Paradoxes Erdbebengebiet 20.02.11 12:52 Krisenregion Sichuan Paradoxes Erdbebengebiet Die vom Erdbeben am 12. Mai 2008 betroffene Region Sichuan in China verhielt sich bisher unauffällig. In einem Gebiet, das an ein derart steiles Gebirge grenzt und im Spannungsfeld der Kollisionszone von Himalaya mit Eurasien liegt sind schwere Beben jedoch zu erwarten. Dies zeigten Forscher 2007 in einer Studie über die Erdbebengefahr in Sichuan. Das Erdbeben der Magnitude 7.9 in der chinesischen Provinz Sichuan richtete vor allem in Kleinstädten und Dörfern enorme Schäden an. (Bild: wang qian/www.flickr.com) Das verheerende Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan am 12. Mai 2008 mit der Magnitude 7.9 forderte über 34'000 Todesopfer und über 245'000 Verletzte. Noch immer steigt die Zahl der Opfer, da viele Menschen schwer verletzt sind und noch über 30'000 vermisst werden. Für die Vermissten besteht nach über zweihundert Stunden nach dem Beben nur noch wenig Hoffnung. Ungewöhnliches Verhalten Obwohl die Region Sichuan, in der sich am 12. Mai 2008 das Erdbeben ereignete, bis anhin tektonisch wenig aktiv und somit unauffällig war, erregte vor ein paar Jahren ein augenfälliger Widerspruch das Interesse eines internationalen Forscherteams. Leiter der Untersuchung war Alexander Densmore, der zu jener Zeit als Oberassistent ans Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich kam und heute Professor an der Durham University in Grossbritannien ist. Einerseits wird die Region von einem enorm steilen Gebirgszug, dem Longmen Shan, auch Drachentor-Berge genannt, dominiert. Andererseits ist es in den letzten 100 Jahren in der Region nur selten zu starken Beben gekommen und Aufzeichnungen oder Hinweise auf für Gebirgsbildungen typische Erdbebenaktivitäten fehlen in dieser Zeitspanne fast völlig. Und dies obwohl das Gebirge des Longmen Shan steiler ist als die tektonisch aktive Himalaya-Region. Das Longman Shan Massiv bildet den östlichen Rand des TibetPlateaus, das sich vor über 55 Millionen Jahren durch die Kollision Indiens mit Asien gleichzeitig mit dem Himalaya zu bilden begann. Bis heute ist dieser Prozess nicht abgeschlossen und Indien bewegt sich mit 17 bis 25 Millimetern pro Jahr auf Eurasien zu. Hingegen zeigen GPS-Messungen zwischen dem Longmen Shan und dem Rest Chinas kaum messbare Bewegungen. „Ein weiteres Ungleichgewicht, das uns im Jahr 2000 veranlasste, die Region genauer unter die Lupe zu nehmen und nach Hinweisen auf seismische Aktivitäten im Landschaftsbild zu suchen“, erklärt Alexander Densmore. Hinweise auf ein früheres Erdbeben geben etwa markante landschaftliche Veränderungen wie ein verlagertes Flussbett. http://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/080523_Erdbeben_China/index Seite 1 von 3 Paradoxes Erdbebengebiet 20.02.11 12:52 Unerwartet starkes Erdbeben Die Wissenschaftler konnten mehrere Störungszonen ausmachen, an denen sich in den vergangenen 10'000 Jahren Erdbeben ereigneten. Mit Längen von bis zu 200 Kilometern war den Forschern klar, dass diese Störungszonen in der Lage sind starke Beben zu erzeugen. „Wir schätzten die Gefahr für ein Erdbeben als hoch ein, ich bin jedoch über die Stärke des Bebens vom 12. Mai überrascht“, sagt Densmore. Die Magnitude eines Erdbebens sei proportional zur Länge der Störung, die beim Erdbeben breche und der durchschnittliche Bewegung der Störung. „Da die Länge der Bruchzone zwischen 200 und 250 Kilometern beträgt, muss die durchschnittliche Bewegung sehr gross gewesen sein – etwas um fünf Meter“, rechnet der Erdwissenschaftler vor. Auf Grund mangelnder historischer Aufzeichnungen von Erdbeben in der Region war es denn Forschern im Vorfeld jedoch nicht möglich zu erkennen, mit welcher Stärke im Falle eines Erdbebens gerechnet werden muss. „Es gab keinen Weg vorherzusagen an welcher Störung und zu welchem Zeitpunkt sich ein Erdbeben ereignen wird. Wäre ich 2007 gefragt worden, hätte ich eher vermutet, dass eine Störungszone im westlichen Sichuan-Becken, nahe der Provinzhauptstadt Chengdu, die grösste Gefahr für die Region darstellt“, sagt Densmore. Diese Störungen seien noch immer da und würden mit Sicherheit irgendwann Erdbeben auslösen. Die Beziehung zwischen diesen Störungen und jener die nun zu dem Erdbeben führte seien nicht klar. „Wir wissen nicht, ob das Beben vom 12. Mai 2008 die Chancen für ein weiteres Erdbeben erhöht oder verringert haben. Ich wäre jedoch nicht überrascht, wenn noch weiter Nachbeben die Magnitude sieben erreichen würden“, meint Densmore. Mission gestoppt Domenico Giardini, Professor für Seismologie und Geodynamik an der ETH Zürich sowie Direktor des Schweizerischen Erdbebendienst (SED), schätzt die Lage in China als ernst ein: „Ähnliche Erdbeben werden in der nächsten Zeit eher häufiger als normal erwartet, da durch das Erdbeben nun auch alle anderen Brüche in der Region unter Spannung stehen.“ Vergangenen Freitag erhielt die Mission des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) laut Giardini endlich die Bewilligung nach Sichuan zu reisen. Wie üblich sollte auch ein Seismologe des SED mit der Mission mitfliegen, um die Situation vor Ort zu begutachten und die chinesischen Kollegen zu unterstützen. „Der Schweizerische Erdbebendienst arbeitet in einer engen Kooperation mit den chinesischen Kollegen an der Nationalen Erdbeben-Gefahrenkarte für China. Die chinesische Regierung hat jedoch im letzten Moment die Mission gestoppt“, sagt Giardini. Unterstützung für die Opfer Die chinesischen Studenten an der ETH Zürich sind betroffen über das Ausmass der Katastrophe und möchten den Opfern in ihrer http://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/080523_Erdbeben_China/index Seite 2 von 3 Paradoxes Erdbebengebiet 20.02.11 12:52 Heimat helfen. Yan Wanfen, Doktorand am Departement für Management, Technologie und Ökonomie, erzählt, dass in Zürich viele chinesische Studenten aus der Provinz Sichuan leben. Auch er hat einen Onkel mit Familie dort, die glücklicherweise unversehrt blieben. „Betroffen sind vor allem die Menschen kleinerer Städte und Dörfer, deren Gebäude eine schlechte Bausubstanz hatten. Mehr als eine Millionen Menschen sind obdachlos und brauchen gerade in diesen Tagen Alltagsgüter und grundlegende Unterstützung. Auch der Wiederaufbau der Häuser ist dringlich“, betont Wanfen und ruft die ETH-Angehörigen und die Schweizer Bevölkerung zum Spenden auf. Literaturhinweis: Alexander L. Densmore et al.: Active tectonics of the Beichuan and Pengguan faults at the eastern margin of the Tibetan Plateau, Tectonics, Vol. 26, doi:10.1029/2006TC001987 (2007). Links und Referenzen: Spendenkonto Glückskette PC 80-1115-1 Leserkommentare: Autor: Simone Ulmer | Veröffentlicht: 23.05.08 http://www.ethlife.ethz.ch/archive_articles/080523_Erdbeben_China/index Seite 3 von 3