Meeresschutzgebiete: Die wissenschaftlichen Fakten für deren Notwendigkeit - Sabine Christiansen, Consultant Deutschland In ihrem Vortrag sprach Frau Christiansen über die Gründe, die Meeresschutzgebiete notwendig machen. Den drastischsten und offensichtlichsten Grund für die Notwendigkeit von Meeresschutzgebieten zeigt sich in dem Arten- und Lebensraumverlust der letzten Jahrzehnte. Dort wo man in der süd-östlichen Nordsee vor 200 Jahren noch Grauwale finden konnte, ist heute nicht einmal mehr ein größerer Fischschwarm anzutreffen und selbst die Seegraswiesen sind verschwunden. Vergleicht man den Artenreichtum der südlichen Nordsee anhand des Beifangs in Schleppnetzen über vier Jahrzehnte so ist festzustellen, dass von den 1950 identifizierten 17 Gruppen und Arten 1980 nur noch 5 Arten in geringer Anzahl gefangen wurden. Das Fortbestehen oder die Regeneration dieser Bestände ist eng an die Veränderung der Lebensraumqualität gebunden. Marine Arten sterben zwar nur in seltenen Fällen ganz aus, da der Lebensraum Meer viel bewegter ist als die Ökosysteme an Land. Doch der Niedergang der Arten und vor allem die Veränderungen in der Struktur der Ökosysteme sind fließende Prozesse, die man nur schwer durch wissenschaftliche Daten festhalten kann. Je seltener die Arten und je komplexer die Zusammenhänge, desto größer ist der Beobachtungsaufwand. Insbesondere Langzeitdatenreihen sind unerläßlich, um ein Bild der Veränderungen zu erhalten. Auch historische Dokumente helfen, unser Bild der potentiell in den Ökosystemen möglichen Biodiversität zu vervollständigen. In einem bestehenden Ökosystem zählt außer der Qualität – das heißt die Vielzahl und Vielfältigkeit der Arten, sowie die Vielzahl der ökologischen Vernetzungen - auch die Quantität, also die Dichte und das Verbreitungsareal der einzelnen Ökosystemkomponenten. Insbesondere die mittlerweile den gesamten Ozean bis in große Tiefen beeinflussende Fischerei hat durch selektive Entnahme von Arten, sowie durch ungewollte oder in Kauf genommene Beifänge von beispielsweise Schildkröten, Seevögeln oder Haien zu großen Veränderungen in den Ökosystemen geführt. Der Reichtum der Ökosysteme wird durch die vorhandenen physischen Strukturen, z. B. Stein- oder Korallenriffe, Fronten zwischen Wassermassen, bestimmt. Insbesondere die bodenberührende Fischerei hat in allen Meeren zu einem großräumigen Verlust an Lebensräumen geführt, die durch strukturbildende Taxa wie Schwämmen, , Korallen oder Seegrass gebildet werden. Wegen der Vielzahl der mit diesen Strukturbildnern assoziierten Arten bedeutet der Verlust von Das Projekt wird vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefördert. Dr. Kathrin Blaufuss - NGO Focal Point CBD COP10 / MOP5 2010 Kontakt: [email protected] Information: www.biodiv-network.de Lebensraumstrukturen gleichzeitig den Verlust von Biodiversität und den Übergang von einem komplexen in ein einfaches, arten- und biomasseärmeres Ökosystem. Aber auch übermäßiger Nährstoffeintrag und Wasserverschmutzung hat diese Auswirkungen. Dieser Vorgang wurde als „fishing down the foodweb“ bezeichnet und wird für alle Küsten- und Weltmeere beschrieben. Unsere Aufgabe heute ist es, umzusteuern, und durch Verminderung der menschlichen Einflüsse auf die marinen Ökosysteme den Arten- und Lebensraumverlust zu stoppen, und möglichst neue Strukturbildung zu ermöglichen. Je vielfältiger die ökologische Verflechtung der Meeresbewohner, und je näher die Ökosysteme ihrem natürlichen Gleichgewicht sind, desto eher können sie Einwirkungen wie den schnellen Klimawandel abpuffern - der Genpool ist dann groß genug, so daß Anpassung möglich ist. Biologisch intakte Meere haben nicht nur einen Eigenwert, sondern sind auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, z.B. für die Ernährung von Millionen Menschen, für Tourismus, Wasserreinigung und als Transportweg. Die Meere dämpfen den CO2 Konzentrationsanstieg in der Atmosphäre und wirken temperaturausgleichend. Doch diese Leistungen sind in Gefahr. Weltweit sind bereits 40% der Meere stark durch das menschliche Handeln beeinflusst worden. Daher brauchen wir Meeresschutzgebiete, eingebettet in ein nachhaltiges Nutzungsregime nach dem Ökosystemansatz. Dieses sollte wie im Rahmen der CBD empfohlen aus einem repräsentativen Netzwerk vollständig geschützter Gebiete bestehen, die ergänzt werden um ein Netzwerk nachhaltig genutzter Gebiete, in denen die Regeneration von Biodiversität unterstützt wird; beides eingebettet in nachhaltig genutzte Meeresregionen. Nachhaltig bedeutet, daß die Nutzung keine langfristigen und irreversiblen Änderungen der Ökosysteme bewirken. In vielen bislang stark genutzen Meeresregionen muß aber zunächst die Biodiversität auf allen Ebenen regeneriert werden, unter anderem mit Hilfe von Meeresschutzgebieten. Allerdings sind heute nur 0.7 % der Meeresflächen von Schutzgebieten in irgendeiner Form bedeckt. Der Anteil der wirksam auf den Erhalt oder die Erholung der Ökosysteme verwalteten Schutzgebiete ist noch viel kleiner. Es gibt viele Hürden für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten, angefangen bei der traditionellen Sicht, die Schätze des Meeres gehörten demjenigen, der sie zuerst findet, über die Unsichtbarkeit und in vieler Hinsicht Unerforschbarkeit der Ökosysteme, über Interessenskonflikte und der schweren Vermittelbarkeit von einfachen Botschaften angesichts nicht linearer Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung in sehr komplexen Ökosystemen, deren unbeeinflusster Zustand meistens nicht bekannt ist. Das Projekt wird vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefördert. Dr. Kathrin Blaufuss - NGO Focal Point CBD COP10 / MOP5 2010 Kontakt: [email protected] Information: www.biodiv-network.de Um das zu ändern wird ein besserer internationaler Informationsaustausch notwendig werden. Zur Sicherung der Lebensgrundlagen in vielen Regionen der Erde, sowie zum Erhalt der Klimapuffer-Kapazitäten des Meeres müssen die Vertragsstaaten der CBD zu ihrer Verpflichtung stehen (bis 2010) auf 10 % der Meeresfläche Schutzgebiete auszuweisen, und in der nächsten Dekade nach Möglichkeit verdoppeln. Es muss auf allen Ebenen verstanden werden, dass die Meere nicht unerschöpflich sind. Einer der wichtigsten Schritte ist auf diesem Wege ein Paradigmenwechsel in der Politik und Entscheidungsstrukturen auf allen Ebenen: der Erhalt der Biodiversität auch in den Meeren ist ein wirtschaftlicher Imperativ. Bestehende großflächige Schutzgebiete wie in Australien oder um Fiji, zeigen deutlich, dass insbesondere die Zonierung und vollständig für die Nutzung geschlossene Gebiete einen positiven ökologischen und wirtschaftlichen Effekt haben. Wenn die Meere weiter genutzt werden wie bisher ist vorauszusehen, dass Flora und Fauna weiter verarmen, die Zahl der wirtschaftlich zu Tode gefischten Bestände weiter steigt, und die Folgen des Klimawandels ungebremst viele Küsten bedrohen werden. Das Projekt wird vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefördert. Dr. Kathrin Blaufuss - NGO Focal Point CBD COP10 / MOP5 2010 Kontakt: [email protected] Information: www.biodiv-network.de