Spectrum Haus mit Kopf und Schwanz

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Rathaus und Bauamt Erweiterung
Rathausstraße 1
6890 Lustenau, Österreich
Haus mit Kopf und Schwanz
SAMMLUNG
Erich G. Steinmayr hat dem Lustenauer Rathauskomplex einen Neubau angefügt.
Einen Neubau, der trotz seiner "dienenden" Haltung gegenüber dem Bestand seine
eigene, zeitgemäße Identität behaupten kann.
ARCHITEKTIN
von Liesbeth Waechter-Böhm
BAUHERRIN
In der Architektur ist Anpassung in der Regel keine Haltung, die zu einem nennenswerten
Ergebnis führt. Man weiß es von den verschiedenen Schutzzonen her: Anpassung erzeugt
schwache architektonische Resultate. Daher hat sich für Erich G. Steinmayr die Frage der
Anpassung auch niemals gestellt. Die Frage mußte vielmehr lauten, ob der
bemerkenswerte Lustenauer Rathauskomplex vom Ende der fünfziger Jahre eine
architektonische Intervention überhaupt zuläßt - und wenn, an welcher Stelle eine solche
ansetzen könnte.
Spectrum
Richard Dünser
Erich Gottfried Steinmayr
Marktgemeinde Lustenau
STATIK
gbd ZT GmbH
FUNKTION
Büro und Verwaltung
PLANUNGSBEGINN
1991
AUSFÜHRUNG
Unter den Vorarlberger Architekten galt dieses Problem ursprünglich als unlösbar. Aber die 1993 - 1996
sachliche Bestandsanalyse brachte es an den Tag: Es gab einen Gebäudeteil mit
MITARBEIT PLANUNG
Christian Dancso
Hausmeisterwohnung, Kohlenlager und Polizeigaragen, der zwar strukturell in Ordnung,
aber letztlich ohne Schwächung des Altbaus verzichtbar war. Genau diesen Teil brach
Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden
zwischen der HTML- und der Printversion kommen.
Steinmayr ab und setzte seinen Neubau an die Stelle. Und zwar unter maximaler
Rücksichtnahme auf die bestehenden Vorgaben: Das heißt, das neue Haus respektiert die
Maßstäblichkeit und hierarchische Gliederung des alten Baus, es ist nicht höher, es führt
sogar die Geometrie der Dachform weiter, es stößt ganz selbstverständlich an eine
Mauerscheibe des Bestands. Dabei führt es seine Andersartigkeit so unverkennbar vor,
daß Zweifel über sein Entstehungsdatum gar nicht aufkommen können. Aber das Resultat
solcher Eindeutigkeit ist nicht eine Verunklärung des Gesamtkomplexes, sondern eher
seine Aufladung mit neuer Hochspannungsenergie.
Um aber das geforderte Raumprogramm unter diesen Umständen überhaupt
unterzubringen, mußte Steinmayr ein zusätzliches Geschoß schaffen. Und das ist ihm
letztlich gelungen, indem er nicht in die Höhe, sondern in die Tiefe gebaut hat: An der
Ostseite, zur Straße hin, wo es über eine Brücke ebenerdig in den Neubau hineingeht,
wurde das Terrain um etwa drei Meter abgesenkt. In diesem Untergeschoß, dem ein
besonders reizvoll angelegter Grünbereich vorgeschoben wurde, sind zwei große
Konferenzräume, der Seminarbereich und - vorläufig noch als räumliche Reserve
-Computerarbeitsplätze untergebracht. Im Erdgeschoß hat das Tiefbauamt seine Büros, im
Obergeschoß das Hochbauamt.
Die innenräumliche Struktur des Gebäudes stellt sich sehr minimiert dar, einfach und
ökonomisch, wiewohl sich das Haus den Luxus der Einhüftigkeit leistet. Alle
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Erschließungsgänge liegen an der Westseite zum Garten hin, die Büros sind nach Osten,
zur Straße hin, orientiert; hier zeichnet sich mit einem schießschartenartigen Fassadenteil
auch die Lage des Archivs ab. Die Fassade - sichtbar verschraubte Aluminiumplatten, die
mit Eisenglimmer beschichtet sind, Glas und simple LKW-Bretter aus Aluminium als
Beschattungslamellen - gibt sich betont schlicht, dabei elegant. Trotz seiner „dienenden"
Haltung gegenüber dem Bestand kann der Neubau seine eigene und sehr zeitgemäße
Identität behaupten.
Von der Straße her sieht man zunächst nur ein relativ niedriges, langgestrecktes Gebäude,
einen deutlich definierten Eingang mit elegantem Vordach, zu dem man über eine Brücke
gelangt, große Fensterflächen und rechts über dem Eingang das signifikante,
schießschartenartig formulierte Fassadenelement vor dem Archiv. Wenn man auf den
Eingang zugeht, sieht man auch hinunter in den „Graben" - einen bepflanzten Gartenhof -,
der als Freiraumschicht dem Untergeschoß vorgeschoben ist.
Diese Entscheidung, nicht in die Höhe, sondern in die Tiefe zu bauen, ist von wesentlicher
Bedeutung für das gesamte Projekt. Außerdem ist der Gartenhof in drei Metern Tiefe ein
besonderes Element: Eine Betonwand muß zwar erst zuwachsen, aber die Wirkung der
sehr abstrakten, artifiziellen Lösung unten - mit schmalen, rechteckigen Wasserwannen
und ebenso geschnittenen Buchsbaumpflanzungen - teilt sich auch jetzt schon mit. Wenn
man das Haus betritt, kommt man zunächst in eine lichtdurchflutete, sehr offene
Empfangszone mit Arbeitsplätzen für zwei Sekretärinnen.
Von hier geht es über einen Erschließungsgang entlang der Westfassade ebenerdig zu
den Büros des Tiefbauamtes weiter, über eine Treppe hinunter ins Untergeschoß
beziehungsweise hinauf zu Hochbauamt und ArchivDie Struktur ist also ganz einfach. Daß
das Archiv hinter einer so besonderen Fassade situiert wurde, hat mit der Anforderung zu
tun, daß es in einem Tageslichtraum untergebracht werden und doch beschattet sein
sollte. Auch an der Westfassade sorgt ein Lamellenraster aus Aluminiumbrettern für die
nötige Beschattung. Und am „Schwanz" des Gebäudes im Süden, der wie ein Kasten ein
wenig über dem Boden schwebt und damit ein Motiv des Altbaus aufnimmt, sorgt ein
genau berechneter Rahmen für den erforderlichen Sonnenschutz der verglasten
Besprechungsräume.
Für Schatten und damit ein angenehmes Raumklima wurden also die erforderlichen
Vorkehrungen getroffen. Und doch: Eine Stunde am Tag fällt in verschiedenen Bereichen in den Korridoren, im Archiv - die Sonne direkt ein, und es kommt zu jenem Phänomen,
das Steinmayr „Lichtgraphik" nennt. Die Sonne kommt, sie verschwindet wieder, für kurze
Zeit erweckt sie das Gebäude an verschiedenen Stellen zum Leben. Schatten, so
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Steinmayr, mag eine Qualität sein, aber auch Sonnenlicht gehört in ein Haus.
Apropos Sonnenlicht: Die Lichtführung im Gebäude kommt einer minuziösen Komposition
gleich. So liegen in den Erschließungsbereichen im Erdgeschoß und im Obergeschoß
durchscheinende Glasplatten auf Gitterrosten. Dadurch entsteht zwar überall der Eindruck
einer geschlossenen Decke, gleichzeitig verteilt sich aber das Tageslicht gleichmäßig von
oben bis in das Untergeschoß. Und das Kunstlicht ist im Bereich der Stiege in den
Handlauf integriert; man schaltet also bei Dunkelheit die Beleuchtung des Handlaufs im
Geschoß oberhalb ein, und das Licht verteilt sich über die Decke.
Auch in den Büros sorgt indirektes, gleichmäßig verteiltes Kunstlicht für ausgezeichnete
Arbeitsbedingungen. Und drei verschiedene Abschattungsmöglichkeiten - eine außen, eine
innen und zusätzlich eine, die man im Computerbereich hochziehen kann - erlauben die
Differenzierung der Tagesbelichtung.
Man könnte sagen, daß das Gebäude einen Kopf-, einen Mittel- und einen Schwanzteil
besitzt und daß jedem dieser Bereiche spezielle Aufgaben und damit eine eigene
atmosphärische Charakteristik zugeordnet wurden. Die unterschiedliche Art der Nutzung
bildet sich in feinen Differenzierungen, unterspielt, aber doch lesbar, auch nach außen ab.
Vordergründigkeit hat sich Steinmayr aber gerade an der Fassade in keiner Weise
gestattet. Zur Straße hin gibt sich die Gebäudehaut zwar unerhört perfekt und auch ein
wenig technoid - als wollte sie verständlich machen, daß dahinter eine konstruktiv ganz
andere Technologie steckt als bei dem Bau der fünfziger Jahre. Und an der Gartenseite
geben die Abschattungslamellen vor der Glasfassade einen gewissen Takt vor, der
eigentliche Rhythmus dieses bewegten Fassadenbildes entsteht aber durch die
unterschiedlichen Reflexionen der grünen Umgebung im Glas.
Steinmayr hat mit Fritz Mascher vor Jahren das Gutachterverfahren gewonnen, bei dem es
um Erweiterung und Sanierung der Albertina ging. Seinem bemerkenswerten Projekt, man
weiß es leider, war bisher wenig Glück beschieden. Das scheint sich in diesen Tagen zu
ändern, die Realisierung einer ersten, wesentlichen Bauetappe steht unmittelbar bevor.
Man kann diesem wichtigen Kulturbau in der Bundeshauptstadt höchst gelassen, ja
zuversichtlich, entgegenblicken: Denn der Rathauszubau in Lustenau zeigt deutlich, daß
hier jemand am Werk ist, der die Gratwanderung zwischen der Referenz vor dem
historischen Baubestand und einer dezidiert zeitgenössischen technischen Lösung gepaart
mit ebensolcher Materialqualität und Formensprache souverän beherrscht.
Spectrum, 10.08.1996
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WEITERE TEXTE
Rathaus und Bauamt - Erweiterung, Az W, 14.09.2003
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