German News, Das Meer Empfindlich und gefährdet, 2012

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D I E W E LT
F RÜ H JA H R 2 012
EXPO SÜDKOREA
Rhythmus
von Ebbe
und Flut
Das deutsche Wattenmeer ist
weltweit das größte. Das
südkoreanische hat etwa die
Ausmaße des Saarlandes
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ROLAND KNAUER
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Das Meer: Empfindlich und gefährdet
Umweltprobleme haben die Ozeane längst erreicht. Millionen Tonnen Plastikmüll bedrohen das Öko-System
Die Wellen zerlegen den
Kunststoff in winzige Teilchen.
Werden sie von Seetieren
aufgenommen, können sie zu
deren Tod führen
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ROLAND KNAUER
es andernorts zu deponieren. Diese Strömungen nagen auch an den Küsten der
Inseln im Wattenmeer. Auf Wangerooge,
der westlichsten Nordseeinsel Deutschlands, bauten Einwohner 1602 einen
neuen Turm mit Leuchtfeuer. Ab 1900
stand er an der Westküste der Insel im
Wasser, obwohl er einst an der Ostküste
errichtet worden war.
Die Ursache dafür sind die meist aus
West oder Nordwest wehenden Winde,
aus dieser Richtung kommen auch die
Sturmfluten. Die Wellen schwemmen im
Westen jede Menge Land weg, um es als
Sediment im Osten abzulagern. Während die Insel so nach Osten wandert,
bleiben die Häuser und Türme fest an
ihrem Platz. Zwangsläufig erreichen sie
daher irgendwann die Westküste, um
meist bei einer schweren Sturmflut im
Meer zu versinken. Allein zwischen dem
17. und 19. Jahrhundert verschwanden
von der heute 8,5 Kilometer langen Insel
Wangerooge im Westen rund zwei Kilometer Land, während sie in der Zeit im
Osten um vier Kilometer wuchs.
Seit dem 19. Jahrhundert haben Deiche und Wälle dem Zentrum Wangerooges und den meisten anderen Wattenmeerinseln das „Wandern“ abgewöhnt.
Am Strand holen sich die Fluten weiterhin den Sand. Inzwischen fahren im
Frühjahr Radlader den Sand wieder zurück zum Strand, damit die Touristen
den Verlust nicht bemerken. Auch Sylt
verliert jährlich eine Million Kubikmeter.
Zum Ausgleich pumpen ihn Baggerschiffe vom Grund der Nordsee wieder auf
den Strand. Doch da wo Menschen nicht
eingreifen, entstehen wie seit Urzeiten
Sandbänke – und werden irgendwann
wieder weggeschwemmt.
IMPRESSUM
Eine Veröffentlichung der Redaktion Sonderthemen
für „Die Welt“
Redaktionsleitung: Astrid Gmeinski-Walter
(v.i.S.d.P.), Klaus Ries (Stellv.)
Gestaltung und Produktion: Bettina Jülch
Redaktion: Jürgen Mundt, Michael Posch
Gesamtanzeigenleiter: Stephan Madel
Nationale Vermarktung: Philipp Zwez (verantw.),
Stefanie Scheuer, [email protected]
Redaktionsschluss: 10. Mai 2012
Verlag und Druck: Axel Springer AG (Berlin)
ie Weltmeere sind das
größtes Ökosystem unseres Planeten und Lebensraum für eine riesige Vielfalt von Tieren und Pflanzen. Doch das System ist bedroht: Verschmutzung, Überfischung und steigende Temperaturen stellen die Menschheit
vor große Herausforderungen und verlangen ein Umdenken.
Zu den großen Gefahren gehören die
Millionen Tonnen an Plastikmüll. Flaschen und Tüten, die Badeurlauber am
Strand liegen lassen, der illegal an der
Küste weggeworfene Müll aus den Siedlungen und vor allem der Abfall, der irgendwo weit im Landesinneren gedankenlos oder absichtlich ins Gebüsch
oder auf den Acker flog: Der Regen
schwemmt diese Teile in die Gewässer
und von dort geht es weiter zur Endstation Meer. Meereswissenschaftler wie
Martin Thiel von der Universidad Catolica del Norte im chilenischen Coquimbo
holen von diesem Plastikmüll dann vor
der Pazifikküste wieder Einiges aus dem
Wasser. Manchmal sind auch ganze Fischernetze, die ein Sturm oder die Mee-
resströmungen losgerissen haben, dabei.
Natürlich findet der deutsche Forscher
nur einen winzigen Bruchteil des in den
Ozeanen gelandeten Plastiks. Den großen Rest tragen die Strömungen mit
sich. Im Nordostpazifik zwischen Hawaii
und dem nordamerikanischen Festland
kreist zum Beispiel ein riesiger Wasserwirbel, in dem etwa hundert Millionen
Tonnen Kunststoffmüll mitschwimmen.
Ähnliche Wirbel gibt es auch im Atlantik,
im Indischen Ozean und in anderen
Meeren. In ihnen treibt oft auch noch
der Inhalt des einen oder anderen Containers. Einem Frachter ging 1992 ein
Container mit 29.000 bunten Spielzeugtierchen über Bord: Gelbe Enten, grüne
Frösche, blaue Schildkröten und rote Biber aus Plastik treiben seither im Pazifik.
Im deutschen Expo-Pavillon kann ihre
Reise mitverfolgt werden.
Der geringste Teil des Plastikmülls
überlebt die Gewalt der Elemente lange.
So zerlegen die Wellen den meisten Abfall rasch in seine Einzelteile. „Auch das
ultraviolette Licht der Sonne zerbröselt
das Plastik“, erklärt Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, der gemeinsam mit Martin Thiel
und weiteren Kollegen diese Müllwirbel
untersucht. Oft können die Forscher die
entstehenden Plastikreste nur unter einem Mikroskop entdecken, weil sie weit
kleiner als ein Millimeter sind. Solche
Minipartikel bilden den größten Teil der
100 Millionen Tonnen Müll, die einmal
in drei Jahren durch den Nordpazifik
kreisen. Als die Forscher diese Reste
analysierten, fanden sie mit Chemikalien
ÜBERFISCHUNG ALS PROBLEM
1508 klagte der Entdeckungsreisende
Sebastian Caboto vor der Atlantik-Küste
Kanadas noch, dass das Schiff nur mit
Mühe wegen eines gigantischen KabeljauSchwarms voran kam. Früher fingen die
Seeleute den Kabeljau auch mit Leinen
und Angelhaken. Die Bestände verkrafteten das ohne Probleme. Doch mit
den Dampfschiffen vor mehr als 100
Jahren kamen auch immer größere Fangnetze, die statt per Hand von Maschinen
eingeholt werden konnten. Durch die
wie Poly-Acrylsäure, Polyester, PolyEthylen, Polyamid, Poly-Propylen, Polyvinyl-Alkohol und Polymethylacrylat genau die Substanzen, aus denen die wichtigsten Kunststoffe produziert werden.
Gesund sind die Plastikabfälle für die
Meeresbewohner nicht. Sie schlucken
nicht nur Miniteilchen, sondern teils
auch größere Reste von Plastikabfall.
Miesmuscheln nehmen Teilchen auf,
wenn sie ihre Nahrung aus dem Wasser
filtern. Delfine und Schildkröten beispielsweise sterben rasch, wenn der Müll
ihre Verdauungsorgane verstopft.
Auch bei einem anderen Umweltproblem zwischen Küsten und Hochsee gibt
es Lösungsbedarf. Seit der Klimawandel
die Temperaturen in die Höhe treibt,
steigt auch der Meeresspiegel: Da warmes Wasser mehr Platz als kaltes
stark steigenden Fangmengen brachen
nach einiger Zeit die ersten Bestände
zusammen. Die industrialisierte Fischerei
reagierte – und verlagerte ihre Aktivitäten von den Küsten der Industrieländer
im Norden nun zunehmend in den Süden
der Erde. Als auch dort die Fischbestände knapp wurden, fuhren die Fangflotten hinaus auf die Hochsee. Aktuell
spielt vor allem die Tiefsee für die Fänge
eine wichtige Rolle. Denn der Fisch wird
auf den Weltmeeren immer knapper.
braucht, dehnt es sich ein wenig aus. Der
Untergrund und das Ufer geben kaum
nach, das Wasser kann also nur nach
oben steigen. Meereswissenschaftler befürchten daher, dass Inselstaaten wie
Tuvalu in der Südsee langsam aber sicher im Wasser versinken. Die zwölftausend Einwohner dieser parlamentarischen Monarchie leben nämlich weit
nördlich von Neuseeland auf neun Inseln und Atollen, deren höchster Punkt
gerade einmal fünf Meter über dem Meeresspiegel liegt. Da seit 1951 der Wasserspiegel in der Südsee rund zwölf Zentimeter gestiegen ist, sollten die Inseln
seither ebenso weit im Meer versunken
sein. Als aber Paul Kench von der Universität von Auckland in Neuseeland
und Arthur Webb von der Kommission
für Angewandte Geowissenschaften in
der Hauptstadt der Fidschi-Insel-Republik Suva die 27 Pazifik-Inseln untersuchten, fanden sie etwas völlig Anderes.
Die Forscher sammelten erst einmal
Luftaufnahmen, die aus den Flugbooten
der Gesellschaft Tasman Empire Airline
geschossen wurden. Diese flogen seit
1951 von Neuseeland auf der „Korallenroute“ zu den Fidschi-Inseln, Samoa, Tahiti und den Cook-Inseln. Diese Inseln
und Atolle fliegt die Nachfolger-Fluggesellschaft Air New Zealand noch heute
an. Daher gibt es etliche Luftbilder aus
verschiedenen Jahrzehnten, auf denen
die Forscher die Umrisse von 27 Inseln
bestimmten, um Größenveränderungen
zu ermitteln. Seit den 1950er-Jahren aber
schrumpften nur vier dieser Inseln. Die
anderen 23 blieben entweder gleich groß
oder wuchsen sogar. Die Erklärung für
dieses verblüffende Wachstum liefern
die Korallenriffe, die um diese Inseln
wachsen. Wind und Wellen brechen dort
immer wieder Teile abgestorbener Korallen heraus. Ein Teil dieses Schutts
wird von Wind, Wellen und Strömungen
als Sand an den Stränden der Inseln angeschwemmt und lässt die Inseln an diesen Stellen wachsen. Im Meer aber
wachsen die Korallen weiter und füllen
bald die Lücken wieder auf. Das Riff
kann so laufend Nachschub für die Sandstrände liefern und die Inseln können
wachsen. Forscher befürchten allerdings,
dass die Korallen nicht mehr schnell genug wachsen können, wenn der Klimawandel ungebremst weiter geht. Dann
würden die Inseln der Südsee also tatsächlich in den Fluten versinken.
Goldgräber-Stimmung im Ozean
Auf und unter dem Meeresboden lagern immense Mengen an Rohstoffen, darunter Manganknollen und Erdgas
Vorkommen enthalten Kupfer,
Nickel, Kobalt sowie sogenannte
Seltene Erden, die die Industrie
weltweit dringend braucht
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LENA BULCZAK
V
orbei an Rochen und orangenen
Quallen geht es in das Dunkel
der Tiefsee. Ein Heer von Tiefsee-Anglerfischen wartet mit leuchtender Angel vor dem Kopf auf Beute, feuerrote Quallen schweben vorbei. Noch etwas tiefer, 1100 Meter unter dem Meeresspiegel, arbeitet ein gigantischer Maschinenpark und gewinnt Erdgas aus dem
Meeresboden. 5000 Meter unter Normalnull tasten riesige spinnenartige Roboter den Grund auf Manganknollen ab,
in denen die begehrten Seltenen Erden
stecken. So könnte eine nachhaltige
Rohstoffförderung in der Tiefsee aussehen – in 40 Jahren vielleicht.
Der etwas mehr als vier Minuten lange
Film ist das Highlight des deutschen Pavillons. Eine Rundum-Projektion nimmt
die Zuschauer mit auf eine virtuelle
Tauchfahrt und lässt sie vergessen, dass
DEUTSCHER PAVILLON/HMC
GETTY IMAGES
D
Küstenregionen: Der Wind und die Wellen tragen beständig Sand ab
Trügerische Idylle:
Durch von Menschen
verursachte Gefahren
verschlechtern sich nicht
nur die Lebensbedingungen für Delfine, sondern
für alle Meeresbewohner
GETTY IMAGES
enau genommen braucht die Natur nur zwei Zutaten, um ein
Wattenmeer zu konstruieren:
Ein relativ flaches Meeresgebiet und
starke Gezeiten. Ein typisches Wattenmeer sieht daher aus wie die Deutsche
Bucht, in der ein ewiger Rhythmus von
Ebbe und Flut oft viele Kilometer breite
Küstenstreifen trocken fallen lässt, um
sie Stunden später wieder zu überfluten.
Mit einer Fläche von 9000 Quadratkilometern ist das Watt zwischen der dänischen und der holländischen Küste das
größte Wattenmeer auf der Erde.
Weltranglistenzweiter sind die Gebiete am Gelben Meer, von denen 2500
Quadratkilometer (etwa die Größe von
Saarland) sich an Südkoreas Westküste
befinden. Der deutsche Pavillon beschäftigt sich denn auch mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden ökologisch wichtigen Areale. So wechseln
wie in der Deutschen Bucht als auch in
Korea die Gezeiten im Sechs-StundenRhythmus. Und hier wie dort erzeugt der
stete Wechsel starke Strömungen, die an
einer Stelle viel Material mitreißen, um
Per Touchscreen bekommen Besucher
Informationen zu deutschen Projekten
+
sie statt in einer gläsernen Tauchkugel
nur im Expo-Filmpalast sitzen. Dass diese Vision einer umweltschonenden Nutzung der Meere nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigen die Exponate in den Räumen auf dem Weg zur Kinokuppel. Deutsche Technik dürfte in Zukunft bei der
Meeresexploration helfen.
Die Idee zum Film als auch die Auswahl der Exponate geht auf Robert Müller, einem der Geschäftsführer der Kölner Agentur Facts & Fiction und kreativer Kopf des deutschen Yeosu-Auftritts,
zurück. Sein Ausgangspunkt war eine
Vorschlagsliste des Bundeswirtschaftsund Bundesforschungsministeriums mit
etwa 40 meereswissenschaftlichen Projekten. Müller klopfte sie mit einem Kollegen auf Relevanz und Darstellbarkeit
ab. „Denn der Erlebnis-Charakter steht
auf einer Expo immer im Vordergrund,
die Besucher wollen unterhalten werden“, so Müller. Zu bestaunen sind 23
teils interaktive Exponate, die für fast
ebenso viele wissenschaftliche Ideen aus
Deutschland stehen. So steht im Mittelpunkt der vergoldeten „Schatzkammer“
des Pavillons eine Jahrmillionen alte,
200 Gramm schwere Manganknolle. Neben Kupfer, Nickel und Kobalt enthält
sie Seltene Erden – wertvolle, weil nur
aufwendig zu bergende Metalle, ohne die
moderne Windräder, Flachbildfernseher
oder Elektroautos undenkbar sind.
Im Pazifik liegen die Manganknollen
wie Hühnereier auf einer Fläche verstreut, die mit 75.000 Quadratmetern
größer als die Benelux-Staaten ist. Mehrere Länder, darunter auch Deutschland
und Expo-Gastgeber Südkorea, haben
sich bereits Erkundungslizenzen gesichert. Das Bergen der Knollen ist mit erheblichen Risiken für das sensible marine Ökosystem verbunden. Einem
deutsch-chinesischen Team um Werner
Müller vom Institut für Physiologische
Chemie der Universitätsmedizin Mainz,
gelang kürzlich ein großer Fortschritt. Es
fand heraus, wie sich die anorganischen
Bestandteile aus dem Wasser herausfiltern lassen, ohne dass die Knollen vom
Meeresboden geborgen werden müssen.
Schatzsucherstimmung kommt auch
bei einem Methanhydratmodell auf. Eingeschlossen in den Meeresboden
schlummern etwa 3000 Milliarden Tonnen Erdgas in Form eines eisähnlichen
Hydrats. Eine gewaltige Menge, von der
sich laut Klaus Wallmann, Leiter der
Forschungseinheit Marine Geosysteme
am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften (IFM Geomar), zwischen zehn
und 50 Prozent abbauen lassen. Doch
auch hier braucht es sichere Technik.
Die will das Sugar-Projekt unter Führung
des IFM Geomar bereitstellen. Die Idee:
Kohlendioxid soll das aus den Gesteinsschichten des Meeresbodens gewonnene
Methan ersetzen. In der Gesamtbilanz
würde die Technologie sogar dazu beitragen, CO2-Emissionen zu reduzieren.
Wallmann: „International besteht großes
Interesse an unserem Projekt.“
Der deutsche Expo-Auftritt zeigt aber
auch ein Tsunami-Frühwarnsystem, das
das Deutsche GeoForschungs Zentrum
für den Indischen Ozean maßgeblich
entwickelt hat. Über einen Touchscreen
können die Besucher verschiedene Epizentren für Seebeben anwählen und die
Plattform zum Wackeln bringen. Einen
Raum weiter gibt es eine gelbe Quietsche-Ente zu sehen, verkratzt, ausgeblichen und voller Ölflecken. Sie erinnert
an das globale und wenig erforschte Problem des Plastik-Mülls im Meer. Die Ente ging 1992 im Nordpazifik mit einem
Container voller Plastikspielzeug über
Bord. Ihre Reise endete schließlich an einem Strand in Alaska.
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