Tierschutz-Tagung „Die Mensch-Tier-Beziehung“, 7. - 9. März 2008 , Evangelische Akademie Bad Boll Tierschutz zwischen Ethik und Profit Andreas Steiger, Abteilung Tierhaltung und Tierschutz, Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern Spannweite zwischen Schützen und Nützen Die Mensch-Tier-Beziehung ist seit Jahrhunderten geprägt von Unterschieden je nach Bedeutung des Tieres für bestimmte Personenkreise, je nach Nutzung des Tieres, je nach geografischen Kreisen, Kulturkreisen, Zeitalter und „Zeitgeist“, und sie ist gekennzeichnet von erheblichen Widersprüchen, je nachdem, ob eher der Profit und Nutzen vom Tier oder eher die ethischen Aspekte und der Schutz des Tieres im Vordergrund einer Beziehung des Menschen zum Tier stehen. Der frühere deutsche Bundespräsident Theodor Heuss hat den Konflikt und das weite Spannungsfeld zwischen Ethik und Profit im Umgang mit dem Tier ausgedrückt in dem bekannten kritischen Satz „Eine der blamabelsten Angelegenheiten der menschlichen Entwicklung ist es, dass das Wort "Tierschutz" überhaupt geschaffen werden musste“. Die folgenden Ausführungen sollen die grosse Spannweite zwischen dem Schutz des Tieres und dem Nutzen des Menschen im Umgang mit verschiedenen Tieren aufzeigen. Nutztierhaltung, Fortschritte und Mängel Besonders grosse Konflikte zwischen Schutz und Nutzung des Tieres bestanden seit je in der der Nutztierhaltung, mit den Extremen der engen Käfig- und Dunkelhaltung einerseits bis zur tierfreundlichen Haltung oder gar der „heiligen“ Kuh andererseits. Ab den 40er- und 50er-Jahren standen im Vordergrund der Profit vom Tier, die Intensivierung, Rationalisierung und Technisierung, konkreter die platz-, arbeitsund kostensparenden Haltungsformen mit hoher Besatzdichte, bei verschiedenen Haustierarten die bekannten Formen der „Käfighaltung“. Als Folge davon wurden auch Schäden und Verhaltensstörungen bei den Tieren festgestellt, und zunehmend wurde aus ethischer und wissenschaftlicher Sicht Kritik von Einzelpersonen, Tierschutzorganisationen und Wissenschaftlern an bestimmten Formen der Intensivhaltung von Nutztieren geäussert, besonders bei Legehennen, Schweinen, Kälbern und Pelztieren. Aufrüttelnd und pionierhaft für die Entwicklung war 1964 das Buch “Animal Machines“ von Ruth Harrison, mit Kritik besonders an der Intensivhaltung von Legehennen, Schweinen und Kälbern. Als Konsequenz wurde relativ kurzfristig 1965 im Auftrag des britischen Landwirtschafts-Ministeriums der Brambell-Report einer Expertengruppe veröffentlicht. Zentrale Forderungen des Berichtes waren die “5 Freiheiten" für Tiere: "An animal should at least have sufficient freedom of movement to be able without difficulty, to turn round, groom itself, get up, lie down and stretch its lambs“. In den nachfolgenden Jahren entstanden im nationalen und internationalen Rahmen (Europarat, EU) zahlreiche Tierschutzgesetzgebungen. In Schweden war mit Kritik an der Nutztierhaltung besonders aktiv die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, die von 1985-1989 regelmässig Artikel zur Nutztierhaltung in schwedischen Tageszeitungen publizierte und die Regierung damit unter Druck setzte. Als Folge davon ist 1988 das fortschrittliche schwedische Tierschutzgesetz in Kraft getreten. An positiven Aspekten in der Nutztierhaltung bezüglich Tierschutz sind in den vergangen Jahrzehnten zu nennen die Entwicklung und das Aufkommen zahlreicher tierfreundlicher Haltungsformen und deren zunehmende Verbreitung in der Praxis, die zunehmende Verbreitung von Markenprogrammen (Labelproduktion) mit besonders tierfreundlichen Haltungsformen, die über die tierschutzgesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen, der Einstieg eines Teils der Grossverteiler auf dem Markt in diese Labelproduktion, verbunden mit jahrelanger regelmässiger Werbung bei der Verbraucherschaft. Diese Labelproduktion entwickelte sich je nach Land in unterschiedlichem Masse. Neuerdings ergreift auch die EU Massnahmen zur Tierschutz-Kennzeichnung, beginnend mit einer Konferenz von 2007 in Brüssel über „Tierschutz-Verbesserung durch Kennzeichnung?“. Ein wesentlicher Anstoss zu Verbesserungen waren auch die staatlichen Direktzahlungen für besondere ökologische Leistungen (besonders tierfreundliche Haltungsformen) in der Landwirtschaft, ferner zahlreiche praxisbezogene Forschungsergebnisse, insbesondere aus der Ethologie, zur Geflügel-, Rindvieh-, Schweine-, Kaninchen- und Pelztierhaltung, neuerdings vermehrt auch zu Eingriffen an Tieren (Kastration, Enthornen, Schwanzkupieren). Wesentlich sind auch die erhöhten Verbraucher-Erwartungen an die Produkte, welche die Produktionsart bzw. die Haltung, den Transport und die Schlachtung der Tiere mitberücksichtigen. Ohne erhöhte Verbraucher- 1 Erwartungen kann ein Labelmarkt nicht funktionieren. In der Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem Tier ist in den letzten Jahrzehnten ein Wandel eingetreten, dem Tier wird ein höherer Stellenwert beigemessen. Der tierfreundlichen Haltung von Nutztieren wurde in Publikumsumfragen ein hoher Stellenwert zugeordnet (z.B. in der Schweiz vgl. Badertscher Favaz, 1997). In Deutschland zeigte der Ökobarometer 2007 bei den Gründen für den Einkauf von Biolebensmitteln mit dem höchsten Wert die „artgerechte Tierhaltung“. Als Fortschritte speziell hervorzuheben sind in der Milchviehhaltung die Entwicklung und Verbreitung von verbesserten Anbindesystemen und von tiergerechten Laufställen mit geeigneten Liegeboxen usw. (anstelle der traditionellen Anbindehaltung), in der Kälberhaltung die Verwendung von grösseren Boxen, der Verzicht auf die Anbindung und die Tendenz zur Gruppenhaltung, in der Schweinehaltung die Verbreitung von tierfreundlichen Abferkelbuchten anstelle der Kastenstandhaltung sowie von besseren Ferkel- und Mastschweinehaltungen, und besonders in der Haltung von Legehennen die Entwicklung von Volièrenhaltungen, mit Legenestern, Scharrraum und Benützung der 3. Dimension, oft auch mit Tageslicht. Neuerdings verbreitet sich zunehmend die Auffassung, dass schmerzhafte Eingriffe wie besonders die Kastration (Schwein, Schaf) oder das Enthornen (Kalb, Ziege) nur unter Schmerzausschaltung durchgeführt werden dürfen, allerdings gerade hier mit Widerständen aus ökonomischer Sicht wegen der Zusatzkosten für die Eingriffe. Demgegenüber sind trotz Fortschritten im Tierschutzbereich als aktuelle negative Aspekte in der Praxis der Nutztierhaltung zu vermerken der erhebliche wirtschaftliche Druck in der Landwirtschaft im internationalen Rahmen, sowohl vonseiten der Verbraucherschaft wie der Grossverteiler und weiterer, dazu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung strikter gesetzlicher Tierschutz-Regelungen, viele Vollzugsmängel, Fälle der Massentötung von Nutztieren aus Marktgründen, und weiterhin die Massentötung von nicht verwendeten Küken (Sexen). Relativ neu ist anzufügen die aus tierärztlichen Praxen vermerkte, durch die Tierhaltenden gegenüber früher aus Kostengründen vermehrt zu spät oder gar nicht veranlassten tierärztlichen Behandlungen von kranken Tieren, wodurch teils der Tierschutz beeinträchtigt werden kann. Es gibt auch einen Verlust von Tradition in der Landwirtschaft, durch geringere Überlieferung von Know-how, von Grundkenntnissen über die Tierhaltung und von Tierkenntnissen. Teils erfolgt auch die „Freitzeithaltung“ von Nutztieren ohne ausreichende Kenntnisse, z.B. in der Hobbyhaltung von Schafen und Pferden. Schliesslich sind erhebliche Widerstände in Wirtschaft und Politik für striktere Tierschutzregelungen, wie besonders des Verbotes der üblichen Käfighaltung von Legehennen, festzustellen; Gründe bilden u.a. der Kostendruck, die Importkonkurrenz und das Festhalten eines Teils der Verbraucherschaft und von Grossverteilern an Billigprodukten. Ökonomie und Tierschutz im Widerspruch? Im Zusammenhang mit Tierschutzmassnahmen stellen sich stets auch Fragen der Ökonomie. Tierschutzauflagen in der Nutztierhaltung werden häufig als produktionsverteuernd dargestellt, dies wegen angeblich höherer Baukosten, höheren Raumbedarfs, grösserer Bauhülle und Mehrarbeit. Aus einer schwedischen Untersuchung liegen geschätzte Zahlen über die Kostenfolgen von haltungsbedingten Krankheiten, Verletzungen und Verhaltensstörungen beim Rind und Schwein vor (Ekesbo und Lund, 1994). Dabei wurden beim Rind erhebliche Verluste wegen Zitzentritten in der Anbindung bzw. im Kurzstand, wegen der Haltung von Kühen ohne Weide, wegen erhöhten Auftretens von Euterentzündungen und kürzerer Lebensdauer beim Einsatz des Kuhtrainers, und beim Schwein wegen Schwanzbeissens, wegen Fixierung der Sauen und Fehlens des Zugangs zu Stroh oder ähnlichem Material (Krankheiten und Ferkelverluste), wegen Fehlens von Stroh oder ähnlichem Material für Mastschweine sowie wegen Verwendung von Spaltenboden im Liegebereich (Schwanzbeissen) errechnet. Ganzheitliche und umfassende Vergleiche unterschiedlich tierfreundlicher Haltungsformen führte Badertscher (2004) durch, indem der Einfluss von je zwei Haltungsformen bei Milchkühen (Laufstall und Anbindestall) und bei Mastschweinen (Mehrflächensystem und Vollspaltenbodenstall) auf die Tiergesundheit, die Arbeitsqualität der Tierhaltenden, die Umweltwirkungen und die Produktqualität miteinbezogen und im wirtschaflichen Verfahrensvergleich der Systeme miteinberechnet wurde. Die Untersuchungen kamen zu folgenden Schlussfolgerungen: Insgesamt waren zum Zeitpunkt der Untersuchung die Laufställe für Michvieh unter Berücksichtigung der Tiergesundheit unter den getroffenen Annahmen schon bei einer Bestandesgrösse von 20 Kühen wirtschaftlich mindestens ebenbürtig zu Anbindeställem, bei einer Bestandesgrösse von 40 Kühen schnitten die Laufställe deutlich besser ab. Bei den Mastschweinen war unter den getroffenen Annahmen und den 2002 gültigen Preisverhältnissen die 2 Haltung in Mehrflächenbuchten mit Einstreu und Auslauf dank der Markenzuschläge wirtschaftlicher als jene in Vollspaltenbodenbuchten. Die verschiedenen Untersuchungen zeigen auf, dass Tierwohl und Wirtschaftlichkeit kein Widerspruch sein müssen. Bei den Milchkühen waren die bei grösseren Beständen gegenüber Anbindeständen wirtschaftlicheren Laufställe gleichzeitig auch tierfreundlicher, und bei den Mastschweinen waren dank der Zuschläge aus Markenprogrammen und der staatlichen Direktzahlungen für tierfreundliche Haltungsformen die tierfreundlichen Mehrflächensysteme auch wirtschaftlicher. Wild- und Zootiertierhaltung, Verbesserungen und Handlungsbedarf Konflikte zwischen Ethik und Profit ergeben sich auch in der Haltung von Wildtieren, Extreme bilden z.B. die intensive Käfighaltung von Pelztieren einerseits und gut geführte Wildtierreservate oder grossräumige Zootierhaltungen andererseits, daneben ergeben sich Konflikte bei der Jagd und der Fischerei, der Haltung von weiteren Wildtieren wie Bisons, Straussen und weiteren als Nutztiere, bei der Haltung und Dressur von Wildtieren im Zirkus und in der Zootierhaltung mit dem Tier als gewerblich genutztem Schauobjekt. Zur Wildtierhaltung liegen heute wesentlich mehr Kenntnisse über die Biologie von Wildtieren vor als vor Jahrzehnten, auch in der breiten Öffentlichkeit, und eine Sensibilisierung bezüglich tiergerechter Haltung von Wild- oder Zootieren hat stattgefunden. Die Entwicklung der Zootierhaltung führte im Lauf der Jahrzehnte in verschiedenen Phasen von der Menageriehaltung mit möglichst vielen Spezies auf kleinem Raum (Darstellung primär der Vielfalt des Tierreiches, oft in Käfigen und in Einzelhaltung) weiter zur Haltung von Wildtieren in relativ kleinen, aber leicht strukturierten und hygienischen Gehegen (Darstellung des Tieres im Lebensraum, in Dioramen, vermehrt schon Gruppenhaltung und Enrichment), anschliessend zu heutzutage grossräumigen, reich strukturierten, oft mit mehreren Tierarten besetzten Gehegen (Darstellung von Ökosystemen), mit oft weit über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegenden Gehegen. Vermehrt wird auch z.T. auf die Haltung von Delfinen oder Eisbären verzichtet, bei letzteren vor allem wegen der häufig auftretenden Stereotypien, die zu Kritik aus dem Zoopublikum und zu Akzeptanz-Problemen führen. Verbesserungen der Wildtierhaltung erfolgten auch in Zirkussen, z.B. mittels zumindest tagsüber permanentem Auslauf für Elefanten, grösseren Ausläufen für Raubkatzen an jedem Gaststandort, oder mit dem Verzicht auf die Haltung von Menschenaffen. Österreich hat in seinem Tierschutzgesetz von 2004 ein Verbot der Wildtierhaltung im Zirkus verankert, Finnland, Schweden und Kroatien haben Verbote der Haltung bestimmter Wildtiere im Zirkus (z.B. Affen, Nashörner, Flusspferde). Bei freilebenden Wildtieren sind positiv zu erwähnen die zunehmende Bedeutung des Artenschutzes, die Einführung des Washingtoner ArtenschutzÜbereinkommens von 1973 und die Einführung von nationalen Naturschutz- und ArtenschutzRegelungen. Wiedereinbürgerungen von ausgestorbenen Tierarten waren erfolgreich namentlich beim Steinbock, Biber, Fischotter, Storch, Bartgeier, Steinadler, Luchs, Wolf und Bär; es sind indessen auch erhebliche Widerstände gegen Wiedereinbürgerungen bestimmter Wildtiere festzustellen und das Verschwinden weiterer Tierarten zu beklagen. Negatives besteht in der Wildtierhaltung u.a. darin, dass noch viele Zoos noch nicht modernisiert sind, besonders private Kleinzoos, hauptsächlich wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Die Privathaltung von Wildtieren als Nutztiere (z.B. Srausse, Bisons etc.) wird oft als mangelhaft kritisiert. Tierversuche, besonders konfliktträchtig Extrem konfliktträchtig ist neben der Nutztierhaltung der Bereich der Tierversuche. In den frühen Stadien der „Vivisektion“ herrschte bei den Forschenden noch die Auffassung des nicht empfindsamen Tieres als Maschine vor (z.B. Descartes), Eingriffe wurden deshalb ohne Narkose durchgeführt, und während Jahrzehnten nahmen die Tierversuche zu. Heute bestehen die Konflikte zwischen Ethik und Nutzen immer noch, sowohl grundsätzlich in der Einstellung zum Tierversuch wie auch in jedem Einzelfall in der Art der Durchführung von Tierexperimenten. Mehrheitlich hat sich indessen in der Forschung eine verantwortungsvolle Nutzung des Tieres mit vielen gesetzlichen Restriktionen und möglichst schonender Durchführung unter Verwendung möglichst weniger Tiere durchgesetzt. Russel und Burch haben 1959 im Bereich Tierversuche Pionierarbeit geleistet mit ihrem Buch „The Principles of Humane Experimental Technique“, worin sie den Grundsatz der bei Tierversuchen zu beachtenden 3R (Replacement, Reduction, Refinement) verankert haben. Positive Aspekte bei Tierversuchen bezüglich Tierschutz sind die drastische Abnahme der Tierzahlen in Tierversuchen über viele Jahre hinweg, dies aus verschiedenen Gründen (u.a. hohe Kosten, Firmenfusionen, Tierschutzauflagen), allerdings in den letzten Jahren mit einer erneuten Zunahme, vor allem wegen vermehrter Versuche mit gentechnisch veränderten Tieren. Die Forschung über Alternativmethoden zu Tierversuchen (zu allen 3 R) und deren Anwendung in der 3 Praxis, auch die Forschung über tiergerechte Versuchstierhaltung ist erheblich gefördert worden. Verbesserungen in der Versuchstierhaltung wurden realisiert durch grössere, strukturierte Boxen, vermehrte Gruppenhaltung (besonders bei Hunden, Katzen und Affen). Erhöhte Anforderungen an die Ausbildung des Personals und die Durchführung von Versuchen wurden rechtlich verankert. Insbesondere ist aber festzustellen, das bezüglich der Belastung der Versuchstiere im Sinn des Refinement zunehmend weniger stark belastende Tierversuche als früher durchgeführt wurden. Im Bereich Tierschutz bei Tierversuchen sind neue Tendenzen spürbar, dies besonders an den beiden „Polen“ des Tierreichs in der Zoologischen Systematik: Einerseits wird die Stellung von Primaten, besonders von Menschenaffen, in Tierversuchen kritischer beurteilt. In der Schweiz schreiben die Eidgenössische Kommission für Tierversuche (EKTV) und die Eidgenössische Ethik-Kommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) in einer Stellungnahme „Forschung an Primaten – eine ethische Bewertung“ (EKTV und EKAH, 2006): „Primaten kommt aufgrund ihrer Nähe zum Menschen und ihrer kognitiven Fähigkeiten eine Sonderstellung zu. Aus ethischen Gründen sollen Bewilligungsbehörden Versuche mit Primaten deshalb im Rahmen ihres aktuellen Beurteilungsspielraums nur mit grösster Zurückhaltung bewilligen [...]. Versuche an grossen Menschenaffen sollen explizit verboten werden“ (Ausnahme: Schweregrad 0). Neue Tendenzen bei Tierversuchen ergeben sich auch durch neue Erkenntnisse über die mögliche Leidensfähigkeit von höheren Wirbellosen, wie höheren Krebsen (Zehnfusskrebse, Decapoda) und Kopffüsslern (Cephalopoda). Sherwin (2001) folgert in einem Review: „By closely examining the responses of invertebrates, it can be seen that they often behave in a strikingly analogous manner to vertebrates [...]. The similarity of these responses to those of vertebrates may indicate a level of consciousness or suffering that is not normally attributed to invertebrates. This indicates that we should either be more cautious when using argument-by-analogy, or remain open-minded to the possibility that invertebrates are capable of suffering in a similar way to vertebrates“. Demgegenüber bestehen auch negative Aspekte bei Tierversuchen: In der Labornager-Haltung ist oft ein Verharren auf kleinen, kaum strukturierten Haltungseinheiten ohne Enrichment feststellbar, wodurch der Grossteil der Versuchstiere wie Mäuse und Ratten betroffen ist, welche 80-90% der Versuchstiere ausmachen. Häufige Stereotypien der Tiere sind üblich. Vorschläge von zahlreichen Wissenschaftlern zu Verbesserungen in der Labornagerhaltung werden in der Praxis oft nur zögerlich oder nicht realisiert, aus Gründen der Ökonomie, der Standardisierung, des Unwissens, der Tradition, oder einer konservativen Haltung. Seit einigen Jahren ist wieder eine Zunahme der Tierversuchszahlen zu vermerken, besonders wegen vermehrter gentechnischer Versuchen, die allerdings grossmehrheitlich nicht stark belastend sind. Die Güterabwägung bei Tierversuchen An zwei Beispielen soll gezeigt werden, wie im Konflikt zwischen Ethik und Profit, beim Tierversuch einerseits Schutz des Tieres vor Leiden, und Erkenntnisgewinn in der Forschung andererseits, verantwortungsvoll umgegangen werden kann. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW und die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, zwei nichtstaatliche Organisationen der Forschenden, haben in ihrem Codex „Ethische Grundsätze und Richtlinien für Tierversuche“ (3. Auflage 2005), welcher über die tierschutzrechtlichen Vorgaben hinausgeht, zu Tierversuchen u.a. folgendes festhalten (www.samw.ch oder www.scnat.ch): „[...] Forschende haben die Pflicht, die Notwendigkeit und Angemessenheit jedes Tierversuches aufzuzeigen und durch Güterabwägung zu prüfen. [...] Kann durch eine grössere Anzahl von Tieren das Leiden der einzelnen Tiere reduziert werden, so ist der Reduktion individuellen Leidens Priorität einzuräumen. [...] Bestimmte Versuchsanordnungen sind für Tiere mit derart schwerem Leiden verbunden, dass eine Güterabwägung immer zugunsten der Tiere ausfallen wird. Wenn es nicht gelingt, andere, weniger belastende und ethisch vertretbare Versuchsanordnungen zu finden, muss auf den Versuch verzichtet werden. [...] Forschende setzen sich für eine offene Information der Öffentlichkeit über Tierversuche ein [...]“. Anhand eines zweiten Beispiels soll gezeigt werden, wie die divergierenden Interessen bzw. „Güter“ von Mensch und Tier bei Tierversuchen gegeneinander abgewogen werden können. Die Ethikkommission für Tierversuche der zuvor genannten Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW und der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT hat Anfang 2007 zur Beurteilung von Tierversuchen eine im Internet bearbeitbare Vorlage „Ethische Güterabwägung bei Tierversuchen“ für die Forschenden und andere Interessierte zur Selbstprüfung ausgearbeitet (www.samw.ch oder www.scnat.ch). Gefragt wird, getrennt für Grundlagenforschung, angewandte medizinische oder 4 nichtmedizinische Forschung, Tierforschung (Veterinärmedizin, Biologie, Tierhaltung, 3R-Förderung) einerseits nach den geförderten „Gütern” bzw. Interessen auf Seiten des Menschen und des Tieres (beim Menschen Erkenntnisgewinn, Gesundheit, Lebensqualität, dazu auch Umwelt, Artenschutz, medizinische und nicht medizinischer Gewinne, in der Forschung für das Tier Tiergesundheit und Tierwohl, Beitrag zu den 3R Refinement, Reduction und Replacement). Andererseits wird beim Menschen gefragt nach dessen Verantwortungsbewusstsein und der moralischen Integrität, beim Tier nach dessen beeinträchtigten Gütern (Wohlergehen, Leiden, Schmerz, Schäden, Tierverbrauch). Die Gesamtwertung aufgrund eines für den Beurteilenden nicht sichtbaren Skalierungssystems ergibt dann 5 Wertungen wie 1) Versuch vertretbar, 2) Verbesserungen möglich?, 3) Verbesserungen vornehmen, 4) Verzicht auf den Versuch bedenken, oder 5) Verzicht auf den Versuch. Heimtierhaltung, ein vernachlässigter Bereich Wesentliche Konflikte bestehen auch in der Haltung von Heimtieren (inkl. „Begleittiere“ wie Hunde und Katzen) mit den Extremen des Heimtieres als sehr nahe stehendem Lebenspartner einerseits und als schlacht- und essbarem Nutztier anderseits, auch mit viele ökonomischen Konflikten. Die Heimtierhaltung hat an Bedeutung zugenommen; grosse Anteile der Bevölkerung halten ein Heimtier. Grundsätzlich sind heute vermehrte Kenntnisse über die Biologie der Heimtiere verfügbar und das Aufkommen der Verhaltensmedizin oder Verhaltenstherapie bes. bei Hund und Katze erlaubt z.B. bessere und tierschutzgerechtere Lösungen für Verhaltensprobleme und -störungen bei diesen Tieren statt der Euthanasie. In der Heimtierzucht sind – allerdings zögerlich – mit der Einführung von Tierschutzregelungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Vermeidung von Extremzuchten Verbesserungen zu erwarten. Jedoch bestehen in der Heimtierhaltung viele negative Aspekte. Es sind viele Missstände (insbesondere zu kleine Gehege, wenig Bewegungsmöglichkeiten für die Tiere, nicht optimale Fütterung usw.) feststellbar, wie vor allem Amtstierärztinnen und -tierärzte aus der Tierschutz-Vollzugspraxis melden und wie neuere Statistiken der Tierschutz-Straffälle zeigen. Auch bestehen relativ wenig gesetzliche Tierschutzregelungen über Heimtiere und werden auf dem Markt viele ungeeignete HaltungsEinrichtungen und Zubehörteile vertrieben. Trotz neuer Tierschutzregelungen zu Extremzuchten erfolgen in diesem Bereich wenig konkrete Konsequenzen und bestehen wenig Gerichtsentscheide, dies sowohl in Deutschland wie in Österreich und der Schweiz. Die Gefahr der Vermenschlichung der Tiere ist in der Heimtierhaltung besonders gross und oft fehlen genügende biologische Kenntnisse der Tierhaltenden über ihre Tiere. Zudem wird relativ wenig Forschung über Heimtiere betrieben und bestehen grosse Forschungslücken. Besonders Meerschweinchen werden vielfach einzeln und bewegungsarm in zu kleinen Boxen gehalten, Goldhamster und Rennmäuse haben oft zu wenig Unterschlupfmöglichkeiten, Graupapageien werden oft einzeln und in kleinen Käfigen gehalten, ebenso Wellensittiche. Der Handel mit Gehegen, Boxen, Käfigen und Zubehör für Heimtiere ist sehr frei und ungeregelt. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz TVT in Deutschland hat in vorzüglichen Merkblättern Listen von ungeeignetem Zubehör für Heimtiere (Hunde, Katzen, Kleinsäuger, Vögel, Reptilien, Fische) publiziert. Das Österreichische Tierschutzgesetz von 2004 sieht die Möglichkeit der Einführung eines Prüfverfahrens für Haltungssysteme und -zubehör für Heimtiere vor: „Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen ist […] ermächtigt, eine Kennzeichnung serienmässig hergestellter Haltungssysteme und Stalleinrichtungen sowie Heimtierunterkünfte und Heimtierzubehör, die den Anforderungen dieses Bundesgesetzes entsprechen, durch Verordnung zu regeln“ (§18 Abs. 6; Tierschutzgesetz Österreich 2004). Zu hoffen ist, dass dadurch reiche und praxisbezogene Forschung über zahlreiche offene Fragen der Heimtierhaltung ausgelöst wird. Die Rolle von Tierschutzorganisationen, Tierärzteschaft und Wissenschaft Zahlreiche lokale, regionale, nationale und internationale Tierschutzvereinigungen haben weltweit vielfältige Tätigkeiten zum Wohl der Tiere entwickelt. Auf regionaler Ebene erfolgen Abklärungen vieler Tierschutzfälle, die Meldung schwerwiegender Fälle an die Behörden, viel Öffentlichkeitsarbeit, politische Tätigkeiten, Kampagnen, Beratungen, das Führen von zahllosen Tierheimen, die Aufnahme von Verzichtund Findeltieren und Aktionen zum Kastrieren von Katzen. Auf internationaler Ebene betrifft das Wirkungsfeld von Tierschutzorganisationen besonders den Kampf gegen internationale Tiertransporte, die Pelztierhaltung, die Robbenjagd, den Walfang, die Bärenkämpfe, die Grosswildjagd in Afrika und anderswo, und weiteres. 1980 erfolgte die Gründung der World Society for the Protection of Animals WSPA, durch Zusammenschluss der früheren International Society for the Protection of Animals ISPA und 5 der World Federation for the Protection of Animals WFPA, und 1980 folgte die Gründung der Eurogroup for Animal Welfare mit Mitgliedern der EU-Länder. Die Tierärzteschaft spielte im nationalen und internationalen Rahmen wesentlich mit bei der Entstehung des Tierschutzrechts und bei dessen Vollzug. 1985 erfolgte in Deutschland die Gründung der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz TVT, welche u.a. zahlreiche hervorragende Merkblätter zu Tierschutzfragen publizierte. Sie hat 1998 den „Codex Veterinarius - Ethische Grundsätze für die Tierärzteschaft für den Tierschutz“ verabschiedet. 1990 wurde die Schweizerische Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz STVT gegründet. Die Dachorganisation Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte GST hat 1991 „Ethische Grundsätze für den Tierarzt und die Tierärztin“ verabschiedet, welche 2005 revidiert wurden. 1997 fand die Gründung der Sektion Tierhaltung und Tierschutz der Österreichischen Gesellschaft der Tierärzte statt. Die Forschung zu Tierschutzfragen hat sehr wichtige Impulse gegeben zum besseren Schutz des Tieres, und der Grundsatz „Wissen schützt Tiere“ gilt uneingeschränkt auch heute. Wesentliche Ergebnisse zum Wohl der Tiere brachte neben der veterinärmedizinischen, der physiologischen und der biologischen Forschung allgemein insbesondere die Verhaltensforschung bzw. Ethologie. Im Vordergrund der Tierschutz-Forschung standen folgende Themen: Forschung (insbesondere der Ethologie) zur Haltung von Geflügel, Rindvieh, Schweinen, Pferden, Kaninchen und Pelztieren; Forschung über Alternativmethoden zu Tierversuchen (3R) und zur Versuchstierhaltung (bes. Labornager), Forschung zur Schlachtviehbetäubung, in den letzten Jahren vermehrt auch Forschung zum Schmerzempfinden von Tieren und zu Eingriffen an Tieren (Kastration, Enthornen, Zähnekluppen, Markieren, Eingriffe wie Schwanzkupieren bei Jungtieren wie Welpen, Ferkel etc.) und zum Schmerzempfinden auch von Fischen betrieben. Zum Tierschutz von Fischen sind innert kurzer Zeit gleich mehrere umfassende Bücher erschienen (Brown et al. 2006, Ross 2008, Branson 2008). Zu Fischen steht im neuen Buch von Branson: “Fish have the same stress response and powers of nociception as mammals. Their behavioural responses to a variety of situations suggests a considerable ability for higher level neural processing – a level of consciousness equivalent perhaps to that attributed to mammals”. Eher Lücken in der Forschung bestehen aktuell in der Forschung zur Zootierhaltung (im Vergleich zum reichen „Angebot“ an offenen Fragen), zur Verhaltensmedizin (besonders mit experimentellen Ansätzen), zur Heimtierhaltung (Kleinsäuger, Vögel, Zierfische), und zu Extremzuchten (besonders bei Heim- und Begleittieren). Immerhin hat die Heimtierforschung etwas zugenommen, und die renommierte internationale wissenschaftliche ethologischen Zeitschrift „Applied Animal Behaviour Science“ hat wohl als Ausdruck davon seit 2007 auf dem neuen Titelblatt prominent neben Nutztieren einen Hund abgebildet. Zur Entwicklung des Tierschutzrechts Europaweit wurden zunehmend fortschrittliche nationale Tierschutzgesetze eingeführt, im deutschsprachigen Raum und in Schweden wie folgt: 1972 erfolgte die Einführung des Tierschutzgesetzes in Deutschland (revidiert 1986, 1998 und 2001). 2002 wurde zudem in Deutschland der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. 1978 wurde das Tierschutzgesetz in der Schweiz eingeführt (revidiert 1991, mit Totalrevision 2005, Totalrevision der Tierschutzverordnung 2008), 1988 das Tierschutzgesetz in Schweden, ebenso 1988 das Tierschutzgesetz in Liechtenstein (revidiert 2005), und 2004 das Tierschutzgesetz in Österreich. Im Europarat in Strassburg wurde das Thema des Tierschutzes relativ früh aufgenommen. 1968 wurde das Übereinkommen über den Schutz von Tieren auf internationalen Transporten verabschiedet (2003 revidiert), 1976 das Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen, 1979 das Übereinkommen über den Schutz von Schlachttieren, 1986 das Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere, und 1987 das Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren. Die fünf Europäischen Übereinkommen enthalten Allgemeine Regelungen, dazu erfolgte die Ausarbeitung zahlreicher detaillierter Empfehlungen zu den Konventionen. Derzeit sind allerdings die Aktivitäten zum Tierschutz im Europarat wegen Umstrukturierungen und anderen Prioritätensetzungen sistiert. Auf der Website des Europarates steht derzeit dazu: „Further to an internal restructuring of the Council of Europe, the activities on animal welfare have been suspended. We hope that a decision will soon be taken as to the future organisation of these activities. In the meantime, any developments will be indicated on the website.“ 6 Die Europäische Union EU in Brüssel erliess u.a. Richtlinien für Tierversuche (1986), zu Legehennen (1988 ff mehrere; Verordnungen mit tierschutzbezogenen Vermarktungsnormen für Eier und für Geflügelfleisch), zu Wildtieren (1991), zu Tiertransporten (1991, 1995), zu Schweinen (1991), zu Kälbern (1991, 1997), zur Schlachtung (1993), und zu Landwirtschaftlichen Nutztieren (1998). Neuerdings hat sich die OIE (Office International des Epizooties) in Paris, mit neuem Namen World Organisation for Animal Health, dem Tierschutz weltweit zugewandt und eine „new international role for the OIE” beschlossen: “The OIE has recognized animal welfare as an area of growing interest to both consumers and regulators. In light of this, the OIE will be establishing its own welfare standards, which will be of significant assistance during bilateral negotiations an animal welfare issues” (OIE, 2002). Die OIE ist die einzige staatliche weltweite Organisation, die sich mit Tierschutz befasst. Sie führte 2004 erstmalig eine „Global Conference on Animal Welfare“ durch (OIE, 2004). Das Schutzniveau im Tierschutz im Wandel Ausdruck des früheren Anthropozentrischen (ästhetischen) Tierschutzes war u.a. das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich von 1871 (bis 1933): unter Strafe fiel, „wer öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere boshaft quälte oder roh misshandelte“. Der frühere Artikel 264 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (bis 1978) war ähnlich: unter Strafe fiel, "wer vorsätzlich ein Tier misshandelt, arg vernachlässigt oder unnötig überanstrengt, wer Schaustellungen veranstaltet, bei denen Tiere gequält oder getötet werden, insbesondere wer derartige Tierkämpfe oder Kämpfe mit Tieren oder Schiessen auf zahme oder gefangen gehaltene Tiere abhält". Beispiele für diese Art der Tierquälerei, wo nicht primär das Leiden des Tieres im Vordergrund stand, sondern dessen unschöner Anblick, waren das Misshandeln von Zugpferden oder das qualvolle Töten von Fröschen. Wegbereiter eines ethischen Tierschutzes war besonders Jeremy Bentham, der 1789 mit seinem Pathozentrischen Ansatz einen moralischen Status für alle empfindungsfähigen Tiere zusprach: „The question is not, Can they reason? Nor, Can they talk? But, Can they suffer?“. Albert Schweitzer verlieh dann 1923 in seinem Biozentrismus einen moralischen Status für alle Lebewesen und prägte den Grundsatz der "Ehrfurcht vor dem Leben“: "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will„ oder „Die Grundidee des Guten besteht also darin, dass sie gebietet, das Leben zu erhalten, zu fördern und zu seinem höchsten Wert zu steigern; und das Böse bedeutet: Leben vernichten, schädigen, an seiner Entwicklung behindern“. Damit erfolgte der Übergang zum Ethischen Tierschutz bzw. zum Schutz des Tieres um des Tieres wegen. Das spätere Deutsche Reichstierschutzgesetz von 1933 legte fest: „Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder zu misshandeln“. Die Tierschutzgesetze Deutschlands (1972), der Schweiz (1978) und Österreichs (2004) verankerten die sehr ähnlichen Tierschutz-Grundsätze wie folgt: „Kein Zufügen von Schmerzen, Leiden oder Schäden“ (Deutschland, Schweiz, Österreich), „kein in Angst versetzen“ (Schweiz; Österreich: „schwere Angst“), Leiden etc. zufügen nicht „ungerechtfertigt“ (Schweiz, Österreich), oder nicht „ohne vernünftigen Grund“ (Deutschland). Als minimales Schutzniveau sind die Mindestanforderungen der Tierschutzgesetzgebungen aufzufassen, als bisheriger, „klassischer“ Tierschutz mit dem Kriterium des Vermeidens von unnötigen Schmerzen, Leiden und Schäden. Auf höherem Schutzniveau stehen in der Landwirtschaft Markenprodukte aus besonders tierfreundlichen Haltungsformen (Labelproduktion) und staatliche Direktzahlungen für besonders tierfreundliche Nutztierhaltungen. In anderen Bereichen gibt es freiwillige Selbstbeschränkungen, die über das minimale Gesetzgebungsniveau hinausgehen, wie z.B. bei Tierversuchen die Ethik-Codexe von Forschenden, in der Tierzucht die Bestrebungen von Zuchtorganisationen zur Vermeidung von Extremzuchten, im Zoofachhandel das Gütezeichen für besonders gute Tierhaltung. „Stellvertretungen“ des Tieres sind teils realisiert durch Tierschutzvertretungen in Tierversuchskommissionen und durch betriebsinterne Tierschutz-Beauftragte in der Forschung. Postulate bestehen in Schweiz für die Vertretung der Tiere in Gerichtsverfahren durch unabhängige „Tierschutzanwälte“, die in Gerichtsverfahren Parteistellung haben und Gerichts-Entscheide anfechten können. Auf grundsätzlich noch höherem Schutzniveau steht der (eingeschränkte) Schutz des Lebens an sich: in Deutschland seit 1972, in Österreich seit 2004 der Grundsatz „Töten nicht ohne vernünftigen Grund“, in der Schweiz seit 1978 das Verbot des Tötens „aus Mutwillen“ (franz. „par perversité ou par jeu“). In der Schweiz ist in der Bundesverfassung seit 1993 der Schutz bzw. die Achtung der „Würde der Kreatur“ und damit der Würde des Tieres verankert. Zwei Kommissionen, die Eidgenössische Ethik-Kommission für Gentechnik im ausserhumanen Bereich (EKAH) und Eidgenössische Kommission für Tierversuche (EKTV), haben Vorschläge zur Konkretisierung der „Würde“ 7 des Tieres vorgelegt (EKAH und EKTV, 2001). Darauf gestützt ist die Würde des Tieres im neuen Tierschutzgesetz von 2005 wie folgt umschrieben: „Würde = Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss. Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tief greifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermässig instrumentalisiert wird“ (Tierschutzgesetz Schweiz, 2005). Eine besondere Rechtsstellung des Tieres „nicht als Sache“, verankert in verschiedenen Regelungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, betrifft u.a. die Pfändung von Tieren, die Zuteilung in Scheidungsfällen, die Tierarztkosten bei fremdverschuldetem Unfall, den Affektionswert bei Verlust eines Tieres, die Frist für die Rückgabe von Fundtieren. Die Verankerung der „Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf“ ist im Tierschutzrecht ebenfalls vorhanden (in Deutschland seit 1986, in Österreich seit 2004). Sie bedeutet besonderen Schutz, Treuhandschaft, Verantwortung für das Tier mit Eigenwert, Identität und Würde (Kluge, Hirt et al.). Mitgeschöpf nach Fritz Blanke (1959) bedeutet: „Die Idee der Herrschaft des Menschen über die Erde muss ergänzt werden, nämlich durch den Gedanken, dass der Mensch zum Verwalter, Halter, Fürsorger der Natur berufen sei“. Neue Tendenzen postulieren „Tierrechte“, mit der Begründung, dass Tiere „Eigenwert“, „Interessen“, „Empfindungsfähigkeit“ und „Subjektivität“ haben und damit auch „Rechte“, und dass der „Speziesismus“ nicht vertretbar sei (Singer, Meyer-Abich, Spaemann,Regan, U. Wolf, Krebs, Ruh, Joerden und Busch, Kaplan, Sunstein u. Nussbaum, Armstrong u. Botzler, Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik Heidelberg). Dabei stellen sich ethische Grenzfragen: Gibt es Gleichheit der Rechte? Sind Tiere Personen gleichzustellen? Gibt es Rechte der Tiere auf Leben? Ist als Konsequenz Vegetarismus erforderlich? Ist eine Abstufung im Tierreich erforderlich? Sind die Ansprüche von Tieren gleichwertig wie jene von Menschen „ohne Interessen“ wegen Entwicklungsstand (Foeten) oder wegen Behinderung (Koma, weiteres)? Unter Einbezug neuer Tendenzen in der Mensch-Tier-Beziehung und im Tierschutz ergeben sich zusammengefasst verschiedene „Schutz-Ebenen“, die wie folgt zusammengefasst werden können: 1) Unter dem gesetzlichen Schutzniveau: Widerhandlungen gegen die Tierschutz-Bestimmungen (unnötige Schmerzen, Leiden, Schäden und Angstzustände), im krassen Fall Tierquälerei. 2) Gesetzliches Mindest-Schutzniveau: Mindestanforderungen der Tierschutz-Gesetzgebungen, mit dem Kriterium des Vermeidens von unnötigen Schmerzen, Leiden, Schäden und Angstzuständen. 3) Vollzugsverbesserungen bei Tierschutzgesetzen: Tierschutzbeauftragte bei Tierversuchen; Formen der Vertretung des Tieres (Tierschutzanwalt in Sachen Strafsachen im Kanton Zürich, Tierschutzombudsmann in Österreich). 4) Höheres Schutzniveau: Labels auf dem Markt und staatliche Direktzahlungen für besonders tierfreundliche Nutztier-Haltungsformen; freiwillige Selbstbeschränkungen, z.B. bei Tierversuchen (Ethische Richtlinien der Forschenden, vorbildliche Versuchstierhaltungen), in Zoos (Haltung von Zootieren weit über den gesetzlichen Mindestanforderungen), im Zoofachhandel (Qualitäts-Vignette für gute Zoofachgeschäfte). 5) Noch höheres Schutzniveau: Schutz der „Würde“ des Tieres (keine Beeinträchtigungen des Tieres durch erhebliche Eingriffe in sein Erscheinungsbild und seine Fähigkeiten, keine Erniedrigung und keine übermässige Instrumentalisierung des Tieres, Achtung des Eigenwertes des Tieres), Stellung des Tieres nicht als „Sache“, kein Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund, Umsetzung von „Tierrechten“. Bleibende Unterschiede und Widersprüche in der Einstellung des Menschen zum Tier Der Stellenwert des Tieres hat sich einerseits in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt, das Tier nimmt heute einen höheren Stellenwert ein, es ist besser gestellt, es gibt Tendenzen zu strengerem und zu „erweitertem“ Tierschutz (Würde, keine Sache, Postulierung von „Tierrechten“ etc.), auch bestehen strengere staatliche Tierschutzvorschriften und dazu freiwillige Selbstbeschränkungen der Tierhaltenden, des Marktes und der Forschenden. Anderseits bestehen in der Praxis Widersprüche im Verhältnis Mensch-Tier. Bei einem Teil der Tierhaltenden ist ein Mangel an Wissen über Biologie und Haltung der Tiere festzustellen, es gibt es zuweilen eine übermässige Vermenschlichung der Tiere, auch eine Entfremdung von der Natur, mit weniger Kontakt zur Natur, zur Tierhaltung und zur Landwirtschaft. Zudem besteht wirtschaftlicher Druck in der Tierhaltung und auf dem Markt, es gibt Widerstände aus Tierhaltung und Forschung gegen striktere Tierschutzregelungen, auch gibt es heute oft Missstände in der Haltung 8 und Verwendung von Nutztieren, Pferden, Wildtieren, Heimtieren, Versuchstieren, im Sport mit Tieren, in Tierversuchen, bei Tiertransporten und bei der Schlachtung, bei Eingriffen an Tieren und in weiteren Bereichen. Auch besteht immer noch die Käfighaltung von Legehennen und gab es Fälle von Massentötungen „ohne vernünftigen Grund“ (als Bsp. die bekannten „Herodesprämien“ für Kälber aus Marktgründen). Kontroversen um Tierschutzfragen im Spannungsfeld zwischen Ethik und Profit werden weiter bestehen, Missstände werden trotz erhöhtem gesetzlichem Schutz und manchen Verbesserungen auftreten. Viel Arbeit aller involvierten Kreise, insbesondere auch der Verbraucherschaft und aller Bürgerinnen und Bürger, steht an, um im Konflikt wischen Profit und Ethik im Umgang mit Tieren das Gewicht weiter zugunsten des Tieres zu verschieben. Die britische Tierschützerin Ruth Harrison, die 1964 mit ihrem Buch „Animal Machines“ die Tierschutzdiskussion in Europa in Gang gebracht hatte, schrieb 1997 in ihrem Vorwort zum „Buch vom Tierschutz“ von Sambraus und Steiger (Hrsg.) über die grosse Bedeutung der Information der Öffentlichkeit: „Aber Verbesserung auf breiter Ebene muss letztendlich auf einer informierten Öffentlichkeit und der Einsicht und der Einsicht beruhen, dass wir eine individuelle Verantwortung gegenüber den Tieren in unserer Obhut haben: Einschränkungen beim Einkauf, die Bereitschaft zu einer zusätzlichen Anstrengung und, wo es nötig ist, ein bisschen mehr zu bezahlen, wenn es dem Wohlergehen der Tiere dient“. Literatur auf Anfrage beim Autor Anschrift des Verfassers: Andreas Steiger, Prof., Abteilung Tierhaltung und Tierschutz, Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, Bremgartenstr. 109a, CH 3001 Bern, Mail [email protected] 9