NZZ 13.05.2016

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58 WOCHENENDE
FORSCHUNG UND TECHNIK
Verdächtiges Leuchten
Im Gehirn von Alzheimerpatienten lagern sich zwei Proteine ab. Neuerdings können beide
gemessen werden, was die Diagnosestellung erleichtern könnte. VON ALAN NIEDERER
Es kann ganz unterschiedlich beginnen:
mit zunehmender Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen, Desorientiertheit
oder einer Persönlichkeitsveränderung.
Die Frage ist dann nicht mehr weit: Ist
das der Anfang von Alzheimer? Wie
praktisch wäre es doch, wenn wir in dieser Situation kurz den Kopf «röntgen»
könnten – und wir hätten Gewissheit.
Dass dieses Szenario gar nicht so abwegig ist, zeigt eine neue Forschungsarbeit aus den USA, die soeben in der
Fachzeitschrift «Science Translational
Medicine» erschienen ist.
Der Neurologe Beau Ances von der
Washington University in St. Louis und
seine Kollegen haben dafür Alzheimerpatienten einem speziellen bildgebenden Verfahren unterzogen. Bei der PET
genannten Untersuchung (die Abkürzung steht für Positronenemissionstomografie) entstehen Schnittbilder des
Gehirns, auf denen die Verteilung einer
schwach radioaktiv markierten Substanz zu sehen ist. Je nach verwendeter
Substanz (Tracer) lassen sich so verschiedene biochemische und pathophysiologische Vorgänge visualisieren.
Hoher Wolfram-Gehalt
Hirnschnitte von einem Gesunden (oben) und einem Alzheimerpatienten (unten): Eine intensive Rotfärbung spricht für eine
hohe Akkumulation des Alzheimer-Proteins Tau.
MATHEW BRIER / WASHINGTON UNIVERSITY, ST. LOUIS
scher nennen – war bei allen Patienten
ähnlich. Das könnte laut den Forschern
darauf deuten, dass bei der Alzheimerkrankheit zwei lokal unterschiedliche
Krankheitsprozesse ablaufen.
Es gibt etliche Krankheiten und medizinische
Störungen, die eine
Alzheimerdemenz nur
vortäuschen.
Funktionen, die anhand verschiedener
neuropsychologischer Tests dokumentiert wurden. Weiter zeigte sich, dass
sich die Verteilung der beiden Alzheimer-Proteine im Gehirn stark unterschied. Während sich das Amyloid vor
allem im Stirn- und Scheitellappen der
Patienten nachweisen liess, fand sich das
Tau-Eiweiss mehrheitlich im Schläfenlappen des Gehirns. Diese Verteilung –
oder Protein-Topografie, wie es die For-
Von der Forschung in die Praxis
Noch sind Amyloid- und Tau-Bildgebung vor allem Forschungsinstrumente. Damit können die Wissenschafter
sehen, wie sich die Alzheimerkrankheit
im Hirn ausbreitet und welche Wirkung
neue Alzheimermedikamente haben.
Doch das ist Ances nicht genug. Er ist
überzeugt, dass die Verfahren auch bei
der klinischen Evaluation von Patienten
eingesetzt werden sollten.
Dieser Meinung ist auch der Basler
Demenzexperte Monsch. Dass man
heute das Amyloid- und das Tau-Protein
als wichtige Biomarker im Gehirn nachweisen könne, sei eine erfreuliche Entwicklung: «Darauf haben wir lange gewartet», sagt der Neuropsychologe. Er
ist überzeugt, dass die neuen Verfahren
in den nächsten zwei Jahren in die medizinische Routine eingeführt werden.
«Damit wird die Diagnosestellung
präziser», erklärt Monsch. So spreche
eine PET ohne Amyloid und Tau gegen
eine Alzheimerkrankheit. Aus diesem
Grund würden heute schon in vielen klinischen Studien die Teilnehmer einem
radiologischen Amyloid-Nachweis unterzogen. Dies, nachdem frühere Untersuchungen gezeigt hätten, dass bis zu
30 Prozent der «Alzheimerpatienten»
eine andere Form der Demenz hatten.
Das zeigt, wie wichtig eine genaue
Abklärung bei vermuteter Hirnleistungsstörung ist. Sie lohnt sich auch deshalb, weil es etliche Störungen gibt, die
eine Alzheimerdemenz nur vortäuschen. Einige davon sind kurierbar, etwa
eine Schilddrüsenunterfunktion oder ein
Vitamin-B12-Mangel. Hinter einem vermeintlichen Alzheimer kann auch ein
Hirntumor stecken, weshalb heute ein
MRI zur Abklärung dazugehört.
Bei den echten Alzheimerpatienten
verfolgt Monsch das Ziel einer möglichst frühzeitigen Diagnose. «Idealerweise erkennen wir die Krankheit schon
im präklinischen Stadium», sagt der Psychologe. Also noch bevor Einbussen
auftreten. Denn nur in dieser Phase der
Erkrankung könnte man präventiv eingreifen, um die Entwicklung günstig zu
beeinflussen. Für diese Vision braucht
es allerdings wirksame Medikamente,
die zum Beispiel erste Amyloid- und
Tau-Ablagerungen im Gehirn eliminieren. Dass dieses Ansinnen nicht trivial
ist, haben die bisherigen Versuche mit
solchen Wirkstoffen klargemacht. Deren Resultate waren mehrheitlich enttäuschend, wie Monsch bestätigt.
Zelle «gestellten». Da diese Symbiose
sehr früh in der Entwicklung des Lebens
begann und wichtig für das Überleben
der Zellen ist, ging man davon aus, dass
alle Organismen, deren Zellen einen
Zellkern aufweisen – die Eukaryonten –
auch Mitochondrien besitzen. Oder
wenigstens von diesen abgeleitete Gebilde aufweisen oder im Minimum einzelne mitochondriale Gene in ihr Erbgut integriert haben. Doch nun haben
Wissenschafter einen Einzeller gefunden, der offenbar nichts dergleichen aufweist – und damit die erste eukaryontische Zelle identifiziert, die offenbar
ganz ohne Mitochondrien auskommt.1
Wie die Forscher in der Fachzeitschrift «Current Biology» beschreiben,
sequenzierten sie das Erbgut des Einzellers Monocercomonoides, dessen Arten
in den Därmen etwa von Insekten oder
Säugetieren leben. Dann suchten sie mit
verschiedenen Methoden nach mitochondrialen oder diesen sehr ähnlichen
Genen – erfolglos. Erbgutsequenzen
eines anderen Zellorganells, das laut den
Forschern in Monocercomonoides-Zellen
ebenfalls nicht offensichtlich erkennbar
ist, fanden sie jedoch. Dies werten sie als
Hinweis darauf, dass ihre Suche gründlich genug war und Monocercomonoides
tatsächlich keine Mitochondrien besitzt.
Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Zustand sekundär ist, das heisst, dass
die Ahnen des Einzellers diese Zellorganellen besassen und sie erst im Lauf
Das Team um Hanika Rizo von der Université du Québec in Montréal hat Lava
aus zwei weit entfernten, vulkanisch geprägten Gebieten analysiert. Es geht um
sogenannte Flutbasalte. Der erste
stammt von der unbewohnten Padloping-Insel in der kanadischen Arktis, ein
zweiter vom Ontong Java Plateau am
Grund des Pazifiks, nördlich des Inselstaates der Salomonen. Bei der Untersuchung der vergleichsweise jungen Proben fanden die Forscher unerwartet
hohe Werte des Wolfram-Isotops 182.
Das Resultat überrascht, weil die meisten irdischen Gesteine einen niedrigeren Gehalt dieses Isotops aufweisen.
Nur von sehr alten Gesteinen waren
leichte Anomalien bekannt, die jedoch
lange nicht so ausgeprägt sind wie die
jetzt gefundenen.
Wolfram gehört zu den siderophilen
Metallen. So nennen Experten Substanzen, die dazu neigen, sich mit Eisen zu
verbinden. Bei der Bildung des Erdkerns sank das Wolfram mit dem Eisen
ins Zentrum ab. Hafnium, ein anderes
Übergangsmetall, teilt diese chemische
Zuneigung zum Eisen nicht. Bei der Bildung des Erdkerns verblieb es deshalb
im Erdmantel. Damals existierte noch
das radioaktive Isotop Hafnium-182, das
mit einer Halbwertszeit von 8,9 Millionen Jahren in Wolfram-182 zerfällt. So
konnte sich in den ersten 50 Millionen
Jahren der Erdgeschichte ein Überschuss dieses stabilen Wolfram-Isotops
im Erdmantel aufbauen. Denn der Weg
in den Erdkern war schon versperrt, da
das Eisen zu diesem Zeitpunkt bereits
abgesunken war.
Nach der gängigen Vorstellung kollidierte die Erde gegen Ende ihres Wachstums mit Dutzenden von grossen Urkörpern, deren Ausmasse zwischen dem
heutigen Mars und dem Erdmond gelegen haben sollen. Die Einverleibung
dieser Körper senkte den Überschuss an
Wolfram-182 im Erdmantel ab. Offenbar geschah das aber nicht gleichmässig.
Wie die jetzigen Untersuchungen zeigen, wurde in Teilen des Erdmantels der
hohe Gehalt an Wolfram-182 konserviert, der sich vor dem Bombardement
herausgebildet hatte.
Älter als der Mond
Mitochondrien produzieren die Energie, die die Zellen zum Leben
brauchen. Doch ein Parasit schafft es offenbar auch ganz ohne sie.
Man nennt sie die Kraftwerke der Zelle:
Mitochondrien. Diese Zellorganellen,
die nur bei Zellen mit einem Zellkern
vorkommen, stellen die Energie bereit,
die die Zellen für ihre Lebensvorgänge
benötigen. Laut der sogenannten Endosymbiontenhypothese waren sie freilebende Organismen, die eine Symbiose
mit frühen Einzellern eingingen und
schliesslich als unselbständige Zellorganellen endeten. Neben dem Besitz eines
eigenen, mitochondrialen Erbguts gilt
als Hinweis hierauf, dass Mitochondrien
von zwei Membranen umgeben sind –
ihrer eigenen, ursprünglichen, wie man
vermutet, und einer zweiten, von der
Isotopenanalyse erhellt
frühe Wachstumsphase
Als sich die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren bildete, war sie sehr heiss und von
einem tiefen Magmaozean bedeckt.
Darin trennten sich die verschieden
schweren Bestandteile: Flüssiges Eisen
sank ins Zentrum und formte den
Metallkern, während geschmolzenes
Gestein als Erdmantel in den äusseren
Schichten verblieb. Geochemiker sind
nun bei Isotopenanalysen auf eine Art
Zeitkapsel gestossen, die gleichsam aus
der Kindheit der Erde stammt, als unser
Planet noch durch gewaltige Kollisionen
mit anderen planetaren Urkörpern heranwuchs.1
Einzeller ohne «Kraftwerke»
STEPHANIE KUSMA
Eine Zeitkapsel
aus der Kindheit
der Erde
THORSTEN DAMBECK
Funktion noch unklar
Im Fall von Alzheimer interessieren die
beiden Proteine Amyloid-beta und Tau,
die sich im Gehirn der Patienten ablagern. Auch wenn ihre Rolle im Krankheitsgeschehen noch nicht vollständig
geklärt ist – insbesondere weiss man
nicht, was ihre Bildung fördert und welches der beiden Eiweisse am Anfang der
unheilvollen Entwicklung in Richtung
Hirnzerfall steht –, gelten sie als wichtige Zeichen der Alzheimerdemenz.
Bisher konnte man mit der PET erst
das zwischen den Hirnzellen gelegene
Amyloid nachweisen. Diese Untersuchung werde in der Schweiz aber nur
ganz selten bei Patienten eingesetzt, sagt
Andreas Monsch, Leiter der Memory
Clinic am Felix-Platter-Spital in Basel.
Dies deshalb, weil der dafür benötigte
Tracer sehr teuer sei und von der Krankenkasse nicht bezahlt werde.
Seit kurzem gibt es nun auch einen
Tracer, mit dem das Protein Tau zum
Leuchten gebracht werden kann. Anders als Amyloid akkumuliert dieses in
den Hirnzellen. Welche Informationen
sich mit der Messung der beiden Eiweissstoffe ergeben, testete Ances’
Gruppe an 10 Probanden, die im Durchschnitt 75 Jahre alt waren und alle an
einer leichten Alzheimerdemenz litten.
Die Ergebnisse verglichen sie dann mit
den Resultaten bei 36 gleich alten, aber
gesunden Senioren.
Wie erwartet, hatten die Alzheimerpatienten substanziell mehr Amyloidund Tau-Protein im Gehirn. Das Ausmass der Ablagerungen korrelierte dabei mit den Einbussen bei kognitiven
Freitag, 13. Mai 2016
ihrer Entwicklung verloren. Ein Hinweis hierauf ist die Anwesenheit von
Mitochondrien ähnlichen Organellen
bei verwandten Gattungen.
Zur Energiegewinnung dürfte Monocercomonoides nicht von Sauerstoff abhängige Stoffwechselwege nutzen, von
denen die Wissenschafter wichtige Bestandteile identifizieren konnten. Diese
Reaktionsketten, die auch von anderen
Einzellern bekannt sind, finden frei in
der Zelle statt. Eine andere wichtige
Aufgabe der Mitochondrien übernimmt
ein System, das die Einzeller offenbar
von Bakterien übernommen haben, wie
die Wissenschafter schreiben.
1
Current Biology 26, 1–11 (2016).
In einem begleitenden Kommentar bewertet Tais Dahl vom Naturhistorischen
Museum der Universität Kopenhagen
die Arbeit als spektakulär. Laut Dahl
stammen die hohen Werte für Wolfram
aus einer Zeit, bevor im sogenannten
Giant Impact der Erdmond entstand.
Gleichwohl fordert er weitere Analysen,
um die Messungen zu erhärten. Auch
der Planetologe Thorsten Kleine von
der Universität Münster, der an der Studie nicht beteiligt war, spricht von einem
sehr interessanten Ergebnis. Die gemessene Wolfram-Anomalie könne nur aus
der Hauptwachstumsphase der Erde
stammen. Die damaligen Einschläge
planetarer Embryos hätten offenbar
lokale Magmaozeane erzeugt. Dass die
dabei begründete Heterogenität im Erdmantel zumindest teilweise bis heute
fortbestehe, sei überraschend.
1
Science 352, 809–812; 768–769 (2016).
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