Press release - the Bernstein Center for Computational

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Max-Planck-Institut
für Dynamik und Selbstorganisation
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Datum: 8. Oktober 2012
Ein Blick auf den Schaltplan des Gehirns
Mit einem neuen Verfahren lassen sich Verbindungen zwischen Nervenzellen
kartografieren.
Unser Gehirn vollbringt seine bemerkenswerten Leistungen durch das Zusammenspiel
einer unvorstellbaren Vielzahl von Nervenzellen, die in komplexen Netzwerken miteinander
verschaltet sind. Ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und
Selbstorganisation (MPIDS), der Universität Göttingen und des Bernstein Center for
Computational Neuroscience Göttingen hat nun eine Methode entwickelt, mit der sich
neuronale Schaltpläne entschlüsseln lassen. Aus Messungen der gesamten neuronalen
Aktivität können sie bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit jeweils zwei Nervenzellen
miteinander verbunden sind. Die Studie, die helfen soll, die Funktionsweise des Gehirns
besser zu verstehen, ist in der Fachzeitschrift PLoS Computational Biology erschienen.
Aus rund 80 Milliarden Nervenzellen besteht das menschliche Gehirn und keine von ihnen lebt für
sich allein. Die Nervenzellen (auch Neuronen genannt) bilden ein eng verknüpftes Netzwerk, durch
welches sie untereinander Signale austauschen. Die Verbindungen sind dabei alles andere als
zufällig arrangiert und ein Verständnis davon, welche Neuronen miteinander Verbindungen
eingehen und welche nicht, verspricht wertvolle Informationen über die Funktionsweise des Hirns.
Das Verbindungsnetzwerk direkt aus der Gewebestruktur zu ermitteln, ist eine bis auf weiteres
praktisch unmögliche Aufgabe - selbst in Zellkulturen mit nur einigen tausend Neuronen. Hingegen
gibt es heutzutage weit entwickelte Methoden, um dynamische Aktivitätsmuster von Neuronen
aufzuzeichnen. Ein solches Muster gibt an, welches Neuron zu welchem Zeitpunkt ein Signal
weitergeleitet hat. Es ist somit eine Art neuronales Gesprächsprotokoll. Das Göttinger Team rund
um Theo Geisel, Direktor am MPIDS, hat sich nun eines dieser Aktivitätsmuster zunutze
gemacht.
Die Wissenschaftler verwenden Daten aus sogenannten Kalzium-Fluoreszenz-Messungen, die in
Zusammenarbeit mit der Universität Barcelona aufgenommen wurden. Diese Bildgebungsmethode
erlaubt es, die Aktivität von Tausenden von Neuronen in einer Zellkultur (oder im lebenden Hirn)
gleichzeitig aufzuzeichnen. Denn für das Weiterleiten eines elektrischen Signals sind am Neuron
Ionen wie etwa Kalzium-Ionen verantwortlich. Mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt,
beginnen diese zu leuchten und verraten so, welche Neuronen gerade aktiv sind. Jedoch sind die
zeitlichen Abläufe in Neuronen zu schnell, um direkt mitverfolgen zu können, wie ein Impuls
„abgefeuert“ wird. Es lässt sich also nicht unmittelbar nachzuvollziehen, wie eine einzelne Zelle
eine andere beeinflusst oder ob eine Verbindung direkt ist oder über mehrere Stationen verläuft.
Mit dem im Team von Theo Geisel nun entwickelten Algorithmus lassen sich aber aus den
gemessenen Daten dennoch bemerkenswert genaue Informationen über die Linienführung im
Verbund der Nervenzellen gewinnen.
„Unsere Methode basiert auf der so genannten Transferentropie“, erklärt Olav Stetter vom MPIDS,
Erstautor der nun erschienenen Publikation. Die Transferentropie ist eine Größe aus der
Informationstheorie, mit der gerichtete Informationsflüsse quantitativ bestimmt werden können. Mit
anderen Worten: Es kann berechnet werden, wie wahrscheinlich es ist, dass das Signal von einem
bestimmten Neuron eine Aktivität in einem anderen zur Folge hatte. „Wir haben mithilfe der
Transferentropie ein robustes Verfahren entwickelt, das zuverlässig zwischen wahren kausalen
Zusammenhängen unterscheiden kann und solchen, die nur scheinbar bestehen und durch
indirekte Verbindungen oder durch Messfehler entstanden sind“, sagt Stetter.
Die Wissenschaftler haben ihre neue Methode zunächst auf künstliche Daten angewandt. Sie sind
dabei von einem gegebenen Netzwerk ausgegangen und haben die Signale, welche in einem
Kalzium-Fluoreszenz-Experiment zu erwarten wären, in realistischer Qualität berechnet. Wie die
Wissenschaftler zeigen, sind die kausalen Zusammenhänge im Netzwerk zeitlich variabel und
abhängig vom Zustand der Aktivität des Netzwerkes. Nur in ruhigeren Phasen mit relativ geringer
Aktivität stimmten die kausalen Zusammenhänge mit dem tatsächlichen Aufbau des Netzwerks
überein. Diese Tatsache konnten sich die Göttinger Forscher für ihre Vorhersagen nutzbar
machen. In Phasen hoher Aktivität hingegen sind so viele Nervenzellen gleichzeitig am neuronalen
Gesprächsfluss beteiligt, dass sich der Weg einer Information nicht mehr gut nachvollziehen lässt.
In der nun publizierten Arbeit wurden auch echte Neuronen untersucht. Die Analyse mit der neuen
Methode lieferte somit bereits konkrete Resultate und deckte eine ungewöhnliche Konzentration
von Verbindungen rund um einzelne Zellen auf.
Die Forscher sind zuversichtlich, dass sich ihr Verfahren auf eine breite Klasse von Systemen
anwenden lässt: „Unsere Methode ermöglicht eine Rekonstruktion von neuronalen Netzwerken
ohne spezifische Annahmen über deren Beschaffenheit. Vielmehr lassen wir uns von den Daten
leiten“, erklärt MPIDS-Mitarbeiter Demian Battaglia. Dies lässt hoffen, dass der Algorithmus der
Göttinger Wissenschaftler es erlaubt, in breitem Umfang neuronale Schaltpläne zu berechnen, in
gezüchteten Netzwerken ebenso wie in natürlichen. Die gesammelten Informationen aus einer
Vielzahl von verschiedenen neuronalen Netzwerken können dann helfen zu verstehen, wann und
wo die Neuronen Verbindungen eingehen und nach welchen Kriterien sie ihre Partner auswählen.
Abbildung 1: Aus der Aktivität der Neuronen, die sich in Fluoreszenz-Messungen zeigt (im Bild links),
können die Wissenschaftler darauf schließen, wie die Nervenzellen miteinander verschaltet sind (im Bild
rechts angedeutet).
Grafik: MPIDS
Originalveröffentlichung:
Olav Stetter, Demian Battaglia, Jordi Soriano, Theo Geisel:
Model-free Reconstruction of Excitatory Neuronal Connectivity from Calcium Imaging
Signals,
PLoS Computational Biology, 8(8): e1002653 (23. August 2012),
doi:10.1371/journal.pcbi.1002653
Kontakt:
Dr. Birgit Krummheuer
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Olav Stetter
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Prof. Dr. Theo Geisel
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
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