie Spektroskopie von
Kα -Röntgenstrahlung in neutralen Atomen oder der Spektroskopie von myonischen Atomen.
Verglichen mit neutralen Atomen sind bei Wenigelektronensystemen die Unsicherheiten aus den
benötigten Atomstrukturrechnungen geringer und die Isotopieverschiebung ist im wesentlichen
sensitiv auf die Ladungsverteilung im Kern. Abschließend sind in Tab. 7.1 die wichtigsten
Beiträge zur 1s Lamb-Verschiebung in U91+ aufgelistet.
7.1.1.2
Rekombinationsprozesse
Einige der im folgenden beschriebenen Experimente beruhen auf der Rekombination von Ionen
und freien Elektronen. Dieser Prozeß sei daher zunächst etwas näher betrachtet. Man unterscheidet bei den Rekombinationsprozessen zwischen der Photorekombination (PR), bei der die
durch den Einfang des Elektrons frei werdende Energie in Form von Licht emittiert wird und
der Drei-Körper-Rekombination (TBR), bei der ein weiteres Elektron als dritter Stoßpartner
Energie und Impuls aufnimmt. Im Falle der PR, unterscheidet man zwei Prozesse: Sie kann
direkt ablaufen, indem das Elektron unter spontaner Aussendung eines Photons durch das Ion
gebunden wird. Dieser Teilprozeß der Photorekombination wird als radiative Rekombination
(RR) bezeichnet und ist zeitinvers zum Photoeffekt. Alternativ kann das Elektron aber auch
zunächst unter Anregung eines bereits gebundenen Elektrons in einen doppelt angeregten Zustand des Ions eingefangen werden. Dieser kann entweder autoionisieren oder radiativ zerfallen.
Der vollständige zweistufige Vorgang wird im letzteren Fall als dielektronische Rekombination
(DR) bezeichnet.
144
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
q+
®
A (i) + e
[A
(q-1)+
(f )]* + h n
Abb. 7.4: Schematische Darstellung der radiativen Rekombination (RR). Die ausgefüllten Kreise
entsprechen einem Elektron, die offenen Kreise einer (unbesetzten) Position eines Elektrons.
q+
A (i) + e
®
(q-1)+
[A
(q-1)+
(d )]** ® [A
(f )]* + h n
Abb. 7.5: Schematische Darstellung der dielektronischen Rekombination (DR).
Bei Elektronendichten, wie sie im Elektronenkühler des Speicherrings ESR an der GSI
vorherrschen, findet die Rekombination eines freien Elektrons mit einem gespeicherten Ion im
wesentlichen unter Emission von einem oder mehreren Photonen statt
Aq+ (i) + e− → A(q−1)+ (f ) + n · hν,
(7.4)
wobei |f i ein angeregter Zustand unterhalb der Autoionisationsschwelle ist. Läuft dieser Photorekombination (PR) genannte Einfang direkt in einem nicht resonanten Prozeß ab, so spricht
man von radiativer Rekombination (RR, Abb. 7.4). Bei der RR wird, im Gegensatz zur DR,
kein Targetelektron als Wechselwirkungspartner benötigt, so daß die Rekombination auch mit
einem nackten Ion erfolgen kann.
Wenn im Ion bereits mindestens ein gebundenes Elektron vorhanden ist, kann das Kontinuumselektron mit diesem in Wechselwirkung treten, und unter gleichzeitiger Anregung des Targets
resonant eingefangen werden. Stabilisiert sich im folgenden der doppelt angeregte Zwischenzustand radiativ bis unter die Ionisationsschwelle, spricht man von dielektronischer Rekombination
(DR, Abb. 7.5). Im Gegensatz zur nicht resonanten RR wird für die DR mindestens ein am
Projektil gebundenes Elektron benötigt. Man stellt sich die DR als einen zweistufigen Prozeß
vor, bei dem zunächst durch die Wechselwirkung zwischen dem freien Targetelektron und den
gebundenen Projektilelektronen das freie Elektron strahlungslos eingefangen wird, wobei das
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
145
Projektilelektron angeregt wird. Da das Projektilion Energie nur diskret, entsprechend seiner
atomaren Struktur, aufnehmen kann, erhält man hieraus sofort die Resonanzbedingung für den
Einfang:
h
i∗∗ Eres = Etot A(q−1)+ (d)
− Etot Aq+ (i) .
(7.5)
Die Energielage Eres der Resonanz ergibt sich aus der Differenz der totalen Energien Etot von
doppelt angeregtem Compound-System und Projektilion. Zu jeder möglichen Anregung von Aq+
gehört eine unendliche Serie von Rydberg-Resonanzen in A(q−1)+ . Deren Seriengrenze entspricht
gerade der Anregungsenergie des Projektilions Aq+ . Daraus ergibt sich die Möglichkeit, aus den
Positionen der einzelnen Rydberg-Resonanzen durch Extrapolation zu n → ∞ die Anregungsenergien sehr exakt zu vermessen. Zur Vervollständigung der DR muß in einem zweiten Schritt der
doppelt angeregte Zwischenzustand unter Aussendung eines oder mehrerer Photonen bis unter
die Autoionisationsschwelle zerfallen. Zusammengefaßt ergibt sich
(
∗∗
∗
A(q−1)+ (d) → A(q−1)+ (f ) + n · hν (DR)
q+
−
(q−1)+ ∗
(7.6)
A (i) + e →
(f ) + n · hν (RR).
A
Da sich RR und DR in Anfangs- und Endzustand nicht unterscheiden, ist quantenmechanische
Interferenz zwischen den beiden Rekombinationspfaden möglich.
Anhand der Art der Anregung kann man die DR-Prozesse in zwei verschiedene Klassen
einteilen. Diese sind schematisch in Abb. 7.6 dargestellt. Wird das gebundene Elektron aus
seiner Hauptschale herausgehoben (∆n 6= 0), so ist eine hohe kinetische Energie des freien
Elektrons notwendig, damit überhaupt eine Anregung stattfinden kann. Das freie Elektron wird
typischerweise in Zustände mit niedriger Hauptquantenzahl eingefangen. Zu dieser Kategorie
gehören die KLx-Prozesse (x = L,M,N . . . ), bei denen ein Elektron von der K-Schale in die
L-Schale angeregt und das freie Elektron in die x-Schale eingefangen wird (Abb. 7.6 links). Für
wasserstoff- und heliumähnliche Projektilionen im Grundzustand kann die DR nur über ∆n > 0Anregungen stattfinden, da die K-Schale keine innere Struktur besitzt.
Bei der zweiten Klasse von Resonanzen wird das gebundene Elektron innerhalb einer Schale
(∆n = 0) angeregt. Man findet daher DR-Resonanzen schon bei sehr niedrigen Relativenergien
knapp oberhalb der Schwelle (Erel = 0) (Abb. 7.6 rechts). Die Resonanzbedingung kann hier
nur dann erfüllt werden, wenn der strahlungslose Einfang des freien Elektrons in einen Zustand
n ≥ nmin erfolgt. Als Folge wird das freie Elektron in sehr hohe Rydberg-Zustände eingefangen.
Ein Einfang in niedrigere n ist nicht möglich, da kein weiterer Stoßpartner die überschüssige
frei werdende Bindungsenergie abführen kann. Abschließend sei noch die strahlungslose DreiKörper-Rekombination (engl. three body recombination, TBR) erwähnt
Aq+ + e− + e− → A(q−1)+ + e−′ .
(7.7)
Sie findet unter Beteiligung eines weiteren Elektrons statt, welches zur Erfüllung der Energieund Impulserhaltung notwendig ist und ist vor allen Dingen bei geringen Stoßgeschwindigkeiten
sowie hohen Elektronendichten von Bedeutung.
7.1.2
1s-Lamb Shift Messungen in wasserstoffartigen Ionen
Der direkteste Zugang zur Grundzustands-Lamb-Verschiebung in hochgeladenen Ionen ist die
präzise Messung der emittierten Röntgenstrahlung beim Übergang von Elektronen aus dem Kontinuum oder angeregten gebundenen Zuständen in den Grundzustand. Üblicherweise benutzt
man die Lyman Übergänge, weil sie sehr intensiv und gut aufgelöst sind. In wasserstoffähnlichem
Uran trägt die Lamb-Verschiebung etwa 460 eV zur Gesamtbindungsenergie von 131,814 keV
146
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.6: Dielektronische Rekombination mit Anregung eines Elektrons aus einer Hauptschale
heraus (∆n 6= 0, H-artiges Ion, links) und innerhalb einer Hauptschale (∆n = 0, Li-artiges Ion,
rechts).
bei (vgl. Tab. 7.1. Erreicht werden soll im Experiment eine Auflösung mit der QED-Beiträge
zweiter Ordnung, also jenseits des 1-Photonen-Austausches, überprüft werden können. Dazu ist
eine experimentelle Genauigkeit in der Größenordnung von etwa 1 eV nötig. Die Abb. 7.7 zeigt
experimentelle Resultate der Grundzustands-Lamb-Verschiebung in wasserstoffähnlichen Ionen
und vergleicht sie mit der theoretischen Vorhersage. Die besten Experimente im Bereich der
hochgeladenen Ionen mit Z > 54 erlauben einen Test der QED in der ersten Ordnung in α mit
einer Genauigkeit von etwa 5%. Dies konnte kürzlich am Speicherring ESR der GSI deutlich
verbessert werden [Gumb2003].
An der GSI werden im Linearbeschleuniger UNILAC niedriggeladene Ionen auf eine Energie
von 11,4 MeV/u beschleunigt, Danach werden sie in einem Umladetarget höher geladen und in
das Schwerionensynchrotron (SIS) eingeschossen. Das SIS erlaubt es schwere Ionen auf bis zu 1,4
GeV/u zu beschleunigen und an nachgelagerte Experimente abzuliefern. Nach dem Synchrotron
ist die Ionenenergie ausreichend hoch, damit in einer Stripper-Folie weitere Elektronen weggerissen werden. Ab einer Energie von ca. 300 MeV/u kann so ein intensiver Strahlstrom vollständig
ionisierter Uranionen erzeugt werden. Die aus dem Synchrotron extrahierten Ionen können
in den Speicherring ESR eingespeist werden. Dort kann der heiße Ionenstrahl durch Wechselwirkung mit dem energiescharfen, gleich schnellen Elektronenstrahl des Elektronenkühlers
abgekühlt und gespeichert werden. Dieser brilliante Ionenstrahl steht nun für Experimente im
Speicherring zur Verfügung.
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
147
Abb. 7.7: Experimentelle Resultate zur 1s Lamb-Verschiebung in H-artigen Ionen und Vergleich
mit der theoretischen Vorhersage (Stand 2003) [Gumb2003]. Die Tabelle listet die Resultate für
U91+ die mit verschiedenen Methoden gewonnen wurden.
Im ESR befindet sich neben dem Elektronenkühler auch noch ein Gasjet. Hier wird ein
Überschall-Gasstrahl der in das ESR-Vakuum expandiert mit dem umlaufenden Ionenstrahl
gekreuzt. Dabei muss ein großer Aufwand betrieben werden, um zu verhindern, dass das Gas in
die angrenzenden ESR Sektionen diffundiert und dort das erforderliche Vakuum (10−11 mbar)
verschlechtert. Dies würde zu deutlich verkürzten Speicherzeiten für den Ionenstrahl führen.
Am Gasjet können gebundene Elektronen aus den Gasatomen, am Elektronenkühler die
freien Elektronen aus dem mitlaufenden Elektronnenstrahl durch die umlaufenden nackten Uranionen eingefangen werden. Radiative Rekombination führt zur Bildung angeregter Zustände
wasserstoffähnlichen Urans, die dann durch Emission weiterer Photonen in den Grundzustand
kaskadieren. An dieser Stelle sei kurz auf die Lebensdauer der 2s und 2p Zustände in wasserstoffähnlichen Ionen eingegangen, die in Abb. 7.8 dargestellt ist. Aus den Eperimenten zur
Zweiphotonenspektroskopie am Wasserstoff wissen wir, dass der 2s Zustand metastabil ist und
über einen Zweiphotonenzerfall (2E1) mit einer Lebensdauer von 0.15 s in den Grundzustand
zerfällt. Die Zerfallsrate des Zweiphotonenüberganges wächst ∝ Z 6 und reduziert die Lebensdauer für Uranionen bereits auf etwa 10−13 s. Allerdings wächst die M1 Übergangsrate sogar
∝ Z 10 und ist in wasserstoffähnlichem Uran der dominierende Zerfallskanal für den 2s Zustand, die Lebensdauer beträgt nur wenige fs. Die Z-Abhängigkeit des E1-Übergangs aus den
2p Zuständen ist weniger dramatisch, aber auch hier liegt noch eine Z 4 Abhängigkeit vor, die
Übergänge erfolgen in etwa 0,1 fs. Alle Zerfälle können daher als prompt angesehen werden.
Dies ist für den experimentellen Ablauf der Messungen von Bedeutung.
Die entstehenden Röntgenstrahlen werden mit einem Halbleiterdetektor nachgewiesen.
Die Photonen generieren im Halbleiter freie Ladungsträger (Elektronen und Löcher),
148
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.8: Niveauschema und Übergangsraten der ersten angeregten Zustände in H-artigem Ionen
Abb. 7.9: Experimenteller Aufbau für den Nachweis der 1s-Lamb-Verschiebung am Elektronenkühler des ESR.
welche als elektrisches Signal verstärkt und ausgewertet werden können. Die Zahl der produzierten Ladungsträger ist ein Maß für die Energie der einfallenden Photonen. Aus einer
Pulshöhenanalyse kann man daher die Photonenenergie bestimmen. Aufgrund der hohen
Geschwindigkeit der emittierenden Ionen, ist die Energie des Photons im Laborsystem durch
den relativistischen Dopplereffekt modifiziert und kann gemäß
E = ELab · γ · (1 − β cos θLab )
(7.8)
in das Ruhesystem des Atoms zurück transformiert werden. Dabei sind E und ELab die Photonenergien im Ruhesystem des Ions und im Laborsystem, θLab der Beobachtungswinkel im
Laborsystem, β = υ/c die Geschwindigkeit der Ionen und γ = (1 − β 2 )1/2 der relativistische
Faktor. Unsicherheiten in β und θLab beschränken die Genauigkeit mit der die Energie im
Ruhesystem bestimmt werden kann. Um diese Unsicherheiten zu reduzieren, wurden die Ionen
nach der Injektion in den Speicherring von etwa 360 MeV/u auf eine Energie von ca. 43 MeV/u
abgebremst.
Das Prinzip der Messungen ist in Abb. 7.9 dargestellt. Die Region im Elektronenkühler,
in der der Elektronen- und der Ionenstrahl überlappen, wird mit einem Germaniumdetektor
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
149
Abb. 7.10: Röntgenspektren abgebremster wasserstoffartiger Ionen am Elektronen-Kühler des
ESR gemessen in Koinzidenz mit umgeladenen Ionen.
unter einem Winkel von 0.55◦ , also quasi in Vorwärtsrichtung beobachtet. Dies reduziert den
Winkelfehler gegenüber einer Messung unter größerem Winkel, weil der Verlauf des cos um 0◦
herum sehr flach ist. Die Röntgenstrahlung, die beim Elektroneneinfang durch die nackten Uranionen entsteht, wird in Koinzidenz mit den umgeladenen Ionen nachgewiesen. Dazu befindet sich
hinter dem ersten Dipolmagneten nach der Kühlersektion eine positionsempfindlicher Detektor.
Ein typisches Spektrum ist in Abb. 7.10 gezeigt. Das Spektrum besitzt wegen des Koinzidenznachweises einen sehr kleinen Untergrund. Der Peak mit der höchsten Photonenenergie
entspricht dem direkten radiativen Einfang eines Elektrons in den 1s-Zustand (K-RR). Die beiden Linien mit der höchsten Intensität sind der charakteristischen Lyman-α Strahlung nach
einem L-RR zuzuordnen. Ihre Energien im Ruhesystem liegen bei etwa 130, bzw. 100 keV, die
im Spektrum aufgrund des Dopplereffektes aber zu 170 bzw. 130 keV blauverschoben sind. Im
Kühler werden aufgrund der niederen Relativenergien viele Zustände mit hohem n, ℓ erzeugt, die
zunächst in die L-Schale kaskadieren müssen bevor sie Ly-α Strahlung emittieren können. Diese
Kaskaden benötigen Zeit und die verzögerten Ly-α Quanten entstehen oft erst auf der etwa
3 m langen Strecke zwischen dem Elektronenkühler und dem Detektor und besitzen deshalb
wesentlich größere Winkel θLab und dementsprechend kleinere Dopplerverschiebungen. Dies
führt zu den langen Ausläufern der Ly-α Peaks zu kleineren Energien. Wegen des prompten
Zerfalls der L-Zustände kann die Koinzidenzzeit - also die Zeit die zwischen dem Nachweis des
Photons und dem des umgeladenen Ions vergeht - dazu benutzt werden, um diese verzögerten
Ereignisse zu diskriminieren.
Die Zeitauflösung des Photodetektors (≈20 ns) und die ”geringe” Ionengeschwindigkeit von
β ≈ 0.3 ermöglichen dies. Die Röntgenquanten die aus der direkten Besetzung stammen,
werden bereits im Elektronenkühler emittiert und die zugehörigen umgeladenen Ionen haben
eine entsprechend lange Flugzeit bis zum Detektor. Die Ionen, die die verzögerten Photonen
aussenden, befinden sich bereits hinter dem Kühler und kommen schneller am Detektor an.
In Abb. 7.11 ist ein Ausschnitt des Spektrums das mit der Bedingung einer langen Flugzeit
akkumuliert wurde. Der lange Schwanz zu niederen Energien kann damit eliminiert werden.
Abschließend sei noch erwähnt, dass die Linien bei kleineren Energien in Abb. 7.10 aus dem
150
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.11: Röntgenspektren abgebremster wasserstoffartiger Ionen am Elektronen-Kühler des
ESR unter Ausschluss verzögerter Röntgenquanten. Gegenüber Abb. 7.10 ist der langwellige
”Schwanz” der Lyman-Übergänge unterdrückt.
direkten Einfang in die L-Schale (L-RR) und aus Balmerübergängen stammen, wobei die Feinstruktur der Schale aufgelöst wird.
Aus den Spektren konnte ein Lamb-Verschiebung des Grundzustandes von 459, 8 ± 4, 2 eV
abgeleitet werden. Dies ist die zur Zeit genaueste Messung. In Abb. 7.12 sind die experimentellen
Resultate mit ihren Unsicherheiten als Funktion der Zeit aufgetragen und mit der theoretischen
Vorhersage (schwarze Linie) verglichen. Man beachte, dass sich auch die Theorie im Laufe der
Jahre verändert hat.
7.1.3
7.1.3.1
Experimente zur dielektronischen Rekombination
Experimenteller Aufbau und Durchführung
Zur Untersuchung von Stoßprozessen zwischen freien Elektronen und hochgeladenen, schweren
Ionen bis hinauf zu nacktem Uran gibt es weltweit zur Zeit nur zwei Experimentiereinrichtungen.
Zum einen ist dies die Super-EBIT (electron beam ion trap) in Livermoore und der Speicherring
ESR der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Die hier vorgestellten
Versuche zur Photorekombination lithiumähnlicher Ionen wurden am Experimentierspeicherring
(ESR) der GSI durchgeführt. Weitere Experimente zur DR fanden z.B. am Testspeicherring TSR
in Heidelberg und am Cryring in Stockholm statt.
7.1.3.2
Meßprinzip
Bei den Experimenten zur PR stellt der Elektronenkühler die benötigten Targetelektronen zur
Verfügung. Der Kühler hat somit zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen sorgt er dafür, daß
durch Coulomb-Stöße zwischen den heißen Ionen und den kalten Kühlerelektronen der Ionenstrahl eine niedrige Energieunschärfe und Divergenz erhält und auch beibehält. Ist der Ionen-
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
151
Abb. 7.12: Experimentelle Ergebnisse für die 1s Lamb-Verschiebung in H-artigem Uran im
Vergleich mit theoretischen Vorhersagen.
Elektronenkühler
Elektronenstrahl
Ionen-
Driftröhren
-5kV...+5kV
Dipolmagnet
Umladedetektor
strahl
q+
A
A(q-1)+
Abb. 7.13: Schematische Darstellung einer PR-Messung am Elektronenkühler eines Speicherrings. Im Kühler sind Elektronen(Target)- und Ionen(Projektil)strahl kollinear überlagert. Zum
Nachweis der PR werden die umgeladenen Reaktionsprodukte in Abhängigkeit von der Relativgeschwindigkeit der Teilchenstrahlen gezählt. Am ESR Kühler dient ein Driftröhrenpaar
dazu, die benötigte Relativenergie zu erzeugen.
strahl gekühlt, haben Elektronen und Ionen dieselbe mittlere Geschwindigkeit. Zum anderen
dient der Kühler gleichzeitig als Elektronentarget. Um nun eine gewisse Relativenergie zwischen Elektronen und Ionen zu erzeugen, wird der Kühler für eine definierte Zeit jenseits der
Kühlbedingungen betrieben, d.h. er wird gezielt verstimmt. Der Nachweis der PR kann nun entweder über das emittierte Licht oder über das umgeladene Projektilion erfolgen (vgl. Gleichung
7.4). Zusätzlich ist für die DR die Resonanzbedingung für den dielektronischen Einfang charakteristisch. Für den Nachweis von Photonen relativ niedriger Energie sind die experimentellen
Bedingungen am Elektronenkühler unvorteilhaft (hoher Untergrund an Bremsstrahlungsphotonen, geringer Raumwinkel). Bei DR Experimenten werden daher typischerweise die umgeladenen
Ionen nachgewiesen, die sich in den Dipolmagneten des Rings leicht vom Primärstrahl trennen
lassen (Abbildung 7.13).
152
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Die rekombinierten Ionen verlassen den Reaktionsbereich als schneller, gebündelter Teilchenstrahl und können leicht vollständig detektiert werden, so daß eine absolute Bestimmung der
Rekombinationswahrscheinlichkeit möglich ist. Als Maß für die Rekombinationswahrscheinlichkeit dient der Ratenkoeffizient α. α = hυ · σi ist das geschwindigkeitsgemittelte Produkt
aus Geschwindigkeit und Wirkungsquerschnitt. Der experimentelle Ratenkoeffizient an einem
Speicherring ist gegeben durch
2
RγIon
.
(7.9)
α=
NIon ne L/U
Darin ist R die Reaktionsrate der umgeladenen Teilchen, NIon die Anzahl der im Ring befindlichen Ionen, ne die Teilchendichte der Elektronen, L die Überlapplänge zwischen Elektronen2 )−1/2 ist der Lorentzfaktor
und Ionenstrahl und U der Umfang des Speicherrings. γIon = (1−βIon
des Ions mit βIon = vIon /c Geschwindigkeit des Ions in Einheiten der Lichtgeschwindigkeit. Im
Experiment werden statt ne und NIon die elektrischen Strahlströme Ie und IIon gemessen aus
denen sich die benötigten Größen aber extrahieren lassen.
Kurz zusammengefaßt besteht das PR-Experiment am Speicherring darin, das Verhältnis der
Reaktionsrate zu den Strömen der Ausgangsteilchen in Abhängigkeit von deren Relativenergie zu
bestimmen. Die Zentroide der gemessenen Resonanzen erlauben dann detaillierte Rückschlüsse
auf die atomare Struktur.
Um die Relativenergie zwischen Elektronen- und Ionenstrahl zu ändern, werden an die
Driftröhren, die sich im Inneren des Kühlsolenoids befinden (vgl. Abbildung 7.13), Spannungen zwischen -5 kV und +5kV angelegt. Die Kühlerelektronen werden dadurch abgebremst
oder beschleunigt. Auf die um mehrere Größenordnungen schwereren Ionen hingegen hat dieses
Potential praktisch keinen Einfluß. Die Energieskala wird durch die Netzgeräte bestimmt, welche
die Geschwindigkeit des Elektronenstrahls festlegen, da die Geschwindigkeit eines gekühlten Ionenstrahls der des Elektronenstrahls entspricht. In einer PR-Messung kann die Relativenergie
0 sehr exakt bestimmt werden, da hier der RR-Wirkungsquerschnitt divergiert und somit der
gemessene RR-Ratenkoeffizient ein schmales, ausgeprägtes Maximum besitzt.
Die Strahlenergien von Elektronen- und Ionenstrahl werden im Experiment im Laborsystem
bestimmt. Für die Bestimmung der Anregungsenergien des Ions müssen die Laborenergien in
das Schwerpunktssystem von Elektron und Ion transformiert werden. Man erhält
ECM =
h
m0,e c2
2
+ m0,i c2
2
i1/2
+ 2Ee Ei (1 − βe βi cos Θ)
.
(7.10)
Dabei ist E die Gesamtenergie E = γm0 c2 , Θ ist der Winkel zwischen den Dreiervektoren
von Elektronen- und Ionenimpuls. Werden von ECM noch die Ruhemassen des Ions und des
Elektrons subtrahiert, erhält man die gesuchte ”kinetische” Schwerpunktsenergie
ECM . Eine
√
Näherungsformel für niedrige Schwerpunktsenergien ECM ≪ 30 · A MeV lautet
q
γCM = γe γi − (γe2 − 1) · (γi2 − 1) cos Θ.
(7.11)
Aus der relativistischen Energie-Masse-Beziehung γ = 1 + E/m0 c2 erhält man sofort die
gewünschte Energie.
Damit berechnet man, dass bei einer Kühlspannung von UK = 50 kV, entsprechend einer
Ionenenergie von 91,8 MeV/u, die Elektronen im Schwerpunktsystem eine Energie von etwa
±110 eV abdecken (siehe Abb. 7.14). Das negative Vorzeichen drückt aus, daß die Elektronen
bei einer negativen Driftrohrspannung langsamer fliegen als die Ionen. Bei positivem Vorzeichen
sind die Elektronen schneller. Diese Unterscheidung ist physikalisch allerdings bedeutungslos,
daher sind die DR Spektren symmetrisch um den Nullpunkt der Energieskala.
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
153
450
U Kathode = 50,0 kV; Kühlen @ UDrift = 0 V
U Kathode = 55,0 kV; Kühlen @ UDrift = -5 kV
400
350
Ecm [eV]
300
250
200
150
100
50
0
-5,0
-4,0
-3,0
-2,0
-1,0
0,0
1,0
2,0
3,0
4,0
5,0
U Drift [ kV ]
Abb. 7.14: Schwerpunktsenergie in Abhängigkeit der Laborenergie (Driftrohrspannung) bei einer
Kühlenergie von EK = 50 keV. Die durchgezogene Kurve wurde für den Fall berechnet, dass bei
einer Driftröhrenspannung von UDrift = −0 V gekühlt wird. Für die gestrichelte Kurve wurde
der Kühlpunkt technisch auf eine Spannung von UDrift = −5 kV gelegt um einen größeren
Energiebereich spektroskopisch erchließen zu können.
Zur Variation der Relativenergie wird an die Driftrohre eine schnelle Abfolge von Meßund Kühlspannungen angelegt. Nach jedem Meßpunkt von typisch 40 ms Dauer folgt eine
kurze Kühlperiode von 20 ms. Das Zwischenkühlen sorgt dafür, daß für jeden Meßpunkt die
Qualität und Energie des Ionenstrahls dieselbe ist. Ohne diese Zwischenschritte würde sich der
Ionenstrahl durch Stöße der Ionen untereinander allmählich aufheizen, und die Kühlkraft die Ionengeschwindigkeit in Richtung der Elektronengeschwindigkeit bei den Meßpunkten verändern.
7.1.3.3
Bestimmung der Lamb-Verschiebung
Die Bestimmung der 2s1/2 − 2p1/2 Aufspaltung besitzt den Reiz, daß die radiativen Korrekturen bei schweren Ionen einen großen Anteil der Energieaufspaltung ausmachen und bietet
darüberhinaus die Gelegenheit QED-Rechnungen über die erste Ordnung in α hinaus zu testen.
Die grundlegende Idee zur Bestimmung einer Anregungsenergie mit Hilfe der DR basiert
darauf, daß für den doppelt angeregten Zwischenzustand, bei einem Einfang des freien Elektrons in einen hochangeregten Zustand die Wechselwirkung zwischen dem Rydberg-Elektron
und den Rumpfelektronen gering ist. Für n → ∞ ist diese Wechselwirkung per Definition nicht
mehr vorhanden, so daß eine Extrapolation der Resonanzenergien zur Seriengrenze die Anregungsenergie ergibt. Die Energien ERes (n) der einzelnen Rydberg-Resonanzen lassen sich dann
in folgender Form schreiben:
ERes (Z, n, αi ) = E∞ (Z) − EB (Z, n, αi ).
(7.12)
Darin ist E∞ (Z) = E(k → m, Z) die Energie der Anregung von Zustand |ki nach |mi, für
die hier noch explizit die Abhängigkeit von der Kernladung Z angegeben ist. Für die Bestimmung der 2s Lamb-Verschiebung ist beispielsweise k → m der Übergang 2s1/2 → 2p1/2 . Die
154
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
ERes (Z, n, αi ) sind die Energielagen der einzelnen DR-Resonanzen der Rydberg-Serie, wobei αi
ein Satz weitere möglicher Parameter ist. Man muß also die Resonanzenergien möglichst exakt
bestimmen und kann dann durch eine Anpassung einer Funktion für die Bindungsenergie an die
Resonanzenergien die Seriengrenze aus einer Extrapolation gewinnen. Im speziellen Fall einer
Rydberg-Serie ist die Abhängigkeit der Bindungsenergien von der Hauptquantenzahl n sehr gut
bekannt.
Abbildung 7.15 verdeutlicht diese Methode am Beispiel eines DR-Spektrums für die
2
1s 2p1/2 nℓj -Resonanzen (n ≥ 23) für die DR in Au76+ . Die Positionen der Resonanzen sind
durch graue Dreiecke markiert und in Abhängigkeit von 1/n2 aufgetragen (rechte Ordinate).
Nimmt man für die Bindungsenergien eine einfache 1/n2 -Abhängigkeit wie im Bohrschen
Atommodell an, ergibt der Schnittpunkt der angepaßten Geraden den Wert für die Seriengrenze.Allerdings muß man, wenn eine hohe Genauigkeit gefordert ist, die Feinstruktur der
Resonanzzustände berücksichtigen.
Um einen Eindruck von der Präzision dieser Messungen zu geben, sei hier beispielhaft der
ermittelte Wert für die 2s1/2 − 2p1/2 Lambshift in 197 Au76+ angegeben
216, 134 ± 0, 029 (stat) ± 0, 039 (model) ± 0, 028 (syst) eV
der in guter Übereinstimmung mit der theoretischen Vorhersage von
216, 17 ± 0, 13 ± 0, 11 eV
2,0
α [ willk. Einheiten ]
n=23
n=24
n=25
Au
75+
2
(1s 2p1/2nj)
1,5
n=35
80
100
120
140
160
180
200
220
2
60
1,0
1000/n
E (2s1/2- 2p1/2 )
n=30
0,5
0,0
Relativenergie [ eV ]
Abb. 7.15: Schematische Darstellung der Idee zur Bestimmung der Lamb-Verschiebung am
Beispiel der DR von Au76+ . Die grauen Dreiecke geben die Positionen der Resonanzen in
Abhängigkeit von der Hauptquantenzahl n an (rechte Skala). Zur vereinfachten Darstellung
wurde für die Extrapolation eine 1/n2 -Abhängigkeit (Bohrsches Atommodell) der Bindungsenergien angenommen. Anm.: In der tatsächlichen Auswertung der Experimentdaten wurden die
Dirac-Bindungsenergien nach Gleichung 7.1 verwendet.
155
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
ist. Entsprechende Messungen wurden an der GSI in Darmstadt neben Gold auch für 208 Pb79+
und 238 U89+ durchgeführt und zeigen vergleichbar gute Übereinstimmungen mit der Theorie.
7.1.3.4
Bestimmung von Ladungsradien
Abbildung 7.16 demonstiert die Sensitivität der DR-Messungen auf die Ausdehnung des Atomkerns. Dazu wurde für die U88+ (1s2 2p3/2 5ℓ5/2 )-Resonanzgruppe eine DR-Rechnung unter
Verwendung von RKern = 5, 86 fm für den Ladungsradius des Atomkerns von 238 U und
RKern = 5, 81 fm für 233 U durchgeführt. Die Aufspaltung zeigt die Feinstruktur des Spektrums auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Man erkennt, dass die beiden Spektren gleich aussehen, aber gegeneinander verschoben sind. Diese Verschiebung ist auf die unterschiedlichen Kernvolumenbeiträge zurückzuführen und kann genutzt werden um die Unterschiede im Ladungsradius zwischen verschiedenen Isotopen zu bestimmen. Für eine absolute
Bestimmung von RKern aus der Form der DR-Spektren reicht die Genauigkeit der theoretischen
Vorhersagen zurzeit allerdings noch nicht aus.
7.1.4
Die Hyperfeinstruktur wasserstoffähnlicher Systeme
Beim Wasserstoffatom ergeben sich im Grundzustand durch die Wechselwirkung des Elektrons
mit dem magnetischen Moment des Protons zwei Hyperfeinniveaus. Die Drehimpulsquantenzahlen j = 1/2 für das Elektron und I = 1/2 für das Proton resultieren in den möglichen
Gesamtdrehimpulsen F = 1 für parallele Einstellung und F = 0 für antiparallele Einstellung
von Elektronen- und Kernspin (Abb. 7.17). Für die beiden Hyperfeinniveaus erhält man mit
Theorie (T. Steih et al.) :
238 89+
U ; rms = 5,86 fm
233 89+
U ; rms = 5,81 fm
kT ||=0,2 meV
kT ⊥ = 120 meV
-1
6,0
5,0
89+
)
D1+F1
4,0
2,0
n=23
3,0
D2
-9
7,0
3
α [ 10 cm s ]
8,0
U
F2+F4
9,0
238
D3+F3
Diese Arbeit (DR von
D4
10,0
1,0
0,0
68
70
72
74
76
78
80
82
84
Relativenergie [eV]
Abb. 7.16: Einfluß des Kernradius auf die DR von U89+ . Für die durchgezogene Linie wurde
RKern = 5, 86 fm (238 U ) verwendet, für die gestrichelte RKern = 5, 81 fm (233 U ).
156
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
der Hyperfeinkonstante A
EHFS (F
EHFS (F
3
= 0) = E1s1/2 − A
4
1
= 1) = E1s1/2 + A
4
(7.13)
(7.14)
Zur Beschreibung der Hyperfeinstruktur (HFS) alkaliähnlicher Atome wurden bereits von
Fermi und Breit Rechnungen mit quantenmechanischen Methoden ausgeführt. Hier wurde
vorausgesetzt, da sich der Kern durch eine elektrische Punktladung und einen magnetischen
Punktdipol darstellen lässt. Daraus ergibt sich die Fermiformel der HFS
∆E =
8 hcR∞ α2 Z 3 me
gI
3
n3
mp
(7.15)
(wobei R∞ die Rydbergkonstante, α die Feinstrukturkonstante, gI den g-Faktor des Protons,
me die Masse des Elektrons und mp die Masse des Protons angibt). Die 1s-HFS des Wasserstoffatomes selbst ist durch die 21 cm Linie aus der Astronomie bekannt und stellt mit dem
Wasserstoffmaser einen wichtigen Frequenzstandard dar. Da der A-Faktor proportional zu Z 3 /n3
ist, wächst in wasserstoffähnlichen hochgeladenen Ionen die HFS-Übergangsenergie stark an und
liegt für Z ≈ 60 im optischen Bereich. Dies ist in Abb.7.18 zu sehen. Eine präzise Berechnung
der Aufspaltungsenergie bei hoher Kernladung ist nicht mehr mit der ”Fermi-Formel” möglich.
In einer vollständigen Beschreibung der Hyperfeinstruktur muss die endliche Kernmasse
berücksichtigt werden, die zu einer Bewegung von Kern und Elektron um den gemeinsamen
Schwerpunkt führt. Weiterhin ist die Kernausdehnung mit einzubeziehen, die dann auch Abweichungen des magnetischen Moments des Kerns gegenüber dem einfachen Punktteilchenmodell
zur Folge hat. Schliesslich erhält man noch einen Beitrag der QED gebundener Zustände wenn
man die Felder quantisiert. Alle diese Effekte können in der ”Fermiformel” als Korrekturen
eingefügt werden:
me F (F + 1) − I (I + 1) − j (j + 1)
me c2
mp
2j (j + 1)
h
α
i
(Zα)3
× 3
M A (Zα) (1 − δ) (1 − ǫ) +
∆EQED .
n (2l + 1)
π
∆EHF S = αgI
Hier die einzelnen Korrekturen im Überblick:
• Korrektur durch endliche Kernmasse, M
Abb. 7.17: Die Hyperfeinstruktur des Wasserstoffgrundzustandes 1 2 S1/2
(7.16)
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
157
Abb. 7.18: Die Hyperfeinstrukturaufspaltung wasserstoffähnlicher Schwerionen. Für Z > 60
liegt die Übergangsenergie im optischen Bereich und kann mit laserspektroskopischen Methoden
untersucht werden.
• Relativistische Effekte, A (Zα)
• Breit-Rosenthal-Effekt, (1 − δ): Beitrag infolge der endlichen Kernausdehnung und der
daraus resultierenden Ladungsverteilung
• Bohr-Weisskopf-Effekt, (1 − ǫ): Beitrag durch die Abweichung der Verteilung des magnetischen Moments des Kerns von dem eines Punktteilchen
• Quantenelektrodynamische Korrektur,
α
π
∆EQED
Neben der Aufspaltungsenergie ist auch die Lebensdauer der höher liegenden Hyperfeinzustände wichtig. Die Übergangswahrscheinlichkeit in Wasserstoff ist, wie eben geschildert,
extrem klein und würde die Laserspektroskopie an den hochgeladenen Ionen unmöglich machen.
Glücklicherweise skaliert τ aber mit Z −9 und dementsprechend liegen die Lebensdauern
typischerweise in der Größenordnung ms. Im Gegensatz zu den Ly-α Photonen bedeutet dies
dennoch, dass nach erfolgter Anregung die Ionen das Fluoreszenslicht über viele 100 Umläufe
im Speicherring emittieren. Ein Umstand, der zu einer relativ geringen Nachweiseffizienz für
die Fluoreszensphotonen führt.
7.1.4.1
Laserspektroskopie der Grundzustands-HFS
Bei der Laserspektroskopie an relativistischen Ionen am Speicherring muss neben der Dopplerverschiebung gemäß Gl. 7.8 auch die Abberationsbeziehung berücksichtigt werden. Diese besagt,
158
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.19: Relativistische Abberation: Das unter dem Winkel θ ′ von der bewegten Lichtquelle
emittierte Licht wird vom ruhenden Beobachter unter dem Winkel θ gesehen.
dass die von einer bewegten Lichtquelle Q’ unter einem bestimmten Winkel θ ′ ausgesandten Photonen vom ruhenden Beobachter unter einem anderen Winkel θ gesehen werden (siehe Abb. 7.19):
cos θ =
cos θ ′ + β
1 + β cos θ ′
(7.17)
Aufgrund dieser Aberrationsbeziehung erhält man eine vom Beobachtungswinkel abhängige Intensität der bewegten Lichtquelle, die sich im ruhenden System als isotrop darstellen würde (siehe
Abb. 7.20). Die Lichtverteilung scheint in Vorwärtsrichtung konzentriert zu sein. Bewegt sich
die Lichtquelle mit nahezu Lichtgeschwindigkeit, erhält man einen scheinwerferartigen Lichtkegel
(”Boost”) in Vorwärtsrichtung. Für das Verhältnis der Strahlungsintensitäten zwischen der Intensität einer ruhenden Lichtquelle und der einer bewegten Lichtquelle in Abhängigkeit des
Beobachtungswinkels ergibt sich
I(θ)
sin θ ′ δθ ′
1 − β2
=
=
.
I(θ ′ )
sin θ δθ
(1 − β cos θ)2
(7.18)
Bei einem Nachweis der in Bewegungsrichtung emittierten Ionen weist man bei υ/c = 0, 6
in einem Raumwinkelelement 16 mal mehr Photonen nach als in einem gleich großen
Raumwinkelelement in Rückwärtsrichtung.
Die Messung der Aufspaltungsenergie der Grundzustands-Hyperfeinstruktur an wasserstoffähnlichen Schwerionen soll hier am Beispiel 207 Pb81+ diskutiert werden. Das Messprinzip
beruht auf einer resonanten Laseranregung der Ionen aus dem unteren Hyperfeinniveau mit
F = 0 in das obere mit F = 1. Die anschließende zeitlich mit dem gepulsten Laser korrelierte Beobachtung des Fluoreszenzlichtes des spontanen Zerfalles in das untere Niveau stellt
den Nachweis für die erfolgte selektive Anregung dar.
Für die Laseranregung muss berücksichtigt werden, dass der zu untersuchende M1-Übergang
der HFS eine extrem lange Lebensdauer von etwa 50 ms und damit eine geringe Übergangsrate
hat. Die eigentlich sehr geringe natürliche Linienbreite von δν ≈ 3 Hz ist allerdings durch
die Impulsverteilung der Ionen (∆p/p ≈ 10−4 ) extrem dopplerverbreitert. Um bei der Suche
nach der Resonanzlinie möglichst viele der gespeicherten Ionen anzuregen, ist daher eine hohe
Laserleistung bei gleichzeitig großer spektraler Breite erforderlich. Diese Anforderungen können
nur durch den Einsatz gepulster Laser erfüllt werden.
Die Speicherung der Ionen im ESR erfolgt bei einer Injektionsenergie von 220 MeV/Nukleon,
was etwa 60% der Lichtgeschwindigkeit entspricht. Aufgrund der Dopplerverschiebung muss die
7.1. SPEICHERRING-EXPERIMENTE MIT HOCHGELADENEN IONEN
159
Abb. 7.20: Dem ruhenden Beobachter stellt sich eine schnell bewegende isotrope Lichtquelle
als scheinwerferartiger Lichtkegel dar. In der Grafik ist das Intensitätsverhältnis I(θ)/I(θ ′ ) als
Funktion des Beobachtungswinkels θ im Laborsystem für eine Ionengeschwindigkeit υ = 0, 6c
dargestellt.
Laseranregung bei einer um den Faktor 2 Doppler-verschobenen Übergangswellenlänge erfolgen.
Bei der hier zu untersuchenden Resonanzwellenlänge von etwa 1020 nm bietet sich die parallele
Laseranregung an, da in diesem Falle die Frequenz im Laborsystem in den leicht zugänglichen
sichtbaren Bereich bei etwa 530 nm verschoben ist. Für die Messungen wurde ein frequenzverdoppelter Nd:YAG Laser bei 532.22 nm (Festfrequenzlaser) eingesetzt. Auf den beiden
Längsseiten des ESR ist es möglich, dem Ionenstrahl einen Laserstrahl kollinear zu überlagern,
wobei die Einstrahlung des Laserlichtes parallel oder antiparallel zur Bewegungsrichtung der
Ionen erfolgen kann. An den entsprechenden Vakuumkammern sind Fensterflansche angebracht.
An einer Längsseite befindet sich zwischen den Quadrupol-Fokussiermagneten eine ca. 10 m
lange Experimentierstrecke, die frei von elektrischen und magnetischen Feldern ist und in die
das optische Nachweissystem für Fluoreszenzlichtexperimente eingebaut ist. Dieses Nachweissystem wurde dafür optimiert, möglichst viele der nach vorne gebündelten Photonen auf drei
senkrecht zum Ionenstrahl stehende Photomultiplier abzubilden. Die Suche nach der Resonanzlinie wurde durch die Veränderung der kinetischen Energie der Ionen, d.h. durch Ausnutzung
der geschwindigkeitsabhängigen Doppler-Verschiebung durchgeführt. Dazu kann die Energie am
Elektronenkühler über einen gewissen Bereich variiert werden.
Bei der Fluoreszensspektroskopie ist die Vermeidung von Laserstreulicht und anderen Untergrundsignalen auf den Detektoren äußerst wichtig. Dazu wurden bei den Messungen am
Speicherring zwei Methoden eingesetzt: Zunächst erlaubt die lange Lebensdauer des angeregten
Niveaus eine räumliche Separation der Anregungsstrecke vom optischen Nachweis. Innerhalb
einer Halbwertszeit umlaufen die Ionen den Ring viele hundertmal, so dass man keine Signalverluste zu erwarten hat, wenn - wie in Abb. 7.21 gezeigt - die Lasersnregung auf der Seite des Elektronenkühlers stattfindet. Außerdem wurde mit Hilfe zweier HF-Resonatoren der kontinuierliche
Strahl im ESR zu zwei ”Bündeln” (Bunches) komprimiert. Wenn man an die Resonatoren eine
Frequenz anlegt, die der Umlauffequenz der Ionen (oder einer höheren Harmonischen) entspricht,
so sehen die Ionen im vorderen Teil des Bunches eine abbremsende Spannung während die im
hinteren Teil etwas beschleunigt werden. Dadurch können alle im ESR umlaufenden Ionen zu
zwei je etwa 10 m langen Bunchen vereinigt werden. Nun wird der gepulste Laser mit einem der
beiden Bunche synchronisiert, so dass nur diese Ionen angeregt werden während die Ionen im
zweiten Bunch keine Wechselwirkung mit Laserlicht erfahren. Die Signale der Photomultiplier
werden dann für die beiden Bunche getrennt gesammelt und ausgewertet. Der ”Messbunch” wird
160
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.21: Aufbau zur Messung der 1s-HFS an 207 Pb81+ am ESR in Darmstadt. Der Ionenstrahl
mit zwei Bunchen wird mit dem Laserstrahl in einem Bunch bei 532 nm angeregt. Die Ionen in
dem zweiten Bunch werden nicht angeregt. Das von Ihnen verursachte Signal dient zur Messung
und Korrektur des ionenstrahlinduzierten Untergrundes.
Abb. 7.22: Resonanzsignal der 1s-HFS von 207 Pb81+ . Für das Spektrum wurden die Signalraten von drei Photomultipliern berücksichtigt. Die durchgezogene Linie zeigt einen Fit einer
Gaußkurve an das Resonanzsignal. Die Breite der Resonanzkurve resultiert aus der Faltung der
Impulsverteilung der gespeicherten Ionen mit der spektralen Breite des Lasers (6 GHz).
im Falle der resonanten Anregung das Untergrundsignal (verursacht z.B. durch Stoßanregung bei
Kollision mit Restgasatomen) und das Resonanzsignal enthalten, während beim Durchlauf des
Referenzbunches durch die Nachweisregion nur ein Untergrundsignal erzeugt wird. Durch die
Differenzbildung der beiden Signale kann dann das Resonanzsignal isoliert werden. Dies ist auf
der rechten Seite von Abb. 7.21 dargestellt. Abbildung 7.22 zeigt ein Resonanzsignal nach der
7.2. PRÄZISIONSMASSENSPEKTROMETRIE
161
Akkumulation zahlreicher Spektren. Es besitzt eine Linienbreite von 26 GHz, die Genauigkeit
der absoluten Übergangswellenlänge, die zu λ0 = 1019, 7(2) nm bestimmt wurde, ist durch die
Unsicherheit in der Geschwindigkeit der Ionen limitiert.
Neben der Hyperfeinaufspaltung von 207 Pb81+ wurde auch die des wasserstoffähnlichen Wismut 209 Bi82+ am ESR vermessen. Diese Isotope bieten sich für solche Untersuchungen an, da sie
eine Kernstruktur haben, die auf der des doppelt magischen 208 Pb aufbaut und dadurch relativ
gut theoretisch beschrieben werden kann. Dennoch limitieren die Korrekturen aufgrund der
Kernstruktur, insbesondere des Bohr-Weisskopf-Effektes, die Genauigkeit des QED-Tests. Dies
soll zukünftig durch den Vergleich der Aufspaltung in lithium- und wasserstoffähnlichen Ionen
verbessert werden, da in diesem Fall die Kernstruktur eliminiert werden kann. Entsprechende
Experimente am ESR werden zurzeit vorbereitet. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt,
dass ähnliche Messungen an einer EBIT durchgeführt wurden, wobei die Messungen allerdings
passiv mit einem Spektrometer durchgeführt wurden und nicht ganz die Auflösung der Laserspektroskopie erreichten. Für die Zukunft ist auch die Laserspektroskopie an gespeicherten,
kalten hochgeladenen Ionen in einer Penningfalle an der HITRAP-Anlage der GSI geplant.
Damit soll die Genauigkeit um mindestens zwei Größenmordnungen gesteigert werden. Experimente mit geladenen Teilchen in Ionenfallen sind äußerst vielfältig in der modernen Atomphysik.
Im Folgenden wird nur ein kleiner ausgewählter Teil etwas ausführlicher diskutiert.
7.2
Präzisionsmassenspektrometrie
Die Masse eines Atoms und die mit ihr verknüpfte Atom- bzw. Kernbindungsenergie ist eine
der fundamentalen Größen eines Atomkerns. Sie ist einzigartig wie ein Fingerabdruck, denn
jedes Nuklid tritt mit einem eigenen Massenwert auf, der sich von allen anderen unterscheidet.
Präzisionsmassenmessungen an kurzlebigen Nukliden machen beispielsweise Kernstruktureffekte
sichtbar, legen die Grenzen der Stabilität genauer fest und erlauben es, Kernmodelle zu testen
und ihre Vorhersagekraft zu verbessern. Darüber hinaus ermöglichen sie es, das Standardmodell
zu Überprüfen, insbesondere im Hinblick auf die schwache Wechselwirkung und die Unitarität
der Cabibbo-Kobayashi-Maskawa- Quarkmischungsmatrix, sowie die Nukleosynthese in der Astrophysik zu modellieren. Desweiteren sind präzise Massenwerte für zahlreiche Anwendungen,
die über die Kernphysik hinausgehen, wichtig. Massenmessungen an stabilen Atomen erreichen
heute relative Ungenauigkeiten von 10−11 . Diese extreme Genauigkeit ist zum Beispiel in der
Metrologie, für die Bestimmung von Fundamentalkonstanten oder einer Neudefinition des Kilogramms, von großer Bedeutung. Sie wird zudem für Tests der Quantenelektrodynamik und der
Ladungskonjugation, Paritäts- und Zeitinvarianz gefordert. Die Einführung von Penning-Fallen
in das Feld der Massenspektrometrie haben diese Methoden zur ersten Wahl auf dem Gebiet der
hochpräzisen Massenbestimmung von kurzlebigen und stabilen Nukliden gemacht. Dies zeigt
sich u.a. in der großen Anzahl an Fallen, die weltweit im Betrieb, im Aufbau oder in der Planung sind. Mit der Entwicklung und Anwendung von geeigneten Kühl- und Detektionsmethoden
besitzt die Speichertechnik das Potenzial höchste Sensitivität und Genauigkeit auch für extrem
kurzlebige Nuklide fernab der Stabilität zu erzielen. Im Folgenden wird besonderes Augenmerk
auf die Vielzahl der Anwendungen von präzisen Massenwerten in verschiedenen Gebieten der
Physik gerichtet.
Massenmessungen an kurzlebigen Radionukliden und hochgeladenen Ionen: Siehe
hierzu [Blau2005] und [Blau2006b]. Diese beiden Artikel sind im Anhang dieses Skripts mit
eingebunden und werden in der Vorlesung im Detail diskutiert. Als Übersichtsartikel zu diesem
Thema empfiehlt sich [Blau2006].
162
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Die Masse des Antiprotons: Mithilfe der Zyklotronfrequenz in einer Penning-Falle kann
man natürlich auch die Masse des gespeicherten Ions messen, sofern das Magnetfeld genau
genug bekannt ist. Am Antiprotonenspeicherring lear am cern ist es der Gruppe um G.
Gabrielse (Harvard) gelungen, Antiprotonen (die in Kollisionen bei mehr als 4 GeV erzeugt
werden müssen) abzubremsen und in eine Penning-Falle zu laden. Dort wurde dann durch die
Zyklotronfrequenz die Masse der Antiprotons mit der des Protons verglichen (Bild 7.23). Im
bisher letzten und genauesten Experiment [Gabr1999] wurde statt des Protons H− verwendet
und als Resultat kam heraus, dass die Ladungs-zu-Masse Verhältnisse für das Antiproton und das
Proton auf besser als 10−10 übereinstimmen. Dies ist der auf diesem Sektor genaueste Test des
CPT-Theorems welches besagt, dass alle physikalische Prozesse unter einer simultanen Paritäts-,
Ladungskonjugations- und Zeitumkehrtransformation invariant sind. Das CPT-Theorem kann
aus sehr grundlegenden Annahmen über Feldtheorien hergeleitet werden.
Abb. 7.23: (a) Vergleich der Masse des Antiprotons mit der seines Antiteilchens, des Protons.
(b) Malmberg-Falle zur Bestimmung der Masse des Antiprotons. Quelle: [Ghos1995, Gabr1999].
7.3. DAS G − 2 EXPERIMENT UND DIE ELEKTRONENMASSE
7.3
7.3.1
163
Das g − 2 Experiment und die Elektronenmasse
Das magnetische Moment des freien Elektrons:
In diesen Versuchen bestimmt man das anomale magnetische Moment des Elekrons (oder
Positrons, Müons). Derzeit ist dies der genaueste Test der Quantenelektrodynmaik (QED).
Im Magnetfeld der Penning-Falle hat man eine Zyklotronbewegung mit ωc = eB/me sowie eine
Spinpräzession. Die Spinzustände entsprechen Energien Es = −gms µB B, d.h. zum Spinumklappen ist eine Energie ∆Es = ge~B/2me notwendig, entsprechend einer RF-Frequenz ωs .
Durch Vergleich der Zyklotronfrequenz ωc mit der Spinumklappfrequenz ωs (auch Lamorfrequenz ωL = geB/(2me ) genannt) erhält man ωs /ωc = g/2. Gemessen wird im Experiment der
Frequenzunterschied ωa = ωs − ωc . In Realität ist es etwas komplizierter, da wie oben erwähnt,
die Frequenzen in der Penningfalle modifiziert sind. Experimentell hat man Zugriff auf
ωa′ = ωs − ωc + ω0− .
Die Anomalie des g-Faktors (d.h. die Abweichung von 2) wird dann gemessen durch
2 /2ω )
g−2
ωa′ − (ω0z
0+
=
.
2
2
ω0+ + (ω0z /2ω0+ )
Der momentan beste Werte (Gruppe von H. Dehmelt und R. VanDyck, University of Washington) ist
g −
(e ) = 1.001 159 652 188 4(4.3),
2
eine der am genauesten gemessenen Naturkonstanten überhaupt. Das System eines einzelnen
Elektrons in einer Penning-Falle wurde von Dehmelt Geonium genannt. Geonium ist in gewisser
Weise ein künstliches Atom, mit diskreten Anregungen entsprechend der Axial-, Zyklotron- und
Magnetronbewegung. Ein Niveaudiagramm ist in Abb. 7.24 gezeigt.
7.3.2
Die Elektronenmasse und das magnetische Moment des gebundenen
Elektrons:
Die Elektronenmasse ist eine der Fundamentalkonstanten der Physik. Entsprechend gibt es
viele, zumeist indirekte Ansätze zu ihrer Bestimmung. Physikern der Universität Mainz gelang
es jüngst, den Wert um einen Faktor vier zu verbessern [Beie2002, Voge2003]. Sie nutzten dafür
die Messung des anomalen magnetischen Moments des Elektrons in wasserstoffartigen Ionen
[Haef2000, Verd2004].
Die Elektronenmasse geht in die Beschreibung praktisch aller physikalischen Systeme ein.
In vielen Zusammenhängen, insbesondere auf mikroskopischen Skalen, muss ihr Wert mit größt
möglicher Genauigkeit bekannt sein. Jüngst durchgeführte Messungen an gespeicherten wasserstoffartigen Ionen, also Ionen mit nur einem einzigen Hüllenelektron, liefern den Wert der Elektronenmasse mit bisher unerreichter Präzision.
Durch Elektronenstoß-Ionisation wird aus dem jeweiligen Atom ein einzelnes wasserstoffartiges Ion, beispielsweise 12 C5+ [Haef2000] oder 16 O7+ [Verd2004], erzeugt. Dieses fängt man in
einer Penning-Falle ein (siehe Abb. 7.25), wo es bei etwa 4 K im Vakuum mehrere Monate lang
gespeichert werden kann. Die Speicherung erfolgt durch Kombination eines magnetischen Feldes,
welches das Ion durch die Lorentz-Kraft auf eine Kreisbahn zwingt, mit einem elektrischen Feld,
das ein Potentialminimum in der dazu senkrechten Dimension erzeugt. Dadurch ist das Teilchen
in allen drei Dimensionen in seiner Bewegung eingeschränkt.
164
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.24: Energiediagramm eine “Elektron-Geonium” in einer Penning-Falle.
[Ghos1995].
Quelle:
Die jeweils zugehörigen Bewegungsfrequenzen des Ions lassen sich mit sehr hoher Präzision
messen und geben Aufschluss über verschiedene Eigenschaften des Ions. Insbesondere kann der
Spinzustand des Elektrons in einem inhomogenen Teil des Magnetfeldes anhand der Bewegungsfrequenz bestimmt werden. Strahlt man Mikrowellen geeigneter Frequenz in die Falle ein, klappt
der Spin des Elektrons um. Die Frequenz, bei der die Wahrscheinlichkeit für ein Umklappen des
Spins maximal ist, gibt Aufschluss über den g-Faktor des gebundenen Elektrons.
Ziel der Messungen am gespeicherten Ion ist die Bestimmung des anomalen magnetischen
Moments des Elektrons in seiner Bindung an den Atomkern. Dies ist die Abweichung des gFaktors vom Wert 2, wie ihn Dirac 1928 für freie Fermionen vorhergesagt hat. Der g-Faktor
verknüpft das magnetische Moment µ des Elektrons mit seinem Drehimpuls j durch die Glei-
7.3. DAS G − 2 EXPERIMENT UND DIE ELEKTRONENMASSE
165
Abb. 7.25: Die an der Universität Mainz verwendete Penning-Falle zur Bestimmung des gFaktors des gebundenen Elektrons in hochgeladenen Ionen. Das Ion bleibt für mehrere Monate
in der Falle gespeichert. Quelle: Doktorarbeit J. Alonso und Doktorarbeit B. Schabinger.
chung:
µ=g
e
j,
2me
(7.19)
wobei e die elektrische Ladung und me die Elektronenmasse sind. Durch die Bindung des
Elektrons an den Atomkern wird der Wert g = 2 modifiziert. Hierbei spielt eine Vielzahl
von Effekten eine Rolle, welche insbesondere die Quanten-Elektrodynamik (QED) vorhersagt.
Für das Elektron in 16 O7+ ist der von Theoretikern der Gesellschaft für Schwerionenforschung
(GSI) in Darmstadt und der Universität von St. Petersburg in Russland ermittelte Wert gtheo =
2, 000 047 020 2(6) [Yero2002].
Am Institut für Physik der Universität Mainz ist nun die Resonanz der Spin-UmklappWahrscheinlichkeit des Elektrons als Funktion der eingestrahlten Mikrowellenfrequenz mit hoher Präzision gemessen worden [Verd2004]. Legt man den bislang genauesten Wert für die
Elektronenmasse zugrunde (m = 0, 000 548 579 911 0(12) u [Mohr2002]), so ergibt sich der Wert:
g = 2, 000 047 024 6(15)(44). Die erste in Klammern angegebene Unsicherheit von 1, 5 · 10−9 ist
die statistische und systematische Unsicherheit des Experiments. Der deutlich größere Fehler
in der zweiten Klammer von 4, 4 · 10−9 geht allein auf die Unsicherheit der dabei verwendeten
Elektronenmasse zurück.
Geht man davon aus, dass die QED den richtigen Wert von g liefert, so kann man umgekehrt
einen neuen Wert für die Masse des Elektrons aus dem jüngst gemessenen g-Faktor ableiten.
Man erhält m = 0, 000 548 579 909 3(3) u, entsprechend 9, 109 389 923(5) · 10−31 kg, also ein viermal genauerer Wert als zuvor [Beie2002]. Dieser neue Wert hat kürzlich Eingang in das neue
CODATA-Tabellenwerk gefunden [Mohr2005].
166
7.3.3
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Das magnetische Moment des Protons und Antiprotons:
Der zurzeit genaueste Wert des magnetischen Momentes des Protons, wie er in den “CODATA
Recommended Values of the Fundamental Physical Constants 2000* ” [Mohr2005] verzeichnet
ist, wird aus der gemessenen Hyperfeinstruktur im Grundzustand des Wasserstoffatoms inklusive einiger Bindungskorrekturen errechnet. Die angegebene Unsicherheit beträgt 1 · 10−8 . Mit
einer ähnlichen Methode wie beim g-Faktor des freien bzw. gebundenen Elektrons (in wasserstoffähnlichen hochgeladenen Ionen) diskutiert, lässt sich dieser Wert um ca. eine Größenordnung
genauer bestimmen. Dies ist von allgemeiner Bedeutung für ein möglichst präzises System
der Fundamentalkonstanten. Da die Messungen am freien Proton stattfinden sollen, können
darüber hinaus die theoretisch berechneten Bindungskorrekturen im Wasserstoffatom experimentell überprüft werden. Das unten erläuterte Messverfahren ist auf nahezu beliebige geladene
Teilchen anwendbar. Insbesondere kann es auf das Antiproton angewendet werden, und die dabei
erzielbare Genauigkeit ist identisch mit derjenigen am Proton. Der Vergleich der magnetischen
Momente kann als Test der CPT-Invarianz angesehen werden in der gleichen Weise, wie dies
etwa beim Vergleich der Massen von Proton und Antiproton oder der magnetischen Momente
von Elektron und Positron der Fall war (siehe Abb. 7.26). Voraussetzung für die Messungen
am Antiproton ist die Verfügbarkeit dieser Teilchen bei niedrigen Energien. Dies ist zur Zeit
am AD am CERN möglich bzw. ist Bestandteil der Ausbaupläne der GSI durch den NESR,
und die Bestimmung des g-Faktors des Antiprotons mit einer Genauigkeit von besser 10−9 , sechs
Größenordnungen besser als der derzeit beste Wert, stellt ein Schlüsselexperiment für die FLAIRAnlage an FAIR dar. Das Messverfahren beruht darauf, dass ein einzelnes Proton im starken
Magnetfeld einer Penning-Ionenfalle gespeichert und durch Beobachtung der in den Fallenelektroden induzierten Spiegelladungen nachgewiesen wird [Verd2005]. Durch Widerstandskühlung
mit supraleitenden, auf die Schwingungsfrequenz des Protons abgestimmten Resonanzkreisen
wird es auf die Umgebungstemperatur von 4.2 K abgekühlt. Das Magnetfeld am Ort des Protons
wird durch Bestimmung der Zyklotronfrequenz des Protons kalibriert. Das magnetische Moment
wird aus einer Messung der übergangsfrequenz zwischen den beiden Spinrichtungen des Protons
gewonnen. Die Spinrichtung wird mithilfe des “kontinuierlichen Stern-Gerlach-Effektes” bestimmt [Quin2004]. Dabei wird die axiale Oszillationsfrequenz des Protons gemessen, die sich
in einem inhomogenen Magnetfeld gemäß dem Spinzustand des Protons verschiebt. In Experimenten an wasserstoffähnlichen Ionen wurden diese Techniken entwickelt und erprobt, es
wurden statistische und systematische Unsicherheiten unterhalb von 10−9 bei der Bestimmung
der Frequenzen erzielt [Haef2000, Verd2004]. Die Anwendung des Verfahrens auf Antiprotonen
erfordert den externen Einschuss dieser Teilchen in die Penning-Falle. Nach elektromagnetischer
Abbremsung und Extraktion aus dem NESR und weiterer Reduzierung der Energie im LSRSpeicherring und in der HITRAP-Anlage, können die Antiprotonen durch geeignete Schaltung
der Käfigpotentiale eingefangen werden. Nach dem Einfang und der Isolierung eines einzelnen
Antiprotons ist das Experiment identisch mit dem Verfahren am Proton. Da die PenningFalle inklusive der Wände der Messapparatur auf der Temperatur flüssigen Heliums liegt, ist
das Vakuum hinreichend gut, um die kontinuierliche Speicherung eines Antiprotons über einen
Zeitraum von mehreren Monaten zu gewährleisten, wie dies bereits am CERN demonstriert
wurde. Die Apparatur zur Bestimmung des g-Faktor des Protons bzw. Antiprotons befindet
sich zur Zeit in meiner Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Gruppe um J. Walz (Universität Mainz) und W. Quint (GSI Darmstadt) im Aufbau. Die Falle zur Speicherung der Teilchen
wurde teilweise am Institut für Mainzer Mikrotechnik gefertigt und ist inzwischen fertiggestellt.
Abb. 7.27 zeigt die speziell entwickelte Penning-Falle.
167
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
magnetic moment (g - 2)
e+ e -
(g - 2)
μ+ μ-
q/m
e+ e-
charge/mass
mass difference
1s–2s two-photon spectroscopy
10-18
10-15
10-12
10-9
rel. precision
p
p
K0 K0
H H
10-6
Abb. 7.26: Vergleich verschiedener CPT-Tests an unterschiedlichen Systemen.
7.4
Laserkühlen am Speicherring ESR
Ionen die in Fallen oder Speicherringen gespeichert sind, können bei ausreichender Kühlung
kristalline Strukturen annehmen. Der Grund hierfür ist offensichtlich: Ionen tragen elektrische Ladung und streben aufgrund der Coulomb-Abstoßung nach größtmöglichem Abstand
zueinander (im Fall gleichnamiger Ladung). Auf die Idee der Ionenkristalle kam man durch
eine überraschende Beobachtung am NAP-M Speicherring in Novosibirsk [Park1984] in
den frühen 80-er Jahren: elektronengekühlte Protonen zeigten eine plötzliche Abnahme der
Strahlbreite, die nicht durch Protonenverlust oder ein anderes Phänomen erklärt werden konnte.
Unglücklicherweise brannte der Speicherring ab, bevor weitere Experimente duchgeführt werden
konnten. Durch dieses überraschende Ergebnis wurden jedoch die Theoretiker angeregt, die
Wahrscheinlichkeit der Ausbildung eines Ionenkristalls innerhalb eines begrenzenden Potentials
zu berechnen. Die Berechnungen zeigten, dass es möglich sein könnte, Ionenkristalle und sogar
kristalline Ionenstrahlen zu produzieren. Bald darauf wurde mit Experimenten in Ionenfallen
und an Speicherringen begonnen. Im Jahr 1993 gelang es der Gruppe von H.Walther [Walt1993]
als erster, durch Anwendung von Laserkühlung Ionenkristalle in einer Falle zu beobachten.
Bislang waren Experimente an Speicherringen zur Erzeugung von kristallinen Ionenstrahlen
noch nicht erfolgreich, aber CRYRING [Dana2002] und andere Schwerionen-Speicherringe
konnten einige flüssige Strukturen in ihren Strahlen ausbilden. Im Jahr 2001 gelang eine zweite
Annäherung an die Produktion von kristallinen Ionenstrahlen. Die Gruppe von D.Habs war in
der Lage, einen kristallinen Ionenstrahl[Habs2001] in ihrer ringförmigen Paulfalle PALLAS zu
produzieren. PALLAS ist ein Akronym für PAul LAser Acceleration System).
Die gleiche Gruppe führt auch Experimente am TSR in Heidelberg und am ESR in Darmstadt durch um die Möglichkeiten der Laserkühlung an relativistischen Ionen zu untersuchen.
Kristalline Ionenstrahlen sind von sehr praktischem Interesse Insbesondere im Bereich von Speicherringen und Beschleunigerphysik würde die Kollektivbewegung und die geringe Dimension
168
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
1 cm
Ring Elektrode
Abb. 7.27: Zusammenbau der zylindrischen Penning-Falle zur Bestimmung des g-Faktors
des Protons/Antiprotons. Ein Teil der Fallenkomponenten wurden aufgrund der hohen
Präzisionsanforderung und der Kleinheit der Teile am Institut für Mainzer Mikrotechnik (IMM)
gefertigt. Die Elektroden sind aus hochreinem sauerstofffreiem Kupfer hergestellt (mit dünner
Goldschicht), die Isolierringe aus Saphir. Rechts ist eine geschlitzte Ringelektrode zu sehen mit
einem menschlichen Haar als Größenvergleich. Quelle: Doktorarbeit S. Kreim und Diplomarbeit
S. Ulmer.
der kristallinen Ionenstrahlen von großem Vorteil sein. Bei Speicherringen rechnet man mit einer
Verbesserung von 4-6 Größenordnungen in der Emittanz und die Kollektivbewegung würde eine
Erhöhung der Speicherdauer der Ionenstrahlen ermöglichen.
Zum Verständnis dieser Arbeiten ist etwas Grundlagenwissen über Speicherringe erforderlich.
In diesem Abschnitt wird eine kurze Zusammenfassung gegeben, die sich an die Darstellung in
der Dissertation von P. Merz [Merz1998] anlehnt. Eine breitere und umfassendere Diskussion
des Themas findet sich beispielsweise in [Schr2004, Blau2006].
7.4.1
Die Ionendynamik im Speicherring
Die Ionenbewegung im Speicherring ist bestimmt durch die Anordnung der magnetischen
Führungsfelder, dem ”lattice”. Diese Felder werden durch Magnete unterschiedlicher Multipolordnung erzeugt, wobei Dipolmagnete (homogenes B-Feld) zur Strahlumlenkung und
Quadrupolmagnete (radialer B-Feld Gradient für kleine Abweichungen vom Zentrum) zur
Fokusierung des Ionenstrahls unabdingbar sind. Bei der Beschreibung der Ionenbewegung geht
man zunächst von dem Referenzorbit (=Sollbahn) aus. Ein Ion, das sich zu einem Zeitpunkt mit
dem richtigen Impuls (Sollimpuls) auf dieser Bahn befindet, folgt dieser geschlossenen Trajekto-
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
169
rie auf unbestimmte Zeit. Die Bewegung eines Ions, das nicht der Sollbahn folgt, wird durch die
Koordinaten (x, s, z) beschrieben (Abb. 3.2). x ist dabei die Abweichung des Bahnradius r vom
Radius der Sollbahn ρ: r = ρ + x. s ist die Weglänge längs der Bahn, und z die vertikale Koordinate, wobei für die Sollbahn z = 0 gilt. Die transversalen Geschwindigkeitskomponenten sind
dabei klein gegenüber der longitudinalen Geschwindigkeit (tangential zur Bahn) und werden in
der linearen Näherung vernachlässigt:
p0
(7.20)
s = υt =
m
p0 ist der Soll-Impuls. Die möglichen Abweichungen ∆p vom Sollimpuls liegen in einem relativ engen Bereich, weil sich dadurch der Krümmungsradius in den Dipolmagneten ändert und
die Strahllage horizontal verschoben wird. Der Impuls eines beliebigen Teilchens kann dann
geschrieben werden als
∆p
p = p0 1 +
(7.21)
p0
Auch wenn sich die Ionen mit dem Sollimpuls bewegen ist die Sollbahn nur eine mögliche Trajektorie. Im allgemeinen haben die Ionen eine horizontale- und transversale Abweichung von
der Sollbahn, was zu sogenannten Betatron-Oszillationen führt, Schwingungen um die Sollbahn
herum. Für ∆p = 0 sind die Bewegungsgleichungen in s und z beide von der Form
y ′′ + K(s)y = 0
(7.22)
K(s + L) = K(s)
K(s) ist eine periodische Funktion auf dem Speicherring-Umfang und wird durch das Lattice
bestimmt.
(
1
−k(s) + ρ(s)
2 horizontal
K(s) =
.
(7.23)
k(s) vertikal
Dabei ist
ρ(s) =
(
ρ in den Dipolmagneten
0 ausserhalb
und k(s) die Fokussierstärke in den Quadrupolmagneten
(
k in den Quadrupolmagneten
k(s) =
0 ausserhalb
(7.24)
(7.25)
Die Gleichung 7.22 ist eine Hill-Differentialgleichung und beschreibt die transversale Bewegung von Ionen mit ∆p = 0 in linearer Näherung. Die allgemeine Lösung hat die Form
p
y1,2 = a β(s)e±iΦ(s)
a = const
1
Φ′ (s) =
β(s)
(7.26)
Diese Lösungen beschreiben diepBetatron-Oszillation, Rquasi-harmonische Schwingungen um die
s
1
Sollbahn mit der Amplitude a β(s) und der Phase s 0 β(t)
dt. β(s) ist die sogenannte BetaFunktion, eine Ringstrukturfunktion auf die hier nicht näher eingegangen wird. Die Anzahl der
Betatron-Oszillationen pro Umlauf ist
I
1
1
Q=
ds
(7.27)
2π
β(s)
170
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
und heißt der horizontale- bzw. vertikale Betatune (Qh,v ). Wichtig ist, dass die Tunes keine
rationalen Werte annehmen dürfen, da sich sonst Störungen bei einzelnen Umläufen kohärent
aufsummieren und zu einem Verlust des Strahls durch Wand-Kontakte führen können. Solche
Störungen sind dem Speicherring natürlich inhärent, weil es keine ideal homogenen Felder gibt
und auch die Ausrichtung der Magnete nicht völlig exakt sein kann.
Wichtig für viele Speicherring-Experimente (z.B. Massenmessungen) ist noch die die Impulsabhängigkeit der Umlauffrequenz. Für diese ergibt sich
dνr
1
1 dp
=
− 2
(7.28)
νr
γ 2 γtr
p
mit dem relativistischen γ-Faktor für die Ionenenergie und dem sogenannten transition gamma
γtr . Letzteres bezeichnet die Ionenenergie E = γtr m0 c2 (Transition Energy) bei der die Umlauffrequenz bei (infinitesimal) kleinen Impulsänderungen unverändert bleibt. Die Bezeichnung rührt daher, daß sich das Verhalten grundlegend ändert, wenn γtr .überschritten wird.
Für γ < γtr wird die Umlauffrequenz mit zunehmendem Impuls größer, bei γ > γtr dagegen
kleiner. Dies rührt daher, dass im ersten Fall die Impulszunahme zwar eine Weglängenzunahme
durch den größeren Krümmungsradius in den Magneten verursacht, diese aber durch die höhere
Geschwindigkeit überkompensiert wird. Dies ist im letzteren Fall nicht mehr gegeben, deshalb
nimmt die Umlauffrequenz ab. Bei der Transition Energie ist die Umlauffrequenz in einem
kleinen Bereich unabhängig vom Impuls. Dies nutzt man bei Massenmessungen mit der ”Time
of flight”-Methode aus, auf die an dieser Stelle aber nicht eingegangen werden soll.
7.4.2
Kontinuierliche und gebunchte Ionenstrahlen
Ein kontinuierlich im Ring umlaufender Ionenstrahl, dessen Ionen also über den ganzen Ring
verteilt sind, wird als coasting beam bezeichnet. Wir haben bereits im Abschnitt über die Messung der HFS in hochgeladenen Ionen gesehen, dass es für Experimente nützlich sein kann,
die Ionen in einzelnen Paketen (bunche) zu bündeln. Auch für das Laserkühlen ist dieser Betrieb vorteilhaft. Um die Ionen zu bunchen, wird dem Ionenstrahl an einer Stelle im Ring
ein harmonisches Hochfrequenzfeld der Frequenz ωRF überlagert (Abb. 7.28). Dies geschieht
im allg. in einem Resonator, einer sogenannten RF-Kavität, so dass das von den Ionen durchlaufene elektrische Feld im wesentlichen auf der kurzen Strecke im Spalt des Resonators vorliegt.
Das Bunchen wird üblicherweise auf einer Oberwelle (Harmonische h) der Umlauffrequenz ωr
durchgeführt, so dass ωRF = h · ωr gilt. Die Energieänderung der Ionen pro Durchflug durch den
Resonator ist dann
(∆E)turn = q V̂ sin Φ0
(7.29)
Φ0 ist die momentane Phase des Hochfrequenzfeldes beim Durchflug und q die Landung des Ions.
Bei der Beschreibung der longitudinalen Bewegung eines Ions geht man von den Abweichungen
bzgl. eines Referenzions aus. Das Referenzion hat genau den richtigen Impuls, so daß es beim
Durchflug durch den Resonator-Spalt immer die RF-Phase 0 ”sieht”, d.h. es nimmt überhaupt
kein Feld wahr. Das Referenzteilchen wird deshalb als das synchrone Teilchen bezeichnet. Die
longitudinale Position eines Ions im Speicherring wird durch den Azimuthwinkel Θ ausgedrückt
Θ = Θs + ∆Θ
(7.30)
wobei Θs die entsprechende Koordinate des synchronen Teilchens (Θs = h1 ωRF t) und ∆Θ die
Differenz zum Azimuthwinkel des synchronen Teilchens ist. Entsprechend lassen sich die Phase
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
171
Abb. 7.28: RF-Bunchen im Speicherring. Das Hochfrequenzfeld oszilliert auf der 6. Harmonischen der Umlauffrequenz. Ionen, die das Feld bei der Phase ωrf = 2nπ (n ganzzahlig) durchfliegen, erfahren keine Kraft. Eilt das Ion dagegen der Phase voraus oder nach, wird es verzögert
bzw. abgebremst wodurch die Bunch-Struktur im Speicherring entsteht.
Φ, die Umlauffrequenz ωr und der Impuls schreiben als
Φ = Φs + ∆Φ
ωr = ωr,s + ∆ωr
(7.31)
pr = ps + ∆p
wobei im Speicherring Φs = 0 gilt. Die zeitlichen Ableitungen der Koordinaten sind
entsprechend durch die Ableitungen der Abweichungen von den Sollwerten gegeben, z.B.
d
Φ̇ = dt
(∆Φ). Da auf eine Umlaufperiode h Perioden des RF-Feldes entfallen gilt
∆Φ = −h∆Θ
(7.32)
und damit
d
1 dΦ
(∆Θ) = −
(7.33)
dt
h dt
Berücksichtigt man noch Gleichung 7.28 so kann man daraus folgende Differentialgleichungen
ableiten
∆ωr =
d (∆p)
dt
dΦ
dt
wobei
η=
1
q V̂ sin(Φ)
2πRs
hηωr,s
= −
∆p
ps
=
dνr /νr
p dνr
=
dp/p
νr dp
(7.34)
(7.35)
(7.36)
das Verhältnis der relativen Änderungen von Impuls und Umlauffrequenz angibt.
Die beiden DGL’s 1. Ordnung kann zu einer DGL 2. Ordnung zusammenfassen und dies
führt direkt auf die klassische Pendelgleichung
Φ̈ + Ω2s sin2 Φ = 0.
(7.37)
172
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.29: Phasenraumtrajektorien von Ionen im RF-Feld. Die Startwerte liegen innerhalb der
RF-Akzeptanz, so daß sich die Ionen mit dem mittleren Impuls im Speicherring bewegen, der der
gewählten Harmonischen der RF-Frequenz entspricht. Die Oszillation ist für kleine Amplituden
harmonisch, mit zunehmender Amplitude wird die Bewegung dagegen anharmonisch.
Ωs ist die Synchrotronfrequenz, d.h. die Oszillationsfrequenz eines Ions, das nur kleine Phasenabweichungen aufweist (sin Φ ≈ Φ)
s
qV hηνr,s
Ωs =
.
(7.38)
ps Rs
In den Phasenraumbildern die nun folgen ist allerdings nicht Φ gegen ∆p aufgetragen, sondern
die räumliche Abweichung des Ions von der Sollposition Φ = 0
x=
Φ
L
2π
(7.39)
mit der sogenannten Bucketlänge L.
Die Bewegung von Ionen, die in dem RF-Feld oszillieren, ist in einer Phasenraumdarstellung in Abb. 7.29 gezeigt. Diese und alle im Weiteren gezeigten Phasenraumtrajektorien sind
numerische Lösungen der zugehörigen Differentialgleichungen, dargestellt als Abweichung vom
Impuls bzw. der Phase des synchronen Teilchens. Die Ionen sind in dem RF-Feld gespeichert oder
”eingefangen”, solange die Impulsabweichung nicht zu groß wird. In diesem Fall legt also die RFFrequenz die Umlauffrequenz der Ionen fest, entsprechend ist der mittlere Impuls der Ionen gerade der Impuls des synchronen Teilchens. Für zunehmende Synchrotron-Oszillationsamplituden
wird die Bewegung zunehmend unharmonisch. Die Separatrix gibt die Grenzlinie der Startwerte
an, bei denen sich gerade noch gebundene Trajektorien ergeben. Startwerte jenseits der Separatrix führen zu ungebundenen Bewegungen, bei denen die räumliche Abweichung Φ zeitlich
unbeschränkt ist und der mittlere Impuls nicht dem Impuls des synchronen Teilchens entspricht.
In dem mechanischen Analogon Fadenpendel entspricht das der Situation, in der das Pendel
durchschwingt.
Der Phasenraum innerhalb der Separatrix heißt RF Bucket. Die Ionen im RF Bucket oszillieren um die Bucket-Mitte, die durch den Nulldurchgang der RF-Phase festgelegt ist. Diese
Verhältnisse sind in Abb. 7.30 dargestellt. Die maximal mögliche Impulsabweichung, bevor es
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
173
Abb. 7.30: Phasenraumtrajektorien beim RF-Bunchen. Entsprechend den Startwerten ergeben
sich gebundene oder ungebundene Trajektorien. Die hellere Linie ist die Separatrix, der Bereich innerhalb der Separatrix sind die RF-Buckets. Es sind 3 Buckets dargestellt, von denen
das mittlere zwei Ionen enthält, das linke ein Ion und das rechte unbesetzt ist. Außerhalb der
RF-Akzeptanz sind ungebundene Trajektorien zu sehen. Der mittlere Impuls der oberen Trajektorien ist größer als der Impuls des Soll-Ions, daher bewegen sich diese Ionen zu früheren Phasen
hin, was in der Darstellung negative Ortskoordinaten bedeutet. Für die Trajektorie unterhalb
der Buckets sind die Verhältnisse entsprechend umgekehrt.
zur ungebundenen Bewegung kommt, ist durch die Separatrix bei Φ = 0 gegeben und heisst RFAkzeptanz. Die RF-Akzeptanz wird gewöhnlich durch die maximale relative Energieabweichung
angegeben.
7.4.3
Laserkühlen am gebunchten Strahl im Speicherring
Zur Kühlung in einem Freiheitsgrad ist eine dispersive Kraft erforderlich, die zudem ihr Vorzeichen ändert, je nachdem ob die Geschwindigkeit zu hoch oder zu niedrig ist. Demzufolge sind
zur Kühlung zwei Laserstrahlen aus verschiedenen Richtungen erforderlich, oder ein Laserstrahl
und eine nicht notwendigerweise dispersive Hilfskraft. Die Kühlkraft muss dabei die Heizrate
übertreffen. Die Heizrate in einem Ionenstrahl ist im Bereich hoher Ionendichten durch die
strahlinterne Streuung (Intra-Beam Scattering, IBS), im Bereich niedriger Dichte durch die
Streuung der Ionen am Restgas gegeben. In der Regel liegen diese deutlich über der Heizrate
des Lasers aufgrund der Impulsdiffusuion durch die zufällig verteilten Impulsüberträge.
Laserkühlen eines gebunchten Ionenstrahls wurde erstmals mit 24 Mg -Ionen am Speicherring ASTRID in Aarhus durchgeführt [Hang1995]. Dabei wird der Ionenstrahl gebuncht und
zusätzlich ein Laser eingestrahlt. Die Bunchfrequenz und die Laserfrequenz müssen dabei so
aufeinander abgestimmt werden, daß die Ionengeschwindigkeit, bei der die Resonanzbedingung
mit dem Laser erfüllt ist, innerhalb der RF-Akzeptanz der Buckets liegt (Abb. 7.31). Die Ionen
erfahren daher zusätzlich zur Kraft des elektrischen RF-Feldes, wie es zuvor behandelt wurde,
174
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.31: Der Phasenraum beim gebuchten Laserkühlen.
Zur Verdeutlichung der
möglichen Ionenbewegungen wurde ein Startpunkt im äußeren Bucketbereich gewählt. Weitere
Erläuterungen sind im Text gegeben.
die spontane Kraft des Laserfeldes.
In der Abbildung startet das Ion in der ”vorderen” Buckethälfte. Der vordere Bereich eines
Buckets ist dadurch gekennzeichnet, daß die Phase relativ zu dem synchronen Teilchen negative Werte aufweist und daher der Phase der Bunch-Spannung vorauseilt. Wird extern eine
bestimmte Stelle im Speicherring beobachtet (wie bei der Fluoreszenzlichtmessung auf einem
Teilstück des Speicherrings), dann duchfliegt ein Ion mit negativer Phase diese Stelle bevor das
synchrone Teilchen ankommt, das die Bucket-Mitte markiert. In dem vorderen Bucket-Bereich
wirkt das RF-Feld verzögernd, so daß sich das Ion zu niedrigeren Impulsen hin bewegt. Befindet
sich das Ion dabei in der ”oberen” Buckethälfte, d.h. ist der Impuls größer als der Sollimpuls
und das Ion zu schnell, so führt die Bewegung von der Bucketmitte fort. Entsprechend ist die
Bewegung in der unteren Buckethälfte (Ion zu langsam) auf die Bucketmitte hin gerichtet. In
dem hinteren Bucket-Bereich (x > 0) wirkt die Kraft des RF-Feldes dagegen beschleunigend.
Analoge Überlegungen führen dann darauf, daß die Bewegung in der oberen Buckethälfte zur
Mitte hingerichtet ist und in der unteren Hälfte von der Mitte fort. Das Ion in Abb. 7.31 beginnt
daher mit der Synchrotronoszillation, solange bis es in Resonanz mit dem parallel zur Bewegungsrichtung im Laborsystem eingestrahlten Laserlicht gerät. Bei den gewählten Parametern
überwiegt im äußeren und inneren Bucket-Bereich die Spontankraft die Kraft des RF-Feldes, und
die Synchrotronoszillation des Ions wird gestoppt, weil die Spontankraft des parallelen Lasers
beschleunigendend wirkt. Entsprechend der Verstimmung des Lasers bewegt sich das Ion auf
die Bucket-Mitte zu und durchquert dabei einen Bereich, in dem die RF-Kraft (sinusförmig)
die Laser-Kraft überwiegt. Hier ist die Laserkraft zu schwach um die Synchrotronoszillation zu
stoppen, das Ion verliert aber dennoch Impuls beim durchqueren der Resonanz. In dem hinteren
Bucket-Bereich wird das Ion wieder mit dem Laser resonant und hier wird der Impuls erhöht.
Hier ist die Wechselwirkungszeit aber deutlich reduziert, weil Laserkraft und RF-Beschleunigung
jetzt gleichgerichtet sind. Der Impulsübertrag ist daher deutlich geringer als der Impulsverlust
im vorderen Bucket-Bereich, wodurch es insgesamt zu einer Dämpfung der Synchrotronoszillation kommt.
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
175
Abb. 7.32: ”Laser-Heizen” von Ionen im RF-Bucket. Die Laserfrequenz ist so weit blauverstimmt, daß das Ion bei einem höheren Impuls als dem Sollimpuls resonant wird. Im vorderen
Bucketbereich stellt sich wiederum ein Kräftegleichgewicht ein, die zu hohe Geschwindigkeit
führt das Ion dann aber in die falsche Richtung. Die Amplitude der Impulsoszillation nimmt
dadurch fortwährend zu und führt schließlich zum Verlassen des RF-Buckets. Ab diesem Zeitpunkt ist das Ion nicht mehr im RF-Feld gebunden, so dass der mittlere Ionenimpuls nicht mehr
dem Sollimpuls entspricht.
Nachdem der Impuls des Ions ausreichend reduziert ist, kann die Laser-Kraft die RF-Kraft
im inneren Bereich wieder kompensieren. Im Zentrum des Buckets gerät das Ion schließlich
aus der Resonanz, weil in dem hinteren Bereich die Gegenkraft fehlt und demnach setzen
erneut gedämpfte Synchrotronoszillationen ein. Nachdem in den Differentialgleichungen, deren
Lösungen diese Trajektorien sind, keine stochastischen Heizeffekte berücksichtigt wurden, endet
diese Bewegung mit dem Sollimpuls an der stabilen Phasenlage (stabiler Punkt).
Wird die Laserfrequenz dagegen soweit verstimmt, daß der resonante Impuls oberhalb des
Sollimpulses liegt, denn führt die kombinierte Wechselwirkung mit dem Licht- und dem RFFeld zur Entdämpfung der Synchrotronoszillation, was mit dem ”Herausheizen” der Ionen aus
dem Bucket endet (Abb. 7.32). Das bedeutet, daß ein parallel eingestrahlter, blauverstimmter
Kühllaser (in Bezug auf die Resonanzfrequenz eines synchronen Ions) zum Verlust der Ionen aus
dem Bucket führt.
7.4.4
Experimentelle Realisation
Am ESR wurde das Laserkühlen an relativistischen C3+ Ionen demonstriert [Schr2005]. Die
Ionen wurden mit einer Energie von 122 MeV/u im Ring gespeichert. Dies entspricht einer
Geschwindigkeit von β = 0.47 (γ = 1.13) und einer Umlauffrequenz von 1.295 MHz im Ring. Der
2s1/2 → 2p3/2 Übergang in dem lithiumähnlichen Kohlenstoffion besitzt eine Wellenlänge von
154.81 nm. Die Energie der Ionen ist so gewählt, dass die relativistische Dopplerverschiebung zu
einer Wellenlänge von 257.34 nm im Laborsystem führt, was exakt der doppelten Frequenz einer
Linie des Argon-Ionenlasers entspricht. Der gespeicherte Ionenstrahl wurde mit der 10. Harmonischen der Umlauffrequenz gebuncht. Durch eine leichte Veränderung der Umlauffrequenz
und damit der Ionengeschwindigkeit kann die Kühlkraft des Lasers, d.h. der ”Abstand” der
176
KAPITEL 7. MODERNE EXPERIMENTE MIT GELADENEN TEILCHEN
Abb. 7.33: Schottky Spektrum der Ionen im ESR beim Laserkühlen [Schr2005].
Erläuterungen im Text.
Nähere
Resonanzfrequenz zur Mitte des Buckets verändert werden.
Den Einfluss auf die Impulsverteilung der Ionen zeigt Abb. 7.33.
Zweidimensional
dargestellt ist das Schottky Spektrum2 des lasergekühlten Strahls (in horizontaler Richtung)
bei Veränderung der Bunch Frequenz (von oben nach unten). Die senkrechte gestrichelte Linie
markiert die Geschwindigkeits- (Impuls-)klasse, die mit dem Laser - dessen Frequenz nicht
verändert wird - in Resonanz ist (f lr ). Die diagonal verlaufende Linie Im oberen Bildbereich
ist die Bunch-Frequenz, die sich in der Bildmitte mit der Resonanzfrequenz des Lasers kreuzt.
Dies entspricht einem schrittweisen Verstimmung des Lasers vom Rand des Buckets, nahe der
Separatrix (a), hin zur Bucketmitte. Ausgehend von niedrigen Bunchfrequenzen, wo nur die
Ionen nahe der Separatrix mit dem Laser in Resonanz kommen, werden die Ionen schrittweise
in das Bucket gekühlt. Die dabei auftretenden Seitenbänder (b) werden durch die immer
noch vorhandenen Synchrotron-Schwingungen der Ionen innerhalb des Buckets verursacht
(fsync ≈ 100 Hz). Nahe der Resonanz verschwinden diese Seitenbänder (c) plötzlich wenn
der Ionenstrahl das Raumladungslimit erreicht. When der Laserstrahl mit den Ionen in der
Bucketmitte in Resonanz kommt (d) wird die Synchrotronbewegung nicht mehr gedämpftz
sondern angeheizt. Der Ionenstrahl wird aufgeheizt und die Ionen aus dem Bucket beschleunigt
(e). Mit Hilfe eines Fluoreszenssignals konnte die Impulsschärfe des gekühlten ionenstrahls zu
etwa ∆p/p ≈ 4 · 10−7 abgeschätzt werden. Dies ist der ”kälteste” Ionenstrahl, der im ESR
jemals erzeugt werden konnte (Abb. 7.34). Im Detail sind die Vorgänge in dem Ionenstrahl
noch nicht verstanden - sowohl Simulationsrechnungen unter Berücksichtigung der Ion-Ion
Wechselwirkung und der Laser-Ion Wechselwirkung als auch weitere Experimente am ESR sind
geplant.
Diese Experimente dienen der Vorbereitung des Einsatzes des Laserkühlens am neuen großem
Schwerionensynchrotron SIS-300 in der nächsten Ausbaustufe der GSI.
2
Das Schottky Spektrum gibt die Umlauffrequenzen der einzelnen Ionen wieder. Je breiter das Spektrum,
desto größer ist die Impulsbreite und damit die Temperatur des Strahls. Man gewinnt es über den von den Ionen
induzierten Strom in sogenannten Pick-Up Elektroden. Dieses Signal wird dann einer Fouriertransformation
unterworfen.
7.4. LASERKÜHLEN AM SPEICHERRING ESR
177
Abb. 7.34: Impulsverteilung lasergekühlter Ionen bei kleinen Verstimmungen. Die Verteilung
wurde über den Dopplereffekt gemessen: eine Driftröhre am Ort des Fluoreszensnachweises
wird genutzt, um die Ionengeschwindigkeit durchzustimmen. Die Fluoreszens ist als Funktion
der Spannung an der Driftröhre aufgetragen [Schr2005].
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