(25) Als 12-Jähriger kämpfte ich 1945 mit der 251.ID gegen die Rote Armee von Günter Hossfeld Korrektur 2.4.2017 1944/45 – Hintergrund: Die Rote Armee hatte am 22. Juni 44 eine große Offensive gestartet. Ab September verteidigte die 251. ID den Warka-Brückenkopf südlich von Warschau. Am Sonntag, dem 14. Januar 1945, setzten die Sowjets mit ihrer Winteroffensive auf breiter Front den Vorstoß auf Berlin fort. Nach wenigen Wochen stand die Rote Armee an der Oder. Die 251. ID wurde aus dem Raum Warka entlang der Weichsel zur Danziger Bucht zurückgedrängt – s. Info-Marktplatz/erhaltene Zuschriften/ 251.ID-12-jährig.pdf Januar 1945 – Alles hat eine Vorgeschichte: Mein Geburtsjahr ist 1932. Wir wohnten seit 1939 in Polen. Mein Vater war im Kreis Schröttersburg (Płock) bei den Zuckerfabriken in Busedorf (Mala Wies) und Pukallen (Borowiczki) beschäftigt. In Schröttersburg ging ich zur Schule und in Pukallen wurde ich Führer des Fähnleins 3 in Hitlers Deutschem Jungvolk. – 1943/44 lag die SS-Division „Großdeutschland“ zur Auffrischung in Schröttersburg. Zur ihr schickte mich meine HJ (Hitlerjugend)-Führung zur Waffenausbildung am K(Karabiner)98, MG(Maschinengewehr)42 und an der Panzerfaust. Im gleichen Jahr wurde ich zur AHS (Adolf-Hitler-Schule) nach Hohenstein geschickt und stand dort noch Ehrenwache am TannenbergDenkmal. Zu Weihnachten 1944 kam ich nach Hause und gleichzeitig auch mein Vater, der bereits im 1. Weltkrieg und jetzt bei der Heimat-Flak in Linz/Donau eingesetzt war. In seinem Weihnachtsurlaub organisierte er mit Jan, einem polnischen Vertrauten, vorsorglich unsere Flucht mit 2 Pferden und einem Planwagen. Direkt nach Weihnachten musste er wieder nach Linz zurück. FHQu G. Hossfeld am 23.6.2014: „Noch heute sehe ich das grinsende Gesicht des russ. Piloten vor mir“. Gruppe TruppenÜbungsPlatz Gruppe Wolfsbruch Schröttersburg Warka In unserer Wohnstube in Pukallen stand noch der Weihnachtsbaum, als wir hörten, dass der Russe bei Modlin durchgebrochen sei, und wir mit unserem Planwagen zum Treffpunkt Schröttersburg müssten. Eine polnische Hausbewohnerin bot sich an, bis zu unserer Rückkehr!!! die Blumen zu gießen. Ich bekam noch den Auftrag, alle Deutschen im Dorf zu informieren und rannte mit meiner dunklen HJWinteruniform durch das polnische Dorf. Der Sammelpunkt „Schröttersburg“ war gerammelt voll und es dauerte Stunden, bis sich der Treck in Richtung Danzig bewegte, genau auf dem Rückzugsweg der 251.ID. Es war das reine Chaos auf der Hauptstraße – Militär, Flüchtlinge mit ihren Wagen und Vieh und zwischendurch die Befehle: „Zivilisten rechts ran, Militär vor!“ Dann geriet ich mit meinem Pferdewagen in die Nachhut der Truppe. Der Offizier dieses Haufens sagte mir, dass er einen leicht verwundeten Soldaten hätte, der den Wagen mit Mutter und Bruder lenken solle und er mich dafür, da ich ja ein ausgebildeter „Kämpfer“ sei, in seine Abteilung übernehmen werde. Dieser „Personalwechsel“ lag offensichtlich an meiner mit Abzeichen dekorierten Hitlerjugend-Uniform. – Und dann kamen die russischen Schlachtflieger und hinterließen eine blutige Spur im Schnee. Jeden Morgen sagte der Kompanieführer: „Der Russe lässt die Panzermotoren an. Wir müssen weg!“ Eines Morgens stand ich alleine an einer hölzernen Wassermühle. Die Soldaten sicherten. Ein eiliger „Goldfasan“ (Partei-Bonze) mit Pferd tauchte auf und band das Pferd an einen Pfahl. Er wolle gleich wieder zurück sein. Kaum war er weg, tauchte ein russischer Jagdflieger auf und feuerte in die Mühle. Er flog so tief, dass ich sein lachendes Gesicht deutlich sehen konnte. Aber er traf weder mich noch das angebundene Pferd. Als ich ihn eine Schleife drehen sah, hechtete ich unter die Mühle. Wieder schoss er am Ziel vorbei, kam dann aber nicht mehr zurück. Mir und dem Pferd war nichts passiert. Nun kam der „Goldfasan“ zurück, bedankte sich und galoppierte davon. Eines Morgens rutschten unsere letzten Wagen durch einen glatten Hohlweg. Ein Panzer T34 verfolgte uns. Der Kompanieführer befahl eine Abwehrstellung mit einem MG42. Wir waren zu dritt. Auch der Panzer rutschte im eisigen Hohlweg und blieb stecken. Die ihm folgenden Rotarmisten nahmen wir sofort unter Feuer. Der Panzer kam nicht mehr weg. Er hatte sich festgewühlt. Jetzt begann er mit seinem MG zu schießen. Diese gefährliche Situation mussten wir beenden, d. h. der Panzer musste außer Gefecht gesetzt werden. Der Jüngste war am beweglichsten. Also musste ich ein Schneehemd überziehen und mich im Bogen an den T34 heranschleichen. Der Sprengkopf meiner Panzerfaust traf genau den Drehring des Turmes. – Leider waren die beiden Zeugen, die ich für die Auszeichnung „Ärmel-Streifen“ benötigt hätte, verschwunden. Ich habe sie auch später nicht mehr gesehen. – Mein Treffer löste die wahre Hölle aus. Eine wilde Schießerei begann. Ich rannte in meinem weißen Schneehemd in Richtung Straße und sprang in jeden letzten Einschlagtrichter, so wie es mir mein Vater beigebracht hatte. – Inzwischen hatte die verstärkte Kompanie ein Dorf, das die Russen tags zuvor eingenommen hatten, im Gegenangriff wieder zurück erobert. Was wir dort sahen, vergisst man besser … Eines Vormittags rasselten Ketten, denn 15 bis 20 deutsche Panzer gingen in Stellung. Ich dachte: jetzt geht’s los! Aber plötzlich machten die Panzer eine Kehrtwendung und preschten davon. Dann kamen wieder die russischen Schlachtflieger. Wir blieben zusammen, die letzte Kompanie und unser Wagen. In den abendlichen Pausen versorgten wir die Pferde, die Eisen verloren hatten, und gingen auf die Suche nach Essbarem. Endlich kamen wir nach Graudenz. Auf der linken Weichselseite sahen wir Detonationen; man sprengte wohl Depots und Lager. Wir standen vor den hohen Häusern von Graudenz am rechten Weichselufer, als der Kompanieführer zurück kam und sagte, dass wir sofort übers Eis müssten, da anschließend die SS dieses sprengen würde. Wir zogen auf der linken Weichselseite weiter. Von der Sprengung haben wir nichts mehr mitbekommen. – Dann kam die plötzliche Trennung von der Truppe. Der Kompanieführer sagte: ‚einige km weiter sei der Bahnhof ‚Wolfsbruch‘ (bei Gruppe*) mit einem abfahrbereiten Zug nach Stettin (Dieser Zug hatte noch frische Truppen gebracht!). Für uns Zivilisten könne er die Verantwortung nicht mehr übernehmen‘. Wir verabschiedeten uns von der 251. ID. – Am Bahnhof luden wir unser Gepäck vom Wagen auf einen Flachwaggon. Über den Verlust der Pferde war ich sehr traurig. Ich sagte aber sofort, dass wir bei 20 Grad Kälte auf dem offenen Waggon erfrieren würden. Zum Glück fand ich weiter vorne einen Truppenwaggon mit einem Ofen in der Mitte und mit Brennmaterial. Irgendwann setzte sich der Zug in Bewegung. Auf der hindernisreichen Fahrt füllte sich unser Waggon zunehmend von Station zu Station, aber das ist eine andere Geschichte – nur so viel: Kaum hatten wir Stettin in Richtung Westen verlassen, gab es einen schweren Bombenangriff auf die Stadt, bei dem das Marinelager total zerstört wurde. Wieder einmal hatten wir Glück gehabt! * Truppenübungsplatz - hier war die 251.ID im Mai 1941 auf dem Weg nach Ostpreußen kurzzeitig kaserniert. Der Bericht von Günter Hossfeld wurde gestaltet und ergänzt von Karl-Wilhelm Maurer. – Zu diesem Thema erschien dieser Tage im Rowohlt Verlag das Buch „Hitlers vergessene Kinderarmee“ von Günter Lucks und Harald Stutte