Ich würde mir mehr Skandale wünschen

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"Ich würde mir mehr Skandale wünschen"
LJUBISA TOSIC
18. Oktober 2013, 20:25
Geigerin Patricia Kopatchinskaja spielt am
Sonntag bei den Feiern zum 100. Geburtstag des
Wiener Konzerthauses mit Pianist und Intendant
Markus Hinterhäuser. Ein Gespräch über die
Wahrheit in der Interpretation und den Appetit auf
Skandale
foto: archiv / patriciakopatchinskaja.com
Patricia Kopatchinskaja mag tiefe
Auseinandersetzungen mit Werken. Und sie glaubt,
dass "jedes Stück eine Seele hat."
Wien - Sie musste unlängst Konzerte absagen es war ein bisschen zu viel geworden. "Ich habe
mir eine Woche freigenommen - das musste sein.
Wenn man zwischendurch nicht einmal mehr
einen freien Tag hat, wird es irgendwann
problematisch", sagt die moldauische Geigerin
Patricia Kopatchinskaja (Jahrgang 1977), die
mittlerweile in der Schweiz lebt. Es wird natürlich
besonders dann problematisch, wenn man solche
hohe Ansprüche an das eigene Tun stellt wie
junge Dame.
Ja, sie sei nervös vor Konzerten. Dennoch "bin ich viel besser auf der Bühne, ich brauche diesen
besonderen Zustand, diese Atmosphäre. Das alles ist quasi wie ein Sprung ins Jenseits, in eine
Sphäre jedenfalls, in die man gemeinhin nicht hineinsehen kann. Nur in diesem Moment des
Spielens kann es geschehen, dass man Einblicke in eine geheime Sphäre bekommt." Ein
ehrenwerter Vorsatz, den im Konzertalltag umzusetzen nicht leicht sein dürfte.
"Wenn man sich jedoch dieses Ziel setzt, sich so vorbereitet, dass man auf der Bühne nicht
Perfektion abliefern muss, sondern sich einen Moment gönnt, in dem man offen ist für das, was mit
einem selbst passieren könnte - dann geschieht auch etwas Besonderes. Nicht immer natürlich, das
kann ma ja nicht erwarten."
Es versteht sich, dass, wer so denkt, gemütliche Interpretationen von Werken weder schätzt noch
anstrebt. Kopatschinskaja will denn auch beim Spielen "gleichsam eine bestimmte Leere schaffen,
aus der heraus ein Stück neu zu erschaffen wäre - für unsere Zeit und unsere Ohren. Man spielt
natürlich die Noten, die da stehen. Aber es geht um das, was hinter den Noten lauert. Es geht
darum, was die Noten einem erzählen wollen." Das ergibt bei ihr oft einen erdigen Zugang zum
Werk. Und auf CDs (sie publiziert auf Naive und ECM) bleiben dann bewusst die "Kratzgeräusche"
drin - aus Wahrheitsgründen. Wahrheit vor Schönheit also, und das stößt nicht immer auf
Begeisterung, sagt Kopatchinskaja: "Ausgebuht zu werden ist ganz schrecklich, das ist mir schon
passiert. Andererseits ist es auch ein gutes Zeichen, dass die Leute etwas gespürt haben und es
artikulieren müssen. Das war einmal bei einem Mozart-Konzert der Fall. Offensichtlich klang es bei
mir zu ungewohnt, es gab heftige Reaktionen. Grundsätzlich finde ich aber, dass es zu wenig
Unruhe in Konzerten gibt. Ich würde mir mehr Skandale wünschen." Intensität also und weniger das
freundliche Hinnehmen.
Sympathie für Moderne
Kopatchinskaja, die mit ihren Eltern 1989 nach Österreich kam und zunächst im Flüchtlingsheim
leben musste, ist indes mittlerweile in "der privilegierten Position, sagen zu können, mit wem ich
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19/12/2013
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gerne spiele und mit wem nicht. Das irgendwann bestimmen zu können ist wichtig." Zudem ist sie
besonders froh, "meinen Weg durch das Spielen von zeitgenössischem Repertoire gemacht zu
haben und nicht etwa durch den Romantiker Tschaikowsky." Und überhaupt: "Ich kann gar nicht
verstehen, dass es Konzertprogramme gibt, in denen nur alte Stücke angeboten werden, wie es
Programme ohne Zeitgenössisches geben kann."
Mittlerweile sind u. a. auch die Berliner Philharmoniker ihre Partner, auch der türkische Pianist Facil
Say. Und am Sonntag wird Kopatchinskaja zusammen mit Pianist Markus Hinterhäuser, der ja auch
die Wiener Festwochen und die Salzburger Festspiele leiten wird, zum 100. Geburtstag des Wiener
Konzerthauses aufspielen - man gibt ein Werk von Galina Ustwolskaja.
Als wäre das alles nicht ausfüllend genug, ist die Instrumentalistin auch noch Komponistin - von
Kopatchinskaja ist tatsächlich ein Violinkonzert im Anrücken: "Das Schreiben ist nicht einfach. Wie
der Komponist Péter Eötvös gesagt hat: Um komponieren zu können, müsse man sich gleichsam
leer fühlen, alles abstreifen, was man in sich an Musik trägt. Das ist wahnsinnig schwer." Besonders
für eine Interpretin.
Das Stück begleiten
Nur Komponistin sein? Das wird es nicht geben. "Da brauche ich die Bühne doch zu sehr", sagt
Kopatchinskaja und ist gleich wieder bei ihrer Philosophie: "Was mich an Musik interessiert, ist gar
nicht so sehr, die richtigen Töne zu spielen. Es geht darum, in seinem Inneren das Gefühl zu
bekommen, mit der schwer fassbaren Energie und Seele des Stückes verbunden zu sein - diese
Stückseele beim Spielen gewissermaßen zu begleiten. Es ist so eine meiner Theorien, dass jedes
Stück seine eigene Seele hat." (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 19.10.2013)
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