Tel Fax LABOR SPIEZ CH-3700 Spiez +41 33 228 14 00 +41 33 228 14 02 e-mail internet [email protected] www.labor-spiez.ch Venezuelanische, Ost- und Westamerikanische Pferdeenzephalitis Erreger: Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV), Eastern-Equine-Encephalitis-Virus (EEEV) und Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus (VEEV) Venezuelanische, Ost- und Westamerikanische Pferdeenzephalitis wird durch neurotrope (d. h. neurologische Infektionen verursachende) Viren der Gattung Alphaviren verursacht. Diese werden ausschliesslich durch Mücken übertragen und werden familienübergreifend zu den Arboviren (engl. arthropod-borne für „von Arthropoden getragen“) gezählt. Die Alphaviren bilden zusammen mit der Gattung Rubiviren (z. B. Rötelnvirus; werden nicht durch Insekten übertragen) die Familie der humanpathogenen Togaviren. Die Alphaviren umfassen verschiedene Virenarten, wovon das Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV), das Eastern-EquineEncephalitis-Virus (EEEV) und das Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus (VEEV) ausschliesslich auf dem amerikanischen Kontinent vorkommen. Diese sind wie folgt eingeteilt: • • • BILD: Das Venezuelan-EquineEncephalitis-Virus (VEEV) Quelle: Baylor College of Medicine, Houston, Texas Für VEEV wurden bisher 6 Subtypen mit je 5 Varianten (AB, C-F) identifiziert, wovon hauptsächlich Subtyp 1 humanpathogen ist. Für die Suptypen 2 bis 6 wurden wenige Humanerkrankungen dokumentiert. Der EEEV Komplex wird in zwei humanpathogene Antigengruppen eingeteilt, „Nord-„ oder „Südamerika“. Der WEEV Komplex besteht aus 6 Subtypen (WEEV, Highlands J Virus, Fort Morgan Virus, Sinbis Virus, Aura Virus und Y62-33 Virus). Togaviren bestehen aus einer Membranhülle (toga = lat. Mantel), welche ein Nukleokapsid (schraubenförmige Proteinhülle) umgibt und weisen einen Durchmesser von 40-80 nm auf. Das Genom innerhalb des Nukleokapsids besteht aus einer positiven und einzelsträngigen RNA (einsegmentig; ca. 11'000 Basen). Vorkommen Die Vertreter der Gattung Alphaviren werden je nach Herkunft unterschiedlich benannt. In der folgenden Tabelle sind die Vertreter hinsichtlich ihres Vorkommens und dem entsprechenden Krankheitsnamen zusammengefasst: Region Virus Infektion westl. USA, Argentinien WEE-Virus Western Equine Encephalitis östl. USA, Karibik EEE-Virus Eastern Equine Encephalitis Mittel-, Südamerika VEE-Virus Venezuelan Equine Encephalitis Wälder Südamerikas Mayaro-Virus Mayaro-Fieber Australien, Tasmanien, PapuaNeuguinea, Indonesien, Südpazifische Inseln Ross-River-Virus Ross-River-Fieber Australien Barmah-Forest-Virus Barmah-Forest-Virus-Krankheit Afrika, Europa, Australien Sindbis-Virus Sindbis-Virus-Krankheit Sub-Sahara-Region in Afrika Chikungunya-Virus und O'Nyong-Nyong-Virus Chikungunya, O'Nyong-Nyong-VirusKrankheit 2 Eine humane Infektion mit WEEV wurde 1938 beschrieben und 1940 in Mücken (Culex tarsalis) und gewissen Vogelarten bestätigt. Die bisher grösste Epidemie wütete im Jahre 1941 in Kanada und in den westlichen US-Staaten. Über 300'000 Pferde erkrankten an Encephalitis und 3’336 Menschen starben. Das WEEV kommt hauptsächlich westlich des Mississippis vor. Es überwintert in den Eiern und Larven der Mückengattung Aedes, um im April wieder aufzutauchen. Das EEEV wurde erstmals 1831 in Massachusetts symptomatisch beschrieben, 1934 in Maryland und Virginia isoliert und ist heute in den USA, östlich des Mississippis, weit verbreitet. Da die meisten Überträgermücken in kalten Winterzeiten verenden, ist die EEE eine Sommerkrankheit. Zwischen 1955 und 1997 meldeten die USA 256 humane Erkrankungen mit einer Sterberate von 5070%. Eine Variante des EEEV kommt in Mexiko, in der Karibik und im Norden Südamerikas vor. Das VEEV wurde 1930 erstmals isoliert und ist heute ganzjährlich in Süd- und Mittelamerika, Mexiko und Florida vertreten. Zwischen 1969 und 1971 wütete ein hochvirulenter VEEV-Stamm in Guatemala, Mexiko und Texas, wobei zehntausende Pferde und 17'000 Menschen erkrankten; in Mexiko und Texas starben über 20’000 Pferde. Bei drei weiteren Epidemien in Venezuela und Kolumbien in den Jahren 1962, 1967 und 1995 erkrankten insgesamt über 300'000 Menschen, wovon 2’000 an neurologischen Beschwerden verstarben. Übertragung (Transmission) WEEV, EEEV und VEEV werden über verschiedene Mückenarten (hauptsächlich Culex, Aedes und Psorophora) übertragen. Das EEEV in den USA beispielsweise konnte bisher in 27 Mückenarten nachgewiesen werden. In der Regel vermehren sich Alphaviren asymptomatisch in ihren Wirten (und Reservoirs), vor allem in Singvögeln und Nagetieren. Kommt es zum Mückenstich, verursachen die equinen Encephalitis Viren eine ausreichend grosse Virämie (hohe Virenkonzentration im Blut; bis zu 1 Milliarde pro ml), um durch andere Mücken unter diesen Wirten weiter übertragen werden zu können (enzootischer Zyklus). Über nicht streng wirtspezifische Mückenarten kann es zu einer Übertragung beispielsweise auf Menschen, Pferde oder andere Säugetiere kommen (epizootischer Zyklus). Pferde und Menschen stellen dabei akzidentelle Wirte dar, von denen die Viren, mangels ausreichender Virämie, nicht weiter auf Mücken übertragen werden können. Eine Ausnahme bildet der Subtyp VEEV, wo die Virämie in Menschen und anderen Säugern gross genug ist um eine saugende Mücke zu infizieren. Im Labor konnte eine aerosole Übertragung von VEEV nachgewiesen werden. Krankheitsverlauf (Symptomatik) Die Alphaviren gelangen durch Insektenstiche direkt in die Blutbahn und lagern sich mittels der Membranproteine an Rezeptoren der Zellen des lymphatischen Systems und der Blutgefässe an. Über das Blut, wo sie sich rasch vermehren, werden sie zu den weiteren Zielorganen transportiert. Das geschädigte Endothel ermöglicht den Übertritt der Viren in das zentrale Nervensystem, wo sie sich in den Neuronen vermehren und durch Zellschädigung die neurologischen Symptome verursachen. Unter den 28 Viren, welche zu den Alphaviren gehören, sind sie am regelmässigsten mit Encephalits-Erkrankungen assoziiert. Venezuelan Equine Encephalitis Nach einer Inkubationszeit von 2 bis 6 Tagen (selten 28 h) werden drei Stadien unterschieden: 1. Milde Form: Es setzen klassische Grippesymptome mit Fieber (unter 40°C), Übelkeit, leichte Kopf- und Muskelschmerzen in Beinen und in der Lendengegend ein. 2. Klassische Form: Zusätzlich treten Schüttelfrost, Erbrechen, Diarrhö und Lichtempfindlichkeit (Photophobie) ein. 3. Starke Form: Das Fieber erreicht 40°C und Kopf- und Muskelschmerzen (Rücken und Beine) werden unerträglich. Nach 1 bis 3 Tagen klingen die Symptome ab und nach 1 bis 2 Wochen Übelkeit und Müdigkeit hat man sich erholt. In 3-5% der Fälle bei Jugendlichen unter 15 Jahren und bei 0.5-2% bei Erwachsenen treten neurologische Symptome auf. Bei schwachen Formen treten Lethargie (Schläfrigkeit) und leichte Verwirrtheit auf. Bei schweren Formen sind neurologische Schäden mit Lähmungen, Ataxie (Störung der Bewegungskoordination) und Bewusstlosigkeit die Folge. Bei Überlebenden mit diesen Symptomen bleiben häufig irreparable Schäden zurück. Fact Sheet WEEF, EEEF, VEEF LABOR SPIEZ, Februar 2006 3 Der Mensch ist sehr anfällig auf VEEV. Bisher sind keine genetisch bedingten Resistenzen bekannt. Es wird geschätzt, dass 90-100% der Menschen, welche dem VEEV ausgesetzt werden, erkranken. Als infektiöse Dose werden 10-100 Viren angenommen. Die allgemeine Sterberate bei VEEVErkrankungen liegt bei 1%. Treten neurologische Symptome auf, liegt die Sterberate bei Jugendlichen unter 15 Jahren bei 35%, bei Erwachsenen bis zu 50%. Eine Infektion hinterlässt vermutlich eine lebenslängliche Immunität gegen den auslösenden Subtypen. Die Kreuzreaktivität mit anderen Subtypen ist äusserst schwach oder sogar inexistent. Eastern Equine Encephalitis Wird ein Mensch von einer Trägermücke des EEEV gestochen, treten nach einer Inkubationszeit von 5 bis 15 Tagen Fieber (für 5 bis 10 Tage), Kopf- und Bauchschmerzen und Diarrhö ein. Viel schneller als alle anderen Alphaviren treten EEEV bereits ab dem 11. Tag in das zentrale Nervensystem ein und leiten in 33-70% der Fälle (je nach EEEV-Stamm) den Tod ein. Bei Pferden beträgt die Sterberate sogar 70-90%. Der Hirnschaden kommt dadurch zustande, dass Fresszellen (Makrophagen und Neutrophile) in das Hirngewebe eindringen und die mit Viren befallenen Nervenzellen zerstören. Bei 30% der Überlebenden werden grosse neurologische Schäden festgestellt und nur 10% der Patienten erholen sich vollständig. Aus bisher unbekannten Gründen entwickeln hauptsächlich Jugendliche unter 15 Jahren und ältere Personen über 55 Jahren neurologische Symptome. In den USA werden jährlich 12 bis 17 EEEV-Erkrankungen gemeldet und die Infektionsrate wird auf 33% geschätzt. Western Equine Encephalitis Nach einer Inkubationszeit von 5 bis 10 Tagen treten die bereits beschriebenen Grippensymptome auf. In 30% der Fälle folgen bei Jugendlichen neurologische Erkrankungen, bei Erwachsenen ist dies nur bei 1% der Fall. Wie bei EEEV häufen sich die neurologischen Erkrankungen bei Jugendlichen und älteren Personen. Die Sterberate liegt bei 3-4%. Nachweis (Diagnostik) Eine frühe Diagnose ist für eine effektive Therapie essentiell. Die klinischen Symptome und die Patientengeschichte, insbesondere bei Reisen nach Nord- und Südamerika, sind gute Hinweise auf eine equine Encephalitis. Die Diagnose erfolgt primär über die Serologie. Mittels ELISA (enzymelinked immunosorbent assay) werden spezifische IgM- oder IgG-Antikörper im Liquor oder im Serum nachgewiesen. Die Antikörperkonzentration steigt mit abnehmender Virämie. Weitere Möglichkeiten sind Hämagglutinations-Inhibitions-Test oder Komplement-Fixation. Alle drei equinen Encephalitiden können in den ersten drei Krankheitstagen aus Serum oder im Nasopharynx isoliert werden. In den ersten Krankheitstagen wird häufig eine frühe Leukopenie (Mangel an weissen Blutkörperchen), gefolgt von einer Leukozytose (Vermehrung von weissen Blutkörperchen) beobachtet. Kommt es zu neurologischen Symptomen, kann in der Zerebrospinalflüssigkeit eine deutliche Vermehrung von Leukozyten nachgewiesen werden. VEEV, EEEV und WEEV können zudem sehr sensitiv über molekularbiologische Verfahren genetisch nachgewiesen werden. Dabei wird über (Real-Time) Reverse Transkription-PolymerasenKettenreaktion (RT-PCR) ein spezifischer Genabschnitt des Erregers nachgewiesen. Therapie Die Behandlung von VEEV, WEEV und EEEV-Infektionen ist rein symptomatisch, d. h. eine gegen das Virus gerichtete Medikation gibt es nicht. Zuerst wurde Hoffnung in das Virusstatikum (Medikament, welches die Vermehrung von Viren hemmt) Ribavirin gesteckt. Dieses wird als fehlerhaftes Nukleosid (Bausteine der Gene) bei der Viren-Vermehrung in die viralen Genome eingebaut und blockiert die weitere Vermehrung. Trotz guten Ergebnissen im Labor konnte die Wirksamkeit in klinischen Studien nicht bestätigt werden. Zudem werden bei WEEV-Infektionen heftige Fieberschübe über 40°C beobachtet, welche medikamentös behandelt werden müssen. Mit Mäuseexperimenten konnte gezeigt werden, dass die Abgabe von Melatonin die VEEVErkrankung hemmt und die Sterberate reduziert. Der Schutzeffekt wird wahrscheinlich durch die induzierte Produktion des immunstimulierenden Interleukin-1beta (IL-1beta) verursacht. Ein therapeutischer Einsatz von IL-1beta wird derzeit untersucht. Fact Sheet WEEF, EEEF, VEEF LABOR SPIEZ, Februar 2006 4 Prävention Die aktuellen Impfstämme für VEEV, EEEV und WEEV sind derzeit in den USA als IND (investigational new drug) zugelassen und werden in diversen Studien für eine Routineimpfung untersucht; für VEEV ist es der Lebendimpfstamm TC-83 und der Totimpfstamm TC-84, für EEEV und WEEV die Totimpfstämme PE-6 und CM-4884 (oder B-11). Ein Problem bei Lebendimpfstämmen ist die Kreuzreaktion mit Antikörpern, welche durch andere Alphaviren-Erkrankungen oder -Impfungen erzeugt wurden. Als Beispiel konnte mit dem Impfstamm TC-83 eine abgeschwächte Reaktion nachgewiesen werden. Diverse Probleme dieser Art haben die Suche nach besseren Impfstämmen eingeleitet. Als Beispiel untersucht die Firma DynPort Vaccine Company (USA) die Wirksamkeit eines Lebendimpfstammes V3526, welcher bisher viel versprechende Ergebnisse geliefert hat. Eine derartige Impfung erzeugt wahrscheinlich einen lebenslänglichen Schutz gegen den eingesetzten Serotyp. Alphaviren als biologische Kampfstoffe VEEV, WEEV und EEEV werden insbesondere in den USA als potentiell attraktive biologische Waffen betrachtet. Obwohl das VEEV harmloser ist als die beiden anderen Alphaviren, wird es als seriöser Kandidat eingestuft. Einerseits weil es in mehreren Laborunfällen mehrere Infektionen verursacht hat, anderseits weil die infektiöse Dosis bei lediglich 10 bis 100 Viren liegt. Bei einem Anschlag würde das VEEV fast alle ausgesetzten Personen für mehrere Wochen mit zum Teil schweren Symptomen ausser Gefecht setzen. Da die Krankheit schwer von einer klassischen Grippe (Influenza) zu unterscheiden ist, würde ein Anschlag wahrscheinlich erst spät erkannt werden. Obwohl ein VEEV-Anschlag verhältnismässig wenige Tote zur Folge hätte, würden je nach Virenstamm permanente Schäden des Nervensystems zurückbleiben. Eine effektive Art eines terroristischen Anschlages wäre die Aussetzung von VEEV über ein Aerosol, insbesondere wenn dies in einer warmen Jahreszeit, wenn die meisten Mücken aktiv sind, erfolgen würde, da auf diese Weise die direkte Wirkung um ein Vielfaches verstärkt werden könnte. Die USA haben insbesondere vor und während des zweiten Weltkrieges in den biologischen Offensivprogrammen das VEEV in waffentauglicher Form (Trockenpulver oder Flüssigkeit) produziert. Hochrechnungen haben ergeben, dass ein Flugzeug durch das Versprühen von VEEV eine Fläche von 10'000 Quadratkilometer kontaminieren könnte. Da viele verschiedene VEEV-Stämme existieren und diese relativ einfach genetisch verändert werden können, muss deren möglicher Einsatz als B-Kampfstoff sehr ernst genommen werden. Literatur WANG E. et al.: A novel, rapid assay for detection and differentiation of serotype-specific antibodies to Venezuelan equine encephalitis complex alphaviruses. Am J Trop Med Hyg. 2005 Jun; 72(6):805-10. RAO V.: Toxicity assessment of Venezuelan Equine Encephalitis virus vaccine candidate strain V3526. Vaccine. 2005 Aug; 24:(Epub ahead of print). WEAVER S.C.: Venezuelan equine encephalitis. Annu Rev Entomol. 2004;49:141-74. Fact Sheet WEEF, EEEF, VEEF LABOR SPIEZ, Februar 2006