Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2016

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11. Jahrgang, 1. Ausgabe 2017, 1-19
- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016
Teil 1: Seltene Erkrankungen
Schlafstörungen
Narkolepsie
Zirkadianer Rhythmus
Kataplexie
Non-24
Pitolisant
Tasimelteon
Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016
Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe DGPT,
Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
[email protected]
Aus einem Vortrag des Autors vom 30.01.2017 im Hörsaal des LFI der
Universitätsklinik Köln
(organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln
e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln)
Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum
Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier:
http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html
Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016?
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V.
Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“
Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie,
Universitätsklinikum, Düsseldorf,
Fortbildungsvortrag vom 30.01.2017 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein,
Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln
Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2
und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern:
Actavis1, Allergan2, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1
Übersicht
Hinweise
Zeitraum
Da die Ausbietung der Kombination
Sacubitril/Valsartan zum 01.01.2016
erfolgte und eine neue oral verfügbare
Therapieoption für die häufige kardiovaskuläre Indikation Herzinsuffizienz
darstellt, wurde Entresto® bereits im
Januar 2016 besprochen.
Kosten
Die Berechnung der Tages-Therapiekosten erfolgte auf der Basis des
Apothekenverkaufspreises der jeweils
größten erhältlichen Packung und der
vom Hersteller empfohlenen Dosierung.
Artikel verfügbar unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/SerieNeueArzneimittel.html
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Übersicht
31 neue Arzneistoffe in 2016
(9 Zytostatika, 7 Orphan-Drugs!)
Seltene Erkrankungen
Antiinfektiva
Andere
Afamelanotid (Scenesse®)
Albutrepenonacog alfa (Idelvion®)
Efmoroctocog alfa (Elocta®)
Eftrenonacog alfa (Alprolix®)
Migalastat (Galafold®)
Pitolisant (Wakix®)
Tasimelteon (Hetlioz®)
Dalbavancin (Xydalba®)
Pivmecillinam (X-Systo®)
Velpatasvir (Epclusa®)
(Kombi mit Sofosbuvir)
Elbasvir (Zepatier®)
(Kombi mit Grazoprevir)
Brivaracetam (Briviact®)
Guanfacin (Intuniv®)
Idarucizumab (Praxbind®)
Mepolizumab (Nucala®)
Milnacipran (Milnaneurax®)
Opicapon (Ongentys®)
Ospemifen (Senshio®)
Susoctocog alfa (Obizur®)
Zytostatika
Autoimmunerkrankungen
Daratumumab (Darzalex®)
Daclizumab (Zinbryta®)
Dinutuximab (Unituxin®)
Elotuzumab (Empliciti®)
Necitumumab (Portrazza®)
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Olaratumab (Lartruvo®)
Selexipag (Uptravi®)
®
Osimertinib (Tagrisso )
Sacubitril/Valsartan (Entresto®)
Palbociclib (Ibrance®)
®
Talimogen laherparepvec (Imlygic )
Tipiracil (Lonsurf®),
(Kombination mit Trifluridin)
Übersicht
Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG
erheblich > beträchtlich > gering und nicht quantifizierbar (z.B. bei Orphan-Drugs)
Bewertung erfolgt im Verhältnis zur „zweckmäßigen Vergleichstherapie“.
Prüfung des Dossiers
innerhalb von 3 Monaten
Erstattungsbetragsverhandlungen bis 12. Monat
Schiedsspruch bis 15. Monat
Anhörung und Beschluss
zwischen 4. – 6. Monat
IQWiG
Einigung
G-BA
Dossier
Einigung
Klage oder
Marktrücknahme
Marktrücknahme
durch Hersteller
möglich
Für 8 der 31 neuen Arzneimittel findet sich kein g-BA Eintrag, darunter alle Antibiotika.
Abb. modifiziert nach: http://www.vfa.de/de/download-manager/_infografik-amnog-fruehe-nutzenbewertung.pdf
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Übersicht
Gruppe seltene Erkrankungen
Vollständige Liste erhältlich unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html
Übersicht
Gruppe seltene Erkrankungen
• In der EU gilt eine Erkrankung als selten,
wenn weniger als 5 von 10.000 Bürgern
davon betroffen sind.
• Bislang sind mehr als 5.800 verschiedene
seltene Erkrankungen bekannt und immer
wieder werden neue seltene Erkrankungen
in der medizinischen Literatur beschrieben.
• Dementsprechend geht die EU in ihren
Empfehlungen für seltene Erkrankungen
von 27-36 Millionen Patienten in der EU
aus, die von einer seltenen Erkrankung
betroffen sind.
• Dies entspricht immerhin 5,3 % bis 7,1 %
der Bevölkerung in der EU.
Verzeichnis verfügbar unter: http://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Education_Home.php?lng=DE#REPORT_RARE_DISEASES
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
Arzneistoff
Pitolisant (Wakix®)
1-(3-(3-(4-chlorophenyl)propoxy)propyl)piperidine
Indikation
Bei Erwachsenen zur Behandlung
der Narkolepsie mit oder ohne
Kataplexie
Zusatznutzen
Hersteller
Noch nicht festgelegt
Bioprojet Pharma
Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Pitolisant
Pitolisant (Wakix®)
• Die Narkolepsie ist eine seltene SchlafWach Störung.*
• Die Prävalenz liegt bei etwa 1-5 pro 10.000
Menschen (ORPHA2073, www.orpha.net)
• Die Narkolepsie wird häufig erst 5-15 Jahre
nach Beginn der Erkrankung diagnostiziert.
• Bis zu etwa 50 % der Betroffenen erhalten
wahrscheinlich lebenslang keine Diagnose
(hohe Dunkelziffer).
• Normalerweise ist eine „exzessive Tagesschläfrigkeit“ (EDS) trotz ausreichendem
Nachtschlaf das zuerst auftretende
Symptom der Erkrankung
Abb. aus: http://www.ndr.de
• Man unterscheidet drei Formen der
Narkolepsie:
Typ 1 Narkolepsie mit Kataplexie,
Typ 2 Narkolepsie ohne Kataplexie und
symptomatische Narkolepsie als Folge
anderer Erkrankungen (sehr selten)
*Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62.
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
Elektromyogramm
• Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter
auftreten, beginnt aber üblicherweise in der
Adoleszenz (10-20 Jahre).*
Elektrookulogramm
• Die Betroffenen leiden jeden Tag unter der
EDS, die teilweise schwerwiegend ist.
wach
• Der „Schlafzwang“ führt zu einer starken
Beeinträchtigung normaler Aktivitäten z.B.
in der Schule oder bei der Arbeit.
Stadium 1
Stadium 2
• Die Narkolepsie ist auch mit geringer
Latenzzeit bis zum Einschlafen (< 8 min)
sowie Störungen des REM-Schlafes und des
nicht-REM-Schlafes verbunden.
Stadium 3
(Tiefschlaf)
• So erleben die Patienten auch während nur
kurzem Tagesschlaf REM-Schlaf-Phasen.
Gleichzeitig ist der Nachtschlaf häufig
unterbrochen.
REM-Schlaf
• Weitere Symptome sind Schlaflähmungen,
Halluzinationen beim Aufwachen und
Gewichtszunahme.
Abb. aus: http://www.schlafzentrum.med.tum.de
(EEG nicht dargestellt)
*Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62.
Pitolisant (Wakix®)
• Bis zu etwa 70 % der Narkolepsie-Patienten leiden
an Kataplexie, einem bei vollem Bewusstsein
plötzlich auftretenden Tonusverlust der Skelettmuskulatur (Ausnahmen sind Zwerchfell und
Schluckmuskulatur).*
• Die Attacken dauern in der Regel weniger als 2 min
an und werden durch intensive und meist positive
Emotionen ausgelöst.
• Kataplexien reichen von milder Symptomatik wie
verwaschener Sprache oder Erschlaffung der Mimik
bis zum kompletten Kollaps (Abb.).
• Die Patienten bemerken oft den Beginn einer
Attacke (bietet Schutz vor Verletzungen).
• Häufigkeit und Schweregrad der Kataplexien kann
nach abrupten Absetzen von Arzneimitteln gegen
Kataplexien (Antidepressiva) deutlich ansteigen
und bis zu einem „Status Kataplektikus“ führen.
• Kataplexien sind für die Diagnose der Narkolepsie
sehr hilfreich, da sie fast nur bei dieser Erkrankung
auftreten.
Abb. aus: https://www.youtube.com/watch?v=VA6FeiGgLF0
*Swick TJ. Treatment paradigms for cataplexy in narcolepsy:
past, present, and future. Nat Sci Sleep. 2015 Dec 11;7:159-69
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
• Die Narkolepsie Typ 1 wird durch einen
Verlust von Orexin-Neuronen im posterolateralen Hypothalamus ausgelöst.
• Diese Neuronen projizieren in nahezu alle
Hirnregionen und spielen eine wichtige
Rolle für den Schlaf-Wachrhythmus.
• Sie erregen direkt verschiedenste andere
Neuronen (Abb.) und sorgen so für die
Aufrechterhaltung des Wachzustandes.
• Hierzu gehören auch die histaminergen
Neurone.
• Orexine regulieren auch Metabolismus,
Appetit und Mobilität sowie den autonomen
Tonus und das Belohnungssystem.
• Kataplexien können auch als eine Störung
des REM-Schlafes aufgefasst werden, bei
welcher es nach positiven Emotionen durch
das Fehlen von Orexin zu einer erhöhten
Aktivität von Hirnregionen kommt, die den
REM-Schlaf fördern.
Abb. modifiziert nach
Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62.
Pitolisant (Wakix®)
Therapie
• Die Symptome der Narkolepsie lassen sich mit
verschiedenen Arzneistoffen gut behandeln.
• Jedoch bessert bislang nur Natrium-Oxybat
(γ-Hydroxybuttersäure, Xyrem®, BTM) sowohl
die Tagesschläfrigkeit als auch die Kataplexie.
• Für die Behandlung der Tagesschläfrigkeit
sind Modafinil und Methylphenidat zugelassen.
• Kataplexie, Halluzinationen und Schlaflähmung
werden mit Antidepressiva behandelt.
• Zugelassen für die Behandlung der Kataplexie
ist Clomipramin, aber auch die schwächer
wirksamen jedoch besser verträglichen
Antidepressiva Venlafaxin, Reboxetin,
Fluoxetin und Citalopram werden empfohlen.
Leitlinie Narkolepsie (gültig bis 2017).
http://www.dgn.org/leitlinien/2325-ll-05-2012-narkolepsie
• Wichtig für Patienten mit Tagesschläfrigkeit
können auch Ratschläge zu Schlafhygiene,
Ernährung und regelmäßiger Bewegung sein.
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
Wirkungsmechanismus
• Pitolisant ist ein Inhibitor und ein inverser
Agonist am Histamin-H3-Rezeptor (H3R).
• Der H3R ist ein präsynaptischer
Gi-gekoppelter Rezeptor mit intrinsischer
Aktivität, der eine Verminderung der
Ausschüttung von Histamin sowie weiteren
Neurotransmittern bewirkt.
• Pitolisant wirkt somit den Effekten des
Orexin-Verlustes entgegen.
• Es führt zu einer vermehrten Ausschüttung
von Histamin, Acetylcholin, Noradrenalin und
Dopamin in vielen Regionen des Gehirns.
• Pitolisant bewirkt jedoch keine vermehrte
Ausschüttung von Dopamin im Striatum,
einschließlich des Nucleus accumbens.*
Abb. modifiziert nach
Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62.
*Fachinfo Wakix®, Stand November 2016
Pitolisant (Wakix®)
Klinische Wirksamkeit
HARMONY I Studie
• Randomisierte, multizentrische
doppelblinde, parallel-Gruppen
kontrollierte Studie an 95 Patienten
• Die Narkolepsie-Patienten (mit oder ohne
Kataplexie) mussten einen ESS von
mindestens 14 aufweisen (normal 5-6)
• Arzneistoffe für die Kataplexie durften
beibehalten werden (keine TCAs*)
• Die Behandlung erfolgte 2 Wochen mit
steigender und 1 Woche mit individuell
adjustierter Dosierung, die dann 5 Wochen
beibehalten wurde.
• Primärer Endpunkt war der Unterschied
der Änderung des ESS zwischen Pitolisant
und Placebo.
Abb. modifiziert nach:
Lancet Neurol. 2013 Nov;12(11):1068-75
• Sekundäre Endpunkte erfassten u.a. Tests
zur Aufrechterhaltung der Wachheit (MWT)
und zur Lebensqualität.
*Trizyklische Antidepressiva
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
Klinische Wirksamkeit
HARMONY I Studie
• Etwa 60 % der Patienten im Pitolisant-Arm
nahmen 36 mg Pitolisant/Tag ein
• Pitolisant senkte den ESS besser als
Placebo (P=0.024), war aber nicht besser
wirksam als Modafinil
• Dieses Ergebnis ließ sich für die Laboruntersuchungen (sekundäre Endpunkte)
nicht einheitlich bestätigen.
• Pitolisant reduzierte ebenfalls die Rate von
Kataplexien um 62 % (post-hoc-Analyse).
• Die Reduktion der Rate von Kataplexien
wurde in einer weiteren Studie an
Patienten mit hoher Rate von Kataplexien
(ca. 9/Woche) bestätigt (HARMONY CTP)*
• Die Lebensqualität änderte sich in allen
Gruppen nur geringfügig.
Abb. modifiziert nach:
Lancet Neurol. 2013 Nov;12(11):1068-75
*Fachinfo Wakix®, Stand November 2016
Pitolisant (Wakix®)
Nebenwirkungen
„Die häufigsten im Zusammenhang mit Pitolisant gemeldeten unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (UAW) sind Schlaflosigkeit (8,4 %), Kopfschmerzen (7,7 %),
Übelkeit (4,8 %), Angst (2,1 %), Reizbarkeit (1,8 %), Schwindelgefühl (1,4 %),
Depressionen (1,3 %), Tremor (1,2 %), Schlafstörungen (1,1 %), Ermüdung (1,1 %),
Erbrechen (1,0 %), Vertigo (1,0 %), Dyspepsie (1,0 %), Gewichtszunahme (0,9 %)
und Schmerzen im Oberbauch (0,9 %). Die schwerwiegendsten UAW sind
abnormaler Gewichtsverlust (0,09 %) und Spontanabort (0,09 %).“
Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%):
-
Schlaflosigkeit, Angst, Reizbarkeit, Depression, Schlafstörung
Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Tremor
Vertigo
Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie
Ermüdung
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Pitolisant (Wakix®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
Bestehen einer schweren Leberfunktionsstörung
Warnhinweise
Vorsicht bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, wie z. B. schweren
Angststörungen oder schweren Depressionen
Vorsicht bei Patienten, die an einer Nierenfunktionsstörung oder an einer mittelschweren Leberfunktionsstörung (Child-Pugh-Klasse B) leiden (max. 18mg/Tag)
Vorsicht bei Patienten mit säurebedingten Magenerkrankungen
Vorsicht bei bei Patienten mit schwerer Adipositas oder schwerer Anorexie
Während und bis 21 Tage nach der Anwendung ist eine zuverlässige Kontrazeption
wichtig (Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva kann beeinträchtig werden)
Schwangerschaft: keine Anwendung (tierexperimentell Teratogenität)
Stillzeit: Anwendung vermeiden (Kontraindikation)
Fertilität: keine Daten am Menschen, kaum Einfluss in tierexperimentellen Studien
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Pitolisant (Wakix®)
Fazit
Pitolisant ist ein Inhibitor und ein inverser Agonist am Histamin-H3-Rezeptor (H3R).
Der H3R ist ein präsynaptischer Gi-gekoppelter Rezeptor mit intrinsischer Aktivität,
der eine Verminderung der Ausschüttung von Histamin sowie weiteren
Neurotransmittern bewirkt (Autorezeptor). Seine Blockade löst eine vermehrte
Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter in vielen Regionen des Gehirns aus
und stabilisiert so den Wachzustand. Es handelt sich um ein neues Wirkprinzip.
Bei Narkolepsie-Patienten verminderte Pitolisant die Tagesschläfrigkeit besser als
Placebo und vergleichbar mit Modafinil. Darüber hinaus reduzierte Pitolisant die Rate
von Kataplexien um 62 %. Somit stellt Pitolisant eine therapeutisch nützliche
Erweiterung der Therapie der Narkolepsie dar, die bislang nur mit Natriumoxybat
(BTM) oder einer Kombinationstherapie möglich war. Pitolisant wird individuell
dosiert (4,5-36 mg/Tag) und morgens mit dem Frühstück eingenommen.
Die häufigsten Nebenwirkungen (<10 %) von Pitolisant sind u.a. Schlaflosigkeit,
Kopfschmerzen und Übelkeit. Pitolisant kann die Wirksamkeit hormoneller
Kontrazeptiva beeinträchtigen und wirkt möglicherweise teratogen.
Die Tagestherapiekosten, bezogen auf eine Erhaltungsdosis von 36 mg/Tag,
betragen 39,93 €.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Arzneistoff
Tasimelteon (Hetlioz®)
Indikation
Bei völlig blinden Erwachsenen zur
Behandlung des Nicht-24-Stunden-SchlafWach-Syndroms (Non-24)
Zusatznutzen
Hersteller
noch nicht festgelegt
Vanda Pharmaceuticals Limited
Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tasimelteon
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus
(circadianer Rhythmus)
• Synthese von Melatonin aus
Serotonin und Freisetzung durch
die Zirbeldrüse unter Kontrolle
des Licht-gesteuerten suprachiasmatischen Kerns
• Tageslicht hemmt die Freisetzung
• Bei Dunkelheit wird die Hemmung
aufgehoben und die Zirbeldrüse
zur Bildung von Melatonin
angeregt.
• Melatonin wirkt schlafinduzierend
und –aufrechterhaltend
Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286
• Melatonin synchronisiert den
endogenen Rhythmus des
suprachiasmatischen Kerns mit
dem 24-Stunden-Tag
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus
• Viele komplett blinde Patienten leiden
wegen fehlender Regulation des
Schlaf-Wach-Rhythmus unter
rezidivierender Insomnie und
Tagesmüdigkeit mit teilweise
erheblichen Auswirkungen auf das
Sozial- und Berufsleben (Non-24).
• Bei einer circadianen Periode von
24,5 h, dem Mittelwert bei Blinden*,
verschiebt sich der tägliche
Melatonin-Anstieg (Acrophase) jeden
Tag um 0,5 h, so dass ein Zyklus
48 Tage dauert.
Abb. aus: Kaber G. Melatonin.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286
*Eastman C. Lancet 2015;386:1713-1714
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus
• Es handelt sich um eine chronische
Erkrankung, die nach Schätzungen*
50-70 % vollständig Erblindeter
betrifft, insgesamt aber als seltene
Erkrankung eingestuft wird
(ORPHA73267, www.orpha.net)
• Die Gabe von Melatonin (10 mg/Tag
als Kapsel mit Lactose) kann bei
Blinden den Schlaf-Wach-Rhythmus
normalisieren
(Sack et al., NEJM 2000)
Abb. aus: Kaber G. Melatonin.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286
*EPAR Hetlioz, 22.07.2015
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus
• Bei insgesamt 3 von 11 vollständig
erblindeten Patienten wurde durch
Bestrahlung des Auges die
Konzentration von Melatonin deutlich
reduziert (siehe Abb.).
• Dieser Effekt trat nicht auf, wenn die
Augen abgedeckt wurden.
• Diese Patienten berichteten auch nicht
über Schlafstörungen.
• Die Beobachtung war der Ausgangspunkt der Hypothese, dass es außer
den für den Visus wichtigen Stäbchen
und Zäpfchen in der Retina noch einen
anderen Fotorezeptor geben muss.
Abb. modifiziert aus: Czeisler et al., N Engl J Med. 1995 Jan 5;332(1):6-11.
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Licht-abhängigen circadianen Rhythmus
Abb. aus: www.licht.de
• 1998 Entdeckung des transmembranären Rezeptors Melanopsin durch Provencio I et al.
• 2001 Entdeckung von Ganglienzellen als neue Fotorezeptoren in der Retina des Auges
(neben Stäbchen und Zäpfchen) durch Brainard et al.
• Von diesen Zellen ziehen Axone in den suprachiasmatischen Kern, der die Synthese von
Melatonin reguliert, sowie in den Hypothalamus und regulieren die Cortisolbildung (viele
andere circadiane Schwankungen werden ebenfalls durch diese „innere Uhr“ reguliert).
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Licht-abhängigen Schlaf-Wach-Rhythmus
Abb. aus: www.licht.de
• Tageslicht mit hohen Blauanteilen aktiviert die Fotorezeptoren, die mittels Melanopsin auf
blaues Licht der Wellenlänge 446-483 nm reagieren (Licht des klaren blauen Himmels), und
unterdrückt damit die Bildung von Melatonin
• Das schwächere und mehr gelbliche Abendlicht sowie Dunkelheit hebt diese Hemmung auf
• andauerndes künstliches helles Abendlicht (Schlafstörungen) oder andauernde Dunkelheit
(Antriebslosigkeit, Winterdepression) stören den circadianen Rhythmus
Tasimelteon (Hetlioz®)
Regulation des Licht-abhängigen Schlaf-Wach-Rhythmus
Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286
• Die schlafregulierenden und synchronisierenden Effekte von Melatonin (MLT) werden über
zwei spezifische G-Protein-gekoppelte Rezeptoren im suprachiasmatischen Nukleus (MT1
und MT2) vermittelt
• beide Rezeptoren sind auch im Cerebellum, Thalamus und Hippocampus lokalisiert
• MT1/MT1 Homodimere sind 3-4 Mal häufiger als MT2/MT2 Homodimere oder MT1/MT2
Heterodimere und sind Gq gekoppelt
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Wirkungsmechanismus
Tasimelteon
Abb. modifiziert nach: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286
• Tasimelteon ist ein selektiver dualer Agonist an MT1 und MT2 und bindet mit höherer
Affinität an MT2
• Die Hauptmetabolite zeigen eine mehr als 10-fach geringere Affinität
• keine Affinität an Rezeptoren, die Neuropeptide, Zytokine, Serotonin, Noradrenalin,
Acetylcholin und Opiate binden oder an den GABA-Rezeptorkomplex
Tasimelteon (Hetlioz®)
Phase 3 Studie (SET)
1:1 randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert,
84 Patienten, circadiane Periode >24,25 h,
Schlafstörungen, mittleres Alter 50,7 Jahre,
42 % Frauen
Dosis 20 mg Tasimelteon pro Tag eine Stunde vor
dem Schlafen, Dauer 26 Wochen,
Primärer Endpunkt: Synchronisierung der
circadianen Periode auf 24,1 h oder weniger
Wurde erreicht bei 20 % im Tasimelton-Arm und
bei 3 % im Placebo-Arm
Die Patientenbeispiele links zeigen die sich
verschiebenden Acrophasen (rote Sterne) in der
Auswahlphase sowie die Synchronisierung nach
der Randomisierung nur bei Therapie mit
Tasimelteon.
Die waagerechten grauen Striche zeigen die
täglichen Schlafperioden, die sich durch
Tasimelteon deutlich im Zeitraum zwischen 00:0009:00 Uhr konzentrieren
Abb. modifiziert nach:
Lockley et al., Lancet 2015; 386: 1754–64
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Phase 3 Studie (RESET)
1:1 randomisierte, doppelblind und Placebokontrollierte Auslassstudie,
20 Patienten, die nach Tasimelteon eine circadiane
Periode <24,1 h aufwiesen, mittleres Alter 52
Jahre, 40 % Frauen
Dosis 20 mg Tasimelteon pro Tag eine Stunde vor
dem Schlafen, Dauer 8 Wochen,
Primärer Endpunkt: Anzahl der Patienten ohne
Synchronisierung der circadianen Periode auf
24,1 h oder weniger
Wurde erreicht bei 90 % im Tasimelton-Arm und
bei 20 % im Placebo-Arm
Die Patientenbeispiele links zeigen die sich
verschiebenden Acrophasen (rote Sterne) im
Placebo-Arm Auswahlphase sowie die bleibende
Synchronisierung bei Therapie mit Tasimelteon.
Die waagerechten grauen Striche zeigen die
täglichen Schlafperioden, die sich durch
Tasimelteon deutlich im Zeitraum zwischen 22:0007:00 Uhr konzentrieren
Abb. modifiziert nach:
Lockley et al., Lancet 2015; 386: 1754–64
Tasimelteon (Hetlioz®)
Nebenwirkungen
„Die häufigsten Nebenwirkungen (> 3 %) während der klinischen Studien waren
Kopfschmerzen (10,4 %), Schläfrigkeit (8,6 %), Übelkeit (4,0 %) und Schwindel
(3,1 %). Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren in der Regel von
leichtem bis mäßigem Schweregrad und traten nur vorübergehend auf.“
Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (>10%):
- Kopfschmerzen
Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%):
- Schlafstörungen, Schlaflosigkeit, ungewöhnliche Träume
- Schläfrigkeit und Schwindel
- Dyspepsie, Übelkeit, Mundtrockenheit
- Müdigkeit
- Alaninaminotransferase erhöht
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
Tasimelteon (Hetlioz®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
Warnhinweise
Vorsicht bei schwerer Leberfunktionsstörung
Vorsicht bei Inhibitoren von CYP1A2 (z.B. Fluvoxamin) und CYP2C19 (z.B.
Omeprazol) sowie Induktoren von CYP3A4 (z.B. Rifampicin)
Ohne Nahrung einnehmen
Schwangerschaft: Anwendung nur in Ausnahmefällen
Stillzeit: Abwägung von Nutzen des Stillens und therapeutischem Nutzen
Fertilität: keine Daten am Menschen, kaum Einfluss in tierexperimentellen Studien
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Tasimelteon (Hetlioz®)
Fazit
Tasimelteon ist ein dualer, selektiver Agonist an den beiden Melatonin-Rezeptoren
MT1 und MT2.*
Der Arzneistoff synchronisiert den circadianen Rhythmus bei völlig erblindeten
Patienten mit einer circadianen Periode >24,25 h (Non-24) und verbessert die
rezidivierenden Symptome wie Insomnie und Tagesmüdigkeit. Die Ansprechrate
liegt bei 20 %. Er ist der erste randomisiert klinisch geprüfte und zugelassene
Arzneistoff für diese Indikation. Es wurde jedoch bereits im Jahr 2000 eine
Fallserie mit 7 Patienten publiziert, die eine ähnliche klinische Wirkung auch für
eine Dosis von 10 mg nicht retardiertem Melatonin vermuten lässt. Allerdings ist
nicht retardiertes Melatonin kein Arzneimittel, d.h. die Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit der erhältlichen Präparate ist nicht belegt. Eine Vergleichsstudie
zwischen Tasimelteon und Melatonin liegt nicht vor.
Tasimelteon ist gut verträglich. Die häufigste Nebenwirkung sind Kopfschmerzen
(10,4 %). Häufige Nebenwirkungen sind u.a. Schlafstörungen, Schlaflosigkeit,
ungewöhnliche Träume und einer Erhöhung der Alaninaminotransferase.
Die Therapie kostet bei der empfohlenen Dosierung 336,94 €/Tag (entspricht einer
Tablette á 20 mg).
*Das Antidepressivum Agomelatin (Valdoxan®) hemmt zusätzlich 5-HT2c-Rezeptoren
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen
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Hinweise
1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der G-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener
Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt.
2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere
Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1 und Weblink 2.
3) Eine vollständige Liste der im Jahr 2015 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und
und Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html
Weblinks
1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European
Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet
nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache)
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true
2) Webseiten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Übersicht der Arzneimittel mit neuen
Wirkstoffen, für die der G-BA eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchführt oder bereits abgeschlossen
hat. Dort sind die Gutachten des IQWiG sowie die tragenden Gründe der Beschlüsse einsehbar.
http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/
Literatur
Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind - soweit
nicht aufgeführt - auf Nachfrage beim Autor erhältlich
Impressum:
http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19
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