LERNEN & WISSEN INFO AUTOR Was ist Flossing? Foto: Mira Hampel 14 Sascha Seifert ist Osteopath, Heilpraktiker, Sportphysiotherapeut des DOSB, Therapeutischer Leiter REHAmed in Kassel und Buchautor. Flossing ist die Anwendung von elastischen Bändern, die zirkulär um Gelenke und Gewebe gewickelt werden mit dem Ziel der Schmerzlinderung und Beweglichkeitsverbesserung. Entwickelt wurde die Methode 2013 vom amerikanischen Physiotherapeut und Crossfitness Trainer Dr. Kelly Starret. Ziel des Vitality Flossings ist es, die Leistungsfähigkeit zu verbessern, Verletzungen zu vermeiden und Schmerzen zu lindern durch systematische Anwendung des Flossbandes nach Therapieprinzipien aus der Osteopathie und Physiotherapie in Verbindung mit dem Functional und Athletik Training. Flossing mit System Als Osteopath und Sportphysiotherapeut des DOSB behandelt Sascha Seifert oft Profisportler mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, die durch Überlastung, Verletzung oder falsches Training ausgelöst werden. Mit dem Flossband erzielten er und Dominik Suslik, Athletiktrainer von Hannover 96, so gute Behandlungserfolge, dass sie mit Vitality Flossing ein Therapie- und Trainingsprogramm für den systematischen Einsatz des Flossbandes entwickelten. F lossing soll beim Lösen von Gewebsverklebungen helfen und die Durchblutung in Gelenken sowie in Muskel- und im Bindegewebe fördern. In Kombination mit verschiedenen Bewegungstechniken soll Vitality Flossing dazu beitragen, Gelenkschmerzen zu beseitigen, die Muskelkontraktion deutlich zu verbessern und die Gleitfähigkeit verklebter Strukturen wiederherzustellen. Zudem können damit Gewebe- oder Gelenkschwellungen behandelt werden. Hierzu sind die verschiedenen Wickeltechniken zu beachten. Das Motto lautet: „Optimieren durch Komprimieren!“ Grundlagen Ziel des Vitality Flossings ist es, körpereigene Prozesse für die Heilung und Regeneration von Geweben zu nutzen. Folgende Wirkungen wurden beobachtet: — Myofaszialer Release — Reduktion von Ödemen (Schwellungen, Lymphe) — Unterstützung der Gleitfähigkeit (Sliding) von Muskeln, Nerven, Bändern — Mehrdurchblutung durch eine reaktive Hyperämie — Verbesserung der Gelenkfunktionen Drei grundlegende Systeme kommen als Erklärungsmodell für den Wirkmechanismus der Methode infrage und stehen in Relation und Wechselwirkung zueinander: 1. Einfluss auf Faszien: Die Faszien bilden ein körperumspannendes und verbindendes Spannungsnetzwerk. Sie wirken auch als elastische Stoßdämpfer bei Bewegungen und haben eine wesentliche Rolle bei hämodynamischen sowie biochemischen Pro- zessen. Darüber hinaus bilden sie eine Matrix für die interzelluläre Kommunikation. Nach Verletzungen sind sie die Grundlage für Heilungsprozesse des Gewebes, denn sie haben die Eigenschaft, auf akute Verletzungen oder chronische repetetive Mikrotraumatisierungen zu reagieren. Besonders in der oberflächlichen Faszienschicht ist durch den relativ großen Raum, den sie umfasst, die Möglichkeit gegeben, dass sich dort Exsudate sammeln können (Bove 2012). Durch die Kompression und Bewegung beim Vitality Flossing kann auf diesen Mechanismus eingewirkt werden. Gerade bei akuten Ödemen zeigte sich, dass sich der Abtransport des Exsudats in die Lymphgefäße verbessert. Ziel ist es, dass Nährstoffe und Abwehrkörper besser angeliefert und Abfallprodukte und Gewebswasser schneller abtransportiert werden. Beim Vitality Flossing werden in der Regel die oberflächlichen Schichten der Fascia superficialis erreicht, da diese direkt mit der Haut in Verbindung stehen. Wie Tesarz (2010) beschreibt, vermitteln die Vater-Pacini-Körperchen innerhalb der Fascia superficialis afferente Informationen an das Zentralnervensystem (ZNS) und haben damit einen bedeutenden Einfluss auf den gelenknahen Reflexmechanismus und die Körperwahrnehmung. Auch die gelenkumgebenden bindegewebigen Strukturen wie Bänder, Sehnen und Retinacula werden direkt beeinflusst. Es wird davon ausgegangen, dass das Flossband einen neuen, Reiz auf die Haut ausübt, der sich mit schon länger bestehenden Schmerzreizen überlagert und diese dadurch positiv beeinflusst. 2.Schmerzlinderung: Mit dem Flossband wird direkt auf der Haut gearbeitet, deshalb ist die Funktion dieses Organs für das 04|16 VPTMAGAZIN Foto: Mira Hampel 1 Foto: Mira Hampel 2 Foto: Mira Hampel 3 Foto: Mira Hampel Wir verlosen 3 Exemplare des Buches von Sascha Seifert „Training und Therapie mit dem Flossband“, das ab Juni im Meyer und Meyer Sportverlag erhältlich ist. Schreiben Sie an [email protected] 4 Vor der Anlage des Flossbandes für die Schulter Außenrotation/Innenrotation erfolgt ein ausführliches Screening. Ausgangsposition: Schulter ARO in aufrechter Sitzposition. Zielposition Schulter ARO, dabei legt der Patient die Hände in den Nacken, Ellenbogen passieren die Ohren. Fehler Schulter ARO, wenn Ellenbogen nicht die Ohren passieren, Hände nicht den Nacken erreichen. Test Zugrichtung Schulter ARO mittels Hands On: Zugrichtung nach innen oder außen? Die Anlage sieht dann wie folgt aus: Abb. 1: Den Anker innen am Oberarm anlegen Abb. 2: Drei Züge von innen nach außen um den Oberarm mit 50 % Überlappung … Abb. 3: … danach einen Zug diagonal in Richtung und über die Schulter. Abb. 4: Fertiger Schulter Wrap Flossing von enormer Bedeutung. Eine besondere Rolle spielen dabei vermutlich die in der Haut befindlichen Ruffini-Rezeptoren und interstitielle Rezeptoren (Typ 3 und 4). Die Ruffini-Rezeptoren melden Druck- und Zugspannungen. Besonders empfindlich reagieren sie auf Spannungsveränderungen. Ihre Stimulation hat dämpfende Wirkung auf die Sympathikusaktivität. Die interstitiellen Rezeptoren sind die häufigsten im menschlichen Körper. Viele sind multimodal und der größte Teil fungiert als Mechanorezeptoren, wobei 50 % auf sehr kräftige und 50 % auf sanfteste Reize reagieren. Ihre Stimulation bedingt eine Vasodilatation sowie eine Tonussenkung der Muskeln. Es kommt auch zu einer verstärkten Permeabilität der Gefäßwände, woVPTMAGAZIN 04|16 5 Foto: Mira Hampel Foto: PR VERLOSUNG Foto: Mira Hampel LERNEN & WISSEN 15 6 In der von Sascha Seifert und Dominik Suslik entwickelten Methode Vitality Flossing liegt der wesentliche Unterschied im SWATT-Modell. Es beschreibt den Weg, das Flossband effektiv am Patienten einzusetzen mit der Abfolge dieser Schritte: Screening-Test, Wrapping/Umwickeln, Aktivierung, Therapie, Training. Die Abb. 5 und 6 zeigen eine Aktivierung BWS Schulter Rollout mit in Abb. 1 bis 4 beschriebener Flossband-Anlage. Abb. 5: Ausgangsposition Abb. 6: Endposition durch vermehrt flüssige Blutbestandteile austreten können. Dies führt zur Viskositätsänderung im Bindegewebe vom gel- zum solartigen Zustand, die Spannung im Gewebe steigt hierdurch. Diese multirezeptiven Neuronen sind wahrscheinlich sehr gut durch Flossing beeinflussbar, weil sie auf Reize wie Berührung oder Haarbewegungen reagieren. Häufig werden diese Neuronen durch eine schmerzhafte Reizung in der Peripherie (Haut, Muskeln, Gelenke, Gefäße, Meningen) und des Interstitiums aktiviert – so kann das Phänomen der Konvergenz erklärt werden. Die Schmerzwahrnehmung der nozizeptiven Afferenzen (C-Fasern, Aδ-Fasern) wird auf das Wide-Dynamic-Range-Neuron (WDR-Neuron) im Hinterhorn des Rückenmarks projiziert. Neben diesen tief liegenden somatischen Afferenzen („deep somatic afferences“) werden auch die propriozeptiven Reize aus der Haut, den Muskeln, den Gelenken und den Viszera dort hingeleitet. Die zentrale Schmerzwahrnehmung beruht auf dem Überlaufprinzip des WDR-Neurons. Dieses hat eine Konvergenzfunktion, weshalb eine exakt lokalisierbare Differenzierung der Afferenzen nicht möglich ist. So wird der Schmerz unabhängig von der Quelle, vom Thalamus oder der Großhirnrinde irgendwo im Segment lokalisiert. Dies kann als „zentrale Wahrnehmungstäuschung“ bezeichnet werden. Besonders ausgeprägt sind diese Schmerzprojektionen bei myofaszialen Störungen und verstärkter zentraler Sensibilisierung. Durch eine Stimulation oder Entlastung der propriozeptiven Afferenz, z. B. durch das Flossband, wird wahrscheinlich die Information verändert, und es kann zur Schmerzreduktion kommen. 3.Mikrozirkulationsveränderung: Die Mikrozirkulation versorgt die Zellen mit Nähr- und Vitalstoffen (Makro- und Mikronährstoffe) und erheblichen Mengen Sauerstoff. Der wichtigste Regulationsvorgang, der die Blutverteilung im Gebiet der Mikrozirkulation steuert, wird Vasomotion genannt. Hierbei verengen und erweitern sich die den Kapillaren vor- und nachgeschalteten Blutgefäße autorhythmisch und unterstützen hiermit entscheidend die Pumpleistung des Herzens. Gerade die Mikrozirkulation hat große Bedeutung für den Organismus. Sie stellt ein wichtiges Blutreservoir dar, beeinflusst den Blutdruck, fördert den Wärmeaustausch und transportiert Sauerstoff und Nährstoffe zu den Zellen. Wir vermuten, dass die regelmäßige Anwendung von Vitality Flossing diese Mechanismen positiv beeinflusst. ◄