CHEManager 5/2003 Seite 21 Reorganisation für den Geschäftserfolg Wie man das Potential von Forschung und Entwicklung nutzbar macht Im Ringen um Marktanteile hängt der langfristige Erfolg eines Unternehmens zunehmend von dessen Leistungen in der Forschung und Entwicklung (F&E) ab – Innovationen werden immer wichtiger. Wenn Strukturen und Prozesse in Forschung und Entwicklung optimal an Geschäftsstrategie und Marktbedürfnissen ausgerichtet sind, können Kosten vermieden, Produkte früher auf den Markt gebracht und so höhere Gewinne erzielt werden. Obwohl viele Unternehmen ihre F&E-Abläufe in den letzten zehn Jahren deutlich besser an das operative Geschäft angepasst haben, existiert weiterhin eine Reihe von Herausforderungen: • die strategische Abstimmung mit Marketing, Vertrieb, Anwendungstechnik und Produktion, • die transparente Selektion und Strukturierung des F&E-Projektportfolios, • die schnelle Verbreitung von Forschungswissen über organisatorische Grenzen hinweg, sowie • die Flexibilisierung starrer und hierarchischer Organisationsstrukturen. Wenn es den Unternehmen gelingt, diese Herausforderungen zu meistern, können die Entwicklungskosten für neue Produkte gesenkt und Umsätze früher realisiert werden. Der Schlüssel zum Erfolg und einem signifikanten Beitrag der F&E-Abteilungen zur Umsetzung der gesamten Geschäftsstrategie liegt im Gleichgewicht zwischen einer „lockeren“ Organisationsstruktur und „strengen“ Managementverfahren. Chemische F&E ist stark In Anbetracht der Tatsache, dass die F&E- Investitionen von Chemieunternehmen in den letzten zehn Jahren auf heute durchschnittlich 26% des Umsatzes gesunken sind, stellt sich die Frage, wie man die Wirksamkeit dieser Mittel erhöhen kann. Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung sind erstklassige, hochkreative Arbeitskräfte − es mangelt also nicht an neuen Ideen mit Geschäftspotential. Beweis hierfür ist die lange Liste kommerziell erfolgreicher F&EInnovationen, wie z.B. Bayer’s Macrolon®, Degussa’s Aerosil®, Du Pont’s Kevlar® und DOW’s SiLK®. Auch die Konzentration technischer Fachkenntnisse in F&E ist ebenso beeindruckend: Allein BASF verfügt über 8.000 F&E-Mitarbeiter. Reparieren, was gar nicht kaputt ist? Warum sollte man an Forschung und Entwicklung etwas ändern wollen, wenn eigentlich alles gut funktioniert? Der Grund dafür ist, dass die „internen Kunden“ von F&E sich zunehmend über mangelnde Wirksamkeit und Effizienz beschweren. 1. Managementverfahren in F&E sind „ineffektiv“: Alle großen chemischen Unternehmen verfolgen eine Innovationsstrategie. Da es F&E selbst aber häufig am Kundenkontakt mangelt, fällt es schwer, Projekte mit der höchsten Priorität, d.h. den besten Erfolgsaussichten, auszuwählen. Viele Unternehmen haben außerdem nur unklar definierte F&E Prozesse und Strukturen und verfolgen entstandene Entwicklungskosten bzw. erwartete Gewinne eines laufenden Projektes nur ungenügend. Die Aufnahme oder Einstellung von F&E- Projekten erfolgt dabei häufig nur einmal im Jahr im Rahmen der Budgeterstellung. CHEManager 5/2003 2. Organisationsstrukturen in F&E sind funktional und zu steif: In vielen Fällen orientiert sich die Organisation der F&E in Chemieunternehmen weiterhin funktional an Wissensgebieten − der Effekt sind stark hierarchische Strukturen. Die Zusammenstellung von flexiblen Projektteams wird dadurch zu einer großen Herausforderung, der Wissensaustausch über Abteilungsgrenzen wird massiv eingeschränkt. Dadurch starten Projekte langsam, und neue Produkte werden erst verspätet auf den Markt gebracht. Der Weg nach vorne Viele erfolgreiche Unternehmen haben „strenge“ Managementverfahren eingesetzt, die die Etablierung „lockerer“ Organisationsstrukturen ermöglichen. 1. „Strenge“ Managementverfahren: Das Management von F&E wirkt simpel: Es schafft den Rahmen für eine ganze „Pipeline“ voller Ideen, bündelt Innovationen und setzt sie gezielt ein, um langfristiges Wachstum zu ermöglichen. Kreativität wird kontinuierlich in Markterfolg umgesetzt (siehe Abbildung). Die Prioritätseinstufung der F&E-Projekte erfolgt in Abstimmung mit der Geschäftsführung. Jedes Projekt wird anhand einheitlicher Bewertungskriterien eingestuft, indem man Chancen (z.B. Gewinnerwartungen oder Payback Time) und potentielle Risiken (z.B. technische Durchführbarkeit oder Einzigartigkeit) gegenübergestellt. Seite 21 Ein solches Portfolio-Überprüfungsverfahren sollte alle 4 bis 6 Monate durchgeführt werden. Dieser Ansatz führt zu einer klaren Prioritätenliste von Projekten, wodurch eine transparente, faktenbasierte Entscheidungsgrundlage geschaffen wird, die z.B. für eine aus Budgetgründen notwendige Zurückstellung eines geplanten Projektes zugunsten eines Projektes mit höherer Priorität genutzt werden kann. Häufig kann man hierdurch die Entwicklungsphase von Schlüsselprojekten um 20-40% verkürzen. Entstehende Kosten und erwartete Gewinne sollten für jedes Projekt möglichst genau erfasst werden − denn erst auf der Basis dieser Daten können Projektteams betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen treffen. So kann es z.B. Sinn machen, die Pilotphase eines Projektes zu überspringen, wenn eingesparte Kosten und Zeit oder erwartete Erlöse durch frühere Marktreife eine solche Entscheidung rechtfertigen. 2. „Lockere“ Organisationsstrukturen: Den Kern einer „lockeren“ F&E- Organisation bilden marktorientierte und multidisziplinäre Teams aus Anwendungstechnik, Marketing und Vertrieb, die anhand der Marktbedürfnisse und des Projektportfolios ausgewählt werden. Zusammensetzung und Größe der Teams können sich bei Neubewertungen der Prioritäten der einzelnen Projekte ändern; auf diese Weise kann man die Teams kurzfristig den neuen Anforderungen anpassen. Um „näher am Kunden“ zu sein, empfiehlt es sich, F&E an Industriebereichen auszurichten (z.B. PVC für die Automobilbranche oder PVC für die Elektronik), so daß die F&E-Teams den direkten Kontakt mit ihren Kunden pflegen können. In einer solchen Struktur haben die Teammitglieder nun die Möglichkeit, nicht wie bisher nur technische Aufgaben, sondern auch nicht-technische Aufgaben, wie z.B. Kostenkontrolle, Wissensmanagement oder Marktforschung, zu erfüllen. Das Erfahrungsspektrum der F&E-Mitarbeiter wird so deutlich erweitert. Seite 21 CHEManager 5/2003 Ein mögliches Risiko „lockerer“ Organisationsstrukturen ist die latente Gefahr, Fachkenntnisse und Wissen zu verlieren, da traditionelle, disziplingetriebene Kompetenzzentren aufgelöst werden. Viele Chemieunternehmen versuchen gegenwärtig, diesem Risiko durch fundierte Wissensmanagementverfahren und -systeme zu begegnen. • • • bessere Projektplanung, die zu höherer Kosteneffizienz führt, bessere Aufstiegschancen für Mitarbeiter durch individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und eine deutlich kürzere Produkteinführungszeit. Fallstudie von Akzo Nobel Polymer Akzo Nobel beschäftigt weltweit 68.000 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von € 14 Mrd. in den Geschäftsbereichen Pharma, Coating and Chemie. Der Umsatz des PolymerChemikalien-Geschäfts beträgt über € 650 Mio. Die Geschäftseinheit F&E beschäftigt 170 Mitarbeiter an drei Standorten. Im Jahr 2001 wurde das Projekt NOW! (New Organisation Worldwide) ins Leben gerufen. Sein Ziel war es, ein passendes, praktikables Organisationsmodell zu entwickeln, das es F&E möglich machen sollte, sein Potential auszuschöpfen und seine strategische Funktion auszufüllen. Vor NOW! war der F&E-Betrieb noch relativ hierarchisch organisiert; der Unternehmensbereich verfügte weder über ein zentrales Wissensmanagement noch über Portfolio-Managementsysteme. Unter NOW! Wird bis 2005 eine flexible, teamorientiertere Organisation eingeführt. Teams von 8 bis 10 Mitarbeitern werden gemeinsam neue Ideen entwickeln, testen, umsetzen und bewerten. Sämtliche Projekte werden anhand von Bewertungskriterien durch die F&E-Leitung eingestuft, Wissen wird fortlaufend gesammelt und weltweit verfügbar gemacht. Die Vorteile hiervon sind: • • • ein besseres Verständnis expliziter und impliziter Kundenbedürfnisse, größere Flexibilität und schnellere Reaktion auf Marktveränderungen, Projektpriorisierung entsprechend der Marktbedürfnisse, Autoren: Hervé Baratte, Partner, Kronberg Dr. Christian Kirsten, Manager, Düsseldorf Kontakt: Sonja Fink Accenture Campus Kronberg 1 61476 Kronberg/Ts. 06173 / 94-66273 [email protected] CHEManager 5/2003 Seite 21 Checkliste für F&E Eine Umstrukturierung von F&E wie oben beschrieben ist nichts anderes als ein Hilfsmittel zur Erreichung der Geschäftsziele. Im Folgenden finden Sie eine Checkliste von 10 Fragen, die Sie sich stellen sollten, um herauszufinden, ob Ihre F&E richtig organisiert und strukturiert ist 1. Innovationsstrategie: Ja/Nein Wird die Innovationsstrategie von der Geschäftsführung und F&E gleich verstanden? 2. F&E-Strategie: Ja/Nein Ist Ihre F&E-Strategie auf die Geschäftsstrategie abgestimmt? 3. Marktreaktion: Ja/Nein Werden die Meinungen/Bedürfnisse der Kunden ausreichend berücksichtigt? 4. Kundenkontakt: Ja/Nein Spricht F&E gemeinsam mit dem Verkauf regelmäßig mit den Kunden, und beteiligt F&E strategische Kunden an der Produktentwicklung? 5. Projektportfolio: Ja/Nein Ist Ihr Projektportfolio so angelegt, dass Sie über eine kontinuierliche „Pipeline“ von guten Vorschlägen verfügen? 6. Projektpriorisierung: Ja/Nein Beruht die Prioritätseinstufung Ihrer Projekte auf einer fundierten, einheitlichen Liste von Bewertungskriterien? 7. Projektdurchführung: Ja/Nein Sind innerhalb von F&E multidisziplinäre Teams einschließlich Verkauf, Marketing und Herstellung tätig? 8. Übertragung von Verantwortung: Ja/Nein Tragen Ihre F&E-Teams zumindest Teilverantwortung im operativen Bereich? 9. Belohnung von Mitarbeitern: Ja/Nein Gibt es ein umfassendes Bewertungs- und Belohnungssystem für F&E-Mitarbeiter? 10. Wissensmanagement: Ja/Nein Wird Fachwissen aufgebaut und gepflegt und innerhalb Ihres Unternehmens durch IT ausgetauscht?