9. Jahrgang, 1. Ausgabe 2015, 16-36 - - - Rubrik Neue Arzneimittel - - - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2014 Teil 1: Bedaquilin und Delamanid Epidemiologie der Tuberkulose Multiresistente Tuberkulose Charakteristika der Infektion Standardtherapie Symptomatik Neue Arzneistoffe Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid 17 Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2014 Bedaquilin und Delamanid Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe DGPT, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] *Aus einem Vortrag des Autors vom 27.01.2015 im großen Hörsaal des LFI der Universitätsklinik Köln (organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln) Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2014? Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V. Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“ Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum, Düsseldorf, Fortbildungsvortrag vom 27.01.2015 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2 und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern: Actavis1, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1 Wichtige Hinweise Für die Nutzung dieses Dokumentes gelten die Nutzungsbedingungen, einsehbar unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Für die Angaben in diesem Dokument gilt der Disclaimer, einsehbar unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/impressum/Disclaimer.html Insbesondere soll hier Folgendes noch einmal betont werden (Disclaimer): „In keinem Falle stellen Informationen zu Arzneimitteln oder sonstigen medizinischen Produkten Empfehlungen oder eine Werbung für Präparate oder Produkte dar. Gleichfalls ersetzen die Informationen nicht eine individuelle fachliche Beratung durch einen Arzt oder Apotheker. Der Inhalt von www.kojda.de darf nicht dazu verwendet werden, eigenständig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.“ Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 18 19 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Übersicht Einteilung der 42 neuen Arzneistoffe in 2014 (16 Orphan-Drugs!) Antiinfektiva Zytostatika COPD Bedaquilin (Sirturo®) Ceftobiprol (Zevtera®) Daclatasvir (Daklinza®) Delamanid (Deltyba®) Dolutegravir (Tivicay®) Simeprevir (Olysio®) Sofosbuvir (Sovaldi®) Telavancin (Vibrativ®) Cabozantinib (Cometriq®) Ibrutinib, (Imbruvica®) Idelalisib (Zydelig®) Obinutuzumab (Gazyvaro®) Radium-223-dichlorid (Xofigo®) Trastuzumab Emtansin, (Kadcyla®) Olodaterol (Striverdi®) Umeclidiniumbromid, (Anoro®) Kombination mit Vilanterol Vilanterol, (Relvar® Ellipta®) Kombination mit Fluticason Stoffwechsel Seltene Erkrankungen Andere Albiglutid (Eperzan®) Alipogentiparvovec (Glybera®) Canagliflozin (Invokana®) Cholsäure (Orphacol®) Elosulfase alfa (Vimizim®) Empagliflozin (Jardiance®) Insulin degludec (Tresiba®) Defibrotid (Defitelio®) Macitentan (Opsumit®) Metyrapon (Metopiron®) Riociguat (Adempas®) Siltuximab (Sylvant®) Simoctocog alfa (Nuwiq®) Teduglutid (Revestive®) Turoctocog alfa (NovoEight®) Avanafil (Spedra®) Chloroprocain (Ampres®) Dexlansoprazol (Dexilant®) Dimethylfumarat (Tecfidera®) Levosimendan (Simdax®) Lurasidon (Latuda®) Mirabegron (Betmiga®) Nalmefen (Selincro®) Peginterferon-β-1a (Plegridy®) Vedolizumab (Entyvio®) Übersicht Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG erheblich > beträchtlich > gering und nicht quantifizierbar (z.B. bei Orphan-Drugs) Bewertung erfolgt im Verhältnis zur „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ Prüfung des Dossiers innerhalb von 3 Monaten Erstattungsbetragsverhandlungen bis 12. Monat Schiedsspruch bis 15. Monat Anhörung und Beschluss zwischen 4. – 6. Monat IQWiG Einigung G-BA Dossier Einigung Marktrücknahme durch Hersteller möglich Abb. modifiziert nach: http://www.vfa.de/de/download-manager/_infografik-amnog-fruehe-nutzenbewertung.pdf Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 Klage oder Marktrücknahme 20 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Übersicht Gruppe Antiinfektiva Fortschritte bei der Behandlung von Hepatitis C, Tuberkulose, HIV und Pneumonien Die vollständige Liste steht unter folgendem Link zur Verfügung http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/SerieNeueArzneimittel.html Tuberkulose Neue Arzneimittel zur Behandlung der multiresistenten Tuberkulose Mykobakterium tuberkulosis (aus: www.primer.ru) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 21 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Zahlen aus dem Tuberkulose-Bericht der WHO 2014 Tuberkulose Inzidenz alle TB Fälle Millionen TB ist ansteckend und verbreitet sich durch die Luft. Jeder Unbehandelte wird im Mittel 10-15 Menschen pro Jahr infizieren. nur HIV-positive Fälle ca. 2 Milliarden Menschen sind infiziert, jeder 10 davon erkrankt, HIV-Infizierte haben ein erheblich höheres TB-Risiko ca. 9 Millionen Neuinfektionen in 2013, Tendenz leicht fallend Tuberkulose Todesfälle Millionen 1,5 Millionen TB-Tote in 2013, meist in Entwicklungsländern, Armuts-Erkrankung TB ist Haupttodesursache bei HIV-Infizierten TB Todesfälle bei HIV-negativen Menschen TB Todesfälle bei HIV-positiven Menschen Erreger können multiresistent oder gar extensivresistent sein (auch Reservetherapeutika helfen nicht mehr, kommt in 58 Ländern vor), Resistenzen werden überwacht Abb. modifiziert nach http://www.who.int/tb/publications/global_report/en/ Tuberkulose Etwa 80 % der Neuinfektionen kommen in nur 22 Ländern vor Geschätzte neue TB- Fälle pro 100.000 Menschen pro Jahr keine Daten nicht anwendbar Abb. modifiziert nach http://www.who.int/tb/publications/global_report/en/ Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 22 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Zahlen aus dem Tuberkulose-Bericht der WHO 2014 Deutschland 2013 Prävalenz: 7,5/100.000, entspricht 6.200 Infizierten Mortalität: 0,3/100.000, entspricht 300 Toten Mortalität bei HIV: weniger als 10 Tote Mykobakterium tuberkulosis (aus: www.primer.ru) http://www.who.int/tb/publications/global_report/en/ Tuberkulose Transmission Bei schwerer Exposition ca. 30 % infiziert (HIV-negativ!). primäre Tuberkulose latente Tuberkulose milde Form, oft nicht erkannt spontane Heilung in ca. 6 Monaten reaktivierte Tuberkulose schwere Form, hoch infektiös Progression bei 5 % nach 2 Jahren Progression bei 5 % in 2 Jahren Konversion zu positivem Tuberkulintest in 6-8 Wochen Progression bei HIV 10 % pro Jahr Abb. nach: N Engl J Med 2001;345:189 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 23 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Charakteristika der Infektion mit Mycobacterium tuberculosis Erstexposition Latente Infektion Erstexposition normale Lunge, negativer Sputum-Test, keine Symptome Tuberkulintest nicht infektiös Progression möglich Zweit- oder Mehrfachexposition Aktive Tuberkulose Risikofaktoren (HIV!) anormale Lunge, positiver SputumTest, Symptome Sputumtest Kultivierung hoch infektiös unbehandelt meist letal Tuberkulose Aktive Tuberkulose bei etwa 90 % der Tuberkulosefälle findet sich eine pulmonale Manifestation extrapulmonale Manifestationen umfassen: pleurale Tuberkulose perikardiale Tuberkulose dermale Tuberkulose abdominale (intestinale) Tuberkulose ZNS-Tuberkulose renale Tuberkulose spinale Tuberkulose, tuberkulöse Osteomyelitis genitale Tuberkulose die rechtzeitige Chemotherapie ist im Allgemeinen kurativ (Resistenzen!) Tuberkulose kann von der schwangeren Mutter auf den Fötus über die Nabelschnur übertragen werden (Schwangere behandeln!) die ZNS-Tuberkulose (Meningitis) ist die gefährlichste Form (hohe Letalität) viele Symptome der Tuberkulose können missinterpretiert werden seltene Manifestationen werden oft nicht bedacht (z.B. genitale Form) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 24 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Symptomatik bei aktiver Tuberkulose Hämoptoe (Bluthusten) Fieber Anorexie weiße Läsion Gewichtsverlust Abgeschlagenheit nächtliches Schwitzen Kurzatmigkeit Thoraxschmerz Lunge Die Lungentuberkulose ist gekennzeichnet durch weiße Läsionen, die Alveoli durch Narbengewebe ersetzen. Bei Generalisierung (Miliartuberkulose) kann jedes Organ betroffen sein. Besonders gefährlich ist die ZNS-Manifestation als Meningitis. Tuberkulose Lymphatische Tuberkulose mit ZNS-Befall Marokkanerin, 17 J. seit 2 Mon. intermittierendes Fieber, zunehmende Kopfschmerzen, generalisierter Schwäche und Gewichtsverlust. Gadolinium-MRI zeigt kreisförmige gut abgegrenzte Tuberkulome in beiden Hemisphären, dem Cerebellum und dem Stammhirn Vermutlich Ausbreitung der Infektion in den Liquor (Pfeile) sowie Ödem mit Vergrößerung der Ventrikel (Stern). Lungenbefund unauffällig, kein HIV, LymphknotenBiopsie zeigt typische nekrotisierende tuberkulöse Granulome Die tuberkulostatische Chemotherapie für 1 Jahr führte zum Verschwinden von Symptomatik und zerebralen Läsionen aus NEJM 2011 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 25 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Schema der Pharmakotherapie der Tuberkulose bei neuen Fällen latenter, pulmonaler oder leichter extrapulmonaler Form (nach WHO-Empfehlung) initiale Intensivphase: Dauer 2 Monate Isoniazid plus Rifampicin plus Pyrazinamid plus Ethambutol anschließende Erhaltungsphase: Dauer 4 Monate Isoniazid plus Rifampicin Die langsame Teilungsrate und die Verhinderung der Permeation der Antibiotika erfordern eine lange Therapiedauer Dauer 6 Monate Isoniazid plus Ethambutol siehe auch: Frieden TR, Lancet 2003;362:887-899 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 26 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Tuberkulose Antibiotika-resistente Tuberkulose multiresistente Tuberkulose Resistenz gegen die Hauptwirkstoffe Isoniazid und Rifampicin weltweit 2013 etwa 480.000 Fälle (5,3 %) Mortalität ca. 44 % extensiv-resistente Tuberkulose Resistenz gegen weitere Wirkstoffe wie Ethambutol, Pyrazinamid, Chinolone, Aminoglykoside und Streptomycin Die Hauptursache der Resistenz ist eine fehlerhafte Pharmakotherapie, beispielsweise durch Monotherapie, Unterdosierung, zu kurze Therapiedauer oder fehlender Compliance. etwa 9 % der multiresistenten Fälle http://www.who.int/tb/publications/global_report/en/ Bedaquilin (Sirturo®) Arzneistoff Bedaquilin (Sirturo®) Indikation Bei erwachsenen Patienten als Teil einer geeigneten Kombinationstherapie der multiresistenten pulmonalen Tuberkulose. Zusatznutzen Hersteller Orphan-Drug, Verfahren eingestellt* Janssen-Cilag GmbH * Packungsgröße von 188 Tbl für 24 Wochen übersteigt maximal zulässige Packungsgröße N3 für höchstens 100 Tage, daher individueller Antrag zur Kostenerstattung nötig Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 27 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Bedaquilin (Sirturo®) Wirkungsmechanismus hemmt mykobakterielle ATP-Synthase Bedaquilin Sequenzierung eines resistenten Stamms von M. tuberculosis zeigte eine Mutation des atpE-Gens (Ala63Pro), welches für eine Untereinheit der F0 Domäne der mitochondrialen ATPase kodiert* ATP Synthese ist abhängig von einer Rotation der F0 Domäne der mitochondrialen ATPase Rotation ist für die Aktivierung der F1 Domäne (ß3-Untereinheit ) und somit die ATP-Bildung erforderlich Bedaquilin (protonierte Form) bindet an F0 Domäne und arretiert die Rotation und damit die ATP Synthese Abb. nach: http://www.uic.edu/classes/bios/bios100/lectf03am/ATPase.jpg Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 *Andries et al.: Science. 2005;307:223–227 28 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Bedaquilin (Sirturo®) Klinische Prüfung Placebo Bedaquilin Start Basismedikation plus Placebo Basismedikation plus 2 Wochen 1x 400 mg/Tag Basismedikation plus Placebo Basismedikation plus 22 Wochen 3x400 mg/Tag 24 Wochen-Auswertung Basismedikation Basismedikation 120 Wochen-Auswertung Studiendesign randomisiert (1:1), Placebo-kontrolliert, doppelblind, multizentrisch, (Phase IIb), ITT: 160 Patienten, mITT: 132 Patienten aus Brasilien, Indien, Lettland, Peru, den Philippinen, Russland, Südafrika und Thailand. Einschlusskriterien (u.a.) neu diagnostizierte, Sputumtest-positive, pulmonale multiresistente Tuberkulose Ausschlusskriterien (u.a.) HIV, extrapulmonale Tuberkulose, QTc>450 ms, Herzrhythmusstörungen, andere schwerwiegende Erkrankungen, Sucht, Schwangerschaft, Stillzeit Basismedikation Therapie mit 5 ReserveArzneistoffen, vor allem Ethionamid, Pyrazinamid, Ofloxacin, Kanamycin und Cycloserin Bedaquilin (Sirturo®) Klinische Effektivität Der Wechsel vom positiven zum negativen Erregernachweis im Sputum ist ein Surrogatparameter, der allerdings von Zulassungsbehörden als Wirkungsnachweis anerkannt ist. Positiver Sputumtest (%) Zeit bis zur Sputumkonversion (mITT) Placebo plus Basismedikation Bedaquilin plus Basismedikation P<0,001 Wochen Abb. modifiziert nach: Diacon et al., N Engl J Med 2014; 371:723-732 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 29 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Bedaquilin (Sirturo®) Klinische Effektivität Nach 120 Wochen (96 Wochen ohne Bedaquilin) war die Heilungsrate in der Bedaquilin-Gruppe gegenüber der Placebo-Gruppe nahezu verdoppelt (1,81-fach). Analyse basierend auf WHO-Definitionen (mITT) Effekt der Behandlung (%) Tod Abbruch Therapieversager Heilung* Bedaquilin plus Placebo plus Basismedikation Basismedikation (n=66) (n=66) *Therapie beendet, mindestens 5 negative Sputumtests in Abständen von 30 Tagen während der letzten 12 Monate Therapie (verkürzt dargestellt nach den Leitlinien der WHO für resistente Tuberkulose) Abb. modifiziert nach: Diacon et al., N Engl J Med 2014; 371:723-732 Bedaquilin (Sirturo®) Besonderheiten Die Zulassung für Bedaquilin in Europa erfolgte unter besonderen Bedingungen: • Während der klinischen Prüfung traten unter Bedaquilin ungeklärte Todesfälle sowie eine QT-Verlängerung auf, obwohl für die FDA ein direkter Zusammenhang eher unwahrscheinlich erscheint (Cox E, Laessig C. NEJM 2014;371:689-691) • Die Zulassung erfolgte ohne eine Phase III Studie, deren Durchführung die Zulassungsbehörden an die Zulassung geknüpft haben. Die Ergebnisse werden jedoch frühestens 2018 erwartet (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02333799) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 30 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Bedaquilin (Sirturo®) Nebenwirkungen Die häufigsten Nebenwirkungen (> 10%) während der Behandlung mit Bedaquilin in den kontrollierten Studien waren (Bedaquilin Gruppe vs. Placebogruppe) • Nausea (35,3% vs. 25,7%) • Arthralgien (29,4% vs. 20,0%), • Kopfschmerzen (23,5% vs. 11,4%), • Erbrechen (20,6% vs. 22,9%) und • Schwindel (12,7% vs. 11,4%) Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%): • verlängertes QT-Intervall (im EKG) • Diarrhoe • erhöhte Transaminasen (erhöhte AST, erhöhte ALT, erhöhte Leberenzymaktivität und anomale Leberfunktion) • Myalgie ABDA-Datenbank, Januar 2015 Bedaquilin (Sirturo®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Auch aufgrund der QTc-Verlängerung existieren zahlreiche Warnhinweise bzw. Vorsichtsmaßnahmen! ABDA-Datenbank, Januar 2015 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 31 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Bedaquilin (Sirturo®) Fazit Bedaquilin ist ein Arzneistoff zur Behandlung der (bislang noch) seltenen multiresistenten Tuberkulose, die durch eine Resistenz gegen Isoniazid und Rifampicin gekennzeichnet ist und eine Mortalität von ca. 44 % aufweist. Bedaquilin wirkt über einen neuen Mechanismus. Es bindet an die F0 Untereinheit der ATP-Synthase und hemmt die mykobakterielle ATP-Synthase. Nach den bisherigen klinischen Prüfungen bewirkt Bedaquilin als „add-on“ zu einer Basismedikation eine deutlich raschere Sputumkonversion und eine Steigerung der Heilungsrate nach WHO Kriterien von 32 % auf 58 %. Die Zulassung ist vorläufig, weil bislang keine Phase III Studie vorliegt. Sehr häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Schwindel, Nausea, Erbrechen und Arthralgie. Bedaquilin kann eine Verlängerung der QTc Zeit auslösen und interagiert daher mit vielen Arzneistoffen und Erkrankungen, die den gleichen Effekt aufweisen (Vorsichtsmaßnahmen bzw. Überwachung erforderlich). Delamanid (Deltyba®) Arzneistoff Delamanid (Deltyba®) Indikation Im Rahmen einer geeigneten Kombinationsbehandlung für multiresistente Lungentuberkulose (MDR-TB) bei erwachsenen Patienten. Zusatznutzen Hersteller Orphan-Drug, wurde freigestellt Otsuka Novel Products GmbH Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 32 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Delamanid (Deltyba®) Wirkungsmechanismus hemmt die Synthese der Methoxy- und Ketomykolsäure (Zellwand) Oberflächen- transmembranäre proteine Proteine Acyl-Lipide Mykolsäuren Arabinogalactan Lipoarabinomannan „Die pharmakologische Wirkung von Delamanid umfasst die Hemmung der Synthese der Zellwandkomponenten Methoxyund Keto-Mykolsäure. Die identifizierten DelamanidMetaboliten besitzen keine antimykobakterielle Aktivität“* Peptidoglycan Zytoplasmamembran Der exakte Mechanismus, d.h. auf welche Weise die Hemmung ausgelöst wird, ist nicht bekannt. PLoS Med. 2006 Nov;3(11):e466 Abb. aus: https://pharmchem.ucsf.edu/research/chembio/drug-targeting Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 *Fachinfo Deltyba, Stand 07/2014 33 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Delamanid (Deltyba®) Klinische Prüfung Placebo Delamanid Delamanid ITT: 481 Patienten mITT: 402 Patienten aus den Philippinen, Lettland, Estland, Peru, China, Japan, Korea, Ägypten, USA Basismedikation plus Placebo plus 2x100 mg 2x/Tag Studiendesign randomisiert (1:1:1), Placebo-kontrolliert, doppelblind, multizentrisch, (Phase IIb), plus 2x50 mg 2x/Tag Behandlung für 57 Tage Auswertung Einschlusskriterien (u.a.) neu diagnostizierte, Sputumtest-positive, pulmonale multiresistente Tuberkulose Ausschlusskriterien (u.a.) HIV, extrapulmonale Tuberkulose, QTc>450 ms, Herzrhythmusstörungen, andere schwerwiegende Erkrankungen, Sucht, Schwangerschaft, Stillzeit, Behandlung mit Moxifloxacin Basismedikation Therapie mit 5 Arzneistoffen, vor allem Cycloserin, Ethambutol, Pyrazinamid, Prothionamid, Kanamycin und Levofloxacin, Gler et al., N Engl J Med 2012; 366:2151-60 Delamanid (Deltyba®) Klinische Effektivität Sputumkonversion nach 57 Tagen Behandlung mit Delamanid im Vergleich zu Placebo (primärer Endpunkt) Patienten (%) Test in Flüssigmedium Bei beiden Dosierungen von Delamanid zeigte sich eine bessere Sputumkonversion gegenüber Placebo. Placebo zweimal täglich 100 mg zweimal täglich 200 mg Delamanid Test auf festem Medium Dennoch lehnte die EMA zunächst die Zulassung ab, u.a. wegen der kurzen Behandlungsdauer und Inkonsistenzen bei den Ergebnissen, z.B. je nach Messmethode. Patienten (%) Placebo zweimal täglich 100 mg* Der Effekt ließ sich unabhängig von der Messmethode zeigen (flüssiges Medium oder festes Ei-basiertes LöwensteinJensen-Medium). zweimal täglich 200 mg Delamanid Nach Vorlage weiterer Daten, die nach 6 Monaten zu 91 % eine Konstanz mit den initialen Daten zeigten, erfolgte die Zulassung (siehe EPAR Deltyba® vom 5.12.2013). Abb. modifiziert nach: Gler et al., N Engl J Med 2012; 366:2151-60 *empfohlene Dosierung zweimal täglich 2x50 mg Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 34 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Delamanid (Deltyba®) Nebenwirkungen Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen bei Patienten, die mit Delamanid behandelt wurden (d. h. Inzidenz > 10 %), sind Übelkeit (38,3 %), Erbrechen (33 %), Schwindel (30,2 %). Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (> 10%): Retikulozytose, Hypokaliämie, Appetitlosigkeit, Hyperurikämie, Schlaflosigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Parästhesie, Tremor, Tinnitus, Herzklopfen, Hämoptysis, Erbrechen, Durchfall, Übelkeit, Oberbauchschmerzen, Arthralgie, Myalgie, Asthenie, QTZeit im EKG verlängert Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%): Anämie, Eosinophilie, Hypertriglyceridämie, psychotische Störung, Erregung, Angst und Angststörung, Depressionen und depressive Stimmung, Unruhe, periphere Neuropathie, Somnolenz, Hypästhesie, trockenes Auge, Photophobie, Ohrenschmerzen, Hypertonie, Hypotonie, Hämatome, Hitzewallungen, Dyspnoe, Husten, oropharyngeale Schmerzen, Rachenreizung, trockener Rachen, Rhinorrhoe, Gastritis, Obstipation, Bauchschmerz, Unterbauchschmerzen, Dyspepsie, abdominale Beschwerden, Dermatitis, Urtikaria, juckender Hautausschlag, Juckreiz, makulopapulöser Hautausschlag, Hautausschlag, Akne, Hyperhidrose, Osteochondrose, Muskelschwäche, Muskel- und Skelettschmerzen, Flankenschmerz, Gliederschmerzen, Hämaturie, Pyrexie, Brustschmerzen, Unwohlsein, Beschwerden im Brustkorb, periphere Ödeme, Zunahme der Cortisolspiegel im Blut siehe: www.pharmazie.com, Deltyba Delamanid (Deltyba®) Besonderheiten Die Zulassung für Delamanid in Europa erfolgte unter besonderen Bedingungen: • Während der klinischen Prüfung traten unter Delamanid QTVerlängerung auf, die bei den unklaren Ergebnissen hinsichtlich der Dosisabhängigkeit dieses Effektes keine adäquate Einschätzung der Nutzen-Risiko-Relation ermöglicht. • Die Zulassung erfolgte ohne eine Phase III Studie, deren Durchführung die Zulassungsbehörden an die Zulassung geknüpft haben. Derzeit ist die Durchführung von 2 Studien über 6 Monate geplant (ClinicalTrials.gov Identifiers: NCT01424670, NCT01859923) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 35 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid Delamanid (Deltyba®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile, Serum-Albumin < 2,8 g/dl, Einnahme von Arzneimitteln, die starke Induktoren von CYP3A (z. B. Carbamazepin) sind Auch aufgrund der QTc-Verlängerung existieren zahlreiche Warnhinweise bzw. Vorsichtsmaßnahmen! siehe: www.pharmazie.com, Deltyba Delamanid (Deltyba®) Fazit Delamanid ist ein Arzneistoff zur Behandlung der (bislang noch) seltenen multiresistenten Tuberkulose, die durch eine Resistenz gegen Isoniazid und Rifampicin gekennzeichnet ist und eine Mortalität von ca. 44 % aufweist. Delamanid wirkt über einen neuen Mechanismus. Es hemmt die Synthese der Methoxy- und Ketomykolsäure und bewirkt auf diese Weise für die Mycobakterien tödliche Schäden der Zellwand. Nach den bisherigen klinischen Prüfungen bewirkt Delamanid als „add-on“ zu einer Basismedikation eine Steigerung der Sputumkonversion bzw. eine Reduktion der Erregerzahl auf ein nicht mehr nachweisbares Niveau. Die Zulassung ist vorläufig, weil bislang keine Phase III Studie vorliegt. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Schwindel. Delamanid kann eine Verlängerung der QTc Zeit auslösen und interagiert daher mit vielen Arzneistoffen und Erkrankungen, die den gleichen Effekt aufweisen (Vorsichtsmaßnahmen bzw. Überwachung erforderlich). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36 Neue Arzneimittel 2014 – Bedaquilin und Delamanid 36 Hinweise 1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der G-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt. 2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1 und Weblink 2. 3) Eine vollständige Liste der im Jahr 2014 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und und Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html Weblinks 1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache) http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true 2) Webseiten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Übersicht der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, für die der G-BA eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchführt oder bereits abgeschlossen hat. Dort sind die Gutachten des IQWiG sowie die tragenden Gründe der Beschlüsse einsehbar. http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/ Literatur Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind - soweit nicht aufgeführt - auf Nachfrage beim Autor erhältlich Impressum: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2015;9(1):16-36