Biofilme – Komplexe Gesellschaften und ihre molekularen Tricks

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Biofilme – Komplexe Gesellschaften und ihre
molekularen Tricks
Anlagen für Trinkwasseraufbereitung, Kanülen von Kathetern oder Körperimplantate –
Mikroorganismen suchen sich manchmal wahrlich unpassende Lebensräume. Sie wieder
loszuwerden kann schwierig sein, denn die Lebenskünstler bilden bakterielle
Gemeinschaften, die hervorragenden Schutz vor zum Beispiel UV-Strahlen,
Desinfektionsmitteln oder Antibiotika bieten. Wie diese sogenannten Biofilme aufgebaut
sind und wie die darin lebenden Organismen auf Angriffe von außen reagieren, untersucht
die Arbeitsgruppe von Dr. Thomas Schwartz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Methoden der Mikro- und Molekularbiologie enthüllen das Bild von gut organisierten und
komplexen Lebensgemeinschaften. Wie reagieren die Kolonisten auf Stress? Und haben sie
potenzielle Schwachstellen?
Wissenschaftler unterscheiden mehrere Phasen der Biofilmbildung: Zunächst nähern Bakterien,
einzellige Pilze oder Algen sich einer Oberfläche an und heften sich an sie an. In einem späteren
Schritt sezernieren sie eine Schicht aus Polysacchariden, Proteinen und Nukleinsäuren nach
außen (sogenannte extrazelluläre polymere Substanzen, EPS) und bilden einen mechanisch
schwer ablösbaren und zunächst zweidimensionalen Belag. Dann setzt der Reifungsprozess ein:
Die Kolonie wird dreidimensional, es siedeln sich neue Spezies an, es entstehen
Subpopulationen, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Es resultieren zum Beispiel
aerobe und anaerobe Bereiche, in denen unterschiedliche Arten unterschiedliche biochemische
Verhaltensweisen an den Tag legen. „Ein reifer Biofilm ist kein willkürliches System aus
einzelnen Individuen“, sagt Dr. Thomas Schwartz vom Institut für Funktionelle Grenzflächen
(IFG) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Die Zellen tauschen Signalmoleküle aus und
reagieren aufeinander.“ Kommunikation auf chemischem Niveau also, ein Phänomen, das als
„Quorum Sensing“ bekannt ist. Ein Biofilm ist gegen Störungen von außen gut gewappnet.
Selbst wenn die äußeren Schichten aus Mikroorganismen durch Desinfektionsmittel,
Antibiotika oder UV-Strahlen abgetötet werden, überleben andere Mitglieder eines Biofilms
und können sich nach kurzer Zeit wieder ausbreiten.
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Schematische Darstellung der Entstehung eines Biofilms auf einer Oberfläche © Dr. Thomas Schwartz
Waffen im Kampf gegen Stress
Schwartz und sein Team von der Arbeitsgruppe für Mikrobiologie an natürlichen und
technischen Grenzflächen untersuchen in Kooperation mit zahlreichen Industrie- und
Universitätspartnern die Vorgänge in Biofilmen, die vor allem aus Bakterien aufgebaut sind.
Die Hoffnung ist nicht nur, grundsätzlich zu verstehen, wie die komplexen Ökosysteme
entstehen und sich organisieren. Durch die Identifikation von relevanten molekularen
Mechanismen erhoffen sich die Forscher auch, konkrete Ansätze zu entwickeln, mit denen sich
klinisch und industriell relevante Biofilme kontrollieren lassen.
Am Anfang einer Untersuchung steht immer die Frage nach der Zusammensetzung eines
Biofilms. Durch genetische Fingerprinttechniken erstellen die Forscher um Schwartz zunächst
ein taxonomisches Profil einer Biofilmgemeinschaft, um die einzelnen Arten zu identifizieren.
Danach prüfen sie mit Hilfe von molekularbiologischen Methoden, welche Gene während der
Besiedelung von verschiedenen Oberflächen oder während der Entwicklung eines Biofilms
aktiviert werden und welche molekularen Signalprozesse in Gang treten. Schließlich suchen sie
nach unbekannten Genen und genetischen Programmen, die Bakterien als Antwort auf Stress
anschalten. Denn diese Mechanismen gehören zu den Waffen der Organismen im Kampf gegen
Antibiotika , UV-Strahlen und Co.
Eine mikroskopische Aufnahme eines Biofilms nach Anfärbung mit einem Fluoreszenzfarbstoff © Dr. Thomas
Schwartz
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Ein Ergebnis aus einem Forschungsprojekt mag beispielhaft die Arbeitsweise von Schwartz und
seinem Team verdeutlichen. Immer häufiger wird Trinkwasser in Wasserwerken mit UVStrahlern desinfiziert. Diese Strahlung führt zu Brüchen in der Struktur der bakteriellen DNA
und inaktiviert dadurch Bakterien im kontaminierten Wasser. Aber ein Teil der bakteriellen
Gemeinschaften in den Rohren oder Tanks einer Anlage kann es schaffen, Mechanismen zu
aktivieren, die die Schäden im Erbgut wieder reparieren. Nach einer kurzen Erholungsphase
können sich diese Bakterien wieder vermehren und zu einer hygienisch relevanten
Kontamination des Trinkwassers führen. „Im Rahmen von Projekten mit Industriepartnern aus
dem Trink- und Abwasserbereich konnten wir zum Beispiel zeigen, dass nach Bestrahlung mit
UV-Licht in bestimmten Bakterien das Gen rec A angeschaltet wird“, sagt Schwartz. „Dieses
Gen aktiviert wiederum Proteine , die sich an DNA-Schäden anlagern und diese reparieren.“
Dadurch kann ein Teil der bestrahlten Individuen überleben und neue bakterielle
Gemeinschaften aufbauen. Will man also bakterielle Verschmutzung mit Hilfe von UVBestrahlung loswerden, sollte man darauf achten, dass man vor allem unerwünschte Bakterien
mit geeigneten Methoden vollständig und nachhaltig entfernt.
Zähe Gegner und neue Oberflächen
Rec A ist eines der zahlreichen Gene, die bei Bakterien molekulare Antworten auf Stress
regulieren. Interessanterweise hat es noch eine zweite Funktion: Wird es durch Stress wie
starke UV-Strahlung oder Kontakt mit Antibiotika aktiviert, dann erhöht sich auch die Rate,
mit der die einzelnen Bakterien in einem Biofilm untereinander Erbgut austauschen. Dieser als
„horizontaler Gentransfer“ bekannte Prozess beruht auf der Fähigkeit von Mikroorganismen,
freie DNA aus ihrer Umgebung aufzunehmen und in ihr eigenes Erbgut einzubauen. Auf diese
Weise tauschen Bakterien zum Beispiel die Fähigkeit zur Resistenz gegenüber Antibiotika aus.
Damit ist klar, dass Bakterien zähe Gegner sind: Was sie nicht umbringt, macht sie nur stärker.
„Nur wenn wir verstehen, welche molekularen Mechanismen zum Schutz eines Biofilms
beitragen, können wir in Zukunft Bakterien aus Implantaten oder Wasseraufbereitungsanlagen
effektiv verbannen“, sagt Schwartz.
Die Suche nach zentralen genetischen Regulatoren von bakteriellen Stressantworten ist ein
möglicher Ansatz. Ein anderer ist der Versuch, die Bildung von Biofilmen von vornherein zu
erschweren. Dies könnte in Zukunft durch die Entwicklung von neuen Materialien gelingen,
deren Oberflächeneigenschaften eine Besiedelung mit Mikroorganismen unmöglich machen
oder zumindest hinauszögern. Auch solche Projekte verfolgen Schwartz und sein Team mit
Kooperationspartnern aus der Industrie oder vom KIT. In einem Projekt mit dem Unternehmen
BASF untersuchen die Forscher zum Beispiel das Potenzial von bestimmten Substanzen, die
von Pilzen produziert werden. Diese Substanzen, meist Proteine , können die chemischen
Eigenschaften von Materialoberflächen unter Umständen in gewünschter Weise modifizieren
oder die Struktur von bereits etablierten Biofilmen destabilisieren.
Ob man mit Hilfe aller dieser Methoden der Besiedelung mit Mikroorganismen gänzlich Herr
werden kann, ist eine offene Frage. Aber je besser Forscher die komplexen Vorgänge in einem
Biofilm verstehen, desto besser können sie in Zukunft ihre Strategien gegen unerwünschte
Lebensgemeinschaften ausrichten.
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Fachbeitrag
07.03.2011
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Thomas Schwartz
Gruppe: Mikrobiologie an nat. und technischen Grenzflächen
Institut für Funktionelle Grenzflächen (IFG)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Tel.: +49-721/608-2-6802
E-Mail: thomas.schwartz(at)kit.edu
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