SEHEN, WAS KOMMT Acquisa, April 2008. In einer immer schneller drehenden Produktwelt suchen Unternehmen nach neuen Anhaltspunkten für die strategische Planung. Wo die klassische Marktforschung an ihre Grenzen stößt, sollen Trendforscher den Weg weisen. Die Frage ist berechtigt. Warum trinken Erwachsene in Deutschland plötzlich so gerne Latte Macchiato - im Herkunftsland Italien traditionell von Kindern getrunken? Die Antwort ist simpel: Weil das Getränk, das eigentlich ähnlich ist wie Cappuccino im Glas, im Trend liegt. Ein Punkt ist aber laut Oliver Leisse, Geschäftsführer des Hamburger Markt¬und Trendforschungsinstituts Ears & Eyes, entscheidend: »Das Glas macht nach außen deutlich, dass hier etwas anders ist. Das hat Kaffeeliebhaber neugierig gemacht.« Gestern Cappuccino, Sekt oder Walkman, heute Latte macchiato, Prosecco oder I-Pod. Dieses Wechselfieber in der Produktwelt hat sich in den zurückliegenden Jahren dramatisch verstärkt. Kein Wunder, dass Unternehmen es immer schwerer finden, die teilweise unberechenbaren Entwicklungen im unternehmerischen Umfeld zu verstehen. So steht das klassische Marketing seit geraumer Zeit ziemlich ratlos vor einem Phänomen, das man gerne als »unberechenbaren Konsumenten« bezeichnet. Der unberechenbare Konsument Dieser zeichnet sich unter anderem durch Multioptionalität und gespaltenes Kaufverhalten in pluralisierten oder fragmentierten Märkten aus. Die Marktforschung scheint an ihre Grenzen zu stoßen. Beispiele dafür gibt es reichlich: So war die Mercedes A-Klasse anfangs nicht etwa bei der eigentlichen Zielgruppe, nämlich jungen Familien, denen das Unternehmen ein preiswertes Einstiegsmodell offerieren wollte, am erfolgreichsten, sondern vielmehr bei Senioren, die sich nicht weiter in die für Mercedes typischen Coupes zwängen wollten. Ähnlich erging es Opel mit dem Geländewagen Frontera. Ein Königreich gäbe mancher Unternehmer, um diese Verunsicherung zu beenden. In der Tat bieten sich dem Management bei der strategischen Planung heute zahlreiche Ansätze 1 und Konzepte, die in die Überlegungen einbezogen werden können. Neben der traditionellen Marktforschung setzen Firmen immer mehr auf die Trendforschung, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Doch für viele bleibt die Arbeit der Forscher eine Black Box. »Trendforscher bedienen sich der Methoden und Erkenntnisse zahlreicher Wissenschaften und versuchen frühzeitig, Entwicklungen und ihre zeitlichen und räumlichen Konsequenzen auf unterschiedliche Unternehmen und Branchen zu erkennen«, beschreibt Oliver Leisse sein Berufsfeld. Doch, so warnt er: »Trends entstehen eher zufällig und können ganz selten gezielt entwickelt oder geplant werden.« Die Arbeit ist eher detektivischer Natur. Seit der Gründung vor sieben Jahren hat das Hamburger Institut unter anderem für die Deutsche Bank, AOL, die Telekom, Beiersdorf und Audi Trends erforscht. Zweifel an der Trendforschung Allerdings werden die Wissenschaftlichkeit und das Innovationspotenzial der Trendforschung von Kritikern infrage gestellt. Vor allem an Methodik und Aussagen scheiden sich die Geister. Trendforscher wie Matthias Horx oder Peter Wippermann bevorzugen die induktive Methode: Sie beobachten das Konsumverhalten und den Erfolg neuer Produkte und schließen daraus auf die Trends, die dieses Verhalten verursacht haben. Die Hamburger Ethnologin Nicole Khuon, die das Phänomen wissenschaftlich untersucht hat, sieht bei dieser Vorgehensweise eine große Gefahr: »Dieser Rückschluss von innovativen Strömungen auf zukünftige Hauptentwicklungen hat keinerlei theoretische Basis.« Auch lasse sich laut Khuon eine sachliche Darstellung der Trendforschung schwer gewinnen: »Aussagen und Erklärungen erweisen sich als Phrasen oder widersprechen sich gar.« Die Kritik macht sich aber auch an den handelnden Personen fest. So hielt etwa Holger Rust schon vor Jahren in seinem Buch »Trendforschung - Das Geschäft mit der Zukunft« dem bekannten Trendforscher Gerd Gehrken vor, dieser könne offenbar einen ScienceFiction-Roman nicht von realistischen Zukunftsvisionen unterscheiden. Auch mit der Treffsicherheit der Aussagen steht es nicht zum Besten. So sagte Matthias Horx zu Anfang des Jahrtausends voraus: »Wir - oder 2 unsere Kinder - werden in Zukunft drei, vier, fünf verschiedene Berufe in unserem Leben ausüben, wir werden zwischen verschiedenen Erwerbsformen wechseln.« Die Menschen würden künftig als weiterentwickelte Ich-AGs in Netzwerken arbeiten. Dieser Aussage hielten schon damals Personalexperten wie Christian Scholz, Professor an der Universität Saarbrücken, entgegen, dass es Prognosen dieser Art schon lange gäbe. Passiert sei aber wenig, weil die Menschen es so nicht wollten. Denn Trendforscher ignorierten oft die Akzeptanz eines Trends unter den Betroffenen, so der Kritiker Scholz. Und sie argumentierten rational Menschen seien aber nun einmal emotionale Wesen. Ein bekannter Beobachter der Zunft ist Franz Liebl, der an der Universität Witten/ Herdecke an einem eigenen Lehrstuhl strategisches Marketing lehrt. Er sieht das Problem nicht nur bei den Trendforschern, sondern auch bei den Unternehmen. »Wer nämlich die Trends in Gesellschaft, Technologie und Kultur ermittelt, verfehlt häufig ebenso sein Ziel, wenn Trendforschung nur als Marktforschung mit anderen Mitteln betrieben wird.« Dies käme häufig in naiven Frage- und Aufgabestellungen seitens der Unternehmen zum Ausdruck: »Mit welchem Trend können wir unser Produkt emotional aufladen?« oder »Jetzt haben wir die Trends, lass uns nun die zugehörigen Produkte entwickeln.« Dennoch hält es Liebel für notwendig, dass die traditionelle Marktforschung durch zielführendere Methoden abgelöst wird. Letztlich ginge es darum, die Probleme des Kunden, seine Verhaltensweisen und seine Nutzungskontexte besser kennenzulernen und zu verstehen. Liebl: »Wer in der Lage ist, in der Welt der Kunden die geeigneten Andockstellen zu entdecken, kann sie für neue Produkte und deren sinnfällige Kommunikation gezielt nutzen.« Kontakt EARSandEYES GmbH Susanne Maisch Brahmsallee 6, 20144 Hamburg Telefon: +49 40 822 240 200 [email protected] 3