655 Mikrofluidik-Chips Technologien zur Isolation im Blut zirkulierender Tumorzellen MARKUS GUSENBAUER 1 , MARTIN PECHERSTORFER 2 , THOMAS SCHREFL 1 1 FACHHOCHSCHULE ST. PÖLTEN 2 KARL-LANDSTEINER INSTITUT FÜR SUPPORTIVE KREBSTHERAPIE, KREMS Die Analyse zirkulierender Tumorzellen wird zur Beobachtung des Tumorwachstums oder zur Kontrolle des Therapieerfolgs eingesetzt. Mikrofluidik-Chips unterstützen das Auffinden, die Identifizierung und das Zählen von Zellen in peripherem Blut. The analysis of circulating tumor cells supports the monitoring of tumor growth and can be used to control the success of therapies. Microfluidic chips help to detect, to identify and to count these cells in peripheral blood. Zirkulierende Tumorzellen ó Tumorzellen im Blut wurden erstmals im Jahr 1869 vom australischen Arzt Thomas Ashworth beobachtet [1]. Mit einem Mikroskop abgebildete Zellen aus dem Blut eines Patienten wiesen starke Ähnlichkeiten mit Zellen des Tumors auf. Ashworth erkannte das Potenzial, das zirkulierende Tumorzellen für die Krebsforschung bieten: „Diese Zellen werfen Licht auf die Art der Entstehung von vielfachen Tumoren in einer Person“. Metastasen entstehen durch Tumorzellen, die vom primären Tumor in das Blut freigesetzt werden. Durch die Zirkulation des Blutes werden die Tumorzellen zu entfernten lebenswichtigen Organen transportiert, in denen neue Tumoren entstehen. In 90 Prozent der Todesfälle durch Krebs sind Metastasen und nicht der primäre Tumor die Todesursache [2]. Jahrzehntelang blieb die Möglichkeit verschlossen, durch die Analyse von zirkulierenden Tumorzellen ein besseres Verständnis der Metastasenbildung zu gewinnen oder zirkulierende Tumorzellen als Diagnose- und Beobachtungswerkzeug in der Krebstherapie einzusetzen. Zirkulierende Tumorzellen sind selten. In Patienten mit fortgeschrittenem Krebs finden sich im Blutkreislauf zirkulierende Tumorzellen in einem Verhältnis zu Blutzellen von eins zu einer Milliarde [3]. Sollen zirkulierende Krebszellen im Blut zur Krebsdiagnose oder zur NachBIOspektrum | 06.11 | 17. Jahrgang sorgeuntersuchung eingesetzt werden, müssen die wenigen Tumorzellen einer Blutprobe detektiert und isoliert werden. Technologieplattformen Eine Technologie zum Einsatz in der Forschung oder in der Krebstherapie soll folgende Charakteristika besitzen: • Eine ausreichende Anzahl von Tumorzellen wird aus der Blutprobe isoliert. • Weiterführende molekulare und funktionale Experimente sind leicht und unter Zuhilfenahme derselben Plattform möglich. • Zellen, die als zirkulierende Tumorzellen ausgewiesen werden, verfügen über bestimmte Eigenschaften entsprechend einer Definition einer zirkulierenden Tumorzelle. Zirkulierende Tumorzellen unterscheiden sich in einigen charakteristischen Eigenschaften von Blutzellen. Dazu zählen die funktionalen Eigenschaften der Oberfläche der Tumorzellen sowie deren mechanischen bzw. physikalischen Eigenschaften. Fließt das Blut durch einen Mikrofluidik-Chip, werden diese Eigenschaften genutzt, um zirkulierende Tumorzellen anzureichern oder zu isolieren (Abb. 1). Um eine hohe Ausbeute an Tumorzellen zu erzielen, muss die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tumorzelle auf ein selektierendes Element trifft, erhöht werden. Selektierende Elemente sind entweder mit Anti- ˚ Abb. 1: Zirkulierende Tumorzellen (CTC) und Blutzellen haben unterschiedliche Eigenschaften. Darauf beruhen Mikrofluidik-Chips zur Isolation von Tumorzellen. Bei der immunomagnetischen Selektion docken CTCs an magnetische Teilchen an. Das Haften der CTCs an funktionalisierten Oberflächen (Mikrostrukturen) ist eine weitere auf Affinität basierende Methode. CTCs sind größer und weniger leicht deformierbar als Blutzellen, sie können nach Größe und Dichte mechanisch gefiltert werden. DOI: 10.1007/s12268-011-0105-4 656 W I S S ENS CH AFT · S P E C I A L : LA B O R AU TO M AT I O N / LA B - O N -A- CH I P Mechanische Filterung Brustkrebszelle rotes Blutkörperchen 1 2 3 4 ˚ Abb. 2: Computer-Simulation der Wechselwirkung einer roten Blutzelle und einer Brustkrebszelle mit einer Engstelle im Fluidkanal (1–4). Eine Öffnungsbreite von sechs Mikrometern stellt kein Hindernis für die elastischen roten Blutkörperchen dar, während Brustkrebszellen haften bleiben. körpern funktionalisierte Strukturen oder Poren eines mechanischen Filters. Optimierte Strömungsverhältnisse sorgen für einen möglichst hohen Kontakt oder hohen Durchfluss. Dadurch gelingt es trotz der geringen Anzahl an zirkulierenden Tumorzellen in der Blutprobe eine ausreichende Anzahl von Tumorzellen zu detektieren und für die anschließenden optischen oder molekularbiologischen Untersuchungen bereitzustellen. Immunomagnetische Methoden Eine der ersten, weit verbreiteten Methoden zur Isolation von zirkulierenden Tumorzellen beruht auf dem Protein EpCAM (epithelial cell adhesion molecule). Dieses findet sich auf Tumorzellen epithelialen Ursprungs, jedoch nicht auf Blutzellen. Antikörper, die an EpCAM haften, können die zirkulierenden Tumorzellen aus dem Blut fischen. Der CellSearch® Circulating Tumor Cell (CTC)-Test (Veridex) [4] benutzt magnetische Nanoteilchen, deren Oberfläche mit EpCAMaffinen Antikörpern funktionalisiert ist. Dadurch haften die magnetischen Teilchen an der Oberfläche der zirkulierenden Tumorzellen. Magnetische Teilchen, an denen eine Tumorzelle haftet, besitzen andere Strömungseigenschaften. Das veränderte Strömungsverhalten wird genutzt, um die magnetischen Teilchen, an denen eine Tumorzelle haftet, zu separieren. Anschließend werden diese mithilfe eines Magnetfeldes zur optischen Untersuchung der Zellen im Mikroskop weiter transportiert. Der Leukozytenspezifische Marker CD45 wird verwendet, um die Tumorzellen von weißen Blutkörperchen, die als Verunreinigung auftreten, zu unterscheiden. Affinitätsfilter Affines Einfangen ist auch das Prinzip des CTC-Chips [5]. In diesem Mikrofluidik-Chip fließt das Blut zwischen 78.000 Mikrosäulen hindurch, die mittels Siliziumtechnologie hergestellt werden. Die Säulen sind mit EpCAM-positiven Antikörpern beschichtet. Tumorzellen aus epithelialem Krebs bleiben an den Säulen haften. Die Zellen werden mit Markern eingefärbt und im Mikroskop detektiert. Anschließend kann eine molekularbiologische Charakterisierung durchgeführt werden. Für diese Technologie ist eine gute Durchwirbelung der Strömung erforderlich, die wiederum die Häufigkeit des Zusammenstoßes von Tumorzellen mit den Säulen erhöht. Eine unregelmäßige Anordnung von Säulen unterschiedlicher Größe erhöht die Durchwirbelung [6]. Der sogenannte Fischgräten-Chip kommt ohne Säulen aus: Mikrorillen an den Wänden der Fluidkammer in einem fischgrätenförmigen Muster sorgen für eine Durchwirbelung des Blutes [7]. Dadurch wird die Kollisionswahrscheinlichkeit von Tumorzellen mit den Wänden, die wiederum mit EpCAM-affinen Antikörpern bestrichen sind, erhöht. Durch die einfache Struktur des Chips, der aus transparentem Material aufgebaut ist, können optische Untersuchungen der gefangenen Zellen leicht im Durchlichtmikroskop durchgeführt werden. Um eine höhere Ausbeute von zirkulierenden Tumorzellen zu erhalten, verwenden einige Gruppen Cocktails von Antikörpern [6]. Dadurch können auch Tumorzellen, die nicht EpCAM-positiv sind, aus dem Blut gefischt werden. Eine alternative Methode zur Isolation von zirkulierenden Tumorzellen, die nicht notwendigerweise EpCAM-positiv sein müssen, ist die Nutzung ihrer mechanischen Eigenschaften. Mechanische Filter Zirkulierende Tumorzellen sind im Durchschnitt größer und weniger deformierbar als normale Blutzellen. Eine Membran mit geeigneter Porengröße filtert daher Tumorzellen aus dem Blut. Rote Blutkörperchen lassen sich leicht deformieren und können den Filter passieren. Mechanische Filter zur Anreicherung von zirkulierenden Tumorzellen können 90 Prozent aller Tumorzellen isolieren [8]. Die Zahl der normalen Blutzellen am Filter ist vernachlässigbar klein. Die optimale Porenweite eines mechanischen Filters kann durch Computersimulation bestimmt werden. Dazu werden die Strömung und die elastische Verformung der Zellen im Computermodell errechnet (Abb. 2). Kombination von Eigenschaften Neuartige Mikrofluidik-Chips zur Anreicherung von zirkulierenden Tumorzellen nutzen sowohl affine als auch mechanische Filterung. Durch die Isolierung von Tumorzellen mithilfe von funktionalisierten Mikrosäulen und gleichzeitiger mechanischer Filterung wird eine hohe Filtereffizienz erreicht [9]: Das Blut wird durch mehrere Gruppen von Mikrosäulen gepumpt; von Gruppe zu Gruppe wird dabei der Säulendurchmesser kleiner, und es verringert sich die Breite der Lücken zwischen den Säulen. Auch immunomagnetische Anreicherung und Affinitätsfilter lassen sich kombinieren [10]. Dabei werden zuerst magnetische Teilchen mit Antikörpern funktionalisiert. Diese ordnen sich in einem geeigneten Magnetfeld zu Mikrosäulen an. Anschließend werden die Mikrosäulen wie im CTC-Chip zur Demobilisierung von Zellen verwendet. Durch die gezielte Anordnung der Mikrosäulen können die Strömungsverhältnisse optimiert werden. Magnetische Quellpunkte konzentrieren das Magnetfeld und helfen mit, die Mikrosäulen auf festgelegten Orten entstehen zu lassen. An Mikrofluidik-Chips zur Isolation von zirkulierenden Tumorzellen auf der Basis von magnetischer Nanotechnologie wird derzeit im Rahmen des Projekts „Tunable microfluidic chips for isolating circulating cancer cells“ der Life Science Krems GmbH geforscht. Ferrofluide, selbst organisierte magnetische Teilchen oder magnetisch aktive Polymer-Aktuatoren, werden verwendet, um eine variable Struktur des Mikrochips zu bilden. Beispielsweise bilden selbst organisierte magBIOspektrum | 06.11 | 17. Jahrgang 658 W I S S ENS CH AFT · S P E C I A L : LA B O R AU TO M AT I O N / LA B - O N -A- CH I P ¯ Abb. 3: Im Magnetfeld ordnen sich magnetische Teilchen zu Säulen an. Sind die magnetischen Teilchen mit Antikörpern funktionalisiert, dann kann durch geeignete Wahl des Säulenabstands eine mechanische Filterung und ein Affinitätshaften der Tumorzellen erreicht werden. Blutzellen können den Filter ungehindert passieren. netische Teilchen ein Gitter aus Mikrosäulen (Abb. 3). Der Abstand der Mikrosäulen kann durch ein Magnetfeld verändert werden. Dadurch lassen sich die Vorteile von immunomagnetischer Selektion, Demobilisierung durch mit Antikörpern bestrichene Strukturen und mechanischer Filterung in einem einzigen Chip kombinieren. Zusammenfassung und Ausblick In den letzten Jahren wurden MikrofluidikChips zur Isolation von zirkulierenden Tumorzellen aus peripherem Blut entwickelt. Die einzelnen lab-on-a-chip-Technologien unterscheiden sich durch die Methoden zur Selektion der Tumorzellen von normalen Blutzellen. Aufgrund der unterschiedlichen Effizienz der verschiedenen Methoden ist Vorsicht geboten beim quantitativen Vergleich der Ergebnisse, die durch verschiedene Plattformen gewonnen wurden. Zirkulierende Tumorzellen haben das Potenzial, als prognostische Marker eingesetzt zu werden. Nach einer Studie mit dem CTC-Test CellSearch [4] weisen Brustkrebspatientinnen mit weniger als fünf Tumorzellen pro 7,5 Milliliter Blut eine höhere Überlebenschance auf als Patientinnen mit fünf oder mehr Tumorzellen. Soll die Analyse zirkulierender Tumorzellen zur Beobachtung des Therapieverlaufs eingesetzt werden, so muss eine Technologieplattform mit hoher Sensitivität benutzt werden. Wenn die Zahl der detektierten zirkulierenden Tumorzellen vor Beginn der Therapie ausreichend hoch ist, kann deren Abnahme im Verlauf der Therapie beobachtet werden. Wird es künftig möglich, durch verbesserte Technologien die Effektivität weiter zu steigern und die zirkulierenden Tumorzellen zuverlässig zu detektieren, dann bieten diese Technologien die Basis für deren molekularbiologische Untersuchungen. Dadurch könnten große Fortschritte im Wissen über die Metastasenbildung erzielt werden. Danksagung Die Autoren danken Dr. Martin Brandl, Dr. Hubert Brückl und Dr. Ivan Cimrak für auf- schlussreiche Diskussionen und der Life Science Krems GmbH für die finanzielle Unterstützung. ó Literatur [1] Ashworth TR (1869) A case of cancer in which cells similar to those in the tumors were seen in the blood after death. Aust Med J 14:146–149 [2] Kaiser J (2010) Cancer’s circulation problem. Science 327:1072–1074 [3] Yu M, Stott S, Toner M et al. (2011) Circulating tumor cells: approaches to isolation and characterization . J Cell Biol 192:373–382 [4] Allard WJ, Matera J, Miller MC et al. (2004) Tumor cells circulate in the peripheral blood of all major carcinomas but not in healthy subjects or patients with nonmalignant diseases. Clin Cancer Res 10:6897–6904 [5] Nagrath S, Sequist LV, Maheswaran S et al. (2007) Isolation of rare circulating tumour cells in cancer patients by microchip technology. Nature 450:1235–1239 [6] Dickson MN, Tsinberg P, Tang Z et al. (2011) Efficient capture of circulating tumor cells with a novel immunocytochemical microfluidic device. Biomicrofluidics 5:034119-1– 034119-15 [7] Stott SL, Hsu CH, Tsukrov DI et al. (2010) Isolation of circulating tumor cells using a microvortex-generating herringbone-chip. Proc Natl Acad Sci USA 107:18392–18397 [8] Lu B, Xu T, Zheng S et al. (2010) Parylene membrane slot filter for the capture, analysis and culture of viable circulating tumor cells. Proceedings of the IEEE 23rd International Conference on Micro Electro Mechanical Systems (MEMS):935–938 [9] Maimonis PJ, Merdek K, Dietenhofer K et al. (2010) Affinity and size capture of circulating tumor cells: a platform for increased sensitivity. Fourth AACR International Conference on Molecular Diagnostics in Cancer Therapeutic Development, Sep 27–30:B5 [10] Saliba A, Saias L, Psychari E et al. (2010) Microfluidic sorting and multimodal typing of cancer cells in self-assembled magnetic arrays. Proc Natl Acad Sci USA 107:14524– 14529 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Schrefl Fachhochschule St. Pölten Matthias Corvinus-Straße 15 A-3100 St. Pölten Tel.: +43-(0)2742-313228-313 Fax: +43-(0)2742-323228-609 [email protected] AUTOREN Markus Gusenbauer Martin Pecherstorfer Thomas Schrefl Jahrgang 1984. 2004-2008 Studium der Computersimulation an der Fachhochschule St. Pölten, Österreich. 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule St. Pölten und Doktorratsstudium an der Technischen Universität Wien, Österreich. Jahrgang 1959. 1984 Doktor der Medizin. 1991 Facharzt für Innere Medizin. 1995 Facharzt für Hämatologie und Onkologie. 1996 Venia docendi für Innere Medizin. 2000 Professor an der Universität Wien, Österreich. 2004 Gründer und Präsident des Instituts für supportive Krebstherapie, Krems, Österreich. 2008 Leiter des Hämatologisch-Onkologischen Dienstes am Landesklinikum Krems. Jahrgang 1965. 1983-1991 Studium der technischen Physik an der Technischen Universität Wien, Österreich. 19911993 Dissertation an der Technischen Universität Wien. 1999 Habilitation. 2004 Professor of Functional Materials, Universität Sheffield, UK. 2009 Fachhochschule St. Pölten, Österreich. BIOspektrum | 06.11 | 17. Jahrgang