30 Thema Oberschule in Gipf-Oberfrick Bauwelt 31 | 2008 31 Bauwelt 31 | 2008 1 2 4 3 5 6 : ein Gegenüber aus dem Jahr 2003 Erweiterung des Schulzentrums in Gipf-Oberfrick: Liechti Graf Zumsteg Kritik: Christiane Gabler Fotos: René Rötheli 1 2 3 4 5 6 Kindergarten Primarstufe Oberstufe Mehrzweckhalle Sporthalle Neubau Oberstufe Die Struktur des Schulwesens in der Schweiz ist in Bewegung. Demographischen Prognosen, die auch hier überproportional bewerteten Ergebnisse der „Pisa“-Studien und gesellschaftlich veränderte Bedürfnisse – beispielsweise nach Ganztagsschulen oder Mittagstischangeboten – setzen Veränderungsprozesse in Gang. Im Rahmen der kantonalen Bildungshoheit werden neue Standards formuliert, aber auch landesweite Bestrebungen nach Vereinheitlichung des Bildungssystems sind erwartungsgemäß Gegenstand von politischen Diskussionen. In vielen schweizerischen Gemeinden – so auch in dem ländlich geprägten Gebiet rund um Frick, einer kleinen Stadt in der Nordwestschweiz – gibt es Schulen mit nur wenigen Schülern. In der Oberstufe, der Altersgruppe der 13- bis 15-Jährigen, hat manches Dorf nur eine einzige Klasse. Die Niveauunterschiede in der Wissensvermittlung sind zum Teil sehr groß. Das vor einigen Jahren im Kanton Aargau lancierte Programm „Regos“ sieht eine Regionalisierung der Oberstufen vor. In zum Teil langwierigen Prozessen wurden Schulkreise gebildet und neue Schulhäuser gebaut. Vier Gemeinden rund um Gipf-Oberfrick lobten 2005 einen Wettbewerb aus, um für ihre Schüler ein neues regionales Oberstufenschulhaus im bestehenden Schulzentrum zu bauen. Auf einer Anhöhe oberhalb des Ortes liegt das seit fünfzig Jahren stetig wachsende Ensemble von Schulbauten. Im Laufe der Zeit entstand eine Kette aus drei schmalen, länglichen Gebäuden an der Hangkante für Kindergarten, Primarund Oberstufe. Eine rechtwinklig dazu stehende Mehrzweckhalle bildete den Schlusspunkt der Anlage. Der Bau einer Dreifachturnhalle (Architekt: Hans Oeschger, Hausen/Brugg) hatte 2003 das Zentrum hinüber auf die andere Seite der hangaufwärts laufenden Straße erweitert. Der 2005 ausgewählte Wett- Die erst 2003 errichtete Turnhalle rechts im Bild wird von der neuen Schule wie selbstverständlich ergänzt zu einem Ensemble „aus einem Guss“. Oben die Eingangshalle der Schule. Lageplan im Maßstab 1:5000 32 Thema Oberschule in Gipf-Oberfrick Bauwelt 31 | 2008 33 Bauwelt 31 | 2008 Von der Geometrie der Dachflächen über das zur Turnhalle weit geöffnete Erdgeschoss bis zur Materialisierung und Detaillierung der Fassade bezieht sich das Schulhaus auf die Turnhalle. Grundriss im Maßstab 1:750, Schnitt 1 : 1000 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Klassenzimmer Gruppenraum Aufenthaltsraum Hauswart Eingangshalle Bibliothek/Mediathek Besprechung Lehrer Bibliothek Lehrer Fachlehrerzimmer Mehrzweckraum Schülerarbeitszimmer Holz- und Metallwerkstatt 13 Maschinenraum 14 Technik 2 1 4 3 3 2 1 6 5 10 7 11 8 9 12 13 14 Architekten Liechti Graf Zumsteg, Brugg Mitarbeiter Ivano Cumetti, Christine Egli, Marco Vanoni Tragwerksplanung Heyer Kaufmann Partner, Baden Landschaftsarchitekten David & von Arx, Solothurn Bauherr Gemeinde Gipf-Oberfrick 34 Thema Oberschule in Gipf-Oberfrick Bauwelt 31 | 2008 Bauwelt 31 | 2008 orientierten Räume haben dank der sehr starken Dachneigung einseitig eine enorme Raumhöhe von über vier Metern. Durch das Sheddachoberlicht scheint die Südsonne in den Raum. Die großen Holzschiebefenster haben hier keine Brüstung. Aufgrund der Neigung des Sheds zur Fassade hin fokussiert sich der Ausblick auf den angrenzenden Pausenplatz und die gegenüberliegende Turmhalle. Die Zimmer zum Süden dagegen öffnen sich durch die Dachneigung zur Fassade. Die hier relativ hohen Brüstungen der Fenster blenden die nähere Umgebung aus und lenken den Blick auf die gebirgige Landschaft. Die Gruppenräume sind nicht den Klassenzimmern direkt zugeordnet, sondern liegen separat nutzbar am Ende des Flurs. Einer der beiden Aufenthaltsräume, die ihnen vorgelagert sind, besitzt ein einziges großes Fenster mit Blick in die Landschaft nach Westen. Die unterschiedliche Raumstimmung, begründet in der Orientierung der Räume nach Süden oder Norden, wird architektonisch durch die Schnittgeometrien und Oberflächen unterstützt. Oben der nach Süden orientierte Lehrerbesprechungsraum im Erdgeschoss, daneben ein Klassenraum im Obergeschoss; rechts oben ein nach Norden, zur Turnhalle ausgerichteter Klassenraum. Das große Foto zeigt den Aufenthaltsraum im Westgiebel. bewerbsbeitrag des Architekturbüros Liechti Graf Zumsteg aus Brugg ist nun fertiggestellt und wird ab Herbst von rund 200 Schülern besucht werden. Der flache, weiß leuchtende Baukörper ist parallel zum Hang platziert. Durch die großen Öffnungen und seine Lage an der Hangkante erscheint das Gebäude von der Hauptstraße im Süden aus zunächst wie ein Solitär in der Landschaft. Ein zurückgesetztes durchgehendes Fensterband im Sockelgeschoss lässt das langgestreckte Haus über der angrenzenden Obstwiese schweben. Doch sobald man näher kommt, wird deutlich, wie ideal sich das Gebäude in das bestehende Ensemble einfügt und ihm zu einer neuen Qualität verhilft: Ohne verkrampft erzwungene Brüche oder radikale Konzepte entstand ein individuelles Gebäude, dass geprägt ist von der respektvollen Reaktion auf das bereits Vorhandene. Die Architekten bezeichnen ihr Gebäude als ein „Strangpressprofil“. Tatsächlich wirkt es zur Straße hin wie abgeschnitten. So wird der Kette der bestehenden Schulbauten ein neues Glied hinzugefügt. Der Baukörper ist eindeutig gerichtet – nach Süden in die Landschaft und nach Norden zur Turnhalle. Indem sich beide Gebäude gegenüberstehen, formen sie einen trichterförmigen, intimen Pausenraum. Mitten in der Landschaft entsteht durch die Beziehung der Gebäude zueinander eine fast städtisch anmutende Dichte. Die beiden Häuser wirken wie aus einem Guss. Das Zusammenspiel der geneigten Dächer lässt an eine Gebirgssilhouette denken. Auf das durchgehende Fensterband der Turnhalle reagiert das Schulhaus mit der weiten Auskragung des Obergeschosses. Der Blick aus dem Foyer der Schule wird kanalisiert, der Platz wirkt noch kompakter. Analog zur Turnhalle entwickelten die Architekten eine Fassade aus hellgrau lasiertem Sichtbe- ton, allerdings in einer großformatigeren Schalungsstruktur. Diese bindet das skulpturale Volumen zusammen. Plastisch hervortretende Betongewände brechen die Horizontalität der Fensterbänder und bewirken auf der Fassade ein Licht- und Schattenspiel. Die leicht konische Form des mit trapezförmigen Magerbetonschollen bedeckten Platzes öffnet sich zur Mehrzweckhalle. Die wenigen Bauminseln in dem harten Belag werden über die Straße hinweg geführt. Sie binden den neuen Raum noch stärker in das Schulensemble ein und überspielen die Schneise der Straße. Das Zusammenspiel des Hauses mit der Turnhalle im Norden und der Blick in die Landschaft im Süden prägen auch das Innere der Schule. Die Eingangshalle erstreckt sich fast über die gesamte Länge des Gebäudes. Ihre Glasfassade lässt den Pausenplatz gleichsam ins Innere übergehen. Dank ihrer großzügigen Dimension bietet die Halle Platz für Veranstaltungen und dient gleichzeitig als Foyer für den Mehrzwecksaal und die Bibliothek. Nach dem sachlichen, fast karg wirkenden Äußeren empfängt die Schüler ein warmes, wohnliches Inneres. Die geradezu luxuriös wirkende Gestaltung schafft mit einfachen Mitteln eine Atmosphäre, die eher an ein Hotel in der Landschaft oder ein modernes Chalet in den Bergen erinnert. Wenige Materialien und Farben charakterisieren die Räume: eine strukturierte Schalung aus Weißtanne für die Wände, ein terrakottafarbener Magnesitbelag, Türen aus Eichenholz und leicht orange schimmernde Deckenverkleidungen und Wandeinbauten aus feuerverzinktem Stahlblech. Den Klassenräumen im Obergeschoss verleiht die jeweilige Schnittgeometrie unterschiedliche Wirkungen. Die nord- 35