Eine gekürzte Fassung erschien in der SVZ am 23.7.2005

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Ende eines kurzen Sonderweges
Mit der Auflösung des Bundestages und der Ankündigung von Neuwahlen für den 18.
September 2005 endet die Gleichzeitigkeit von Bundes- und Landtagswahl in
Mecklenburg-Vorpommern
von Nikolaus Werz
Das Land der Seen und Flüsse ist vor allem für seine Naturschönheiten bekannt. Allerdings
hat es seit dem Umbruch von 1989/90 drei politische Merkmale gegeben, über die MV eine
gewisse Prominenz in der deutschen Öffentlichkeit erlangte: Mit der ersten rot-roten
Koalition aus SPD und PDS im Jahr 1998 geriet Mecklenburg-Vorpommern vorübergehend
in die Schlagzeilen. Aus der Sicht vieler Bewohner der alten Länder war sie ein Tabubruch,
aus der Perspektive nicht weniger Menschen im Lande eine Art Normalisierung. Zweitens:
Aus der Gegend zwischen Oder und Haff sind trotz derzeit abnehmender Bevölkerung
erstaunlich viele Bundespolitiker hervorgegangen - u.a. die CDU-Kanzlerkandidaten Angela
Merkel. Eine dritte Besonderheit dürfte auf nationaler Ebene weniger aufgefallen sein: Seit
1994 fanden die Bundes- und Landtagswahlen an ein und demselben Tag statt. Diese
einzigartige Koinzidenz dürfte nach der Rede des Bundespräsidenten der Vergangenheit
angehören. Die Auswirkungen auf die Landespolitik und den regionalen politischen
Wettbewerb sind erheblich.
Unterschiedliche Wahltermine und Legislaturperioden in den Ländern
Im deutschen Föderalismus sind die Legislaturperioden der Länder keineswegs einheitlich. In
den meisten wird der Landtag mittlerweile für fünf Jahre gewählt, in Bremen, Hamburg,
Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gilt nach wie vor ein Vier-Jahres-Rhythmus.
Aussagen zur Festlegung der Wahltermine sind in Art. 27 und 28 der Landesverfassung
enthalten. Übrigens kann der Landtag im Unterschied zum Bundestag mit der Mehrheit von
zwei Dritteln seiner Mitglieder die Wahlperiode vorzeitig beenden.
Die Gleichzeitigkeit von Bundestags- und Landtagswahl resultierte zunächst aus der
zeitlichen Nähe beider Wahlen im Jahr 1994. Für deren Beibehaltung wurden vor allem
Kostenargumente geltend gemacht. Die Spareffekte durch die Zusammenlegung ergaben sich
zum einen durch die geringeren Portokosten bei der Versendung der Wahlunterlagen, da nur
eine Benachrichtigung erforderlich war. Die geringeren Ausgaben waren auch ein Ergebnis
reduzierter Erstattungen für die benötigten Wahlhelfer. Bei einem Tagessatz von damals 30,DM und 22.000 Wahlhelfern machte dies 1998 z.B. eine Ersparnis von 660.000 DM aus.
Ein weiterer Grund für die Zusammenlegung wird ungern thematisiert: Es handelt sich um
die Schwierigkeiten, entsprechende Wahlhelfer bzw. vor allem Vorsteher und Beisitzer für
Wahlbüros zu finden. In den städtischen und anonymeren Gebieten sind die Probleme
ausgeprägter als im ländlichen Raum, wo ein größerer Bekanntheitsgrad und die direkte
Ansprache von geeigneten Personen die Suche erleichtern. Möglicherweise um hier für
Abhilfe zu sorgen, wurde die Aufwandsentschädigung erhöht. Für die Wahlhelfer in der
Hansestadt Rostock bei der kommenden Bundestagswahl liegt das sog. Erfrischungsgeld
zwischen 30,- und 40,- Euro.
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Argumente für eine Zusammenlegung
Für eine Gleichzeitigkeit von Bundestags- und Landtagswahl wurden Ersparnis und die
vermeintliche Entlastung der Bürger angeführt:
1.
Eine hohe Wahlbeteiligung: Bei der Landtagswahl 1998 erreichte die
Wahlbeteiligung 80,4% und nahm damit gegenüber 1994 um 7,5 Prozentpunkte zu. Es
handelte sich nicht nur um die höchste Wahlbeteiligung, die bei Landtagswahlen in einem
der fünf neuen Bundesländer erreicht wurde, sondern auch - mit Ausnahme der
Landtagswahl im Saarland 1994, die ebenfalls parallel mit der Bundestagswahl erfolgte - um
die bis dahin höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer.
2.
Die vereinfachte Suche nach den Wahlhelfern. Vor allem in den Städten des
Flächenstaates traten Engpässe bei der Suche nach Wahlhelfern auf.
3.
Zu viele Wahlen sind bei den Bürgern, folgt man den Umfragen und Teilen der
veröffentlichten Meinung, unpopulär. Von den Befragten und in Pressebeiträgen wird dabei
das Kostenargument in den Vordergrund geschoben.
Mehr Wahlen - mehr Demokratie
Gegen eine Zusammenlegung von Wahlterminen spricht:
1.
Die Abwertung der Landes- gegenüber der Bundesebene. Aus diesem Grunde ist die
Gleichzeitigkeit von Bundes- und Landtagswahl in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik
außerordentlich selten, sie widerspricht obendrein dem Geist des Föderalismus. Einige
Bundesländer lehnen eine Zusammenlegung strikt ab. Dies gilt etwa für Bayern, wo die
Unabhängigkeit der Landtags- von den Bundestagswahlen als Möglichkeit gilt, um die
Identifikation mit dem Freistaat zu bekunden. Mecklenburg-Vorpommern bildete in dieser
Hinsicht zwischen 1994 und 2002 im Konzert des deutschen Föderalismus eine Ausnahme.
2.
Die Überlagerung der Landesebene durch den Bundestrend, d.h. besonders durch den
Kanzler- und Regierungsbonus: Es darf vermutet werden, dass die Landtagswahlen von 1998
und 2002 etwas anders ausgefallen wären, wenn sie nicht am gleichen Tag stattgefunden
hätten wie die Bundestagswahlen. 1998 begünstigte die Abwahl von Kanzler Helmut Kohl
nicht nur eine rot-grüne Regierung in Bonn/Berlin, sondern auch den Regierungswechsel in
Schwerin. 2002 könnte sich das gute Wahlergebnis für Gerhard Schröder im Zeichen von
Oderflut und seiner Position gegen einen kriegerischen Einsatz im Irak zugunsten der
Landes-SPD ausgewirkt haben.
3.
Der Landtagswahlkampf und die Landtagswahlen werden zu Nebenwahlen: So
zeigten die Umfrageergebnisse in den Jahren 2001/2002 sehr viel höhere Stimmungsbefunde
für die oppositionelle CDU, als es der tatsächlichen Wahlabsicht der Bürger entsprach. Auch
hier dürfte sich der Bundestrend und der Polarisierungseffekt zwischen den damaligen
Kanzlerkandidaten Schröder und Stoiber die Landespolitik und die Bewertung der
Leistungen der Landesregierung in den Hintergrund gedrängt haben.
Diese Einwände aus demokratietheoretischer Perspektive stehen auch nicht im Widerspruch
dazu, dass die seit 1994 umgesetzte Regelung unter dem Gesichtspunkt der politischen
Stabilität auch positive Effekte brachte. Sowohl für 1998 als auch 2002 kann darüber
spekuliert werden, dass die Gleichzeitigkeit mit den Wahlen im Bund die Ergebnisse für
rechtsradikale Parteien, die in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt in die Landtage
einzogen, begrenzt hat. Dieser Polarisierungseffekt zugunsten der traditionellen
Volksparteien CDU und SPD schmälerte allerdings auch die Möglichkeiten der anderen
kleineren Parteien, d.h. der FDP und von Bündnis 90’/Die Grünen sowie 2002 auch der PDS.
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Aussichten
In der politischen Öffentlichkeit des Landes wurde die Debatte über eine Trennung von
Wahlterminen in der Vergangenheit nur ansatzweise geführt. Auch aufgrund der geringen
Popularität eines zweimaligen Wahlganges in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft ließ
man solche Vorhaben schnell wieder fallen. Die seit 1994 gültige Praxis hat zur Stabilität der
Parteienlandschaft, einer geringeren Volatilität (Wechselbereitschaft) der Wähler und damit
insgesamt zur Festigung eines Dreiparteiensystems beigetragen. Dementsprechend dürfte das
Interesse der im Landtag vertretenen Parteien an einer Änderung gering gewesen sein.
Mit der von Bundeskanzler Gerhard Schröder beantragten und verlorenen Vertrauensfrage im
Bundestag und den daraus resultierenden Neuwahlen wird sich die politische Landschaft
möglicherweise auch in MV verändern. Die Landtagswahlen werden 2006 erstmals seit 1994
wieder unabhängig von den Bundestagswahlen stattfinden. Die Darstellung unterschiedlicher
Positionen der Parteien auf der Landesebene und die Profilierung der Politiker gewinnen
damit eine größere Bedeutung. Ein Leben im Windschatten von Berlin ist nicht mehr
möglich. Für die kleineren Parteien dürften sich die Chancen erhöhen. Dass dies auch für
rechtsradikale und populistische Gruppierungen gelten kann, sollte eher ein Anlass sein, um
das Engagement der Bürger und Politiker für die Demokratie zu erhöhen.
Prof. Dr. Nikolaus Werz ist Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Regierungslehre am
Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock. Die
Arbeitsgruppe „Politik und Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern“ analysiert seit 1994 die
politische Entwicklung im Bundesland.
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