Die Krise in der Ukraine: (nicht nur) ein Machtkampf zwischen dem

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Die Krise in der Ukraine: (nicht nur) ein Machtkampf
zwischen dem Westen und Russland
Anlass der Proteste in der Ukraine im November 2013
war bekanntlich, dass der Präsident sich weigerte das
Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen.
Ein Skandal für die EU, besonders Deutschland – ein
pragmatischer Schritt für Janukowitsch. Dieser musste
abwägen. Entweder: er unterschreibt ein Abkommen,
das den Ausverkauf der ukrainischen Wirtschaft durch
den Freihandel mit der EU bedeutet hätte und erhält im
Gegenzug einen milliardenschweren Kredit vom IWF, der
aber die Erhöhung der Gaspreise um 40 % forderte. Eine
politische Niederlage bei den Präsident-schaftswahlen
2015 wäre vorprogrammiert gewesen. Oder aber: Janukowitsch geht auf Angebote Russlands ein, das just
einen günstigeren Kredit als der IWF sowie verbilligtes
Gas anbot und nach wie vor der wichtigste Abnehmer
für ukrainische Industriewaren darstellt. Die Entscheidung Janukowitschs, der sich weniger um die Sorgen
der einfachen Bevölkerung kümmerte, sondern vielmehr
um seine eigene Macht, war logisch.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich die Ukraine
wirtschaftlich nicht mehr erholen können. Seit Jahrzehnten wird das Land durch IWF-Kredite „gestützt“ und
mit hieran gekoppelten „Strukturanpassungsprogrammen“ erpresst, was nichts anderes bedeutet, als dass
Sozialausgaben, Löhne, Renten und Subventionen für
Gas- und Transportpreise in regelmäßigen Abständen
gekürzt werden. Etliche Staatsbetriebe wurden seither
rationalisiert und privatisiert.
Seit der Wirtschaftskrise, die in der Ukraine 2009 einsetzte, befindet sich die ukrainische Wirtschaft erst recht
in einem Abwärtsstrudel. Die Armut in der Ukraine ist
unbeschreiblich. Der offiziellen Statistik zufolge leben
80 % der Bevölkerung unterhalb des Lebensminimums:
Massenarbeitslosigkeit, Gewalt, Alkoholismus sind
Alltag... Der Durchschnittslohn liegt bei 300 Euro und
ist niedriger als in Russland oder Rumänien. Selbstversorgung ist auf dem Lande daher Normalität. Und so
suchen Millionen Ukrainer ihr Glück in anderen Ländern:
Während Anfang der 90er Jahre noch 52 Mio. Menschen
in der Ukraine lebten, sind es heute nur noch 45,5 Mio.
Nicht alle sind arm: Superreiche und ihre Macht
Man hat das Wort schon oft gehört: Oligarchen. Sie
sitzen an den Schalthebeln der Macht und bilden
unterschiedliche Clans, die infolge von Privatisierungen zu unermesslichem Reichtum gekommen sind und
miteinander in einem ständigen Konkurrenzkampf,
um den Einfluss auf Regierungsgeschäfte und daraus
folgende wirtschaftspolitischen Gesetzen, stehen. Ihre
heute in Deutschland bekanntesten Köpfe heißen
Julia Timoschenko, Viktor Janukowitsch und Viktor
Juschtschenko. Auch in den Ministerien und regionalen
Regierungen, in den Kiewer wie auch anderen Regionalparlamenten und -verwaltungen sitzen diese Männer
und Frauen oder ihre Vertreter_innen, die sich mithilfe
von Korruption, Vetternwirtschaft und illegalen Ge-
www.sozialistische-arbeiterstimme.org
www.sozialismus.net
schäften über Jahrzehnte bereichert haben. Sie protzen
mit ihrem Luxus, brettern mit ihren Limousinen durch
die ärmlichen Straßen, bauen sich gigantische Villen,
besitzen die ehemaligen Staatsbetriebe oder jagen sich
diese durch Regierungserlasse gegenseitig ab.
Der Maidan und die „westliche Demokratie“
Angesichts der so offensichtlichen Korruption und
des schamlosen Reichtums einiger Weniger wachsen
die sozialen und politischen Spannungen seit Jahren.
Die Maidan-Proteste waren letztlich der Ausdruck
der Unzufriedenheit und wurden von vielen Millionen
UkrainerInnen aktiv oder mindestens mit viel Sympathie unterstützt. Und wen wundert es, wenn Millionen
Ukrainer_innen Wut und Groll gegen die führenden
Politiker_innen entwickeln, so dass sie jede Bewegung
unterstützen, die es sich auf die Fahne geschrieben hat,
der herrschenden Korruption ein Ende zu setzen und
für „Demokratie“ zu kämpfen? Niemand kann es den
Ukrainer_innen verdenken, wenn sie hoffen, mit einer
Annäherung an die EU endlich ein besseres Leben zu
führen. Nicht umsonst riefen aber auch viele Ukrainer_
innen, als Timoschenko, Klitschko und Konsorten auf der
Tribüne auftauchten: „Sie sollen alle weg!“ und pfiffen
die selbsternannten FührerInnen der Bewegung aus.
Doch von Anfang an hatten politische Kräfte in der
Maidan-Bewegung viel Einfluss, die Vertreter_innen der
Oligarchie sind und/oder eine politische Ausrichtung
haben, die alles andere als „demokratisch“ ist. So wurden die Proteste in Kiew von einem rechtsgerichteten
Dreiparteienbündnis initiiert: die Vaterlandspartei von
Timoschenko, die UDAR (der Schlag) von Klitschko –
eine Partei, die von der CDU nahen Konrad-AdenauerStiftung seit Jahren aufgebaut wird – und die Swoboda
(Freiheit), die bis vor kurzem noch „Sozial-nationale Partei der Ukraine“ hieß, offen neonazistisch ist und auch
Beziehungen zur deutschen NPD unterhält. Deren Vertreter, die russenfeindlich, homophob und antisemitisch
sind, können sich – aufgrund ihrer Rolle als Newcomer
- als unbestechliche Saubermänner darstellen
Ausgewählte Oligarchen der Ukraine:
• Rinat Achmetow – 15,4 Mrd. Dollar = (einfluss-) reichster Mann der Ukraine und Unterstütze Janukowitschs
• Wadym Nownysjkyi – 3,6 Mrd. Dollar
• Oligarch Dmitri Firtasch – 2,7 Mrd. Dollar
• Igor Kolomoiskyi und Gennadi Boholubow, je 3, 4
Mrd. Dollar
• Pjotr Poroschenko – 1,6 Mrd. Dollar
• Julia Timoschenko – mehrere Hun-dert Mio. Dollar
•Viktor Janukowitsch und sein Sohn Alexander –
510 Mio. Dollar
und errangen bei den letzten Parlamentswahlen bereits 10 % der Stimmen (in manchen Regionen sogar
50 %!). Westliche Politiker_innen – auch deutsche
Regierungsmitglieder – unterstützten in ihren Reden
während der Proteste diese Kräfte, weil sie sich dadurch
erhofften, eine Regierung an die Macht zu bringen, die
sich von Russland lossagt… dabei waren sie bereit über
die menschenverachtenden Positionen von Swoboda
hinwegzusehen, die heute mit mehreren Vertretern in
der Übergangsregierung sitzt, den Generalstaatsanwalt
stellt und antirussische Gesetze (z. B. Verbot von Russisch als Landessprache) erlässt.
Im Laufe der Proteste erschien jedoch selbst Swoboda
vielen Protestierenden als zu angepasst. So konnte sich
eine andere Organisation profilieren: der „Rechte Sektor“. Hierbei handelt es sich um eine SA-artige Schlägerbande, die ebenso neofaschistische Ideen vertritt wie die
Swoboda, nur dass sie viel brutaler und militaristischer
auftritt. Linke und Andersdenkende hatten durch ihren
Einfluss auf dem Maidan schnell keinen Platz mehr, weil
der Rechte Sektor – gut organisiert und gewaltbereit
– sich durchsetzte. Sein politischer Einfluss hat seither
zugenommen, was niemanden wundern kann, angesichts der politischen Leere, die die ukrainische Bevölkerung umgibt: bis heute gibt es nur die Wahl zwischen den Parteien der Oligarchen, den Parteien, die sich
den Oligarchen unterordnen oder den neuen rechtsextremen Kräften, die bisher noch in keine politischen
Skandale verwickelt sind.
Die Geister, die sie riefen…
In all dem Tohuwabohu eskalierte die Situation – auch
auf internationaler Ebene. Endgültiger Stein des Anstoßes war die Krim, die Russland scheinbar plötzlich
schwer ans Herz gewachsen war. Die NATO, die EU
und insbesondere die deutsche Regierung schrien vor
Entrüstung auf. Seither hat sich die Situation in der
Ukraine immer weiter verschärft. Der Süden und Osten
des Landes, traditionell russischstämmig geprägt, fühlt
sich durch die russenfeindliche Politik der Übergangsregierung angegriffen. Hierdurch entwickelten sich auch
in diesen Regionen Proteste und prorussische Milizen,
die sich von der Ukraine lossagen wollen und nach der
Unterstützung Russlands riefen. Und Russland ließ sich
nicht lange bitten, um sich als großer Bruder aufzuspielen.
Die Übergangsregierung in Kiew ihrerseits versucht seit
Wochen das Land mit Gewalt wieder unter Kontrolle zu
bekommen, doch vielfach entziehen sich lokale
Politiker_innen, Polizei und Soldaten ihrem Befehl – die
Mehrheit der Bevölkerung ist ohnehin gegen die Kiewer
Regierung. So steuert die Ukraine auf ein politisches
Chaos zu, wobei besonders der Rechte Sektor ungestraft
brutal auf seine Opfer losgeht und versucht, Angst und
Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Zuletzt hat
der Tod von mindestens 46 Menschen durch Aktionen
des Rechten Sektors in Odessa traurige Schlagzeilen
gemacht, viele weitere Tote schaffen es nicht in die breiten Medien. Am Ende wird diese Entwicklung eine Spaltung des Landes zur Folge haben. Doch diese wird nicht
die sozialen Probleme der Bevölkerung lösen, sondern
nur die Einflussspähren des Westens und Russlands neu
ordnen.
Westliche Politiker_innen geben sich heute angesichts
der gewaltsamen Dynamik in der Ostukraine betroffen: »Der Ukraine-Konflikt hat an Schnelligkeit und
Schärfe zugenommen, wie wir es vor einiger Zeit nicht
für möglich gehalten hätten«, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Doch eines darf man nicht
übersehen: durch die aktive Einmischung und Unterstützung der Maidan-Bewegung und der Anerkennung der
Übergangsregierung wurde diese verschärfte Situation
erst geschaffen!
Und so geht es der EU, Deutschland, den USA oder
Russland nicht um „westliche Demokratie“ auf der einen
oder den „Schutz der russischsprachigen Ukrainer“ auf
der anderen Seite, sondern um den Kampf um Einflusssphären zwischen dem Westen und Russland. Sie
versuchen lediglich sich die politischen Kräfte in der
Ukraine zunutze zu machen. Beide Lager ringen um
Handelsbeziehungen, Absatzmärkte und Rohstoffe,
wobei besonders Deutschland seit der Wirtschaftskrise
nach neuen Märkten sucht und eine der treibenden
Kräfte im Kampf um die Ukraine ist.
Nach dem Maidan ist vor dem Maidan
Die Bewegung auf dem Maidan hat seine Wurzeln in
den tiefen sozialen Verwerfungen der letzten Jahrzehnte.
Die himmelschreiende Ungerechtigkeit, die in diesem
Land herrscht, hat dazu geführt, dass sich ein größerer
Teil der ukrainischen Bevölkerung im Westen wie auch
im Osten des Landes in Bewegung gesetzt hat. Doch die
Maidan-Bewegung blieb politisch sehr begrenzt, denn
die Forderung „Alle müssen weg!“ ist keine Antwort auf
die akuten Probleme. Und am Ende blieben daher (fast)
alle an der Macht, die das Land seit Jahrzehnten beherrschen, nur jetzt unter der Führung anderer politischer
Köpfe, wie dem Ministerpräsidenten Jazeniuk, der
bereits in der Vergangenheit Wirtschaftsminister und
Außenminister war. An den grundsätzlichen Machtverhältnissen, in denen die Oligarchen das Sagen haben,
hat sich nichts geändert - nur dass sich braune Kräfte
jetzt auf eine Massenbewegung stützen können und
versuchen ihre politischen Gegner durch Gewalt und
Mord auszuschalten.
Der eigentliche Kampf mit der Oligarchie steht noch
bevor…
In der Maidan-Bewegung waren es vor allem die
kleinbürgerlichen Schichten, die Student_innen und
Akademiker_innen, die Kleinunternehmer, Bauern und
leitenden Angestellten, die die Proteste dominierten.
ArbeiterInnen (und Arbeitslose) jedoch, die große Mehrheit der Bevölkerung, waren kaum in der Bewegung
vertreten – vor allem nicht mit ihren eigenen Forderungen. Sie fühlten sich von dieser Bewegung wenig
angesprochen, um daran aktiv teilzunehmen. Wenn aber
diese gesellschaftliche Kraft aufsteht, die in den Betrieben der Oligarchen aller Clans arbeitet, wird die Ukraine
wirklich erschüttert und der Macht der Oligarchen wird
dann eine echte Gegenmacht entgegengesetzt werden
können. Und dann ist auch der Einfluss des Westens wie
auch Russlands in Frage gestellt, was die Voraussetzung
dafür ist, dass sich die Ukraine wirklich selbst bestimmen
kann.
Veranstaltung: “Was ist los in der Ukraine?”, Mittwoch 21.05., 18:30
Versammlungsraum, Mehringhof, U6/U7 Mehringdamm
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