WS 609 Training nach Verletzungen und Leistung um jeden Preis Roland Grimm Als Physiotherapeut beschäftige ich mich seit 25 Jahren mit orthopädisch/traumatologischen Verletzungen und Überlastungsschäden. Immer mehr ist mir Aufgefallen, dass Orthesen, Bandagen oder Tapeverbände bei jungen, Heranwachsenden Athleten angewendet werden. Nach welchen Verletzungen am Bewegungsapparat ist es Sinnvoll? Macht es Sinn, Kinder mit Tape/Kinesiotape zu versorgen? Wie früh sollte wieder eine Vollbelastung und Teilnahme an Wettkämpfen stattfinden? Gesundheit sollte immer im Vordergrund stehen und gute Leistung misst sich an der Gesundheit. Wir sind keine Ärzte oder Orthopäden – wir sind Trainer und mit der sportlichen Weiterentwicklung unserer Athleten betraut. Wir können auch keine Diagnose bei einer Verletzung stellen. Aber: Bei einer Verletzung sind wir als erstes vor Ort und wenn wir die richtigen Maßnahmen treffen, fällt der Verletzungsgrad geringer aus und der Heilungsprozess wird beschleunigt. Jeder Trainer hat schon als 1. Behandlungsmaßnahme vom PECH-Prinzip gehört, jedoch ist meine Meinung Kompression auf die betroffene Stelle wichtiger ist als Kühlung, deshalb würde ich das CHEP-Prinzip daraus machen: C – Compression H – Hochlagern E – Eis (Kühlen) P – Pause Nach Erstversorgung immer die Diagnose vom Arzt einholen lassen. Nach einer Verletzung macht es keinen Sinn ein Training oder sogar einen Wettkampf fortzuführen denn die Folgeschäden sind für uns Trainer nicht erkennbar (P wie Pause)! Um der Frage wann wir wieder mit Training oder Wettkampf fortsetzen können, sollten wir uns erst die Verletzungen genauer betrachten. 1. Muskelüberdehnung und –zerrung: Einbluten zwischen den Muskelfasern (Gitterfasernetz). Die Muskelfaser selbst wird nicht verletzt und ist voll funktionsfähig, jedoch besteht durch Narbenbildung ein Elastizitätsverlust des Muskels und die Gefahr eines Muskelrisses ist größer. Die Symptome sind: Ziehen, Spannungsschmerz oder steigernde krampfartige Schmerzen. Mit Bestätigung des Arztes kann hier nach ca. 2 Tagen mit leichtem Training wieder begonnen werden. Tapeverband vom Orthopäden oder Arzt ist sinnvoll und heilungsfördernd. 2. Muskelfaserriss: Die Elastizitätsgrenze der Muskulatur wird überschritten und Muskelfasern reisen. Die Symptome sind: plötzlich einschießender Schmerz und Funktionsverlust des Muskels Es kommt zum Einbluten im betroffenen Muskel, durch Narbenbildung ist eine verminderte Elastizität vorhanden. Eine gezielte und behutsame Mobilisation ist für den Heilungsprozess wichtig. Das Training kann nach ca. 34 Tagen behutsam wieder aufgenommen werden. Hier sind die Trainer gefragt die ein dosiertes Training vorgeben. Tapeverband vom Orthopäden oder Arzt ist sinnvoll und heilungsfördernd. WS 609 Training nach Verletzungen und Leistung um jeden Preis Roland Grimm 3. Muskelriss: Entsteht entweder durch einen vorgeschädigten Muskel oder durch einen Unfall. Hauptgründe hierfür mangelnder Trainingszustand oder kalte Muskulatur. Die Symptome sind: Plötzlicher Stick in der Muskulatur mit sofortiger Funktionsbehinderung und Kraftverlust. Es entsteht ein Bluterguß. Das Training kann oftmals erst nach Wochen wieder aufgenommen werden. Häufig bleibt ein Bewegungsverlust. 4. Muskelquetschung: Bei einer Muskelquetschung ist eine behutsame und gezielte Wiedereingliederung in das Trainingsgeschehen mit übergreifenden Maßnahmen des behandelnden Physiotherapeuten unabdingbar. 5. Bänderdehnung: Durch eine extreme Bewegung eines Gelenkes wird die Elatizitätsgrenze des Bandes überschritten und eine Überdehnung hat die Folge. Die Symptome sind: Schmerzen beim Bewegen und Belasten. Funktions- und Krafteinbußen. Das Gelenk bleibt stabil, jedoch nicht mehr voll belastbar. Hier ist ein Tape sinnvoll, um das Gelenk zu stabilisieren. 6. Bänderriss: Durch extreme Verdrehung mit Krafteinwirkung können Bänder reißen. Die Symptome sind: Sofortiger einstechender Schmerz, das Gelenk sehr druckempfindlich und schwillt an. Es erfolgt eine Blaufärbung. Ersthilfe: CHEP-Prinzip (siehe oben). Die Kühlung nach 10 min immer für 10 min unterbrechen, da es sonst zu einer reflektorischen Gefäßerweiterung kommt. Für die ersten Tage ist das CHEP-Prinzip die Behandlungsgrundlage. Danach fördern abschwellende Salbenverbände den Heilungsprozess. Geschulte Physiotherapie mit gezielten Bewegungsabläufen unterstützen ebenfalls die Heilung und fördern die Beweglichkeit des Gelenkes. Außerdem können Orthesen das heilende Band zusätzlich schützen und stützen. Sobald die Beschwerden abgeklungen sind ist eine vorsichtige leichte Belastung des Gelenks denkbar. Alles was nicht schmerzt ist erlaubt. Schmerz ist ein guter Indikator für das Aufbautraining und sollte daher nicht mit Schmerztabletten eingedämmt werden. Gezielter Muskelaufbau zur Stabilisierung des Gelenks sind weitere Maßnahmen um eine rasche Heilung zu erzielen. Bei einem Bänderriss ist nach frühestens 6 Wochen mit der Rückkehr ins normale Training zu rechnen. WS 609 Training nach Verletzungen und Leistung um jeden Preis Roland Grimm Bei jeder Muskelverletzung ist zu beachten: Wird der Muskel ruhiggestellt, können bei der Narbenbildung die Fasern in alle Richtungen stehen; bleibt der Muskel dagegen in Bewegung, richten sich die Fasern des neugebildeten Bindegewebes nach den Kraftlinien aus und werden später elastischer sein. Das Ziel ist nach jeder Verletzung, das betroffene Gelenk so zu trainieren und zu schulen, dass eine ausreichende Stabilität vorhanden ist. Deswegen ist Koordinationstraining und Gleichgewichtschulung wichtiger Bestandteil jeden Aufbautrainings. Um eine gewisse psychische Hemmschwelle zu überwinden mag eine Bandage oder Orthese nach einer Verletzung die nötige Sicherheit geben damit sich die Muskulatur um das Gelenk wieder aufbauen kann. Langfristig gesehen übernehmen Bandagen die stützende Funktion der Muskulatur und die Muskulatur bildet sich zurück. Deswegen sollte im Training der Fokus auf Stabilitätstraining gerichtet werden, um sobald als möglich wieder auf Bandagen und Tape zu verzichten. Für chronisch geschwächte Bänder gilt hier das gleiche. Sportler sollten immer, selbst eine scheinbar leichte Verletzung, konsequent angehen und ausheilen lassen. Der Rat durch erfahrene Sportärzte und Physiotherapeuten müssen in die Trainingsarbeit eines Trainers mit integriert und eingearbeitet werden. Des weiteren sollten Trainer und Athlet immer den Rat, „Vorbeugen ist besser als Heilen" vor Augen führen und auf Ausgleichstraining achten.