11. Jahrgang, 1. Ausgabe 2017, 1-19 - - - Rubrik Neue Arzneimittel - - - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2016 Teil 1: Seltene Erkrankungen Schlafstörungen Narkolepsie Zirkadianer Rhythmus Kataplexie Non-24 Pitolisant Tasimelteon Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2016 Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe DGPT, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] Aus einem Vortrag des Autors vom 30.01.2017 im Hörsaal des LFI der Universitätsklinik Köln (organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln) Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 2 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2016? Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V. Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“ Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum, Düsseldorf, Fortbildungsvortrag vom 30.01.2017 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2 und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern: Actavis1, Allergan2, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1 Übersicht Hinweise Zeitraum Da die Ausbietung der Kombination Sacubitril/Valsartan zum 01.01.2016 erfolgte und eine neue oral verfügbare Therapieoption für die häufige kardiovaskuläre Indikation Herzinsuffizienz darstellt, wurde Entresto® bereits im Januar 2016 besprochen. Kosten Die Berechnung der Tages-Therapiekosten erfolgte auf der Basis des Apothekenverkaufspreises der jeweils größten erhältlichen Packung und der vom Hersteller empfohlenen Dosierung. Artikel verfügbar unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/SerieNeueArzneimittel.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 3 4 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Übersicht 31 neue Arzneistoffe in 2016 (9 Zytostatika, 7 Orphan-Drugs!) Seltene Erkrankungen Antiinfektiva Andere Afamelanotid (Scenesse®) Albutrepenonacog alfa (Idelvion®) Efmoroctocog alfa (Elocta®) Eftrenonacog alfa (Alprolix®) Migalastat (Galafold®) Pitolisant (Wakix®) Tasimelteon (Hetlioz®) Dalbavancin (Xydalba®) Pivmecillinam (X-Systo®) Velpatasvir (Epclusa®) (Kombi mit Sofosbuvir) Elbasvir (Zepatier®) (Kombi mit Grazoprevir) Brivaracetam (Briviact®) Guanfacin (Intuniv®) Idarucizumab (Praxbind®) Mepolizumab (Nucala®) Milnacipran (Milnaneurax®) Opicapon (Ongentys®) Ospemifen (Senshio®) Susoctocog alfa (Obizur®) Zytostatika Autoimmunerkrankungen Daratumumab (Darzalex®) Daclizumab (Zinbryta®) Dinutuximab (Unituxin®) Elotuzumab (Empliciti®) Necitumumab (Portrazza®) Herz-Kreislauf-Erkrankungen Olaratumab (Lartruvo®) Selexipag (Uptravi®) ® Osimertinib (Tagrisso ) Sacubitril/Valsartan (Entresto®) Palbociclib (Ibrance®) ® Talimogen laherparepvec (Imlygic ) Tipiracil (Lonsurf®), (Kombination mit Trifluridin) Übersicht Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG erheblich > beträchtlich > gering und nicht quantifizierbar (z.B. bei Orphan-Drugs) Bewertung erfolgt im Verhältnis zur „zweckmäßigen Vergleichstherapie“. Prüfung des Dossiers innerhalb von 3 Monaten Erstattungsbetragsverhandlungen bis 12. Monat Schiedsspruch bis 15. Monat Anhörung und Beschluss zwischen 4. – 6. Monat IQWiG Einigung G-BA Dossier Einigung Klage oder Marktrücknahme Marktrücknahme durch Hersteller möglich Für 8 der 31 neuen Arzneimittel findet sich kein g-BA Eintrag, darunter alle Antibiotika. Abb. modifiziert nach: http://www.vfa.de/de/download-manager/_infografik-amnog-fruehe-nutzenbewertung.pdf Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Übersicht Gruppe seltene Erkrankungen Vollständige Liste erhältlich unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html Übersicht Gruppe seltene Erkrankungen • In der EU gilt eine Erkrankung als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Bürgern davon betroffen sind. • Bislang sind mehr als 5.800 verschiedene seltene Erkrankungen bekannt und immer wieder werden neue seltene Erkrankungen in der medizinischen Literatur beschrieben. • Dementsprechend geht die EU in ihren Empfehlungen für seltene Erkrankungen von 27-36 Millionen Patienten in der EU aus, die von einer seltenen Erkrankung betroffen sind. • Dies entspricht immerhin 5,3 % bis 7,1 % der Bevölkerung in der EU. Verzeichnis verfügbar unter: http://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Education_Home.php?lng=DE#REPORT_RARE_DISEASES Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 5 6 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) Arzneistoff Pitolisant (Wakix®) 1-(3-(3-(4-chlorophenyl)propoxy)propyl)piperidine Indikation Bei Erwachsenen zur Behandlung der Narkolepsie mit oder ohne Kataplexie Zusatznutzen Hersteller Noch nicht festgelegt Bioprojet Pharma Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Pitolisant Pitolisant (Wakix®) • Die Narkolepsie ist eine seltene SchlafWach Störung.* • Die Prävalenz liegt bei etwa 1-5 pro 10.000 Menschen (ORPHA2073, www.orpha.net) • Die Narkolepsie wird häufig erst 5-15 Jahre nach Beginn der Erkrankung diagnostiziert. • Bis zu etwa 50 % der Betroffenen erhalten wahrscheinlich lebenslang keine Diagnose (hohe Dunkelziffer). • Normalerweise ist eine „exzessive Tagesschläfrigkeit“ (EDS) trotz ausreichendem Nachtschlaf das zuerst auftretende Symptom der Erkrankung Abb. aus: http://www.ndr.de • Man unterscheidet drei Formen der Narkolepsie: Typ 1 Narkolepsie mit Kataplexie, Typ 2 Narkolepsie ohne Kataplexie und symptomatische Narkolepsie als Folge anderer Erkrankungen (sehr selten) *Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 7 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) Elektromyogramm • Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten, beginnt aber üblicherweise in der Adoleszenz (10-20 Jahre).* Elektrookulogramm • Die Betroffenen leiden jeden Tag unter der EDS, die teilweise schwerwiegend ist. wach • Der „Schlafzwang“ führt zu einer starken Beeinträchtigung normaler Aktivitäten z.B. in der Schule oder bei der Arbeit. Stadium 1 Stadium 2 • Die Narkolepsie ist auch mit geringer Latenzzeit bis zum Einschlafen (< 8 min) sowie Störungen des REM-Schlafes und des nicht-REM-Schlafes verbunden. Stadium 3 (Tiefschlaf) • So erleben die Patienten auch während nur kurzem Tagesschlaf REM-Schlaf-Phasen. Gleichzeitig ist der Nachtschlaf häufig unterbrochen. REM-Schlaf • Weitere Symptome sind Schlaflähmungen, Halluzinationen beim Aufwachen und Gewichtszunahme. Abb. aus: http://www.schlafzentrum.med.tum.de (EEG nicht dargestellt) *Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62. Pitolisant (Wakix®) • Bis zu etwa 70 % der Narkolepsie-Patienten leiden an Kataplexie, einem bei vollem Bewusstsein plötzlich auftretenden Tonusverlust der Skelettmuskulatur (Ausnahmen sind Zwerchfell und Schluckmuskulatur).* • Die Attacken dauern in der Regel weniger als 2 min an und werden durch intensive und meist positive Emotionen ausgelöst. • Kataplexien reichen von milder Symptomatik wie verwaschener Sprache oder Erschlaffung der Mimik bis zum kompletten Kollaps (Abb.). • Die Patienten bemerken oft den Beginn einer Attacke (bietet Schutz vor Verletzungen). • Häufigkeit und Schweregrad der Kataplexien kann nach abrupten Absetzen von Arzneimitteln gegen Kataplexien (Antidepressiva) deutlich ansteigen und bis zu einem „Status Kataplektikus“ führen. • Kataplexien sind für die Diagnose der Narkolepsie sehr hilfreich, da sie fast nur bei dieser Erkrankung auftreten. Abb. aus: https://www.youtube.com/watch?v=VA6FeiGgLF0 *Swick TJ. Treatment paradigms for cataplexy in narcolepsy: past, present, and future. Nat Sci Sleep. 2015 Dec 11;7:159-69 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) • Die Narkolepsie Typ 1 wird durch einen Verlust von Orexin-Neuronen im posterolateralen Hypothalamus ausgelöst. • Diese Neuronen projizieren in nahezu alle Hirnregionen und spielen eine wichtige Rolle für den Schlaf-Wachrhythmus. • Sie erregen direkt verschiedenste andere Neuronen (Abb.) und sorgen so für die Aufrechterhaltung des Wachzustandes. • Hierzu gehören auch die histaminergen Neurone. • Orexine regulieren auch Metabolismus, Appetit und Mobilität sowie den autonomen Tonus und das Belohnungssystem. • Kataplexien können auch als eine Störung des REM-Schlafes aufgefasst werden, bei welcher es nach positiven Emotionen durch das Fehlen von Orexin zu einer erhöhten Aktivität von Hirnregionen kommt, die den REM-Schlaf fördern. Abb. modifiziert nach Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62. Pitolisant (Wakix®) Therapie • Die Symptome der Narkolepsie lassen sich mit verschiedenen Arzneistoffen gut behandeln. • Jedoch bessert bislang nur Natrium-Oxybat (γ-Hydroxybuttersäure, Xyrem®, BTM) sowohl die Tagesschläfrigkeit als auch die Kataplexie. • Für die Behandlung der Tagesschläfrigkeit sind Modafinil und Methylphenidat zugelassen. • Kataplexie, Halluzinationen und Schlaflähmung werden mit Antidepressiva behandelt. • Zugelassen für die Behandlung der Kataplexie ist Clomipramin, aber auch die schwächer wirksamen jedoch besser verträglichen Antidepressiva Venlafaxin, Reboxetin, Fluoxetin und Citalopram werden empfohlen. Leitlinie Narkolepsie (gültig bis 2017). http://www.dgn.org/leitlinien/2325-ll-05-2012-narkolepsie • Wichtig für Patienten mit Tagesschläfrigkeit können auch Ratschläge zu Schlafhygiene, Ernährung und regelmäßiger Bewegung sein. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 8 9 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) Wirkungsmechanismus • Pitolisant ist ein Inhibitor und ein inverser Agonist am Histamin-H3-Rezeptor (H3R). • Der H3R ist ein präsynaptischer Gi-gekoppelter Rezeptor mit intrinsischer Aktivität, der eine Verminderung der Ausschüttung von Histamin sowie weiteren Neurotransmittern bewirkt. • Pitolisant wirkt somit den Effekten des Orexin-Verlustes entgegen. • Es führt zu einer vermehrten Ausschüttung von Histamin, Acetylcholin, Noradrenalin und Dopamin in vielen Regionen des Gehirns. • Pitolisant bewirkt jedoch keine vermehrte Ausschüttung von Dopamin im Striatum, einschließlich des Nucleus accumbens.* Abb. modifiziert nach Scammell TE. Narcolepsy. N Engl J Med 2015;373:2654-62. *Fachinfo Wakix®, Stand November 2016 Pitolisant (Wakix®) Klinische Wirksamkeit HARMONY I Studie • Randomisierte, multizentrische doppelblinde, parallel-Gruppen kontrollierte Studie an 95 Patienten • Die Narkolepsie-Patienten (mit oder ohne Kataplexie) mussten einen ESS von mindestens 14 aufweisen (normal 5-6) • Arzneistoffe für die Kataplexie durften beibehalten werden (keine TCAs*) • Die Behandlung erfolgte 2 Wochen mit steigender und 1 Woche mit individuell adjustierter Dosierung, die dann 5 Wochen beibehalten wurde. • Primärer Endpunkt war der Unterschied der Änderung des ESS zwischen Pitolisant und Placebo. Abb. modifiziert nach: Lancet Neurol. 2013 Nov;12(11):1068-75 • Sekundäre Endpunkte erfassten u.a. Tests zur Aufrechterhaltung der Wachheit (MWT) und zur Lebensqualität. *Trizyklische Antidepressiva Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 10 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) Klinische Wirksamkeit HARMONY I Studie • Etwa 60 % der Patienten im Pitolisant-Arm nahmen 36 mg Pitolisant/Tag ein • Pitolisant senkte den ESS besser als Placebo (P=0.024), war aber nicht besser wirksam als Modafinil • Dieses Ergebnis ließ sich für die Laboruntersuchungen (sekundäre Endpunkte) nicht einheitlich bestätigen. • Pitolisant reduzierte ebenfalls die Rate von Kataplexien um 62 % (post-hoc-Analyse). • Die Reduktion der Rate von Kataplexien wurde in einer weiteren Studie an Patienten mit hoher Rate von Kataplexien (ca. 9/Woche) bestätigt (HARMONY CTP)* • Die Lebensqualität änderte sich in allen Gruppen nur geringfügig. Abb. modifiziert nach: Lancet Neurol. 2013 Nov;12(11):1068-75 *Fachinfo Wakix®, Stand November 2016 Pitolisant (Wakix®) Nebenwirkungen „Die häufigsten im Zusammenhang mit Pitolisant gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sind Schlaflosigkeit (8,4 %), Kopfschmerzen (7,7 %), Übelkeit (4,8 %), Angst (2,1 %), Reizbarkeit (1,8 %), Schwindelgefühl (1,4 %), Depressionen (1,3 %), Tremor (1,2 %), Schlafstörungen (1,1 %), Ermüdung (1,1 %), Erbrechen (1,0 %), Vertigo (1,0 %), Dyspepsie (1,0 %), Gewichtszunahme (0,9 %) und Schmerzen im Oberbauch (0,9 %). Die schwerwiegendsten UAW sind abnormaler Gewichtsverlust (0,09 %) und Spontanabort (0,09 %).“ Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%): - Schlaflosigkeit, Angst, Reizbarkeit, Depression, Schlafstörung Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Tremor Vertigo Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie Ermüdung ABDA-Datenbank, Fachinformation Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 11 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Pitolisant (Wakix®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Bestehen einer schweren Leberfunktionsstörung Warnhinweise Vorsicht bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen, wie z. B. schweren Angststörungen oder schweren Depressionen Vorsicht bei Patienten, die an einer Nierenfunktionsstörung oder an einer mittelschweren Leberfunktionsstörung (Child-Pugh-Klasse B) leiden (max. 18mg/Tag) Vorsicht bei Patienten mit säurebedingten Magenerkrankungen Vorsicht bei bei Patienten mit schwerer Adipositas oder schwerer Anorexie Während und bis 21 Tage nach der Anwendung ist eine zuverlässige Kontrazeption wichtig (Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva kann beeinträchtig werden) Schwangerschaft: keine Anwendung (tierexperimentell Teratogenität) Stillzeit: Anwendung vermeiden (Kontraindikation) Fertilität: keine Daten am Menschen, kaum Einfluss in tierexperimentellen Studien ABDA-Datenbank, Fachinformation Pitolisant (Wakix®) Fazit Pitolisant ist ein Inhibitor und ein inverser Agonist am Histamin-H3-Rezeptor (H3R). Der H3R ist ein präsynaptischer Gi-gekoppelter Rezeptor mit intrinsischer Aktivität, der eine Verminderung der Ausschüttung von Histamin sowie weiteren Neurotransmittern bewirkt (Autorezeptor). Seine Blockade löst eine vermehrte Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter in vielen Regionen des Gehirns aus und stabilisiert so den Wachzustand. Es handelt sich um ein neues Wirkprinzip. Bei Narkolepsie-Patienten verminderte Pitolisant die Tagesschläfrigkeit besser als Placebo und vergleichbar mit Modafinil. Darüber hinaus reduzierte Pitolisant die Rate von Kataplexien um 62 %. Somit stellt Pitolisant eine therapeutisch nützliche Erweiterung der Therapie der Narkolepsie dar, die bislang nur mit Natriumoxybat (BTM) oder einer Kombinationstherapie möglich war. Pitolisant wird individuell dosiert (4,5-36 mg/Tag) und morgens mit dem Frühstück eingenommen. Die häufigsten Nebenwirkungen (<10 %) von Pitolisant sind u.a. Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit. Pitolisant kann die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva beeinträchtigen und wirkt möglicherweise teratogen. Die Tagestherapiekosten, bezogen auf eine Erhaltungsdosis von 36 mg/Tag, betragen 39,93 €. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 12 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Arzneistoff Tasimelteon (Hetlioz®) Indikation Bei völlig blinden Erwachsenen zur Behandlung des Nicht-24-Stunden-SchlafWach-Syndroms (Non-24) Zusatznutzen Hersteller noch nicht festgelegt Vanda Pharmaceuticals Limited Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Tasimelteon Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus (circadianer Rhythmus) • Synthese von Melatonin aus Serotonin und Freisetzung durch die Zirbeldrüse unter Kontrolle des Licht-gesteuerten suprachiasmatischen Kerns • Tageslicht hemmt die Freisetzung • Bei Dunkelheit wird die Hemmung aufgehoben und die Zirbeldrüse zur Bildung von Melatonin angeregt. • Melatonin wirkt schlafinduzierend und –aufrechterhaltend Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286 • Melatonin synchronisiert den endogenen Rhythmus des suprachiasmatischen Kerns mit dem 24-Stunden-Tag Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 13 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus • Viele komplett blinde Patienten leiden wegen fehlender Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus unter rezidivierender Insomnie und Tagesmüdigkeit mit teilweise erheblichen Auswirkungen auf das Sozial- und Berufsleben (Non-24). • Bei einer circadianen Periode von 24,5 h, dem Mittelwert bei Blinden*, verschiebt sich der tägliche Melatonin-Anstieg (Acrophase) jeden Tag um 0,5 h, so dass ein Zyklus 48 Tage dauert. Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286 *Eastman C. Lancet 2015;386:1713-1714 Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus • Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die nach Schätzungen* 50-70 % vollständig Erblindeter betrifft, insgesamt aber als seltene Erkrankung eingestuft wird (ORPHA73267, www.orpha.net) • Die Gabe von Melatonin (10 mg/Tag als Kapsel mit Lactose) kann bei Blinden den Schlaf-Wach-Rhythmus normalisieren (Sack et al., NEJM 2000) Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286 *EPAR Hetlioz, 22.07.2015 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus • Bei insgesamt 3 von 11 vollständig erblindeten Patienten wurde durch Bestrahlung des Auges die Konzentration von Melatonin deutlich reduziert (siehe Abb.). • Dieser Effekt trat nicht auf, wenn die Augen abgedeckt wurden. • Diese Patienten berichteten auch nicht über Schlafstörungen. • Die Beobachtung war der Ausgangspunkt der Hypothese, dass es außer den für den Visus wichtigen Stäbchen und Zäpfchen in der Retina noch einen anderen Fotorezeptor geben muss. Abb. modifiziert aus: Czeisler et al., N Engl J Med. 1995 Jan 5;332(1):6-11. Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Licht-abhängigen circadianen Rhythmus Abb. aus: www.licht.de • 1998 Entdeckung des transmembranären Rezeptors Melanopsin durch Provencio I et al. • 2001 Entdeckung von Ganglienzellen als neue Fotorezeptoren in der Retina des Auges (neben Stäbchen und Zäpfchen) durch Brainard et al. • Von diesen Zellen ziehen Axone in den suprachiasmatischen Kern, der die Synthese von Melatonin reguliert, sowie in den Hypothalamus und regulieren die Cortisolbildung (viele andere circadiane Schwankungen werden ebenfalls durch diese „innere Uhr“ reguliert). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 14 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Licht-abhängigen Schlaf-Wach-Rhythmus Abb. aus: www.licht.de • Tageslicht mit hohen Blauanteilen aktiviert die Fotorezeptoren, die mittels Melanopsin auf blaues Licht der Wellenlänge 446-483 nm reagieren (Licht des klaren blauen Himmels), und unterdrückt damit die Bildung von Melatonin • Das schwächere und mehr gelbliche Abendlicht sowie Dunkelheit hebt diese Hemmung auf • andauerndes künstliches helles Abendlicht (Schlafstörungen) oder andauernde Dunkelheit (Antriebslosigkeit, Winterdepression) stören den circadianen Rhythmus Tasimelteon (Hetlioz®) Regulation des Licht-abhängigen Schlaf-Wach-Rhythmus Abb. aus: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286 • Die schlafregulierenden und synchronisierenden Effekte von Melatonin (MLT) werden über zwei spezifische G-Protein-gekoppelte Rezeptoren im suprachiasmatischen Nukleus (MT1 und MT2) vermittelt • beide Rezeptoren sind auch im Cerebellum, Thalamus und Hippocampus lokalisiert • MT1/MT1 Homodimere sind 3-4 Mal häufiger als MT2/MT2 Homodimere oder MT1/MT2 Heterodimere und sind Gq gekoppelt Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 15 16 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Wirkungsmechanismus Tasimelteon Abb. modifiziert nach: Kaber G. Melatonin. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:275-286 • Tasimelteon ist ein selektiver dualer Agonist an MT1 und MT2 und bindet mit höherer Affinität an MT2 • Die Hauptmetabolite zeigen eine mehr als 10-fach geringere Affinität • keine Affinität an Rezeptoren, die Neuropeptide, Zytokine, Serotonin, Noradrenalin, Acetylcholin und Opiate binden oder an den GABA-Rezeptorkomplex Tasimelteon (Hetlioz®) Phase 3 Studie (SET) 1:1 randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert, 84 Patienten, circadiane Periode >24,25 h, Schlafstörungen, mittleres Alter 50,7 Jahre, 42 % Frauen Dosis 20 mg Tasimelteon pro Tag eine Stunde vor dem Schlafen, Dauer 26 Wochen, Primärer Endpunkt: Synchronisierung der circadianen Periode auf 24,1 h oder weniger Wurde erreicht bei 20 % im Tasimelton-Arm und bei 3 % im Placebo-Arm Die Patientenbeispiele links zeigen die sich verschiebenden Acrophasen (rote Sterne) in der Auswahlphase sowie die Synchronisierung nach der Randomisierung nur bei Therapie mit Tasimelteon. Die waagerechten grauen Striche zeigen die täglichen Schlafperioden, die sich durch Tasimelteon deutlich im Zeitraum zwischen 00:0009:00 Uhr konzentrieren Abb. modifiziert nach: Lockley et al., Lancet 2015; 386: 1754–64 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 17 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Phase 3 Studie (RESET) 1:1 randomisierte, doppelblind und Placebokontrollierte Auslassstudie, 20 Patienten, die nach Tasimelteon eine circadiane Periode <24,1 h aufwiesen, mittleres Alter 52 Jahre, 40 % Frauen Dosis 20 mg Tasimelteon pro Tag eine Stunde vor dem Schlafen, Dauer 8 Wochen, Primärer Endpunkt: Anzahl der Patienten ohne Synchronisierung der circadianen Periode auf 24,1 h oder weniger Wurde erreicht bei 90 % im Tasimelton-Arm und bei 20 % im Placebo-Arm Die Patientenbeispiele links zeigen die sich verschiebenden Acrophasen (rote Sterne) im Placebo-Arm Auswahlphase sowie die bleibende Synchronisierung bei Therapie mit Tasimelteon. Die waagerechten grauen Striche zeigen die täglichen Schlafperioden, die sich durch Tasimelteon deutlich im Zeitraum zwischen 22:0007:00 Uhr konzentrieren Abb. modifiziert nach: Lockley et al., Lancet 2015; 386: 1754–64 Tasimelteon (Hetlioz®) Nebenwirkungen „Die häufigsten Nebenwirkungen (> 3 %) während der klinischen Studien waren Kopfschmerzen (10,4 %), Schläfrigkeit (8,6 %), Übelkeit (4,0 %) und Schwindel (3,1 %). Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren in der Regel von leichtem bis mäßigem Schweregrad und traten nur vorübergehend auf.“ Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (>10%): - Kopfschmerzen Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%): - Schlafstörungen, Schlaflosigkeit, ungewöhnliche Träume - Schläfrigkeit und Schwindel - Dyspepsie, Übelkeit, Mundtrockenheit - Müdigkeit - Alaninaminotransferase erhöht ABDA-Datenbank, Fachinformation Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 18 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen Tasimelteon (Hetlioz®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Warnhinweise Vorsicht bei schwerer Leberfunktionsstörung Vorsicht bei Inhibitoren von CYP1A2 (z.B. Fluvoxamin) und CYP2C19 (z.B. Omeprazol) sowie Induktoren von CYP3A4 (z.B. Rifampicin) Ohne Nahrung einnehmen Schwangerschaft: Anwendung nur in Ausnahmefällen Stillzeit: Abwägung von Nutzen des Stillens und therapeutischem Nutzen Fertilität: keine Daten am Menschen, kaum Einfluss in tierexperimentellen Studien ABDA-Datenbank, Fachinformation Tasimelteon (Hetlioz®) Fazit Tasimelteon ist ein dualer, selektiver Agonist an den beiden Melatonin-Rezeptoren MT1 und MT2.* Der Arzneistoff synchronisiert den circadianen Rhythmus bei völlig erblindeten Patienten mit einer circadianen Periode >24,25 h (Non-24) und verbessert die rezidivierenden Symptome wie Insomnie und Tagesmüdigkeit. Die Ansprechrate liegt bei 20 %. Er ist der erste randomisiert klinisch geprüfte und zugelassene Arzneistoff für diese Indikation. Es wurde jedoch bereits im Jahr 2000 eine Fallserie mit 7 Patienten publiziert, die eine ähnliche klinische Wirkung auch für eine Dosis von 10 mg nicht retardiertem Melatonin vermuten lässt. Allerdings ist nicht retardiertes Melatonin kein Arzneimittel, d.h. die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der erhältlichen Präparate ist nicht belegt. Eine Vergleichsstudie zwischen Tasimelteon und Melatonin liegt nicht vor. Tasimelteon ist gut verträglich. Die häufigste Nebenwirkung sind Kopfschmerzen (10,4 %). Häufige Nebenwirkungen sind u.a. Schlafstörungen, Schlaflosigkeit, ungewöhnliche Träume und einer Erhöhung der Alaninaminotransferase. Die Therapie kostet bei der empfohlenen Dosierung 336,94 €/Tag (entspricht einer Tablette á 20 mg). *Das Antidepressivum Agomelatin (Valdoxan®) hemmt zusätzlich 5-HT2c-Rezeptoren Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19 Neue Arzneimittel 2016 – Seltene Erkrankungen - Schlafstörungen 19 Hinweise 1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der G-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt. 2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1 und Weblink 2. 3) Eine vollständige Liste der im Jahr 2015 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und und Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html Weblinks 1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache) http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true 2) Webseiten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Übersicht der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, für die der G-BA eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchführt oder bereits abgeschlossen hat. Dort sind die Gutachten des IQWiG sowie die tragenden Gründe der Beschlüsse einsehbar. http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/ Literatur Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind - soweit nicht aufgeführt - auf Nachfrage beim Autor erhältlich Impressum: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(1):1-19