58 WOCHENENDE FORSCHUNG UND TECHNIK Verdächtiges Leuchten Im Gehirn von Alzheimerpatienten lagern sich zwei Proteine ab. Neuerdings können beide gemessen werden, was die Diagnosestellung erleichtern könnte. VON ALAN NIEDERER Es kann ganz unterschiedlich beginnen: mit zunehmender Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen, Desorientiertheit oder einer Persönlichkeitsveränderung. Die Frage ist dann nicht mehr weit: Ist das der Anfang von Alzheimer? Wie praktisch wäre es doch, wenn wir in dieser Situation kurz den Kopf «röntgen» könnten – und wir hätten Gewissheit. Dass dieses Szenario gar nicht so abwegig ist, zeigt eine neue Forschungsarbeit aus den USA, die soeben in der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine» erschienen ist. Der Neurologe Beau Ances von der Washington University in St. Louis und seine Kollegen haben dafür Alzheimerpatienten einem speziellen bildgebenden Verfahren unterzogen. Bei der PET genannten Untersuchung (die Abkürzung steht für Positronenemissionstomografie) entstehen Schnittbilder des Gehirns, auf denen die Verteilung einer schwach radioaktiv markierten Substanz zu sehen ist. Je nach verwendeter Substanz (Tracer) lassen sich so verschiedene biochemische und pathophysiologische Vorgänge visualisieren. Hoher Wolfram-Gehalt Hirnschnitte von einem Gesunden (oben) und einem Alzheimerpatienten (unten): Eine intensive Rotfärbung spricht für eine hohe Akkumulation des Alzheimer-Proteins Tau. MATHEW BRIER / WASHINGTON UNIVERSITY, ST. LOUIS scher nennen – war bei allen Patienten ähnlich. Das könnte laut den Forschern darauf deuten, dass bei der Alzheimerkrankheit zwei lokal unterschiedliche Krankheitsprozesse ablaufen. Es gibt etliche Krankheiten und medizinische Störungen, die eine Alzheimerdemenz nur vortäuschen. Funktionen, die anhand verschiedener neuropsychologischer Tests dokumentiert wurden. Weiter zeigte sich, dass sich die Verteilung der beiden Alzheimer-Proteine im Gehirn stark unterschied. Während sich das Amyloid vor allem im Stirn- und Scheitellappen der Patienten nachweisen liess, fand sich das Tau-Eiweiss mehrheitlich im Schläfenlappen des Gehirns. Diese Verteilung – oder Protein-Topografie, wie es die For- Von der Forschung in die Praxis Noch sind Amyloid- und Tau-Bildgebung vor allem Forschungsinstrumente. Damit können die Wissenschafter sehen, wie sich die Alzheimerkrankheit im Hirn ausbreitet und welche Wirkung neue Alzheimermedikamente haben. Doch das ist Ances nicht genug. Er ist überzeugt, dass die Verfahren auch bei der klinischen Evaluation von Patienten eingesetzt werden sollten. Dieser Meinung ist auch der Basler Demenzexperte Monsch. Dass man heute das Amyloid- und das Tau-Protein als wichtige Biomarker im Gehirn nachweisen könne, sei eine erfreuliche Entwicklung: «Darauf haben wir lange gewartet», sagt der Neuropsychologe. Er ist überzeugt, dass die neuen Verfahren in den nächsten zwei Jahren in die medizinische Routine eingeführt werden. «Damit wird die Diagnosestellung präziser», erklärt Monsch. So spreche eine PET ohne Amyloid und Tau gegen eine Alzheimerkrankheit. Aus diesem Grund würden heute schon in vielen klinischen Studien die Teilnehmer einem radiologischen Amyloid-Nachweis unterzogen. Dies, nachdem frühere Untersuchungen gezeigt hätten, dass bis zu 30 Prozent der «Alzheimerpatienten» eine andere Form der Demenz hatten. Das zeigt, wie wichtig eine genaue Abklärung bei vermuteter Hirnleistungsstörung ist. Sie lohnt sich auch deshalb, weil es etliche Störungen gibt, die eine Alzheimerdemenz nur vortäuschen. Einige davon sind kurierbar, etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder ein Vitamin-B12-Mangel. Hinter einem vermeintlichen Alzheimer kann auch ein Hirntumor stecken, weshalb heute ein MRI zur Abklärung dazugehört. Bei den echten Alzheimerpatienten verfolgt Monsch das Ziel einer möglichst frühzeitigen Diagnose. «Idealerweise erkennen wir die Krankheit schon im präklinischen Stadium», sagt der Psychologe. Also noch bevor Einbussen auftreten. Denn nur in dieser Phase der Erkrankung könnte man präventiv eingreifen, um die Entwicklung günstig zu beeinflussen. Für diese Vision braucht es allerdings wirksame Medikamente, die zum Beispiel erste Amyloid- und Tau-Ablagerungen im Gehirn eliminieren. Dass dieses Ansinnen nicht trivial ist, haben die bisherigen Versuche mit solchen Wirkstoffen klargemacht. Deren Resultate waren mehrheitlich enttäuschend, wie Monsch bestätigt. Zelle «gestellten». Da diese Symbiose sehr früh in der Entwicklung des Lebens begann und wichtig für das Überleben der Zellen ist, ging man davon aus, dass alle Organismen, deren Zellen einen Zellkern aufweisen – die Eukaryonten – auch Mitochondrien besitzen. Oder wenigstens von diesen abgeleitete Gebilde aufweisen oder im Minimum einzelne mitochondriale Gene in ihr Erbgut integriert haben. Doch nun haben Wissenschafter einen Einzeller gefunden, der offenbar nichts dergleichen aufweist – und damit die erste eukaryontische Zelle identifiziert, die offenbar ganz ohne Mitochondrien auskommt.1 Wie die Forscher in der Fachzeitschrift «Current Biology» beschreiben, sequenzierten sie das Erbgut des Einzellers Monocercomonoides, dessen Arten in den Därmen etwa von Insekten oder Säugetieren leben. Dann suchten sie mit verschiedenen Methoden nach mitochondrialen oder diesen sehr ähnlichen Genen – erfolglos. Erbgutsequenzen eines anderen Zellorganells, das laut den Forschern in Monocercomonoides-Zellen ebenfalls nicht offensichtlich erkennbar ist, fanden sie jedoch. Dies werten sie als Hinweis darauf, dass ihre Suche gründlich genug war und Monocercomonoides tatsächlich keine Mitochondrien besitzt. Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Zustand sekundär ist, das heisst, dass die Ahnen des Einzellers diese Zellorganellen besassen und sie erst im Lauf Das Team um Hanika Rizo von der Université du Québec in Montréal hat Lava aus zwei weit entfernten, vulkanisch geprägten Gebieten analysiert. Es geht um sogenannte Flutbasalte. Der erste stammt von der unbewohnten Padloping-Insel in der kanadischen Arktis, ein zweiter vom Ontong Java Plateau am Grund des Pazifiks, nördlich des Inselstaates der Salomonen. Bei der Untersuchung der vergleichsweise jungen Proben fanden die Forscher unerwartet hohe Werte des Wolfram-Isotops 182. Das Resultat überrascht, weil die meisten irdischen Gesteine einen niedrigeren Gehalt dieses Isotops aufweisen. Nur von sehr alten Gesteinen waren leichte Anomalien bekannt, die jedoch lange nicht so ausgeprägt sind wie die jetzt gefundenen. Wolfram gehört zu den siderophilen Metallen. So nennen Experten Substanzen, die dazu neigen, sich mit Eisen zu verbinden. Bei der Bildung des Erdkerns sank das Wolfram mit dem Eisen ins Zentrum ab. Hafnium, ein anderes Übergangsmetall, teilt diese chemische Zuneigung zum Eisen nicht. Bei der Bildung des Erdkerns verblieb es deshalb im Erdmantel. Damals existierte noch das radioaktive Isotop Hafnium-182, das mit einer Halbwertszeit von 8,9 Millionen Jahren in Wolfram-182 zerfällt. So konnte sich in den ersten 50 Millionen Jahren der Erdgeschichte ein Überschuss dieses stabilen Wolfram-Isotops im Erdmantel aufbauen. Denn der Weg in den Erdkern war schon versperrt, da das Eisen zu diesem Zeitpunkt bereits abgesunken war. Nach der gängigen Vorstellung kollidierte die Erde gegen Ende ihres Wachstums mit Dutzenden von grossen Urkörpern, deren Ausmasse zwischen dem heutigen Mars und dem Erdmond gelegen haben sollen. Die Einverleibung dieser Körper senkte den Überschuss an Wolfram-182 im Erdmantel ab. Offenbar geschah das aber nicht gleichmässig. Wie die jetzigen Untersuchungen zeigen, wurde in Teilen des Erdmantels der hohe Gehalt an Wolfram-182 konserviert, der sich vor dem Bombardement herausgebildet hatte. Älter als der Mond Mitochondrien produzieren die Energie, die die Zellen zum Leben brauchen. Doch ein Parasit schafft es offenbar auch ganz ohne sie. Man nennt sie die Kraftwerke der Zelle: Mitochondrien. Diese Zellorganellen, die nur bei Zellen mit einem Zellkern vorkommen, stellen die Energie bereit, die die Zellen für ihre Lebensvorgänge benötigen. Laut der sogenannten Endosymbiontenhypothese waren sie freilebende Organismen, die eine Symbiose mit frühen Einzellern eingingen und schliesslich als unselbständige Zellorganellen endeten. Neben dem Besitz eines eigenen, mitochondrialen Erbguts gilt als Hinweis hierauf, dass Mitochondrien von zwei Membranen umgeben sind – ihrer eigenen, ursprünglichen, wie man vermutet, und einer zweiten, von der Isotopenanalyse erhellt frühe Wachstumsphase Als sich die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren bildete, war sie sehr heiss und von einem tiefen Magmaozean bedeckt. Darin trennten sich die verschieden schweren Bestandteile: Flüssiges Eisen sank ins Zentrum und formte den Metallkern, während geschmolzenes Gestein als Erdmantel in den äusseren Schichten verblieb. Geochemiker sind nun bei Isotopenanalysen auf eine Art Zeitkapsel gestossen, die gleichsam aus der Kindheit der Erde stammt, als unser Planet noch durch gewaltige Kollisionen mit anderen planetaren Urkörpern heranwuchs.1 Einzeller ohne «Kraftwerke» STEPHANIE KUSMA Eine Zeitkapsel aus der Kindheit der Erde THORSTEN DAMBECK Funktion noch unklar Im Fall von Alzheimer interessieren die beiden Proteine Amyloid-beta und Tau, die sich im Gehirn der Patienten ablagern. Auch wenn ihre Rolle im Krankheitsgeschehen noch nicht vollständig geklärt ist – insbesondere weiss man nicht, was ihre Bildung fördert und welches der beiden Eiweisse am Anfang der unheilvollen Entwicklung in Richtung Hirnzerfall steht –, gelten sie als wichtige Zeichen der Alzheimerdemenz. Bisher konnte man mit der PET erst das zwischen den Hirnzellen gelegene Amyloid nachweisen. Diese Untersuchung werde in der Schweiz aber nur ganz selten bei Patienten eingesetzt, sagt Andreas Monsch, Leiter der Memory Clinic am Felix-Platter-Spital in Basel. Dies deshalb, weil der dafür benötigte Tracer sehr teuer sei und von der Krankenkasse nicht bezahlt werde. Seit kurzem gibt es nun auch einen Tracer, mit dem das Protein Tau zum Leuchten gebracht werden kann. Anders als Amyloid akkumuliert dieses in den Hirnzellen. Welche Informationen sich mit der Messung der beiden Eiweissstoffe ergeben, testete Ances’ Gruppe an 10 Probanden, die im Durchschnitt 75 Jahre alt waren und alle an einer leichten Alzheimerdemenz litten. Die Ergebnisse verglichen sie dann mit den Resultaten bei 36 gleich alten, aber gesunden Senioren. Wie erwartet, hatten die Alzheimerpatienten substanziell mehr Amyloidund Tau-Protein im Gehirn. Das Ausmass der Ablagerungen korrelierte dabei mit den Einbussen bei kognitiven Freitag, 13. Mai 2016 ihrer Entwicklung verloren. Ein Hinweis hierauf ist die Anwesenheit von Mitochondrien ähnlichen Organellen bei verwandten Gattungen. Zur Energiegewinnung dürfte Monocercomonoides nicht von Sauerstoff abhängige Stoffwechselwege nutzen, von denen die Wissenschafter wichtige Bestandteile identifizieren konnten. Diese Reaktionsketten, die auch von anderen Einzellern bekannt sind, finden frei in der Zelle statt. Eine andere wichtige Aufgabe der Mitochondrien übernimmt ein System, das die Einzeller offenbar von Bakterien übernommen haben, wie die Wissenschafter schreiben. 1 Current Biology 26, 1–11 (2016). In einem begleitenden Kommentar bewertet Tais Dahl vom Naturhistorischen Museum der Universität Kopenhagen die Arbeit als spektakulär. Laut Dahl stammen die hohen Werte für Wolfram aus einer Zeit, bevor im sogenannten Giant Impact der Erdmond entstand. Gleichwohl fordert er weitere Analysen, um die Messungen zu erhärten. Auch der Planetologe Thorsten Kleine von der Universität Münster, der an der Studie nicht beteiligt war, spricht von einem sehr interessanten Ergebnis. Die gemessene Wolfram-Anomalie könne nur aus der Hauptwachstumsphase der Erde stammen. Die damaligen Einschläge planetarer Embryos hätten offenbar lokale Magmaozeane erzeugt. Dass die dabei begründete Heterogenität im Erdmantel zumindest teilweise bis heute fortbestehe, sei überraschend. 1 Science 352, 809–812; 768–769 (2016).