Rauchende Kindsköpfe

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Rauchende Kindsköpfe
Gegen Rauchverbote gehen Raucher mit den bizarrsten Argumenten vor. Sie sollten sich besser
Gedanken zu sich selber machen.
Das Magazin 23 - 2008
Von Thomas Meyer
Tomas Meyer ist Autor und Werbetexter, er lebt in Zürich
Viele Menschen reagieren reichlich seltsam auf Kritik an ihrem Benehmen: Erst behaupten
sie, falsch verstanden worden zu sein, dann erklären sie die Kritik zum eigentlichen
Fehlverhalten und feuern aus allen Rohren auf den dreisten Hund, der es wagt, schlechte
Dinge über sie zu sagen.
Raucher funktionieren fast ausnahmslos so. Erklärt man ihnen höflich, ihr Rauch störe einen,
sie mögen doch bitte davon lassen, gucken sie finster und beklagen sich lauthals darüber,
eingeschränkt und diskriminiert zu werden. Kein Wort darüber, dass sie eventuell ihre
Mitmenschen einschränken – sie schimpfen nur über beschnittene Freiheiten und stecken
sich zur Wiedergutmachung gleich noch eine Zigarette an.
Dass sich die Debatte über das Rauchverbot etwas heftig gestaltet, verwundert nicht, wenn
man bedenkt, dass man sie mit solchen Leuten führen muss. Sie wird im ganzen Land
geführt; mehrere Kantone wie Graubünden, das Tessin, das Wallis, Genf, Solothurn und am
vergangenen Wochenende Uri haben bereits weit gehende Rauchverbote beschlossen, im
Kanton Zürich soll im September abgestimmt werden, und auch auf nationaler Ebene berät
man ein Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen.
Raucher verteidigen ihre bedrängte Position unter anderem mit dem lustigen Argument, uns
drohe eine «Verbotsgesellschaft». Genauso gut könnten Raser behaupten, die Tempolimiten
würden sie diskriminieren; und Diebe könnten sich darüber beschweren, das Strafgesetz
schränke sie in ihrer Freiheit ein, jederzeit an sich nehmen zu können, was ihnen gefällt.
Nun ist es so, dass Gesetze gegen Raserei und Diebstahl der Unversehrtheit des Menschen
dienen. Das begreifen sogar jene, die sich nicht daran halten. Auch ein Rauchverbot zielt
nicht darauf ab, das Volk zu schikanieren, sondern ist dazu da, Nichtraucher vor der
Zumutung zu bewahren, die Passivrauchen darstellt. Anders gesagt: Die Freiheit des
Einzelnen endet dort, wo sie jene des Nächsten berührt.
Aber Raucher haben eine eigene Logik, die sich nicht an der Vernunft orientiert, sondern an
der Lüge. Schliesslich gelingt es ihnen, sich jahrelang Gründe einzureden, warum Rauchen
eine wunderbare Sache sei. Sie haben ihr Schamgefühl so domestiziert, dass es ihnen
nichts ausmacht, ihrem Gegenüber Rauch ins Gesicht zu blasen und das dann Genuss und
Freiheit zu nennen und im Übrigen ihr gutes Recht.
Es wäre auch naiv, von jemandem Rücksicht zu erwarten, der sich selbst nicht schont.
Einem Raucher ist es nämlich gleichgültig, dass er seine Gesundheit gefährdet. Man redet
hier an blanken Fels, das zeigt auch die Wirkungslosigkeit der Warnhinweise auf den
Packungen.
Aber warum ist das so? Warum sind Raucher so starrsinnig? Warum gefallen sie sich so in
ihrer Respektlosigkeit? Woher nehmen sie die erstaunliche Selbstsicherheit, vom weitaus
grösseren Teil der Bevölkerung zu verlangen, ihr Verhalten schweigend hinzunehmen,
obwohl sie jeden Tag feststellen können, dass sie ihre Umwelt belästigen?
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Die Antwort liegt im Zeitpunkt verborgen, zu dem ein Mensch mit dem Rauchen anfängt: in
einem Alter, in dem man die Polizei für einen brutalen Terrorapparat hält und Anarchie für
die ideale Staatsform. Man malt entsprechende Symbole auf seine Jeans und verehrt Che
Guevara und andere Mörder; man besäuft sich, kotzt aufs Trottoir und findet den Papa
spiessig, weil er Hemden trägt. Und man raucht Zigaretten, weil man glaubt, das sei
erwachsen. Kurz und gut: Man ist völlig unreif.
Für einen Teenager ist das in Ordnung. Viele kommen aber nie aus dieser Welt heraus: Sie
tragen noch mit vierzig ausgelatschte Turnschuhe, sie applaudieren, wenn Polizisten mit
Flaschen beworfen werden, sie betrügen ihre Versicherung und halten für alles, was auch
nur ansatzweise bürgerlich ist, beispielsweise eine gepflegte Toilette oder das Bestehen auf
Pünktlichkeit, Vergleiche mit dem Nationalsozialismus bereit. Entsprechend halten sie sich
für links, dabei sind sie nur zu faul, eine richtige Zeitung zu lesen. Werden sie kritisiert,
kritisieren sie den Kritiker, und während am Nebentisch einer Familie mit kleinen Kindern das
Frühstück serviert wird, zünden sie sich eine Zigarette an. Kurz und gut: Sie sind immer noch
völlig unreif.
Was die Zigarette sagen will Rauchen ist also nichts anderes als die Weigerung,
erwachsen zu werden. Man fängt damit an, um sich selbst und der Welt zu zeigen, wie
abgebrüht man ist, und man macht weiter damit, weil man – mitunter aus schierer
Unsicherheit – niemals das Bedürfnis ablegt, diese Botschaft zu verbreiten. «Seht alle her»,
sagt die Zigarette, «ich bin ein richtig harter Kerl. Ihr könnt mir alle gestohlen bleiben.»
Das ist die Botschaft der Zigarette. Eine andere hat sie nicht. Eine Zigarette kann nicht
sagen: «Hallo, liebe Freunde, ich habe euch sehr gern und freue mich, hier zu sein.» Das ist
die Botschaft eines Blumensträussleins oder einer Krawatte. Eine Zigarette dagegen kann
nur pubertär nörgeln.
Für einen erwachsenen Menschen aber, der möchte, dass man ihn auch so wahrnimmt und
nicht als Junkie, ist Rauchen inakzeptabel, so wie es für ihn auch keine Option ist zu stehlen,
betrunken Auto zu fahren, Schaufenster einzuschlagen oder solches Verhalten von anderen
zu akzeptieren.
Für eine Gesellschaft, die sich selber ernst nimmt, ist es demzufolge auch nicht möglich, das
rücksichtslose Verhalten der Raucher zu dulden. Im Gegenteil: So, wie sie mit Vandalen und
Hooligans umgeht, so hat sie auch deren Brüder im Geiste anzupacken, die Raucher.
Rauchen stört die Nichtraucher und muss darum verboten werden.
Während sich diese Einsicht weitum in Europa und in den USA durchgesetzt hat, müssen die
hiesigen Nichtraucher noch immer mit riesigem Aufwand für eine Selbstverständlichkeit
kämpfen, nämlich das Recht auf saubere Atemluft.
«Eigenverantwortung»? Ha! Wir rufen noch immer sofort nach der Hausverwaltung, wenn
der Nachbar zu laut Musik hört, schweigen aber, wenn der Bürokollege das Sitzungszimmer
vernebelt. Noch immer lässt es sich unsere Volkswirtschaft jedes Jahr zehn Milliarden
Franken kosten, weil die Raucher krank werden und andere krank machen. Noch immer
kuschen wir sofort, wenn einer vom wirtschaftlichen Schaden warnt, den ein Rauchverbot
nach sich zöge, auch wenn wir rundherum sehen können, dass in Ländern mit Rauchverbot
die Nichtraucher wieder lieber ausgehen und die Wirtschaft überhaupt keinen Schaden
genommen hat.
Darum, liebe Stimmbürger, stimmen Sie bitte für ein Rauchverbot, sobald sich die
Gelegenheit bietet. Nur so werden die Raucher zu einem sozial verträglichen Benehmen
angehalten. Denn allein aus «Eigenverantwortung» – ein anderes Argument der
Raucherlobby – schaffen sie es ja offensichtlich nicht.
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Und falls sich der Leser die Frage gestellt hat: Ja, auch der Verfasser war einst ein Raucher.
Er raucht nicht mehr, denn er malt sich auch keine Symbole mehr auf die Jeans; er hat gar
keine Jeans mehr, denn er kleidet sich jetzt wie der Papa. Die Raucher werden ihm auch
daraus einen Vorwurf stricken: Siehst du, du hast auch mal geraucht!, rufen sie, als hätte
man früher Frauen geschlagen und sollte heute besser schweigen, wenn ein anderer es
auch tut.
Wenn ihnen dann gar nichts mehr einfällt, sagen die Raucher noch, dass die ehemaligen
Raucher sowieso die schlimmsten Nichtraucher seien. Darin liegt noch nicht einmal der
Ansatz eines Arguments, aber es geht den Rauchern ohnehin nur darum, in Ruhe
weitermachen zu können mit ihrer Unbewusstheit.
Es ist an der Zeit, sie aus dieser Unbewusstheit herauszuholen. Und wenn das durch
vernünftiges Zureden nicht geht, dann muss man sie halt per Gesetz daran erinnern, dass
sie nicht allein sind auf der Welt.
Thomas Meyer
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