Ingo Bode / Thomas Wex Zusammenfassung des Vortrags auf der Tagung der Arbeitsgruppe »Organisationssoziologie« der DGS in München am 16.11.01 Im Kern der Organisationsgesellschaft Nonprofit-Organisationen in einem Modell der Sektoren Der Vortrag verfolgt zwei Ziele: Er möchte zum einen ein Angebot unterbreiten, wie man die Differenzierung einer Organisationsgesellschaft analytisch begreifen kann. Zum anderen – und damit zusammenhängend – soll ein bislang in der Organisationssoziologie eher vernachlässigter Bereich in den Blick genommen werden, nämlich der Bereich freier Vereinigungen und Nonprofit-Organisationen (Vereine und Verbände, Parteien, Gewerkschaften, »public interest«-Gruppen oder Wohlfahrtsorganisationen). Dabei wird die Vielfältigkeit des Organisationswesens und die Differenzierung der Organisationsgesellschaft mit einem Modell von Organisationssektoren beschrieben. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Ort und den Funktionen von Nonprofit-Organisationen. 1. Nonprofit-Organisationen und die Suche nach einem »dritten« Organisationsbereich neben »Markt« und Staat Die moderne Organisationssoziologie – das ist sicherlich unbestritten – hatte von jeher ihren Schwerpunkt in der Analyse von Wirtschaft und Verwaltung, unter den Bedingungen westlicher Gesellschaften also in der Analyse von Organisationen des »Marktes« (resp. der Erwerbswirtschaft) und des Staates. In vielen Bereichen der Organisationsanalyse ist zwar die Erkenntnis präsent, dass es neben Erwerbswirtschaft und Staat ein breites Feld anderer Organisationen gibt. Jedoch erlangte diese Erkenntnis bislang keinen theoretischen oder systematischen Stellenwert in der Organisationsforschung. Die in Typologien v.a. der Organisationssoziologie angelsäschsischen Urprungs angebotenen Definitionen beziehen sich meist nur auf einen spezifischen Ausschnitt solcher Vereinigungen bzw. Organisationen. Zudem bleibt – zumindest bei den pragmatischen und typologischen Abgrenzungsversuchen – offen, 2 in welchem Verhältnis die Organisationstypen verschiedener Sektoren untereinander stehen. Für die deutschsprachige Organisationssoziologie sind die fraglichen Organisationen in noch viel stärkerem Maße eine ‘quantité négligeable’. Allerdings bietet die Steuerungsdiskussion gewisse Anknüpfungspunkte; hier werden beispielsweise gängigen Mechanismen wie »Geld« oder »Markt«, »Herrschaft« oder »Bürokratie« dritte Mechanismen wie etwa »Verhandlung« oder »Solidarität« gegenübergestellt. In solchen Vorschlägen manifestiert sich eine Suchbewegung, Organisationen jenseits der gängigen Markt-Staat-Dichotomie zu verstehen. Interessant erscheint auch das Konzept der »intermediären Organisation« (vgl. etwa Streeck, Evers, Bauer); in diesem gibt es jedoch keine Vorstellung von der Struktur der Organisationsgesellschaft. Insgesamt bleibt die Diversität gesellschaftlicher Organisationstypen in einschlägigen Konzepten relativ unbestimmt. Es wäre mithin für eine gesellschaftsbewusste Organisationstheorie viel gewonnen, wenn sie sich ausgiebiger mit der Rolle solcher Vereinigungen mit dem Fernziel einer Theorie ”organisationsgesellschaftlicher” Differenzierung beschäftigen würde. Dabei gibt es gute Gründe dafür, den NonprofitSektor als zentralen Bestandteil moderner (Organisations-) Gesellschaften zu begreifen. 2. Sektoren der Organisationsgesellschaft und das Typische am Nonprofit-Sektor In einem historischen Abriß läßt sich zeigen, wie aus einem gesamtgesellschaftlichen Differenzierungsprozess der Organisationsformen ein distinkter Bereich von organisierten Gebilden entstand, den man als Nonprofit-Sektor von den Sektoren Erwerbswirtschaft und Staat unterscheiden kann. Dieser Sektor umfaßt Vereine, Verbände, Gewerkschaften, politische Parteien und eine Vielzahl von politischen, karitativen oder kulturellen Organisationen. Diese Gebilde lassen sich organisationssoziologisch von Organisationen im erwerbswirtschaftlichen Sektor (Wirtschaftsunternehmen) und im Staatssektor (Behörden und Verwaltungen) unterscheiden, etwa im Hinblick auf Inklusionsmuster, Umweltbeziehungen und Formen der Ressourcentransformation. In einem solchen Drei-Sektoren-Modell können auch relative Verortungen bestimmt werden. So sind etwa Arbeitgeberverbände in der Nähe zum Erwerbwirtschaftlichen Sektor, Wohlfahrtsverbände in der Nähe zum Staatssektor 3 anzusiedeln. In Überschneidungszonen zwischen den Sektoren sind Organisationen als Mischformen der Logiken mehrerer Sektoren zu verorten. Die Sektoren sind zudem in unterschiedlicher Weise mit Sphären sozialer Vergemeinschaftung (Familien, informelle Gruppen) verbunden. Die Verortung von Organisationstypen wie das Verhältnis der Sektoren zueinander unterliegt dabei einer Dynamik. NPO lassen sich durch diverse typische Merkmale charakterisieren (mitgliedschaftliche Struktur, Bedarfsorientierung, Kollektiveigentum etc.). Im Kern folgen sie einer ”Logik der assoziativen Kooperation”. Dieser assoziative Charakter war ursprünglich auch ein Kennzeichen vieler anderer moderner Organisationen, insbesondere privater Körperschaften (z.B. Aktienvereine). Insofern bilden sie historisch den Kern der Organisationsgesellschaft. Der Charakter von Wirtschaftsunternehmen und staatlichen Verwaltungen und Behörden wandelt sich allerdings nachhaltig im Prozeß der Modernisierung. Nur die Organisationen des Nonprofit-Sektors konservieren ihren assoziativen Kern. 3. Nonprofits als Vermittlungsagenturen der Organisationsgesellschaft Aufgrund ihres Assoziationscharakters nehmen NPOs bis heute wichtige Integrationsaufgaben wahr – und können auch in dieser Dimension als Kern der Organisationsgesellschaft betrachtet werden. Sie übernehmen Sozialisationsfunktionen (als ‚Schulen der Demokratie‘, als Übersetzer von Normen und Interesse in kommunikationsfähige Aggregate). In ihnen entstehen normative und regulative Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft mit Organisationen (und Individuen) umzugehen hat. Auch sind Nonprofit-Organisationen besondere Orte sozialer Praxis. So ist die Geschichte des Wohlfahrtsstaates untrennbar mit Projekten der Selbstorganisation sozialer Hilfen (ob nun auf patriarchalischer oder bewegungsförmiger Grundlage) verbunden, wobei einige den ‚Marsch durch die Institutionen‘ angetreten haben, während andere ihre praktischen Vermittlungsfunktionen beibehalten haben. Die Integrationsfunktion basiert im Kern – nicht im gesamten Organisationsprozeß – zunächst auf Routinen der diskursiven Abstimmung – also: dem assoziativen Moment. Dadurch lassen sich zugleich bürokratische, ökonomische und lebensweltliche 4 Rationalitäten miteinander (durchaus konflikthaft) in Beziehung setzen. Solche Prozesse ermöglichen die Verkopplung der anderen Organisationssektoren untereinander sowie dieser Sektoren Sphären der sozialen Lebenswelt. Die Remanenz der praktischen Funktionen hängt darüber hinaus maßgeblich von der Ausstrahlungskraft eben dieser assoziativen Logik ab, konkreter: von der Eigensinnigkeit spezifischer Gruppenzusammenhänge sowie dem Charakter ihres Leistungsangebots. Das kann exemplarisch für den Fall der Kinderfürsorge beschrieben werden: Religiöse oder politisch-ideologische Gestaltungsvorstellungen sowie der Vertrauensgutcharakter dieses Angebots sind wichtige Gründe dafür, daß Pfadfinder, Kinderläden oder internationale Kinderhilfswerke (auch heute) als nichtstaatliche und nicht-marktliche Organisationsformen existieren können. Insgesamt wird deutlich, daß NPO als Regulatoren von Spannungsverhältnissen in Erscheinung treten, die im Alltag der Organisationsgesellschaft durch die systematische Externalisierung sozialer Tatbestände auftreten – entweder praktisch als Initiatoren von Problemlösungen oder symbolisch als Repräsentanten einer ‚Re-InternalisierungsAgenda‘. 4. Auf dem Weg in die ”kernlose” Organisationsgesellschaft? Beobachtet man die gegenwärtigen Entwicklungen in den einzelnen Organisationssektoren sowie die Beziehung des Nonprofit-Sektors zu den anderen Sektoren bzw. zu Sphären der sozialen Lebenswelt, dann scheinen die o.g. Vermittlungsfunktionen des Nonprofit-Sektors spürbar an Substanz zu verlieren. Die wachsende Angleichung an den Forprofitsektor, und – damit einhergehend – die zurückgehende Reichweite der für den ersteren konstitutiven Assoziationslogik deuten auf einen schleichenden Erosionsprozeß hin. Möglicherweise wandelt sich hier aber nur der Charakter der Vermittlungsleistungen: Letztere werden zwar uneinheitlicher, abrupter, kurzfristiger und weniger nachhaltig. Aber trotz der Marktsemantik geht es noch immer um ‚Produkte‘ spezifischer Art: Vertrauensgüter lassen sich authentisch am besten von Organisationen ‚verkaufen‘, denen weder das Motiv der Gewinnerzielung noch die Herrschafts- bzw. Problemadministrationslogik des Staates unterstellt wird. So bleibt etwa die Vertretung 5 von kollektiven Ansprüchen auch bei einer Masse von über selektive Anreize geworbenen Mitgliedern symbolisch an die Annahme gebunden, daß die kollektiven Akteure sozialen Ausgleich organisieren. Und die ‚Vermarktung‘ von Hilfsprojekten an Geld- oder Zeitspendenmärkten basiert weiterhin auf von ihrer Sinnstruktur her anderen Argumenten als der Absatz von Konsumgütern. Die gegenwärtigen Krisendiskurse (z.B. im Hinblick auf Probleme am Arbeitsmarkt und im Wohlfahrtsstaat) machen eines auf jeden Fall deutlich: Vermittlungsleistungen von NPO sind auch heute v.a. dann gefragt, wenn es den Anschein hat, daß Integrationsprobleme durch die anderen Sektoren nicht mehr bewältigt werden können.