Schwerpunkt Schutzgebiete als Instrument zum Schutz und Erhalt der Biodiversität Die Geoökologie ist im Schnittbereich von geowissenschaftlichen und ökologischen Fachdisziplinen angesiedelt. Neben der Untersuchung naturwissenschaftlicher Zusammenhänge stellt sich dabei auch die Frage nach der gesellschaftlichen Umsetzung der Forschungsergebnisse. In diesem Schwerpunkt wird der Fokus unter dem Begriff „Biodiversität“ auf den Erhalt und das Management wertvoller Natur- und Kulturlandschaften gerichtet. Dabei bilden die „klassischen“ Schutzgebiete nur einen wichtigen Aspekt unter mehreren. Von Carsten Kolbe / Dresden „Biodiversität“ – ein Schlagwort auf Erfolgskurs Der Begriff „Biodiversität“ wurde durch die Publikation „Biodiversity“ von Edward O. Wilson aus dem Jahr 1988 weltweit populär. Er umfasst mehrere Dimensionen: Die Vielfalt von Ökosystemen, die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten und die genetische Vielfalt (Kasparek et al. 2000: 11). Das dahinter stehende Konzept verbindet „wertfreie“ Wissenschaft mit politischen Zielen und Normen. Auf diese Weise entstehen Brücken zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Wertvorstellungen (Korn 2001). Für den Erhalt der Biodiversität gibt es zahlreiche Motivationen, die sich teilweise überlagern: 1. Ökonomische Gründe (langfristige Nutzung und In-Wertsetzung der natürlichen Lebensgrundlagen). 2. Religiös-ethische Gründe (Wert des Lebens an sich; Schöpfung als Gottes Werk, das der Mensch nicht zerstören darf). 3. Moralische Verpflichtung gegenüber den kommenden Generationen (intergenerativer Ansatz). 4. Prinzip der Vorsicht angesichts vielfältiger Ungewissheiten und Irreversibilitäten (Vorsorgeprinzip). Die moderne Globalisierung der Warenströme und die immer intensivere Nutzung der natürlichen Ressourcen erhöhen den Druck auf die Biodiversität erheblich. Der Naturschutz ist gefragt, den Erhalt der biologischen Vielfalt durch neue Konzepte und Bündnisse effektiver zu gestalten. 14 Im Zuge der politischen Umbrüche in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann auch für den internationalen Naturschutz eine neue Ära. Die Wandlungsprozesse führten zu einer intensiveren Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, die bislang als unüberwindbar galten – in Europa und weltweit. Der Naturschutz wird von anderen Nutzergruppen zunehmend als gleichberechtigter Dialogpartner akzeptiert (Erdmann 1997:2). Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 wurde neben weiteren Dokumenten auch die Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) verabschiedet. Durch die CBD fand der Begriff „Biodiversität“ international breiten Eingang in den politischen Bereich. Im Deutschen wird „Biodiversität“ dagegen oft fälschlicherweise auf „Artenvielfalt“ reduziert (Kasparek et al. 2000: 11ff). Die CBD verbindet in einem ganzheitlichen Ansatz den Schutzgedanken mit ökonomischen und sozialen Entwicklungszielen: „[…] die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile, insbesondere durch angemessenen Zugang zu genetischen Ressourcen und angemessene Weitergabe der einschlägigen Technologien unter Berücksichtigung aller Rechte an diesen Ressourcen und Technologien sowie durch angemessene Finanzierung.“ (Artikel 1 CBD, zitiert in: BMU 1992: 24). FORUM GEOÖKOL. 14 (2), 2003 Schwerpunkt In mehr als vierzig weiteren Artikeln werden in der CBD Inhalte, Maßnahmen und Verfahrensfragen geklärt. Beispielsweise sollen kommerzielle Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen „ausgewogen und gerecht“ mit der Vertragspartei (Staat oder sonstige Organisation) geteilt werden, die diese Ressourcen zur Verfügung gestellt hat. Als konkretes Finanzierungsinstrument zur Unterstützung bei der Umsetzung der Konvention ist die Globale Umweltfazilität (Global Environment Facility, GEF) für Entwicklungs- und Transformationsländer geschaffen worden. Sie dürfte mit dazu beigetragen haben, dass der Konvention bereits über 180 Vertragsparteien beigetreten sind. Weltweite Vielfalt Als „globale Biodiversitätszentren“ können solche Regionen bezeichnet werden, in denen zum Beispiel mehr als 5.000 Pflanzenarten pro 10.000 km² vorkommen. Anhand dieser und anderer Schwellenwerte wurden auf dem Erdball mehrere Schwerpunktgebiete mit besonders hoher biologischer Vielfalt identifiziert, die alle in Entwicklungsländern liegen. Dazu gehören unter anderem Teile Costa Ricas, der tropische Ost-Anden-Raum, NordBorneo und Neu-Guinea. In Mitteleuropa liegt die durchschnittliche Zahl von Pflanzenarten je 10.000 km² bei 500 bis 1.000. Auf gleicher Flächengröße können in den floristischen Entwicklungszentren der Tropen fünf- bis zehnmal mehr Arten als in Europa geschützt werden. Je nach angewandter Methode oder ausgewählter Tier- und Pflanzengruppe kommt es zu unterschiedlichen Angaben zur räumlichen und geografischen Ausdehnung dieser „Hotspots“. Festzuhalten ist, dass sich ein großer Teil der globalen biologischen Vielfalt durch Schutzgebiete in den entsprechenden Brennpunkten der EntwickFORUM GEOÖKOL. 14 (2), 2003 lungsländer erhalten ließe (Kasparek et al. 2000: 16f). Dieser Ansatz allein würde jedoch die vielerorts sehr engen Beziehungen zwischen traditionellen Landnutzungsformen und der Entstehung und dem Erhalt bestimmter Ökosysteme nicht ausreichend berücksichtigen. Dies gilt beispielsweise für die mannigfachen Typen von Kulturlandschaften. Zusätzlich würde der Blickwinkel auf eine geringe Anzahl von Regionen der Erde beschränkt, was außerordentliche Belastungen für einige wenige Staaten und Gemeinschaften zur Folge hätte. So sinnvoll eine Konzentration auch erscheinen mag, wäre eine solche Strategie sehr riskant, da sie zahlreiche Regionen und Gemeinschaften ausschließen und den vier oben genannten Motivationen zum Erhalt der Biodiversität nicht folgen würde (Vorsorgeprinzip, intergenerativer Ansatz, religös-ethische sowie ökonomische Gründe). Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Biodiversität sind deshalb auch in den Industriestaaten und Transformationsländern dringlich geboten. Differenzierte Strategien erforderlich Das Spektrum möglicher Ansätze zur Erhaltung und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt ist sehr breit. Dies kommt auch in den Schwerpunkt-Artikeln dieses Hefts zum Ausdruck. Costa Rica und Ecuador stehen im Mittelpunkt des ersten Beitrags. Carsten Kolbe beschreibt die dortige Entstehung und Entwicklung eines kooperativen SchutzgebietsManagement unter dem Dach staatlicher Regime. Das Großschutzgebiet Gandoca-Manzanillo in Costa Rica zeichnet sich durch eine sehr hohe Artenvielfalt aus. Demgegenüber bestehen die Besonderheiten der ecuadorianischen Galápagos-Inseln, dem zweiten Untersuchungsbeispiel, in einem lückenhaften Arteninventar. Beispielsweise gibt es keine endemischen Säugetiere auf den Inseln. Gleichzeitig ist die Rate endemischer Arten sehr hoch. Bemerkenswerterweise wurden in beiden Ländern bei der Lösung von Nutzungskonflikten innerhalb der Schutzgebiete ähnliche Steuerungsmechanismen angewandt. Demgegenüber beleuchtet Ralf Sanftenberg in seinem Artikel die Aktivitäten des Deutschen Entwicklungsdiensts (DED) auf den Philippinen. Der DED hat sich dort für ein integriertes Küstenzonenmanagement auf lokaler Ebene jenseits des hoheitlichen Naturschutzes engagiert. Fischergemeinden des VisayasArchipels betreiben in Eigenverantwortung kommunale Schutzgebiete zum Erhalt ihrer natürlichen Ressourcen. Sie leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität – und zur langfristigen Absicherung ihrer eigenen Existenz. Habitate und Ökosysteme werden nicht nur durch Verkehrswege und Siedlungen fragmentiert, sondern ebenso durch nationale Grenzen. Dies gilt auch für geschützte Landschaften. Markus Leibenath stellt in seinem Beitrag das europäische Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ vor, das auf der Fauna-FloraHabitat-Richtlinie der EU basiert. Eine besondere Hürde bei der fachgerechten Umsetzung dieser Richtlinie ist die Ausweisung und Abstimmung über Ländergrenzen hinweg. Daher wird ein Blick auf den Stand und den Prozess der Gebietsausweisung geworfen. Ein Schwerpunkt liegt auf der grenzüberschreitenden Koordinierung zwischen Mitgliedund Beitrittstaaten der EU. Die vielleicht größte Herausforderung ist der Erhalt der biologischen Vielfalt im direkten Lebens- und Arbeitsumfeld der Menschen – vor der Haustür und am Wegesrand. Dies erfordert Naturschutz „auf der ganzen Fläche“. Neben Schutzgebieten sind dafür weitere Instrumente erforderlich. Gisela Splett stellt den Ansatz „PLENUM“ aus Baden15 Schwerpunkt: Schutzgebiete als Instrument zum Erhalt und Schutz der Biodiversität Württemberg vor, der auf die Erhaltung und Entwicklung großflächiger Kulturlandschaften zielt. Freiwillige Kooperation ist dabei wichtiger als rechtliche Regelungen. Über Projekte zur Förderung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise werden konkrete Naturschutzziele realisiert. PLENUM hat mittlerweile die Modellphase verlassen. Abschließend analysiert Thomas Lichtenberg ein Regionales Entwicklungskonzept auf Rügen, welches aus Sicht des Naturschutzes erfolgreich verlief. Lichtenberg warnt aber vor einer „Kooperationseuphorie“: Kooperation ist nicht immer die angemessene Antwort auf Konflikte. Bei der Bilanzierung kooperativer Verfahren wird zudem häufig die Frage außer Acht gelassen, inwieweit die gefassten Beschlüsse auch wirklich umgesetzt werden. Durch dieses Versäumnis wird der Erfolg kooperativer Verfahren mit Bezug zum Naturschutz nicht angemessen beurteilt. • Erdmann K.-H. (1997): Internationaler Naturschutz – ein Vorwort. In: Erdmann, K.-H. (Hrsg.) (1997): Internationaler Naturschutz. Springer Verlag, 1-11. • Kasparek M., W. Schulz, S. Amend (2000): Naturschutz – eine Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit. In: GTZ (= Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH) (Hrsg.) / BfN (= Bundesamt für Naturschutz), Internationale Naturschutzakademie Insel Vilm (Hrsg.) (2000): Naturschutz in Entwicklungsländern. Neue Ansätze für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Kasparek Verlag, 11-27. • Korn, H. (2001): Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt. In: BfN (= Bundesamt für Naturschutz) (Hrsg.) (2001): Treffpunkt Biologische Vielfalt. BfN, 13-19. Literatur • BMU (= Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) (Hrsg.) (1992): Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro – Dokumente. Selbstverlag des BMU. Dr. Carsten Kolbe Abteilung Zentrale Aufgaben und Geoinformation Institut für ökologische Raumentwicklung e.V., Dresden Weberplatz 1 01217 Dresden Tel.: 0351 / 4679-241 Fax: 0351 / 4679-212 E-Mail: [email protected] Dr. Carsten Kolbe, geboren 1963, studierte an der Universität Hannover Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung. Promotion am geographischen Institut der TU Dresden (Kooperatives Management von Schutzgebieten in Costa Rica und Ecuador. Naturschutz durch Selbststeuerung?, Weißensee Verlag, ISBN 3-934479-71-5). Derzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Bereichen Umsetzung der „EU Richtlinie Natura 2000“ sowie in der Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Ökologische Raumentwicklung e.V. in Dresden (www.ioer.de) beschäftigt. Kooperatives Management von Großschutzgebieten Großschutzgebiete umfassen vielerorts ein Mosaik von Natur- und Kulturlandschaften. Ihr Ziel ist, den Bestand mittels eines geeigneten Managements zu sichern und wo nötig weiterzuentwickeln. Dies geschieht teilweise unter erheblichen Konflikten mit der betroffenen Bevölkerung und anderen Akteuren. In dem Beitrag wird die Entstehung und Entwicklung eines kooperativen Managements von Großschutzgebieten unter staatlichem Regime in Costa Rica und Ecuador vorgestellt. Zur Lösung der Nutzungskonflikte wurde in beiden Ländern unabhängig voneinander ein innovatives partizipatives Mehrebenenverfahren entwickelt. Das kollektiv-korporatistische Mehrebenenmodell, welches Nichtre16 FORUM GEOÖKOL. 14 (2), 2003