Naturschutz im Clinch mit der Landwirtschaft Evangelisches Bauernwerk Waldenburg-Hohebuch 22.03.2014 Themenfeld Biodiversität (Biologische Vielfalt) Prof. Dr. Martin Dieterich Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie Fachgebiet Landschaftsökologie und Vegetationskunde August von Hartmannstrasse 3 70599 STUTTGART www.ecology.uni-hohenheim.de [email protected] Biodiversität Themen • Was ist Biodiversität • Warum Biodiversität erhalten (Funktionen) • Biologische Vielfalt und Landwirtschaft – wie viel biologische Vielfalt können /müssen wir uns leisten • Empfehlungen – was kann der einzelne Landwirt tun Biologisch Vielfalt - Begriff Was verstehen Sie unter dem Begriff biologische Vielfalt? Begriff Biologisch Vielfalt (Biodiversität) genetische Ebene (Vielfalt des Erbguts) Artebene (Artenvielfalt) Systemare oder landschaftliche Ebene (Vielfalt von Prozessen und Ökosystemen) Arten sind die Träger der biologischen Vielfalt! Begriffe Artkonzept – was ist eine „Art“? Definitionen (Konzepte) typologisch (charakteristische Merkmale) biologisch (Fortpflanzungsgemeinschaft) Die einer Art zugehörigen Individuen sind in der Lage mit anderen Individuen dieser Art zur Fortpflanzung befähigte Nachkommen zu erzeugen. Individuen sterben, Arten sind potentiell unsterblich (Generationsfolge). Artenzahlen © www.drze.de Was sind die Gründe für die Erhaltung von biologischer Vielfalt? Naturschutzbegründungen Bundesnaturschutzgesetz (§1) Natur und Landschaft sind aufgrund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich nach Maßgabe der folgenden Absätze so zu schützen, dass: 1. die biologische Vielfalt, 2. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie, 3. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind; der Schutz umfasst auch die Pflege, die Entwicklung und, soweit erforderlich, die Wiederherstellung von Natur und Landschaft (allgemeiner Grundsatz). Naturschutzbegründungen Erholungswirkung und Lebensqualität – Schönheit und Erholungswert, Leben und Gesundheit Kulturelles und biologisches Erbe (Irreversibilität des Verlustes) - Eigenart ethische Begründungen – Schutz aufgrund des eigenen Wertes ökonomisch-monetäre Begründungen – Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes materielle Begründungen (Anpassungsfähigkeit) – Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzung Deutscher Bundestag 2010 Fraktionsübergreifender Antrag Biologische Vielfalt für die künftigen Generationen bewahren und die natürlichen Lebensgrundlagen sichern die Vielfalt der Natur bildet die Existenzgrundlage für unser Leben und Wirtschaften der Bewahrung der biologischen Vielfalt kommt eine zentrale Schlüsselrolle für das Wohlergehen heutiger und künftiger Generationen zu Es besteht dringender Handlungsbedarf um den Verlust der biologischen Vielfalt national und international zu stoppen Den existentiellen Bedürfnissen der Menschen und dem Erhalt der biologischen Vielfalt ist gleichrangig Rechnung zu tragen Naturschutzbegründungen Erholung und Lebensqualität - Landschaften Naturschutzbegründungen Erholung und Lebensqualität Arten Naturschutzbegründungen Biologisches und kulturelles Erbe Arten als einmalige Entwicklungslinien (Geschichte des Lebens) – Aussterben ist irreversibel Biologische Prägung von Kulturlandschaften http://www.fossilien.de/seiten/nautilus/nautilus_rezent2.jpg Naturschutzbegründungen Ethik Lehre der rationalen Begründung von Sittlichkeit (richtigem Verhalten). Unschärfen in ethischen Modellen Ausgleich zwischen Individuum und Gemeinschaft Ausgleich zwischen Zukunft und Gegenwart Ausgleich zwischen verschiedenen Lebewesen Naturschutzbegründungen Ethische Grundmodelle anthropozentrische Ethik ausschließlich der Mensch als Zielsystem für Werte biozentrische Ethik Lebewesen als Zielsystem für Werte Naturschutzbegründungen Anthropozentrische Ethik Goldene Regel – Bezugsebene Gegenwart, Individuum Behandle andere so, wie du auch von ihnen behandelt werden willst. Kategorischer Imperativ (Kant) – Bezugsebene Zukunft, System (Gemeinschaft) Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. Naturschutzbegründungen Biozentrische Ethik Albert Schweitzer – Bezugsebene Individuum „Gut ist: Leben erhalten und fördern; schlecht ist Leben hemmen und zerstören.“ Aldo Leopold – Bezugsebene Ökosystem Ein Handeln ist richtig, wenn es dazu beiträgt die Integrität, Stabilität und Schönheit biologischer Gemeinschaften zu erhalten. Ein Handeln ist falsch, wenn es zu anderen Ergebnissen führt. Naturschutzbegründungen Naturschutzethik - Stichworte Integrität von Ökosystemen als Wert (vgl. Leopold) Schutz von Arten höherrangig als die Befriedigung von Wünschen (Luxusbedürfnisse des Menschen) Schutz von Arten höherrangig als die langfristig nicht tragfähige Befriedigung von Grundbedürfnissen Dauerhafte (nachhaltige) Befriedigung von Grundbedürfnissen des Menschen höherrangig als der Schutz von Arten (langfristig wirkender konzeptioneller Rahmen). Naturschutzbegründungen Ökonomisch-monetäre Begründungen Kosten des fortschreitenden Artensterbens - $ 2- 4,5 Billionen/Jahr (UNEP & PricewaterhouseCoopers, 2010) Halbierung der Entwaldungsrate und dadurch bedingte Senkung der THG Emissionen (Schadensvermeidung) – $ 3.700 Mrd. bis 2030 (Eliasch, 2008) Überfischung statt nachhaltiger Nutzung - $ 50 Mrd./Jahr (World Bank und FAO, 2009) Baumpflanzungen Canberra – Regulation des städtischen Mikroklimas, Verbesserung der Luftqualität und CO2 Speicherung – $ 20 – 67 Mio über einen Zeitraum von 5 Jahren Bestäubung weltweit - € 153 Mrd/a (Gallai et al. 2009) Wertschöpfung eines Bienenvolkes in der Schweiz (Fluri und Fricke, 2005) Imkereiprodukte $ 215/a Obstertrag $ 1050/a Naturschutzbegründungen Wertschöpfung Kulturlandschaft Schwäbische Alb BadenWürttemberg Naherholung und Tourismus 15,5 Mrd. € Landwirtschaft 1,3 Mrd. € (Jahr 2009) (Jahr 2010) Schwäbische Alb 2,2 Mrd € 0,1 Mrd € (Jahr 2012) (Jahr 2010) Wertschöpfung im Ländlichen Raum ist komplex und geht über Produktionsaspekte hinaus! Diversifizierung als Chance! Naturschutzbegründungen Landesausgaben (BW) im Vergleich • Landesbudget • Stuttgart 21 • Theater • Naturschutz (LPR) • Biomasse aus EEG: • GAP 1. Säule: 31.600 Millionen € >6.000 Millionen € 266 Millionen € 42 Millionen € 460 Millionen € 421 Millionen € Naturschutzbegründungen Ökonomisch-monetäre BegründungenProbleme (Auswahl) Unvollständige Bewertung (Marktbindung Privatisierbarkeit) abstrakte Werte (Schönheit der Landschaft) versus reale Einkommen (Gewerbesteuer) Subjektivität der den Bewertungen zugrunde liegenden Annahmen (Beispiel Zinssätze) Fehlender Zukunftsbezug des Marktes (Problem der Abzinsung) Naturschutzbegründungen Materielle Begründungen Begründungen, die einen unmittelbaren Nutzen von Biodiversität für den Menschen postulieren, der aber ökonomisch nicht oder nur unzureichend abgebildet werden kann. Stichwort Anpassungsfähigkeit: Kurzfristige Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen und deren Leistungen (Resilienz von Systemen und Prozessen bei Störungen) Langfristige Anpassungsfähigkeit von Organismen oder Ökosystemen und deren Leistungen (Optimierung im Rahmen der Evolution) Naturschutzbegründungen Kurzfristige Anpassungsfähigkeit Fallbeispiel: Eintagsfliege Paraleptophlebia gregalis in trocken fallenden Bächen Stichwort Evolution Was ist Evolution Wozu dient Evolution (Ist Evolution real?) Naturschutzbegründungen Langfristige Anpassungsfähigkeit (Evolution) Evolution als Prozess der langfristigen Anpassung von Arten und Artengemeinschaften und damit Ökosystemdienstleistungen an sich ändernde Umweltbedingungen Teilprozesse (Komponenten) Anpassungskomponente – Selektion Auswahlkomponente (Vielfalt) – Mutation und Rekombination Naturschutzbegründungen- Begriffe Evolution – Mechanismus Zufallskomponente Mutationen und Rekombination Biodiversität Deterministische Komponente Natürliche Auslese (Selektion) Optimaler Typ (Funktion) Maximierung von Optionen Maximierung der Effizienz (Ressourcen) Anpassungsmechanismen Technische Prozesse und Evolution im Vergleich Faktor Evolution Technik Zeitdauer Langsam - Generationszeit Schnell - wissensbasiert Ressourcennutzung Unvollständig (verzögerte Optimierung) Vollständig (rasche Optimierung) Ausgangspunkt für Neuentwicklungen Funktionaler Bestand (Lebewesen) Einzelbausteine (Elemente) Umfang d. Neuentwicklung Einzelteile Vollständiger Neubau Wiederholbarkeit irreversibel Reversibel Effizienzbestimmung Biologische Vielfalt Vorhandenes Wissen Naturschutzbegründungen Schlussfolgerungen Naturschutzbegründungen sind vielfältig und an Vernunft gebunden Enge Grenzen für monetäre Bewertungen von biologischer Vielfalt Grundlegende Bedeutung von biologischer Vielfalt für den Evolutionsprozess als wichtiges Argument für deren Erhaltung Biologische Vielfalt als „Intelligenz der Natur“ – Stichwort Anpassungsfähigkeit Biologische Vielfalt und Landwirtschaft – wie viel biologische Vielfalt müssen wir uns leisten? Biologische Vielfalt und Landwirtschaft Wie viel biologische Vielfalt müssen wir uns leisten? • Erhaltung des für einen Naturraum spezifischen Artenspektrums als Kernziel des Naturschutzes • Maximierung der Artenzahl auf Einzelflächen ist kein Ziel des Naturschutzes (Spielräume) • Der Arten und Naturverlust schreitet unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen fort • Derzeit extrem geringe Aufwendungen für Naturschutz incl. Vergütungen für angepasste Landnutzung – wir müssen uns mehr leisten als bisher! Kulturlandschaften Lebensraumtypen Heckenlandschaften Lebensraumtypen Streuobstwiesen Lebensraumtypen Artenreiche Mähwiesen Lebensraumtypen Schafweiden (Wacholderheiden) Lebensraumtypen Streuwiesen Lebensraumtypen Äcker und Ackerränder Adonis aestivalis Caucalis platycarpos Legusia speculum-veneris Lebensraumtypen Trockenmauern Empfehlungen – was kann der einzelne Landwirt tun • Biodiversitätsberatung • Teilnahme an Programmen (MEKA und LPR) – Extensive Grünlandnutzung – Extensive Ackernutzung (Ackerrandstreifen) – Schaffung und Erhaltung von Biotopen auf Nutzflächen • Erhaltung nicht genutzter Landschaftselemente • Aufwertungen im Hofbereich (Bauerngarten, Nisthilfen etc) Empfehlungen – was kann der Landwirt tun Biodiversitätsberatung www.gbb.lel-bw.de Offenhaltung (Vielfalt der Kulturlandschaft) Natura-Grünland Betriebskonzept biologische Vielfalt (mehr Biodiversität in Ackerbaubetrieben) Empfehlungen – was kann der Landwirt tun? Agrarumwltprogramm MEKA Förderfähig sind 22 Maßnahmen Teil A: Umweltbewußtes Betriebsmanagement (2) Teil B: Erhaltung der Kulturlandschaft (Grünland) (4) Teil C: Sicherung traditioneller Nutzungssysteme (3) Teil D: Verzicht auf Mineraldünger und Pestizide (2) Teil E: Ackerbau (5) Teil F: Biologische Schädlingsbekämpfung (Nutzinsekten, Pheromone) (4) Teil G: Erhaltung gesetzlich geschützter Lebensräume (2) Erhaltung u. Pflege der Kulturlandschaft Code Maßnahme B1 Extensive Grünlandbewirtschaftung Ausgleich 50 €/ha Maximaler Viehbesatz von 2,0 GV/ha LF 5% des Grünlands Mahd ab dem 15. Juni Verzicht auf Grünlandumbruch im Unternehmen Flächenbezogene Aufzeichnungen der Gülledüngung kein flächiger Einsatz von Pestiziden B2 Extensive Grünlandbewirtschaftung mit angepasstem Viehbesatz 90 €/ha Viehbesatz 0,3 – 1,4 RGV/ha Sonst Auflagen wie bei B1 B3 Bewirtschaftung von steilem Grünland (>25%) 120 €/ha Auflagen wie bei B1 B4 Artenreiches Grünland mindestens 4 Kennarten Sonst Auflagen wie bei B1 60 €/ha Landschaftspflegende Nutzungen Code Maßnahme C1 Erhaltung von Streuobstbeständen Bis zu 100 Bäume pro ha Bewirtschaftung bzw. Pflege des Unterwuchses (Grünland) Ersatz abgängiger Bäume durch Hochstämme C2 Erhaltung von abgegrenzten Weinbausteillagen Ausgleich 2,50 €/Baum 350 €/ha Erhaltung Trockenmauern Raubmilbenschonende Bewirtschaftung Bodenuntersuchungen gemäß Düngeverordnung C3 Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen Hinterwälder 70 €; Limpurger Rind, Schwarzwälder Füchse u.a. 120 € C4 Gebietstypische Weiden Nur anerkannte Weidegemeinschaften 70 – 120 €/ Muttertier 140 €/ha Erhaltung besonders geschützter Lebensräume Code Maßnahme Ausgleich G1.1 Extensive Nutzungsformen von §32-Biotopen 140 €/ha G1.2 Messerbalkenschnitt 50 €/ha G2.1 Extensive Nutzungsformen von FFH-Biotopen 140 €/ha G2.2 Messerbalkenschnitt 50 €/ha Empfehlungen - was kann der Landwirt tun? Landschaftspflegerichtlinie (LPR) Teil A: Vertragsnaturschutz Teil B: Biotop- und Artenschutz Teil C: Grunderwerb Teil D: Investitionen Teil E: Dienstleistungen LPR – Flächensätze I (Teil A) Vertragsnaturschutz Extensive Ackerbewirtschaftung Beibehaltung ohne Stickstoffdüngung Beibehaltung mit angepasster Stickstoffdüngung Aufgabe der Ackerbewirtschaftung 305 €/ha 140 €/ha 145 €/ha Umstellung von Acker auf Grünland (extensiv) Ohne Stickstoffdüngung Mit angepasster Stickstoffdüngung 405 €/ha 220 €/ha Zulagen Ackerbewirtschaftung Randstreifen Maßnahmen auf Flächen hoher Bonität Zusätzliche Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten Hoher Arbeits- und Beratungsaufwand Geringer Arbeits- und Beratungsaufwand 130 €/ha 65 €/ha 220 €/ha 160 €/ha LPR – Flächensätze II (Teil A) Vertragsnaturschutz Extensive Grünlandbewirtschaftung Einschürige Mahd ohne Stickstoffdüngung Zweischürige Mahd ohne Stickstoffdüngung >zweischürige Mahd ohne Stickstoffdüngung (Brache) >zweischürige Mahd ohne N-Düngung (intensives GL) Zweischürige Mahd mit angepasster Düngung >zweischürige Mahd mit angepasster Düngung 200 €/ha 280 €/ha 300 €/ha 200 €/ha 165 €/ha 140 €/ha Beweidung Standweide, Koppelweide, Hütehaltung 1-2 Gänge Hütehaltung (>2 Weidegänge) 185 €/ha 310 €/ha Zulagen Grünland Zusätzliche Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Arten Hoher Arbeits- und Beratungsaufwand Geringer Arbeits- und Beratungsaufwand Mechanische Nachpflege (Beweidung) Hangneigung (>25%) 150 €/ha 90 €/ha 85 €/ha 120 €/ha Empfehlungen – was kann der Landwirt tun? Erhaltung oder Einrichtung von Landschaftselementen Empfehlungen – was kann der Landwirt tun? Aufwertungen im Hofbereich Anpassungsfähigkeit durch Biodiversität – die Intelligenz natürlicher Systeme