Eifl Geflie des Balletts wird tatsächlich schofl 80 Jahre alt

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Ein Genie des Balletts wird tatsächlich schon 80 Jahre alt
Ein Genie des Balletts wird tatsächlich schon 80 Jahre alt
Pick bloggt zum 80. Geburtstag von Marcia Haydée
Veröffentlicht am 12.04.2017, von Günter Pick
Stuttgart - Es kommt mir unwirklich vor, dass Marcia Haydée heute schon achtzig wird. Und wenn zur neuen Spielzeit Tamas
Detrich die Stuttgarter Kompanie übernehmen wird, wird er der Erste sein, der nicht mehr mit John Cranko gearbeitet hat. Doch
glücklicherweise hat er in seiner Studienzeit und dann als hochbegabter Nachwuchssolist durch Marcia den Geist dieser
einmaligen Kompanie noch mitbekommen.
Marcia begann ihren Weg als kleines Mädchen, das Ballett als Berufung empfand, aus gutem Hause kommend, körperlich nicht
übermäßig begabt, in ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro in obligaten rosa Rüschentrikots an der Stange. Als sie so weit war, verließ
sie Brasilien, um in London in der Sadler‘s Wells School zum Profi ausgebildet zu werden. Dann, wie damals üblich, ging sie
nach Paris und trainierte bei Lubov Egorova und der sagenhaften Olga Preobrajenska. (Als Abschied von ihrer Tänzerkarriere
spielte sie später dann tatsächlich die Rolle der ‚Preo’ in Béjarts Ballett „Pariser Leben“).
Ein wichtiger Schritt gelang ihr in Paris, nämlich endlich ein Engagement im Ballet du Marquis de Cuevas, zu ergattern, obwohl
sie zu der Zeit übergewichtig war. Sie selbst wusste das und nur durch Druck und wegen ihrer schnellen Auffassungsgabe bekam
sie den Job und wurde bei den Kolleginnen die meist Gehasste, weil sie stets bereit war einzuspringen. Dieses Talent war wohl
auch ausschlaggebend für John Cranko, als er ein Vortanzen für Stuttgart veranstaltete und sein Training so vertrackt war, dass sie
die Einzige war, die verstand, was dieser Choreograf wollte. So kam sie nach Stuttgart und wurde zwar nicht über Nacht, aber
doch in Schallgeschwindigkeit berühmt und war schon bald ‚Assoluta’.
Meine frühesten Begegnungen mit Marcia waren auf der Bühne, als sie noch auf der Schwelle zum Weltruhm stand. Sie lebte die
Julia in Crankos neuer Version mit Ray Barra, dem ersten Romeo. Das nächste Mal war sie wie ich Zuschauer, anlässlich eines
Gastspiels von Margot Fonteyn und Rudolf Nurejev in Crankos „Schwanensee“. Sie saß in der Reihe vor mir und schon zur Pause
scharte sich das Publikum um sie und man versicherte ihr, dass sie aber besser sei als die berühmte Gastballerina. Als ich ein oder
zwei Jahre später in Toronto beim Nationalballett tanzte, kam nun Marcia als Gastballerina um Crankos Julia zu tanzen. (Die
Direktorin Celia Franca hatte Cranko in Person schnell nach Kanada geholt). Als Marcia mich in der Probe sah, baute sie sich vor
mir auf und fragte vorwurfsvoll: „Und warum tanzt du nicht bei uns in Stuttgart?“ Das war mir natürlich sehr peinlich und ich weiß
nicht mehr, was ich antwortete und ob überhaupt. Ich kam mir vor, wie ein Verräter. Später, als ich wieder in Deutschland war
und auf dem Weg nach Stuttgart, blieb ich mit meinem VW in einem Schneesturm bei Düsseldorf stecken. Also ging ich zum
Training in die Oper am Rhein und Erich Walter bot mir an, dort zu bleiben. Somit kam ich nie nach Stuttgart - das nennt man
dann Schicksal.
Natürlich habe ich Marcia Haydée in unzähligen Vorstellungen gesehen und erwähne ohne Garantie nur, was mir besonders
einfällt, wie „Onegin“ oder „Der Widerspenstigen Zähmung“, die ohne sie sicher nicht so eine hervorragende Inszenierung
geworden wäre. Denn Cranko konnte seiner Fantasie freien Lauf lassen mit ihrem Richard Cragun als Petruchio und der wütenden
Braut, die doch in Wahrheit die verkleidete Muse des Meisters war. Cragun und Marcia waren ja für viele Jahre nicht nur auf der
Bühne ein Traumpaar. Auch erinnere ich mich gut an „Brouillard“ und besonders die späten Versuche wie „Die Befragung“ und
„Présence“, mit denen Cranko sich bemühte dem deutschen Feuilleton Genüge zu tun. Ich bin mir ganz sicher, dass er mit Marcia
als Molly Bloom (der Figur aus Ulysses von James Joyce, ‚Schlampe mit Hängebrüsten’) viel Spaß gehabt hatte… Auch ihre
„Carmen“ war unvergesslich, wenn Wolfgang Fortner der Musik des armen Bizet nicht jede Atmosphäre genommen hätte. Nur
Ricky Cragun durfte ein Flamenco-Solo ohne Musik zu tanzen.
Dabei fällt mir ein, dass ich eine halbe Ewigkeit später als Ballettchef am Gärtnerplatz-Theater meinem Intendanten Dr. Matiasek
vorschlug, wir sollten doch das Musical „On Your Toes“ mit von Musik von Richard Rodgers und Gesangstexten von Lorenz Hart
machen. Dazu brauchte man eine Ballerina, die deutsch spricht, z.B. die Haydée, und ich sollte sie deswegen anrufen. Ihre erste
Frage war: „Ist eine Rolle für Ricky drin?“ Natürlich war die männliche Hauptrolle wie für ihn erfunden mit Stepptanz, den er
gelernt hatte, ehe er zum Ballett kam und an Marcias Seite zum Weltstar wurde. Woran das Projekt bei uns dann gescheitert ist,
habe ich vergessen, aber für die Staatsoper Stuttgart wurde es ein Jahr später in genau dieser Besetzung ein Riesenerfolg.
Als Cranko nach einer Amerika-Tournee auf dem Heimflug im Alter von 47 Jahren verstarb, war das Ensemble natürlich in einem
desolaten Zustand und die Nachfolge für Cranko bereitete auch Marcia größte Probleme. Sie dachte sogar darüber nach, die
Spitzenschuhe an den Nagel zu hängen, was sie schließlich doch nicht tat. Denn Glen Tetley, den alle als Gastchoreograf
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Ein Genie des Balletts wird tatsächlich schon 80 Jahre alt
kannten, übernahm die Kompanie. Ich saß in seiner ersten Premiere mit „Voluntaris“ und weil man in Stuttgart Applausstürme
gewöhnt war, war es im Vergleich ziemlich mau. Besonders als Glen allein vor den Vorhang kam, drohte es eine Katastrophe zu
werden. Also kam Marcia spontan zu ihm vor den Vorhang, ging vor ihm aufs Knie und das Haus folgte ihr mit tosendem
Applaus. Ich habe nie vorher oder nachher erlebt, wie die Stimmung so umschlagen kann. Sie rettete instinktiv die Gesamtsituation
und Tetley hätte in Stuttgart alt werden können, wenn er das Repertoire nicht so vernachlässigt hätte. Ein Jahr später übernahm
Marcia dann widerwillig den Direktorenposten nach etlichen Kabalen, über die ich mich nicht auslassen werde. Und so rettete sie
das noch so junge Ballettwunder von Stuttgart. Auch das könnte man Schicksal nennen.
Marcia hatte für einen Abend der Noverre Gesellschaft ein kleines Stück choreografiert, „ENAS“ für Birgit Keil und Richard
Cragun, in dem sie alles, was sich in ihr aufgestaut hatte, genial verarbeitete. Es war ein großer Erfolg, und wie bei so vielen
Noverre-Novizen die Grundlage, um eine Karriere aufzubauen. Davor wagte sie eine neue Version von „Dornröschen“, eine
Arbeit mit dem Ausstatter Jürgen Rose, dem sie wie Cranko vertraute, ob seines Instinkts und seiner Ideen, die kaum zu übertreffen
waren. Es führte zu einer höchst stimmigen Version, die die Schwächen des Originals ausmerzte und so zu einem Triumph wurde.
Für mich die beste Version, die vom Original ausgeht.
In dieser Zeit, als Cranko starb, wurde ich in Ulm Ballettchef und die große Haydée war sich nicht zu schade, mit einer
Noverre-Choreografie auch das Ulmer Publikum zu beglücken. So wie auch Billy Forsythe mit seiner allerersten Choreografie
„Urlicht“, einem Pas de Deux 1976. Forsythe wurde bei Marcia der erste Residenz-Choreograf, der weiter Erfolge produzierte, bis
zur sensationellen Uraufführung des „Orfeus“ von Hans Werner Henze, ehe er das Ballett Frankfurt übernahm. So wie Jiří Kylián,
der dann das NDT neu erfand und der jüngste und früh vollendete Uwe Scholz. Aber sie spürte, dass die deutsche
Ballettmetropole mit Entdeckungen allein nicht zufrieden ist, also gab es eine Periode, in der Hans van Manen regelmäßig als
Gast kam, genau wie Maurice Béjart. Beide haben für sie choreografiert. Und nicht zu vergessen John Neumeier, der eine der
schönsten Rollen, die eine erwachsene Frau ausfüllen kann, die „Kameliendame“ (‚Traviata’) für Marcia schuf. Sie wurde für
Marcia neu erfunden und im Film verewigt. Wie nicht anders zu erwarten, war es eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: das
Publikum, das Theater, die Tänzer und die Macher.
Als Marcia nach 10 Jahren das Gefühl hatte, es sei genug, konnte auch ein Angebot von Götz Friedrich für die Deutsche Oper
Berlin sie nicht locken. Aber ihren Ricky Cragun vermittelte sie dahin. Der Wahl von Reid Andersen als ihr Nachfolger war mehr
Glück beschieden, denn er war kein Anfänger auf dem Chefsessel. Er hatte schon Lorbeeren in Vancouver und vor allem beim
kanadischen Nationalballett Toronto eingesammelt. Inzwischen hat er alle seine Vorgänger an Durchhaltevermögen übertroffen.
Marcia war immer wieder ein willkommener Gast und Christian Spuck erfand für sie noch einmal eine Rolle in dem Ballett „Das
Fräulein von Scuderie“, was ich leider verpasst habe. Das ist der Geist, den Cranko seinem Ensemble hinterlassen hat, und ich
denke, er wird von oben mit Wohlwollen auch die Abstecher von Marcia in die freie Szene mit Jean Christoph Blavier und Ismael
Ivo beobachtet haben, wenn sie nur glücklich dabei war.
Ein fast ungewollter Schritt war der Ruf der Kompanie von Santiago de Chile, gleich neben Brasilien, und sie wollen Marcia auch
nicht mehr loslassen. Vielleicht auch weil sie dort ein Stück über die inzwischen selig gesprochene Mutter Theresa gemacht hat.
Zumindest gestehen sie ihr zu, dass sie ein Trimester jeden Jahres bei Günther, ihrem Mann seit 1995, auf der Alb verbringen
darf. Er ist kein Guru, aber ein Meister des Yoga und der Meditation. Er trägt dazu bei, Körper und Seele dieser wunderbaren
Frau mit einem geschundenen Ballerinenkörper zu erhalten, die hoffentlich noch lange den hier beschriebenen höchst lebendigen
56jährigen Geist des Stuttgarter Balletts vertritt.
Marcia Haydée in "Das Fräulein von S." von
Christian Spuck
© Stuttgarter Ballett
Probe zu "Dornröschen"
von Marcia Haydée
© Roman Novitzky
Marcia Haydée mit Jorge
Donn in Béjarts „Wien, Wie
nur du allein"
© Gert Weigelt
Marcia Haydée
© Gert Weigelt
Marcia Haydée mit Jean
Christoph Blavier in Hans van
Manens „The Sound of Music“
© Gert Weigelt
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