Sucht Hausarzt Medizin Weg vom Glimmstängel Viele Raucher würden gerne auf Zigaretten verzichten, schaffen es aber ohne fremde Hilfe nicht. Eine Kurzintervention wirkt sich bereits positiv auf die Abstinenzrate aus. Foto: WalC1 - photocase Der Anteil an Rauchern in Deutschland liegt bei ca. 26% der Bevölkerung ab dem 15. Lebensjahr. Tabakkonsum ist weltweit die wichtigste vermeidbare gesundheitliche Gefährdung des Menschen. Raucher leben durchschnittlich nicht nur 10 Jahre kürzer, sondern entwickeln regelhaft schwerwiegende Erkrankungen, z. B. kardiovaskuläre und pulmonale Krankheiten oder Malignome. Auch bestimmte psychische Erkrankungen wie Depressionen treten bei ihnen häufiger auf als bei Nichtrauchern. raucht, und das Verlangen reduziert, stellen sich unmittelbar angenehme Gefühle ein und das Rauchverhalten wird positiv verstärkt. Das Verlangen nach der nächsten Zigarette wird gleichzeitig gefördert. Diagnostik Die meisten Raucher denken regelmäßig über ihr Rauchverhalten nach und möchten es verändern. Hier bietet das hausärztliche Setting einen ausgezeichneten Ansatzpunkt für die Diagnostik zur Tabakabhängigkeit. Wird die Frage nach dem Rauchstatus Tabakabhängigkeit vom Patienten bejaht und Tabakabhängigkeit nach ICD-10 diagnostiziert (F17.2), kann Das Risiko, eine Tabakabhängigkeit zu entnach wenigen Minuten der Fagerström-Test wickeln ist hoch. Ca. 50 – 60 % der Raucher für Nikotinabhängigkeit sind als abhängig einzustu­(FTND) einen Hinweis auf fen. Dies lässt sich zum eiDie meisten Raucher das Ausmaß der Abhängignen neurobiologisch auf denken regelmäßig keit und Therapieoptionen die extrem schnell einsetüber ihr Rauchverhalten nach und möchten es liefern. Mit 6 Fragen, die zenden positiv empfundeändern. der Raucher selbst ausfüllt, nen Eigenschaften des Nikoergibt sich eine Gesamttins zurückführen, wie z. B. punktzahl zwischen 0 und die Verbesserung der Vigi10. Je höher der Wert, deslanz, die antidepressive und to stärker die Tabakabhängigkeit. Ab einem die anxiolytische Wirkung. Zum anderen Wert von 3 ist medikamentöse Unterstütspielt die psychische Abhängigkeit eine erzung zur Entwöhnung sinnvoll. hebliche Rolle und wird oft unterschätzt. Die mit dem Rauchen positiv assoziierten Gefühle und ritualisiertes Verhalten werden bei Gesprächsführung jedem erneuten Rauchen klassisch und operant konditioniert. Beispielhaft löst der visu- Ist eine Tabakabhängigkeit festgestellt, sollelle Reiz „Kaffee“ bei einem Raucher, der zum te vom Hausarzt der Ratschlag zur TabakentKaffee immer raucht, sofort das – bei jedem wöhnung ausgesprochen werden, da diese Zug erneut – erlernte Verlangen nach einer Kurzintervention bereits die ErfolgswahrZigarette aus. Wird diese Zigarette dann gescheinlichkeit der Abstinenz im Vergleich Der Hausarzt 08/2015 Dipl. Psych. ­Stephanie Traudt Rauchfrei-Trainerin IFT/BZgA, Spezial­ ambulanz für Tabak­ abhängigkeit, ­Klinikum der ­Universität München Dr. med. Tobias Rüther Leiter Spezialambulanz für Tabakabhängigkeit, Klinikum der Universität München, E-Mail: Tobias. [email protected] 49 Hausarzt Medizin P zum unbegleiteten Rauchstopp erhöht. Sowohl im Vorfeld als auch bei der Begleitung des Rauchstopps sind Techniken der motivierenden Gesprächsführung sehr hilfreich im Gespräch mit dem Patienten. Diese Technik wertet das Gesagte des Patienten nicht, sondern bestätigt ihn in seinem Erleben durch – nicht wertendes – Reflektieren seiner Antworten. Fallbeispiel Motivierende Gesprächsführung Ein Raucher berichtet in der Praxis von seinem Rauchverhalten und antwortet auf die Frage „Wie denken Sie über das Rauchen?“. Patient:„Neulich habe ich schon mal wieder ans Aufhören gedacht. Aber wenn ich dann wieder Ärger im Büro habe, dann brauche ich das zum Runterkommen.“ Arzt:„Rauchen hilft Ihnen, sich zu entspannen, wenn Sie sich ärgern.“ Umgang mit Entzugssymptomen Hat sich der Patient für einen Rauchstopp entschieden, ist die Informationsvermittlung zum Umgang mit Entzugserscheinungen wichtig. Innerhalb der ersten rauchfreien Stunden können leichte vegetative Symptome wie Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche, Angst, Appetitsteigerung und ein starkes Rauchverlangen auftreten. Ein Abklingen der Symptomatik stellt sich jedoch innerhalb von wenigen Wochen ein. Diese Symptome werden nicht von allen Rauchern erlebt, jedoch als unangenehm antizipiert und führen häufig zum Aufgeben der Abstinenz. Vereinzelt kann es auch zu schwerwiegenderen psychischen Problemen wie z. B. depressiver Symptomatik kommen. Patient:„Ja, genau, dann brauche ich einfach mal eine kurze Auszeit.“ Arzt:„Wenn Sie rauchen, haben Sie Zeit für eine Pause.“ Patient:„Aber wenn ich danach die Treppen wieder hochgehe, merke ich schon, dass mir die Puste ausgeht.“ Arzt:„Sie machen sich Gedanken, weil Ihnen beim Treppensteigen das Atmen schwerer fällt.“ Patient:„Ja, und beim Wandern merke ich das ja auch. Früher ging das besser.“ Arzt:„Einerseits gibt es Seiten am Rauchen, die Sie mögen, Sie entspannen sich und gönnen sich eine Pause. Andererseits machen Sie sich Sorgen, weil Sie beim Treppensteigen und beim Wandern schneller außer Puste sind.“ Im Gegensatz dazu wäre hier eine direktive belehrende Antwort des Arztes eher hinderlich: Arzt:„Sie haben gesagt, dass Sie sich beim Rauchen entspannen. Das ist aber nur kurzfristig. Außerdem geht Ihnen die Puste beim Treppensteigen aus. Sie sollten unbedingt aufhören zu rauchen.“ Auf diese Weise wird beim Patienten eher Widerstand gegen einen Rauchstopp hervorgerufen, weil er sich in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlt. Die Mehrzahl der Raucher nennt bei der Raucheranamnese sowohl Gründe für als auch gegen das Rauchen, und ist gegenüber dem Rauchstopp ambivalent. Kurzfristig werden Vorteile wie Genuss und Entspannung erlebt. Diesen stehen Nachteile wie gesundheitliche Beeinträchtigungen gegenüber. Durch nicht wertendes Thematisieren dieses Widerspruchs erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient einen Aufhörversuch erwägt. 50 Schlusspunkt-Methode Als erfolgreichste Methode zum Erreichen der Abstinenz hat sich die Schlusspunkt-Methode erwiesen. Der Patient legt dabei einen Rauchstopp-Tag fest, ab dem nicht mehr geraucht wird. Eine Reduktion des Rauchverhaltens oder vorübergehende Abstinenz sollte aufgrund der gesundheitlichen Risiken des Weiterrauchens nur für bestimmte, nicht anders motivierbare Patientengruppen und nur als Zwischenziel geplant werden. Ist das Rauchstopp-Datum festgelegt, geht es um die Vorbereitung. Zentral ist das Ansprechen des Aufbaus von Alternativverhalten zur Stabilisierung der Rauchfreiheit im Alltag, z. B. was macht der Raucher beim Kaffee trinken, nach dem Essen, auf einer Party, etc. Für den Aufbau des neuen rauchfreien Verhaltens ist das tägliche Üben und Belohnen – im Sinne einer positiven Verstärkung – für das Aufrechterhalten der Abstinenz zentral. Medikamentöse Unterstützung Durch eine medikamentöse Unterstützung kann die Abstinenzrate nach 1 Jahr verdoppelt werden (22 % im Vergleich zu Placebo mit ca. 10 %). Entscheidend für den Erfolg der medikamentösen Unterstützung sind die richtige Anwendungsdauer von 3 Monaten Der Hausarzt 08/2015 Hausarzt Medizin (für alle in Deutschland zugelassenen First-Line-Präparate) und die korrekte Dosierung. Der Königsweg zur Abstinenz mit den höchsten langfristigen Abstinenzquoten ist die Kombination aus Pharmakotherapie und verhaltenstherapeutischen Interventionen. Nikotinersatztherapie Zur Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit der Abstinenz empfiehlt sich zusätzlich die Nikotinersatztherapie. Im Gegensatz zur Zigarette verhindert die Pharmakokinetik des therapeutischen Nikotins eine Abhängigkeit und lindert die Entzugssymptome. Therapiebeginn ist nach dem Rauchstopp. Dabei sollte die Initialdosierung ausreichend hoch sein, häufigste Anwendungsfehler sind Unterdosierung sowie zu kurze Anwendungsdauer. Nach einem Rauchstopp sollte therapeutisches Nikotin mindestens 2 – 3 Monate angewandt werden. Zur Verfügung stehen rezeptfrei Nikotin-Pflaster, -Kaugummi, -Lutschtabletten, -Inhalator und ein -Mundspray. Alle Präparate können untereinander kombiniert werden und sind in ihrer Anwendung sicher und wirksam. Selbst bei schwangeren Raucherinnen ist die Unterstützung eines Rauchstoppversuchs mit Nikotinersatztherapie die bessere Wahl als das Weiterrauchen. Foto: F12 - photocase Vareniclin Vareniclin erzielt eine ähnliche Wirkung wie Nikotin, wodurch Entzugssymptome gelindert werden. Zusätzlich vermindert es die belohnenden Eigenschaften der Nikotinwirkung. Der Rauchstopp wird erst nach einer Eindosierungsphase ­(7 – 14 Tage) empfohlen, u. a. damit der Raucher das unter der Behandlung mit Vareniclin veränderte subjektive Erleben des Rauchens erfährt – „Rauchen wird langweilig”. In Zulassungsstudien zeigte VarenicDer Hausarzt 08/2015 lin unter den bislang verfügbaren Substanzen zur Tabakentwöhnung die beste Wirksamkeit. Aufgrund mehrerer Postmarketing-Berichte von psychiatrischen und kardiovaskulären Nebenwirkungen werden aktuell umfangreiche Phase-IV-Studien zur Sicherheit von Vareniclin durchgeführt. Die Inzidenz dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen ist jedoch wahrscheinlich gering. Diese Angebote sind geringer wirksam als verhaltenstherapeutische und medikamentösen Angebote, gleichzeitig jedoch niederschwellig und kostengünstig. Rückfallprophylaxe Tabakabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung. Rückfälle in der Behandlung sind die Regel. Bei Rauchern, die ohne jegliche Unterstützung einen Rauchstopp unternehBupropion men, liegt die Abstinenz nach 1 Jahr bei ­3 Bupropion ist das ein– 5 %. Mit jedem erfolgzige in Deutschland reich durchgeführten zugelassene AntideRauchstopp steigt die pressivum zur RauWahrscheinlichkeit zur cherentwöhnung. dauerhaften Abstinenz. Durch seine noradDie meisten Rückfälrenerge Wirkung rele treten in den ersduziert es NikotinDer Königsweg ist ten Wochen nach dem entzugssymptome, die Kombination aus Rauchstopp auf. Für wirkt antriebsteigernd ­Pharmakotherapie und den Patienten ist es und reduziert Suchtverhaltenstherapeuti­ schen Interventionen. wichtig, diesen als nordruck. Der Rauchmal einzuordnen und stopp ist erst nach Aufihn nicht als Versagen dosierung am Ende zu erleben. Durch Beder 1. Woche vorgesesprechen der Rückfallsituation, des Verhen. Zu beachten sind die ausgeprägten haltensmusters und der Gefühle können Interaktions­potenziale mit anderen hewichtige Erfahrungen gesammelt werpatisch metabolisierten Pharmaka und den, die beim nächsten Aufhörversuch die ­Anwendungsbeschränkungen laut berücksichtigt werden sollten. Zentral ­Herstellerangaben. ist weiterhin das tägliche Üben und Belohnen für das neu gezeigte Verhalten im Niederschwellige Angebote Sinn einer positiven Verstärkung. Sowohl telefon- und internetbasierte BeLiteratur bei den Verfassern Mögliche Interessenskonflikte: Stephanie Traudt: keiratungen als auch kostenlose Selbsthilfene; Dr. Tobias Rüther: Honorare von Pfizer und Johnson & Johnson; Studienleiter für Pfizer; keinerlei Kontakte zur manuale können von der BzgA oder dem Tabakindustrie oder zu Herstellern oder Vertreibern von DKFZ in Anspruch genommen werden. E-Zigaretten oder Liquids. Fazit Tabakabhängigkeit ist eine Suchterkrankung. Bei jedem sich bietenden ­Moment im Arztgespräch sollte die Empfehlung zum Rauchstopp ausgesprochen ­werden. Langfristig lassen sich die höchsten Abstinenzquoten durch die Kombination aus Pharmakotherapie und verhaltenstherapeutischen Interventionen ­erreichen. 51