Presseinformation Überleben nach Schlaganfall um "jeden" Preis? Berlin/Nürnberg. Die Behandlung des akuten Schlaganfalls hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und ist wesentlich effektiver geworden. Nach den wichtigen Errungenschaften der Gerinnselauflösung durch Infusionen (intravenöse Thrombolyse) und der Behandlung auf einer spezialisierten Station (Stroke Unit) ist in den letzten beiden Jahren ein neuer Meilenstein etabliert worden: die mechanische Rekanalisierung großer Hirngefäße durch Entfernung von Thromben mittels Kathetern (Thrombektomie). Durch Anwendung dieser Methode erhöht sich bei Patienten mit schweren Schlaganfällen der Anteil von Patienten ohne nennenswerte Behinderung um 60-90 Prozent. Trotz dieser vielversprechenden Entwicklung gilt aber immer noch: Wenn die Wiedereröffnung des Gefäßes nicht gelingt oder der Gewebsuntergang im Gehirn schon zu weit fortgeschritten ist, drohen Tod und schwerste Behinderung bei etwa 20 Prozent der Betroffenen. „Gerade bei schwerer Hirnschädigung gilt es kritisch die Indikation zu einer lebensverlängernden Therapie zu stellen und insbesondere zuvor festgelegte oder mutmaßliche Behandlungspräferenzen der Patienten zu prüfen“, betont Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Frank Erbguth, Ärztlicher Leiter der Klinik für Neurologie am Klinikum Nürnberg Süd. Die dafür gesetzlich verankerten Instrumente sind die Patientenverfügung (§§ 1901-1904 BGB), die vorherige Festlegung eines Vertreters des Willens durch den Patienten (Vorsorgebevollmächtigter) oder die gerichtliche Bestellung eines Betreuers. „Es kann die Situation eintreten, dass eine Therapiezieländerung von einer heilenden bzw. um das Leben kämpfenden Medizin hin zu einer palliativen, also leidenslindernden Medizin geboten ist. Aktuelle Befragungen zeigen, dass etwa 50 Prozent der involvierten Ärzte und Pflegekräfte bei solch schwierigen Entscheidungen juristische und ethische Unsicherheiten empfinden. Damit sind unangemessene Behandlungen möglich“, weiß Frank Erbguth zu berichten. Im seit 2009 geltenden „Patientenverfügungsgesetz“ ist in §1901b eine dialogische Verpflichtung für Arzt und Betreuer enthalten: demnach muss der Arzt zunächst die medizinischen Möglichkeiten (= Indikation und Prognose) prüfen und diese dann zusammen mit dem Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten auf der Basis des vorausverfügten Patientenwillens erörtern. Das Betreuungsgericht ist nur im Dissenzfall anzurufen, wenn also beispielsweise der Arzt einen vom Betreuer verlangten Therapieabbruch ablehnt. „Im Moment haben ca. 40 Prozent der über 70-jährigen Bundesbürger eine Patientenverfügung verfasst. Vorlagen finden sich beispielsweise auf den Internetseiten des Bayerischen Justizministeriums oder des Bundesjustizministeriums. Ihre Interpretation und die Umsetzung der in ihr getroffenen Festlegungen auf die konkrete Krankheitssituation können aber schwierig sein. Hier können Ethikkonsile und -beratungen helfen“, rät Professor Erbguth. Eine moderne Schlaganfalltherapie muss sowohl eine aktive kämpferische Haltung zur Erreichung eines möglichst guten Behandlungsergebnisses anbieten als auch eine Sensibilität für palliative Aspekte bei schweren Hirnschädigungen entwickeln. Eine Lebensverlängerung um jeden Preis ist ethisch nicht bei jedem Patienten angemessen. Dies drückt auch die Bundesärztekammer in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung aus, wenn sie feststellt, dass die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung »nicht unter allen Umständen« besteht. Vor diesem Hintergrund sind aktuelle Diskussionen um die Einführung der Sterblichkeit als Qualitätsindikator der Schlaganfallbehandlung kritisch zu sehen. „Ein so gefasstes Kriterium könnte leicht zu einer Diskreditierung einer angemessenen palliativ orientierten Schlaganfallbehandlung führen“, warnt der Mediziner. Die Entwicklung in der Schlaganfallversorgung ist eines der spannenden und aktuellen Themen der 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), auch genannt ANIM 2016 - Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin. Diese findet vom 28. – 30. Januar 2016 in Berlin im Estrel Hotel & Convention statt. Im Symposium „Überleben nach Schlaganfall um jeden Preis? – Der Konflikt zwischen Palliativmedizin und Qualitätskriterien“ wird die Diskussion von Experten aus Akut- und RehaNeurologie, Neurochirurgie (Prof. Erbguth, Prof. Nacimiento, Prof. Unterberg), sowie aus den Bereichen des neurologischen Qualitätsmanagements (Prof. Töpper) und der Rechtswissenschaften (Prof. Höfling) erläutert und geführt. Erfahren Sie gern mehr über die ANIM 2016 und ihre Themen unter www.anim.de! Wenn Sie über die Themen der ANIM berichten möchten oder einen Experten als Gesprächspartner suchen, wenden Sie sich gern an den Pressekontakt. Pressekontakt: Conventus Congressmanagement Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Romy Held Tel. 03641/3116280 Mobil: 0173/5733326 E-Mail: [email protected] Literatur: Erbguth F. Therapieentscheidungen am Ende des Lebens. Akt Neurol 2016 (im Druck) Erbguth F, Angstwurm K. Lebensende und palliative Versorgung nach Schlaganfall. In: Jungehülsing GJ, Endres M. Komplikationen und Folgeerkrankungen nach Schlaganfall. S. 150-157. Thieme, Stuttgart 2105. ISBN: 9783131740113.