Begriff Jagd - Rudolf Winkelmayer

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Der Begriff „Jagd“
– eine Differenzierung
R. Winkelmayer
K. Hackländer
P. Kampits
Sonderdruck aus der Jagdzeitschrift WEIDWERK 9, 10 und 11/2008
Der Begriff „Jagd“
– eine Differenzierung
Die Jagd, also das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen jagdbarer Tiere durch
Jagdausübungsberechtigte (MEYERS, 2008), ist eine jahrtausendealte Betätigung des
Menschen. Während es in den Anfängen noch sehr viel Mut, Ausdauer, Kraft und
List erforderte, um ein Wildtier zu erbeuten, hat der Mensch im Laufe der Zeit eine
Reihe von technischen Möglichkeiten entwickelt, um sich Wildtiere anzueignen. Immer wieder führte dies in der Geschichte der Menschheit dazu, dass die Art
und Weise der Aneignung im Widerspruch zu ethischen Werten stand und daher
reglementiert wurde. Daraus entwickelte sich die sogenannte Weidgerechtigkeit, die
als „jagdliches Moralgesetz“ bezeichnet werden kann (BIEGER und HOFFER, 1941).
Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer und Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer,
Präambel von Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Kampits
Sonderdruck aus der Jagdzeitschrift WEIDWERK 9, 10 und 11/2008
Präambel
Die Befürwortung und die Kritik an der
Jagd sind nahezu ebenso alt wie das Jagen
selbst. Freilich hat sich die Jagd weitgehend von jenen urzeitlichen Formen des
Jagens wegentwickelt, in denen das Jagen
von Wildtieren als Lebensnotwendigkeit
für den Menschen gegeben war. ORTEGA
Y GASSET hat in seinen „Meditationen
über die Jagd“ (1953) darauf hingewiesen,
dass für den sogenannten Steinzeitmenschen die Jagd zur Lebensform
wurde, „dass das Sein des Menschen
zuerst darin bestand, dass er Jäger war.“
Gewiss, seither ist diese Lebensnotwendigkeit verschwunden und hat damit zu
einem Jagdbegriff geführt, der weitgehend
mit Luxus, Sport, Tötung, Instrumentalisierung und nicht selten mit Missachtung
des Tieres verbunden ist.
Das seit einiger Zeit erwachte Interesse an
einem veränderten Umgehen mit Tieren
hat nicht nur zu einem zunehmenden
Interesse an tierethischen Überlegungen
geführt und selbstverständlich auch nicht
vor dem Phänomen Jagd Halt gemacht.
Freilich gilt das Interesse der Tierschützer und Tierethiker in erster Linie den
Jagd
Kurz, in allem Ernst gesagt:
’s gibt nichts Dümmers
als die Jagd.
FERDINAND RAIMUND
Die Jäger sind die ältesten
Tierschützer der Welt und
keine Hobbymörder.
BASILIUS VON STREITHOFEN
Jägerei ist eine Nebenform
menschlicher Geisteskrankheit.
THEODOR HEUSS
Zum guten Jäger gehört eine
Unruhe im Gewissen
angesichts des Todes, den er den
bezaubernden Tieren bringt.
ORTEGA Y GASSET
2
Massentierhaltungen, den Pelztierfarmen
und den Tierversuchen. Die Polemik von
beiden Seiten lässt an Härte nichts zu
wünschen übrig, Hardliner auf Seiten der
Tierschützer, die auch nicht vor gewaltsamen Aktionen zurückschrecken, und
handfeste ökonomische Interessen der
Produzenten und ihrer Lobbies stehen
einander unversöhnlich gegenüber, wobei
in letzter Zeit eben auch die Jagd nicht
ungeschoren blieb.
Wo die einen die Jagd als legalisierte Tierquälerei bezeichnen und die Jäger für
Heuchler im grünen Loden halten, betonen die anderen die eminente Bedeutung
der Jagd und der Hege im Hinblick auf
die Erhaltung eines ökologischen Gleichgewichts und bezeichnen die Jagd nahezu
als einen angewandten Naturschutz. Dies
wird wiederum von den Gegnern bestritten, die in dieser Hege nur eine Sicherung
für eine größere Ausbeute erblicken und
deren ökologische Bedeutung infrage
stellen. Jäger wären in diesem Sinn keinesfalls Naturschützer, sondern allenfalls
Hirsch-, Reh- und Fasanenschützer,
denen das Wohl übriger Tierarten und
der Ökologie schlichtweg kaum am
Herzen liegt.
Die grundsätzliche Frage nach dem moralischen Status des Tieres gilt es freilich
zu differenzieren. Ist die Jagd und das damit verbundene Töten von Tieren in einer
ähnlichen Weise zu sehen wie das Töten
im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung von Tieren für unsere Ernährung,
welcher Unterschied besteht auch zu
Tötungsvorgängen im Laufe der in der
Forschung angestellten Tierversuche? Besteht hinsichtlich des moralischen Status
des Tieres ein erheblicher Unterschied
zwischen Wildtieren und Nutztieren?
Diese Grundsatzfrage nach dem moralischen Status von Tieren ist für jede Tierethik aber auch für ethische Grundsätze
des Jagens von entscheidender Bedeutung.
Die Tierrechtsbewegung, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, nähert sich dieser
Frage von verschiedenen ethischen Seiten,
wobei das Problem eines intrinsischen
Wertes (Existenzwert) des Tieres im
Mittelpunkt der Diskussion steht.
Eingebettet in eine ökologische Ethik im
Allgemeinen, wird dabei die Frage nach
dem moralischen Status der Tiere ver-
schiedentlich akzentuiert: Die Frage, ob
Tiere als Sachen oder Personen aufzufassen sind, wogt seit dem Beginn der Neuzeit hin und her, wobei die Tradition des
christlichen Denkens und des biblischen
Auftrages des „Dominium terrae“ (aus
der Theologie: Herrschaft über die Erde)
für eine Grundhaltung verantwortlich gemacht wurde, die alle Natur unter die
Herrschaft des Menschen gestellt hatte.
Dass dieser Herrschaftsauftrag auch als
Hege- und Pflegeauftrag interpretiert
werden kann, hat sich erst relativ spät
durchgesetzt, wobei es in der Geschichte
christlichen Denkens von Franz v. Assisi
bis zu Albert Schweitzer natürlich immer
wieder Außenseiterpositionen gegeben
hat und sich in der letzten Zeit aus theologischer Sicht auch die Bezeichnung „Mitgeschöpf“ durchzusetzen beginnt.
Innerhalb der Tierethik selbst finden sich
selbstverständlich die verschiedensten
Positionen. Neben den anthropozentrischen (Mensch im Mittelpunkt) Argumenten, die den Tierschutz aus der Perspektive des damit verbundenen Interesses des Menschen betrachtet, sind es vor
allem der Pathozentrismus (tierethischer
Ansatz, der allen empfindungsfähigen
Wesen einen moralischen Eigenwert zuspricht) und der Biozentrismus (allen
Lebewesen – Pflanzen, Tieren sowie
Menschen – wird unabhängig von ihren
Empfindungsfähigkeiten ein eigenständiger Wert zugesprochen), die den Eigenwert des nichtmenschlichen Lebens in
den Mittelpunkt rücken. Angeregt durch
PETER SINGERS utilitaristische Position,
vertreten in „Animal liberation“ (1975)
und basierend auf dem utilitaristischen
Prinzip der Vermehrung von Lust
und der Verminderung von Unlust und
Leid entwickelt SINGER eine Position
des Anti-Anthropozentrismus, den er
als ungerechtfertigten Speziezismus
(Ungleichbehandlung von Lebewesen
aufgrund ihrer Art) kennzeichnet und der
schließlich in der heftig diskutierten These
mündet, dass nämlich der intrinsische
Wert des Lebens eines gesunden
Schimpansen höher einzuschätzen wäre
als der eines behinderten Säuglings
oder eines dementen alten Menschen.
TOM REAGAN (1982) wiederum hebt die
Problematik des intrinsischen Wertes
tierischen Lebens über die Ebene der
© WEIDWERK 2008
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Foto Helmut Ctverak
Leidensfähigkeit hinaus und betont eine
intrinsische Werthaftigkeit von höheren
Säugetieren, die auch über Ziele, Wünsche und Zukunftsvorstellungen verfügen.
Neben einem anthropozentrischen Argument werden vor allem die pathozentrische (die Leidensfähigkeit der Tiere im
Mittelpunkt) und die physiozentrische
(der Eigenwert der Natur im Mittelpunkt)
Ebene heftig diskutiert, wobei die beiden
ersten Positionen für das Phänomen der
Jagd, die entweder den Zugang zum Tier
aus einer anthropozentrischen Ebene
oder aus einer solchen der Leidensfähigkeit und damit dem Eigenwert des Tieres
aus der Perspektive der Jagd untersuchen,
am Wichtigsten erscheinen. Sie fordern
letztlich beide einen respektvollen Umgang mit den nichtmenschlichen Lebewesen und zumindest Schmerzvermeidung
bei einer Tötung.
Sobald das Töten von Tieren als grundsätzlich moralisch akzeptabel erscheint,
stellt sich für beide ethische Grundhaltungen natürlich die Frage nach dem Ziel
dieser Tötung sowie auch nach der Art
und Weise, wie diese Tötung erfolgt.
Sehen wir von der Nutztierhaltung und
den damit verbundenen Problemen ab, so
stellt sich die Frage, inwieweit die mit der
Jagd verbundene Tötungsabsicht ethischmoralisch vertretbar sein kann.
Aus der Sicht einer radikalen pathozentrischen Position wäre jedwede Tötung
von Tieren – auch aus der Motivation des
Mitleids – zu vermeiden, wobei allerdings
das Problem ungelöst bleibt, wie mit dem
Schutz von jagdbaren Tieren vor Raubtieren umgegangen werden soll. Für die
Jagd jedenfalls bleibt ein ausschließlich
pathozentrisch motivierter Umgang mit
den Tieren problematisch. Ein gemilderter
Zugang aus einer anthropozentrischen
Perspektive, der die Interessen des Menschen in einen einigermaßen zufriedenstellenden Einklang mit einer Anerkennung des moralischen Eigenwertes des
Tieres in Einklang brächte, steht jedenfalls noch aus.
Eine Jagdethik, die weit über die gesetzlichen Bestimmungen des Jagdrechts hinausgeht und die auf einer Selbstverpflichtung des Jägers beruht und Handlungsnormen gegenüber dem frei lebenden Tier
und dem Verhalten des Jägers erstellt, ist
Der Begriff
„Jagd“ wird
seit jeher
differenziert
gesehen
nach wie vor ein Desiderat (etwas dringend Erwünschtes).
Dazu bedürfte es zunächst einer in den
Teilen 2 und 3 versuchten Begriffsbestimmung der Jagd, die nicht allein in historischer Hinsicht mannigfache Veränderungen erfahren hat.
Dass die Jagd ihren Stellenwert innerhalb
einer lebensnotwendigen Tätigkeit des
Menschen längst eingebüßt hat, ist eine
Selbstverständlichkeit. Sogar dort, wo es
um lebensbedrohende Aktivitäten von
Tieren gehen mag (Tiger, Wölfe, Löwen),
die nicht allein die Entfaltung des menschlichen Lebensraumes gefährden, ist der
Stellenwert einer Rechtfertigung des
Tötens als gering anzusehen. Angriffe
lebensbedrohender Art auf den Menschen
könnten sogar in Analogie gegenüber
menschlichen Angreifern (Notwehr) angesehen werden. Dies gilt im weiteren
Sinn auch dort, wo Tiere mit menschlichen Lebensbedingungen konkurrieren
(etwa im Fall der Vernichtung von Agrikulturen). Anders verhält es sich dort, wo
beispielsweise in der mitteleuropäischen
Tradition die Jagd sowohl im ökologischen Zusammenhang wie auch im
Hinblick auf das menschliche Lusterlebnis gesehen werden kann. Sowohl die Bedingungen der Jagd als auch ihre Art der
Durchführung können, ja müssen sich
einer ethischen Beurteilung stellen. Diese
ist angesichts der Auswüchse, denen sich
die Jägerschaft nicht immer mahnend und
einschränkend gegenübergestellt hat,
nach wie vor zwiespältig. Die auch in den
Teilen 2 und 3 genannte Weidgerechtigkeit sowie die in den diversen Jagdgesetzen genannten Einschränkungen garantieren keineswegs einen ethischen Umgang mit dem gejagten Wild. Die Auswüchse sind bekannt genug: reines
Trophäenjagen, Heranzüchten von Wildtieren, um eine möglichst große Abschussziffer zu erreichen, Zucht und Produktion von jagdbarem Wild, serienmäßiges Abschießen von Wild, Gatter
und Gehegejagden, Aufstellen von Fallen
und Ähnliches fallen eher in den Begriff
der „Pseudojagd“ und werden nicht allein
von den gegebenen gesetzlichen Bestimmungen des Jagdrechts, sondern auch
unter Gesichtspunkten der Ethik zu verurteilen sein.
Jagd – und darauf hat ORTEGA Y GASSET
mehrfach verwiesen – lässt sich weder
unter die Bedingungen eines Erfolgs für
den Jäger noch unter die des Erfolgs für
das entkommende Tier subsummieren.
Beides gehört entscheidend zu einem
Grundbegriff der Jagd, deren Ziel ja nicht
das Töten und Erlegen, sondern die Betätigung, das Jagen selbst, darstellt. Und
wenn ORTEGA Y GASSET gleichzeitig darauf verweist, dass das Entdecken und
Aufbringen des Tieres und nicht das
Erlegen als wesentlich für die Jagd angesehen werden muss, so befindet er sich
auf dem Weg zu jener – vor allem im
ethischen Sinn – Synthese zwischen einem
wie auch immer zu interpretierenden
3
Lust- und vielleicht auch Urerlebnis des
jagenden Menschen und einer Achtung
des Wildtieres. Dass die durch mannigfache technische Hilfsmittel errungene
Überlegenheit des Menschen von diesem
selbst eingebremst werden muss, ist nur
eine der geringen Anforderungen, die
man an eine jagdliche Ethik zu stellen
hat.
Es gilt – und dies wird in den folgenden
Abschnitten zum Ausdruck kommen,
auch eine rechte Mitte zu wahren: eine
solche zwischen einem Ausufern der
Jagdlust mit allen bekannten Folgeerscheinungen (man will Trophäen und
Ausbeute um jeden Preis) und einem Totalverzicht auf die Jagd als eine dem Menschen des 21. Jh. nicht mehr angemessenen Tätigkeit. Die folgenden Abschnitte
liefern jedenfalls grundlegende Überlegungen zu einer Jagdethik, die wie jede
Ethik nicht allein allgemeine Prinzipien
des Verhaltens aufzustellen versucht, sondern sich auch bewusst ist, wie viel in der
Selbstverantwortung des Einzelnen liegt.
4
n letzter Zeit häuft sich im deutschsprachigen Raum einmal mehr die gesellschaftliche Kritik an der Jagd. Das
Image der Jagd und der Jäger verschlechtert sich durch gewisse Aneignungsformen bzw. „jagdliche Tätigkeiten“, die
von der Gesellschaft nicht verstanden
oder vielfach sogar abgelehnt werden.
Dazu gehören Auswüchse der Jagd, die
durch eine Maximierung der Jagdstrecke
oder Trophäenstärke gekennzeichnet sind
oder bei denen Wildtiere auf eine Weise
getötet werden, die im heutigen Wertesystem als verwerflich angesehen wird.
Als Reaktion darauf haben ZEILER, 1996,
und FORSTNER et al., 2006, Rahmenbedingungen für eine Jagd beschrieben, die
diesem aktuellen Wertesystem entsprechen. In hierarchischen Ansätzen werden
dabei Prinzipien, Kriterien und Indikatoren einer nachhaltigen Jagd festgelegt;
mit dem Ziel, die Bedingungen für die
Ausübung der Jagd gesellschaftsfähig zu
erhalten. Gerade die Kritik an der Jagd in
der Vergangenheit hat aber auch gezeigt,
dass es zwingend notwendig ist, nicht nur
die Bedingungen für die Ausübung der
Jagd, sondern auch die Art der Durchführung zu definieren, um sich von den
genannten Auswüchsen inhaltlich deutlich abzugrenzen.
Der Begriff „Jagd“ ist im deutschen
Sprachgebrauch allgegenwärtig – nicht
nur im engeren Sinn, nämlich der Suche,
dem Nachstellen und Erbeuten von jagdbarem Wild. Das Wort- und Begriffsfeld
„Jagen“ gehört zu den auffälligen und
dominierenden Bildern unserer Selbstverständigung und Selbstauslegung. Als Metapher beherrscht die Jagd die Sprache der
Zeitungen, der Werbung und die Alltagssprache – sowohl die vulgäre als auch die
gebildete (LISSMANN, 2004). Es ist daher
wenig verwunderlich, dass der Begriff
„Jagd“ im engeren Sinn im deutschsprachigen Raum bislang zu wenig differenziert betrachtet wird. Die deutsche Sprache hat – z. B. im Gegensatz zum Englischen – keine eigenen Begriffe für verschiedene Stufen und Motive menschlicher Tierverfolgung hervorgebracht
(KALCHREUTER, 1977; PROSSINAGG,
1997).
Warum wir jagen, ist nicht der primäre
Gegenstand dieser hier dargestellten Betrachtungen. Es ist aber jedenfalls eine
I
Tatsache, dass Menschen seit Urzeiten
jagen. Und das auch offensichtlich mit
gleichbleibender Begeisterung, obwohl
die Notwendigkeit hinsichtlich Nahrungsbeschaffung dafür längst – seit der
Sesshaftwerdung vor etwa 10.000 Jahren
– nicht mehr gegeben ist.
Vor dem Hintergrund einerseits der philosophischen und evolutionsbiologischen
Betrachtung der Tierrechte und andererseits der in jüngerer Zeit wachsenden
Etablierung verschiedenster Nachstellungs- und Tötungsarten von jagdbarem
Wild, die oft ausschließlich kommerziell
motiviert sind und auch die Zucht bzw.
Produktion von jagdbarem Wild nach
landwirtschaftlichen bzw. industriellen
Methoden als Basis haben, ist eine begriffliche Differenzierung der „Jagd“ erforderlich, um in der Sachdiskussion, der
Medienberichterstattung und in der öffentlichen Meinungsbildung eine exaktere
Terminologie als bisher im deutschen
Sprachgebrauch zur Verfügung zu haben
und jagdähnliche Tötungsarten (Pseudojagd) entsprechend klar bezeichnen zu
können. Jedenfalls haben aus aktueller
Sicht für die Jagd ganz genauso ethische
Kriterien zu gelten als für jedes andere
menschliche Tun.
In dieser Arbeit versuchen wir – den Entwicklungen Rechnung tragend –, die wesentlichen Aspekte einer gesellschafts-fähigen Jagd zu Beginn des 21. Jahrhunderts
zu erfassen und die bislang sehr großzügige Auslegung des Begriffes Jagd wesentlich differenzierter zu sehen und auf
den Kern einzugrenzen.
Definitionen der
Weidgerechtigkeit und der Jagd
Wenn definitiv vom Begriff Jagd die Rede
ist, wird wohl am häufigsten der spanische
Philosoph ORTEGA Y GASSET zitiert. Er
fragt sich in seinem Buch „Meditationen
über die Jagd“ (ORTEGA Y GASSET, 1953),
das ursprünglich nur als Vorwort für ein
Jagdbuch des Grafen Yebes gedacht war:
„Was für eine verteufelte Beschäftigung
ist eigentlich die Jagd?“, um gleich darauf
eine umfassende, rund einhundertfünfzig
Buchseiten umfassende Antwort zu liefern. Einige wesentliche Passagen daraus:
„Die glückhafte Beschäftigung, die der
© WEIDWERK 2008
© WEIDWERK 2008
Foto Karl-Heinz Volkmar
normale Mensch am meisten geschätzt
hat, ist die Jagd.
Nachdem sie ihren Charakter als Lebensnotwendigkeit verloren hat (schon in der
jüngeren Steinzeit), wird die Jagd zum
Sport erhoben. Durch den Hinweis, dass
der Jagdsport fast allgemein den Charakter eines Vorrechts gehabt hat, wird offenbar, wie sehr die Jagd nicht nur Spaß
ist, sondern eine zwar vielleicht seltsame,
aber doch tief und dauernd im Wesen
des Menschen begründete Begierde.
Sport ist die Anstrengung, die aus Freude
an ihr selbst geleistet wird, und nicht um
des Ergebnisses willen, das diese Anstrengung erzielt. Bei der Jagd aus Nützlichkeitsgründen ist das wahre Ziel des Jägers
der Tod des Tieres. Alles Übrige ist reines
Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Den
Sportjäger interessiert primär nicht der
Tod des Tieres. Was ihn interessiert ist
alles, was er zuvor unternehmen muss, um
ihn zu erreichen – und das ist eben: jagen!
Man jagt nicht, um zu töten, sondern umgekehrt, man tötet, um gejagt zu haben.
Dass die Jagd ein Sport ist, ist für die Jagd
nicht entscheidend. Denn es gibt die rein
dem Nutzen dienende Jagd, die der
Mensch der Altsteinzeit ausübte und die
der Wilddieb zu aller Zeit ausübt. Diese
nicht sportliche Jagd ist aber nicht weniger
Jagd als die andere. Die Jagd lässt sich
nicht nach ihren besonderen Zwecken
definieren – Nützlichkeit oder Sport.
Ebenso wenig lässt sich die Jagd nach
ihren einzelnen Vorgängen bzw. nach
ihren verschiedenen Techniken definieren. Jede enthält gewisse allgemeine und
gemeinsame Voraussetzungen, die zum
wahren Wesen der Jagd gehören.
Das Töten ist nicht der ausschließliche
Zweck der Jagd. Es gibt Jagden, bei denen
es darauf ankommt, das Tier lebendig zu
jagen und sich seiner zu bemächtigen,
ohne es zu töten.
Der Mensch hat sich in dem Maße, in dem
die Waffe immer wirksamer wurde,
Beschränkungen gegenüber dem Tier auferlegt, um diesem seinen Spielraum zu
lassen, um Wild und Jäger nicht in ein gar
zu großes Missverhältnis zu bringen, wie
wenn das Überschreiten einer gewissen
Grenze in diesem Verhältnis den wesentlichen Charakter der Jagd zunichte
machte und sie in bloße Tötung ausarten
ließe. Die Jagd hört dort auf, Jagd zu sein,
Fällt eher in
den Bereich der
„Pseudojagd“:
Zucht und Produktion von Wild in
Kleingattern und
Gehegen, um
eine möglichst
starke Trophäe
zu erzielen ...
wo der Mensch seiner ungeheuren technischen, also rationalen Überlegenheit
über das Tier seinen freien Lauf lässt.
Die Jagd ist ein Geschehen zwischen zwei
Tieren, von denen das eine der handelnde
und das andere das leidende ist, eines der
Jäger und das andere das Gejagte. Wenn
das Gejagte auch bei der selben Gelegenheit Jäger wäre, so gäbe es keine Jagd.
Dann hätten wir einen Kampf. Der Kampf
ist eine reziproke Handlung. Die Jagd ist
unabänderlich eine Tätigkeit von oben
nach unten (in der zoologischen Hierarchie). Die Jagd endet damit, dass man sich
des Wildes, lebendig oder tot, bemächtigt.“
ORTEGA Y GASSET liefert in seinen
„Meditationen über die Jagd“ auch eine
Definition der Jagd:
„Jagd ist das, was ein Tier ausübt, um sich
eines anderen, lebendig oder tot, zu bemächtigen, das einer Gattung angehört,
die der eigenen vital unterlegen ist. Umgekehrt darf die Überlegenheit des Jägers
über das Wild nicht absolut sein, wenn
Jagd möglich sein soll.
Damit nun wirklich dieses bestimmte
Ereignis zustande kommt, das wir Jagd
nennen, muss das begehrte Tier seine
Chance haben, muss es grundsätzlich auch
entwischen können; das heißt, es muss
über Mittel von einiger Wirksamkeit verfügen, um der Verfolgung zu entgehen,
denn die Jagd ist genau betrachtet die
Reihe von Bemühungen und Geschick-
lichkeiten, die der Jäger aufwenden muss,
um mit ausreichender Häufigkeit über die
Gegenwirkungen des gejagten Tieres
Herr zu werden. Wenn es dies nicht gäbe,
wenn die Unterlegenheit des Tieres absolut wäre, so hätten die jagdlichen Fähigkeiten keine Gelegenheit, sich zu entwickeln, oder, was dasselbe ist, das eigentliche Faktum der Jagd existierte überhaupt
nicht.
Es ist für die Jagd nicht wesentlich, dass sie
erfolgreich ist. Im Gegenteil, wenn die
Anstrengungen des Jägers immer und
unfehlbar von Erfolg gekrönt wären,
dann wäre es keine jagdliche Anstrengung, sondern etwas anderes. Der Möglichkeit oder Chance auf Seiten des Wildes,
dem Jäger zu entkommen, entspricht auf
Seiten des Jagenden die Möglichkeit, ohne
Beute heimzukommen.
In der Jagd als Sport ist also ein ganz freier
Verzicht des Menschen auf die Überlegenheit seines Menschtums enthalten.
In Wirklichkeit ist die Jagd der Wettstreit
oder das Aufeinandertreffen zweier Systeme von Instinkten. Dazu ist es notwendig, dass diese Instinkte – nicht nur des
Jägers, sondern auch der Beute – frei
funktionieren.“
ORTEGA Y GASSET führt weiter aus:
„Eine gewisse Seltenheit des Wildes ist für
das Jagen wesentlich! Jagdbare Tiere sind
immer einigermaßen selten gewesen.
Wäre es im Überfluss vorhanden, müsste
man es nicht mühsam suchen! Es ist schon
5
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Aus der Ausstellung „Die Kunst der Jagd – auf der Pirsch in den Sammlungen des NÖ Landesmuseums“
ein Erfolg und ein seltenes Glück, wenn
man das Wild zu Gesicht bekommt. Wenn
es in unerschöpflicher Menge zur Hand
ist, braucht man sich auch keine Gedanken darüber zu machen, ob man beim
Töten oder Fangen Erfolg hat. Geht ein
Schuss einmal daneben, macht das nichts
aus, denn da ist schon die nächste Möglichkeit usw ...
Der erste Akt jeglichen Jagens besteht
darin, dass man das Tier entdeckt und
aufbringt. Bei indigenen [eingeborenen –
Anmerkung der Verfasser] Jägervölkern
der Gegenwart ist es üblich, dass nicht der
Erleger das beste Stück der Beute erhält,
sondern der, der es als erster entdeckte
und aufbrachte …
Als höchste Form der Jagd wird angesehen, wenn ein Jäger allein in den Bergen
das Wild sowohl ausmacht, wie verfolgt
und erlegt …
Wenn das Weidwerk übermäßig künstlich
geworden ist und seinen köstlichsten Reiz
verloren hat, nämlich die Waldeinsamkeit
und die Illusion, sich an Orten zu bewegen, wohin die Zivilisation nicht reicht,
so beschränkt sich das Jagen auf reizlose
Teilfunktionen: das Bergsteigen und das
Zielschießen!“
Der amerikanische Anthropologe MATT
CARTMILL widmet dem Thema Jagd ebenfalls umfangreiche Betrachtungen – veröffentlicht in einem Buch (CARTMILL,
1995). Er schreibt:
„Es steht außer Frage, dass die jetzige
Verfassung der Menschen den gestaltenden Einflüssen einer Lebensweise, zu der
die Jagd als ein Hauptbestandteil gehörte,
viel zu verdanken hat … Der Begriff der
Jagd ist eng: Zur Jagd reicht es nicht, dass
man loszieht und einfach das nächst beste
Tier tötet; überhaupt kommt dem Töten
von Tieren nur in sehr wenigen Fällen der
Rang des Jagens zu. Eine erfolgreiche Jagd
endet mit der Tötung eines Tieres, aber
es muss ein besonderes Tier sein, das auf
besondere Weise aus einem bestimmten
Grund getötet wird. Vor allen Dingen
muss das Opfer ein wildes Tier sein, eines,
das nicht zahm ist. Das gejagte Tier muss
zudem frei sein – das heißt in der Lage,
vor seinem menschlichen Angreifer zu
fliehen oder sich gegen ihn zu wehren.
Tiger im Zoo zu schießen, zählt nicht als
jagen. Die Methoden und Motive des
Jägers sind für die Definition des Jagens
Art und Weise der Aneignung des Wildes standen zu mancher Zeit im Widerspruch zu ethischen Werten (Carl Rudolf Huber: „Parforcejagd“)
ebenfalls wichtig. Bei der Jagd muss
Gewalt im Spiel sein. Man darf Elefanten
mit vergifteten Pfeilen schießen, aber
wenn man vergiftetes Heu auslegt, ist das
kein Jagen. Die tödliche Gewalt muss
direkt ausgeübt werden, nicht vermittelt
über eine Falle. Der Angriff des Jägers auf
die Beute muss mit Vorbedacht geschehen,
was gewöhnlich eine Zeit des Hetzens,
Pirschens oder Ansitzens verlangt. Schließlich muss die Tötung auf Initiative des
Jägers erfolgen. Ein Töten von Tieren, das
nicht alle diese Kriterien erfüllt, ist kein
Jagen, sondern etwas anderes: Fischen,
Fallenstellen, Schlachten, Vandalismus,
religiöses Opfer, Selbstverteidigung,
Schädlingsbekämpfung oder Überfahren
mit oder ohne Mordabsicht …
Wir definieren das Jagen somit als das
bewusste, direkte, gewaltsame Töten ungehinderter wilder Tiere; und wir definieren wilde Tiere in diesem Zusammenhang
als solche, die den Menschen scheuen oder
angreifen. Die Jagd ist somit per Definitionem eine bewaffnete Konfrontation
zwischen Menschsein und Wildsein,
zwischen Kultur und Natur. Weil sie ein
konfrontatives, vorbedachtes und gewaltsames Töten verlangt, stellt sie so etwas
dar wie einen Krieg der Menschheit gegen
das Wilde.“
In den gängigen Lexika finden sich im
Prinzip einander ähnelnde Definitionen
der Jagd. So kann man z. B. in MEYERS
Lexikon (MEYERS, 2008) folgende Definition finden: „Aufsuchen, Nachstellen,
Erlegen, Fangen jagdbarer Tiere durch
Jagdausübungsberechtigte. Heute gelten
© WEIDWERK 2008
© WEIDWERK 2008
Der Jagdprüfungsbehelf (STERNATH,
Hsg., 2006), das gängige Ausbildungsbuch für Jäger in Österreich, definiert
nicht explizit den Begriff Jagd, sondern
die „weidgerechte Jagdausübung“, und
versteht darunter „nicht nur die Befolgung
aller Bestimmungen des Jagdgesetzes,
sondern auch die Einhaltung der – regional manchmal unterschiedlichen – jagdlichen Bräuche, ferner die stete Bedachtnahme bezüglich der Auswirkungen jagdlichen Handelns auf das Wild sowie eine
den ethischen Grundsätzen entsprechende
Einstellung des Jägers zum Mitmenschen
und zum Tier. Weidgerechte Jäger jagen
ökologisch vertretbar und verwerten ihre
Beute sorgfältig und sinnvoll. Weidgerechte Jäger setzen ferme Jagdhunde ein.
Gelebter Natur- und Tierschutz stellt für
sie eine Selbstverständlichkeit dar.“ Weiters wird die Weidgerechtigkeit definiert:
„Weidgerecht jagen heißt: anständig jagen. – Die Weidgerechtigkeit ist die Moral
der Jäger. Sie misst mit strengeren Maßstäben und ist flexibler als das geschriebene Gesetz, welches sie ergänzt. Während das Gesetz Übertretungen mit Strafen ahndet, straft die Weidgerechtigkeit
mit Ächtung durch die Gemeinschaft der
Jäger bzw. durch das Gewissen.“
Zur Erklärung der Weidgerechtigkeit
wird als Beispiel die Beinaheausrottung
der amerikanischen Bisons herangezogen.
„Nach unserer heutigen Auffassung war
die Abschlachtung der Bisons allerdings
keine Jagd – von Weidgerechtigkeit schon
gar keine Spur. Es war zu einfach. Der
‚Erfolg‘ bedurfte weder besonderer Geschicklichkeit noch ausgefeilter Strategien,
heute kennzeichnende Merkmale für den
weidgerechten Jäger. Wer heute als weidgerechter Jäger gelten will, bei dem muss
das Wild schon eine Entkommenschance
haben“ (FINK et al., 1994).
Die Jagdverbände selbst geben sich mehr
oder weniger präzise und weitreichend
ausgeführte Leitbilder für eine weidgerechte Jagd vor. So findet sich etwa im
LEITBILD DER KÄRNTNER JÄGERSCHAFT
(2004) eine Definition der Weidgerechtigkeit, die gut als Beispiel für verschiedene
ähnliche Beschreibungen herangezogen
werden kann. In diesem Leitbild wird
vorweg festgestellt, dass Weidgerechtigkeit mit jagdlicher Ethik gleichzusetzen
ist. Das Leitbild der Kärntner Jägerschaft
verlangt die Jagdausübung nach den
Grundsätzen der Weidgerechtigkeit.
Ethische Werte im Sinne des Leitbildes
der Kärntner Jägerschaft sind: Verbundenheit mit der Natur; Verantwortung
gegenüber der Natur;
Respekt vor allen Lebewesen und Bekenntnis zur Erhaltung der Artenvielfalt in Flora und Fauna;
Bekenntnis zur Erhaltung wichtiger,
noch vorhandener Lebensräume sowie
Renaturierung verloren gegangener Biotope;
grundsätzliches Bekenntnis zur
Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der
jagdbaren Tiere; Bekenntnis zur Freude
an jagdlichen Aufgaben und Zielsetzungen;
Bemühen um Verständnis der
Zusammenhänge innerhalb des ÖkoSystems; Respekt vor ökologischen und
Jagdgatter: „Haltung und Mast wie bei landwirtschaftlichen Nutztieren ...“
Foto Wolfgang Radenbach
im Allgemeinen die Regeln des Jagdrechts
und des Jagdgebrauchs (Weidgerechtigkeit, fachsprachlich oft Waidgerechtigkeit). Wesentlicher Teil des Jagdrechts ist
die Hege. Jagdbar sind die im Jagdgesetz
so bezeichneten frei lebenden Tiere ... –
Jagdarten sind die ‚Suche‘ (auf Hasen,
Federwild und Kaninchen), das ‚Pirschen‘
(auf Schalenwild), der ‚Ansitz‘ und der
‚Anstand‘, die ‚Treibjagd‘ (Kesseljagd,
Drückjagd und Riegeljagd), die ‚Fangjagd‘ (von Raubwild), das ‚Graben‘ (von
Dachs und Fuchs), das ‚Frettieren‘ (von
Kaninchen), die ‚Beize‘ (mit Falken,
Adlern, Habichten und Sperbern) und die
‚Hüttenjagd‘. – Die Jagdausübung unterliegt aus Gründen des Wildschutzes und
der Weidgerechtigkeit vielfachen Beschränkungen. So ist die Verwendung bestimmter automatischer Waffen, künstlicher Lichtquellen, von Schlingen, Giften,
die Veranstaltung von Hetzjagden u. a.
untersagt. Die Jagd darf nur während der
Jagdzeiten ausgeübt werden, die [in
Deutschland – Anmerkung der Verfasser]
durch Verordnung vom 2. 4. 1977 generell, durch Bestimmungen der Länder in
Einzelfällen festgelegt sind.“
Die hier erwähnte „Weidgerechtigkeit”
ist durchaus nicht so alt wie vielfach angenommen wird. Der Begriff tauchte zwar
schon Ende des 19. Jahrhunderts gelegentlich in der Jagdpresse auf, war aber
beispielsweise in MEYERS Konversationslexikon von 1909 (MEYERS, 1909) noch
nicht enthalten. Erst nach dem 1. Weltkrieg setzte er sich allmählich durch.
Weidgerechtigkeit war aber von Anfang
an nicht klar definiert. Daran hat sich bis
heute nichts geändert, auch wenn es zahlreiche Deutungsversuche gegeben hat.
Der Begriff „Weidgerechtigkeit” wurde
im preußischen Jagdgesetz vom 18. Jänner 1934 erstmals in einem Gesetzestext
verwendet. Dieses Jagdgesetz war in nahezu unveränderter Form die Grundlage
für das am 3. Juli 1934 in Kraft getretene
Reichsjagdgesetz. Der Vorläufer des
Begriffs
„weidgerecht“
war
der
Ausdruck „weidmännisch“. Unter weidmännisch im ursprünglichen Sinn
verstand man aber nicht die Vermeidung
von Schmerzen für die Kreatur, sondern
den ideellen Erfolg und das fachgerechte
Handeln beim Jagen (WINKELMAYER,
1999).
7
8
einer ständigen Formung. Sie müssen
gelenkt und gestaltet werden, damit sie
wirklich zum Guten führen.“
Zur tierethischen Basis meint ROSENBERGER (2008): „In allen neuen Ansätzen
der Tierethik, die über den Empirismus
der utilitaristischen Herangehensweise
hinausreichen, die also im eigentlichen
Sinn ‚ontologische‘ oder ‚transzendentale‘
Ansätze sind, wird dem Tier ein ‚intrinsischer Wert‘, d. h. ein ‚Eigenwert‘ oder
auch eine ‚geschöpfliche Würde‘ zuerkannt. Denn das Tier ist ein eigenständiges ‚Subjekt eines Lebens‘, es hat als solches einen Wert, weil es eigene Fähigkeiten
und Möglichkeiten besitzt, es ist wertvoll,
weil es selbst Wertungen vollziehen kann
und bestimmte Dinge für sich als gut betrachtet, andere nicht, und es besitzt in
analogem Sinne so etwas wie Freiheit und
Autonomie.“
Die Wissenschafterin SIGRID SCHWENK
(SCHWENK, 1997) nimmt folgendermaßen
zu Jagd und Jagdethik Stellung:
„Jagdliche Ethik hat es primär mit den
Handlungsnormen gegenüber den dem
Jagdrecht unterliegenden frei lebenden
Tieren zu tun – im weiteren Sinn auch mit
den Handlungsnormen gegenüber der gesamten belebten und unbelebten Umwelt.
Jagdliche Ethik hat ebenso den jagenden
wie den nicht jagenden Mitmenschen –
also die Gesellschaft insgesamt – zu berücksichtigen. Jagdethik und Umweltverträglichkeit der Jagdziele und der Jagdmethoden werden über die Zukunft der
Jäger und der Jagd entscheiden …
Jagd in unserer Zeit bedeutet: Wild als
fundamentale natürliche Ressource zu
achten, Sorge zu tragen für die Erhaltung
oder Wiederherstellung geeigneter Habitate, Jagd als nachhaltige Bodennutzung
und als Ernte nachwachsender Ressourcen
zu verstehen …
Die nachhaltige Nutzung der Natur als
nachwachsende Ressource ist legitim. Die
unumstrittene Leidensfähigkeit jeglichen
jagdbaren Wildes darf nicht außer Acht
gelassen werden …
Strikt abzulehnen sind alle Praktiken, bei
denen Wild zu ,lebenden Schießscheiben‘
degradiert wird (etwa wenn Wild, z. B.
Fasane, Rebhühner, Enten, ausgesetzt
wird, um kurz darauf zur Vergrößerung
der Strecke erlegt zu werden). Problematisch scheint in diesem Zusammenhang
auch eine Reihe von Gatter- oder Gehegejagden zu sein ...
Jagd ist somit anzusehen als eine Summation von handwerklichem Können und
auf Erfahrung gegründetem Wissen (Jagdwissenschaft – Erfahrungswissenschaft) ...
Eine besonders wichtige Stellung im Jagdwesen und damit auch in der Jagdwissenschaft nimmt heute die nicht jagende Bevölkerung ein – denn die Gesellschaft ist
es, die entscheidet, ob und wie in Zukunft
gejagt werden kann.“
SCHWENK zitiert auch den IUCN-Beschluss, der erstmals in Perth/Australien
1990 gefasst wurde und ausdrückt, dass
die ethische, weise und nachhaltige Nutzung von wilden Arten eine alternative
und zusätzliche Art der produktiven
Landnutzung darstelle und zugleich
Naturschutz bedeuten könne, wenn sie in
Übereinstimmung mit adäquaten Sicherheitsvorkehrungen vor sich gehe, und
unter dem Titel „Methoden des Fangs
und/oder des Erlegens von Erd- oder
halb-aquatischen Tieren“ wird ausdrücklich festgestellt, dass die nachhaltige Nutzung von Tieren für menschliches Wohlergehen mit der Welt-Naturschutz-Strategie in Einklang stehe. Es müssen die
Tiere dabei auch vor Grausamkeiten
und vermeidbaren Schmerzen geschützt
werden.
Die Wildbiologin KAROLINE SCHMIDT
(SCHMIDT, 2007) definiert zwar nicht, was
sie unter Jagd versteht, charakterisiert
Johann Elias Ridinger:
„Der Edle Hirsch“, 1768
Aus den Sammlungen des NÖ Landesmuseums
kulturellen Werten. Jagdliche Ethik bedeutet für die Kärntner Jägerschaft auch:
sich laufend Wissen über die Natur und
ihre Zusammenhänge anzueignen; sich
weiterzubilden und den jeweiligen Stand
des Wissens bestmöglich umzusetzen;
Nutzung jagdbarer Tiere auf Basis der
Bestandeserhaltung;
Definition des
Hegebegriffes in Richtung Lebensraumgestaltung bzw. -verbesserung; dass die
Pflanzenwelt durch Überhege von Wild
nicht gefährdet werden darf; Fütterung
grundsätzlich nur in der Notzeit;
die
fachgerechte und gesetzeskonforme Verwertung des Wildbrets; die regelmäßige
Überprüfung der eigenen Schießfertigkeit,
der technischen Funktionstüchtigkeit der
Jagdwaffen und deren sichere Handhabung; das Bewusstsein um die Leidensfähigkeit des Tieres und die Verantwortung, diesem unnötige Qualen zu ersparen;
die Verfügbarkeit ausgebildeter
Jagdhunde;
die Beachtung aller jagdlich relevanter Vorschriften und Gesetze;
Höflichkeit, Toleranz und Respekt gegenüber den Mitjagenden und Jagdnachbarn.
Eine interessante theologische Auseinandersetzung mit dem Begriff Weidgerechtigkeit bietet ROSENBERGER (2008). Er
ortet prinzipiell ein Vakuum an jagdethischen Reflexionen, das er in einem
„Erstversuch“ zu füllen beginnt und hält
es in diesem Zusammenhang für eine
echte Schande, dass seine theologischen
und philosophischen KollegInnen es bisher nicht für nötig gehalten haben, eine
Jagdethik zu entwerfen. Jagdliches Tun
ist seiner Ansicht nach nicht beliebig oder
neutral, sondern enthält Momente, die
nur dann für richtig befunden werden
können, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen. Und genau die Bestimmung solcher
Kriterien ist Aufgabe der Ethik. Er stellt
auch Überlegungen über das Lustvolle an
der Jagd an: „Mehr als viele andere Betätigungen des Menschen scheint es der Jagd
eigen zu sein, dass sie im Jagenden starke
Emotionen hervorruft und große ,Lust‘
erzeugt. Das ist keineswegs schlecht oder
verwerflich, im Gegenteil: Wenn jemand
sein Handwerk mit Freude tut, ist das
grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings gilt
es, die Aspekte der Lust oder Freude ehrlich wahrzunehmen. Denn gerade Emotionen bedürfen im moralisch guten Leben
© WEIDWERK 2008
© WEIDWERK 2008
Aus den Sammlungen des NÖ Landesmuseums
aber trotzdem sehr gut, worum es dem
Jäger eigentlich geht: um die ehrlich erbeutete Trophäe – oder zumindest um
den Anschein einer solchen! Sie schreibt:
„Perverse Auswüchse in der Züchtung
von Trophäen gelten vielen als Argument
gegen die Jagd. Freilich, diese Auswüchse
gibt es. Hier wie dort. ,Canned hunting‘
– Dosenjagd – nennt man es im Englischen
treffend. Auch bei uns werden Hirsche gestopft, damit ein Gstopfter sie ausstopfen
kann. Die moralische Entrüstung über einen als freilebendes Wildtier verkauften,
jedoch im Gatter gezüchteten Hirsch war
groß [Abschuss eines in Österreich gezogenen, handzahmen, höchst kapitalen
Hirsches in Bulgarien; Anmerkung der
Verfasser]. Betrug! Betrug? Das Geweih
war echt. Betrug, weil der Hirsch ganzjährig im Gatter gefüttert worden war?
Machen denn drei Monate einen so großen
Unterschied? Viele der Hirsche, die in
unseren heimischen Revieren von stolzen
Jägern als Freilandhirsche erlegt werden,
werden drei Viertel des Jahres gefüttert,
innerhalb und außerhalb von Umzäunungen, zum Schutz des Waldes, zum
Wohl von Wild und Jäger. Linsentrübung
im Zielfernrohr? Was die Jäger empört, ist
der Verlust der Illusion, wildes Wild zu
erlegen, wildes Wild, das die Trophäe ja
erst wertvoll, weil ehrlich macht. Es erfordert neben einer Portion Glück auch körperlichen und geistigen Einsatz, um altes
und daher überlebensgeschultes Wild zu
erlegen. Eine solche Trophäe ist dann ein
ehrlicher Ausweis dieser Fähigkeiten.
Aber schwindeln wir nicht alle gern?“
Weiters führt sie aus: „Wer sich aber für
Arten- und Naturschutz stark macht,
sollte rational argumentieren. Weder die
Einstellung der Jagd noch eine gut geregelte Bejagung werden großräumig und
langfristig Rückgang oder auch Zunahme
von Wildtieren beeinflussen können. Im
riesigen Gefüge der Natur pfuschen und
stümpern wir nur alle ein wenig herum
und beruhigen unser Gewissen. Was aber
nottut, ist nicht, unsere Position zu halten,
sondern die Vor- und Nachteile unserer
Entscheidungen und Handlungen für die
betroffenen Tierarten zumindest kleinräumig und kurzfristig abzuwägen.“
Auch in diesem Absatz definiert SCHMIDT
nicht explizit, was sie unter Jagd versteht,
relativiert jedoch den langfristigen Ein-
Friedrich Gauermann: „Von einer Hundemeute gehetzte Bären“, 1835
fluss der Jagd auf Wildtierpopulationen
und versachlicht so ganz allgemein die
Diskussion über die Jagd.
Als einer der profundesten Kenner der
österreichischen Jagdgeschichte gilt HERMANN PROSSINAGG. Auch er beschäftigte
sich intensiv mit der Frage: „Was ist
überhaupt ,Jagd‘?“ und führt dazu aus:
„In der deutschen Sprache haben wir
Schwierigkeiten mit dem Begriff ‚Jagd‘.
Obwohl diese Bezeichnung zum sprachlichen Gemeingut zählt , wird der Sinngehalt des Wortes in der breiten Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Abschuss
gleichgesetzt, ohne die weiteren Aufgaben
hinzuzuzählen, wie sie sich gegenwärtig
im Jagdwesen einbürgern und in der Gesetzgebung gefordert werden. Erst in den
letzten Jahren scheinen die erweiterten
Funktionen der Jagd in Nachschlagewerken und Wörterbüchern auf. Während
der Volks-Brockhaus, Ausgabe 1931, die
Jagd nur als ‚weidgerechtes Erlegen des
Wildes, auch uralter Sport‘ bezeichnet,
werden in Meyers Lexikon, Ausgabe 1994,
die ursprünglichen Merkmale der Jagd,
nämlich das ‚Aufspüren, Verfolgen und
Erlegen von Wild durch Jäger‘ bereits mit
dem Satz ergänzt: ‚Durch Abschuss von
kranken und schwachen Tieren sowie
durch Populationsregulierung wird die
Jagd zur Hege‘. Auch im Universallexikon des Compaktverlages München aus
dem Jahre 1994 wird die Jagd als ,weidgerechtes Verfolgen, Erlegen, Fangen und
Hegen‘ von frei lebendem Wild definiert.
Der Jagdhistoriker Kurt Lindner hat noch
vor zehn Jahren in der Jagd allein ‚die bewusste Verfolgung des Wildes, in der Regel auf das Töten ausgerichtet‘ und darin
etwas ‚spezifisch Menschliches‘ gesehen,
weil im Gegensatz zum Tier der Mensch
Geräte benutzt, um seine Beute zu fangen
oder zu erlegen, während das Tier seine
Beute selbst verfolgt oder befällt und zur
Deckung des Nahrungsbedarfes tötet.
Das deutsche Wort ‚Jagd‘ wird abgeleitet
vom ‚Jagen‘, vom ‚Nachjagen‘ (etwa vom
Pferd aus) und damit kann man alles und
noch viel mehr assoziieren, was dem Uneingeweihten oft Anlass zu Missverständnissen und falschen Auslegungen bietet.
9
Foto Helmut Ctverak
Eine nachhaltige Nutzung von Tieren für menschliches Wohlergehen steht
mit der Welt-Naturschutz-Strategie in Einklang
Die englische Sprache ist hier exakter, weil
man mit ‚hunting‘ (die Jagd hinter der
Hundemeute), ‚trapping‘ (die Fallenjagd),
‚sport‘ (die Jagd auf Flugwild, wo es auf
die Treffsicherheit ankommt) oder ‚stalking‘ (der Abschuss aus dem Verborgenen,
etwa von einem Ansitz aus) die eigentliche
Tätigkeit korrekter zum Ausdruck bringen kann. Der ausübende Jäger sucht
bei der Jagd Spannung und Entspannung
und lässt echte Freude daran erkennen. Er
sieht sich weder als ‚Wildregulator‘ noch
als ‚Samariter‘ der Tierwelt, der nur
krankes oder altes Wild erlegt; er will die
Erregung des Jagderfolges voll auskosten
und dabei seine eigene Findigkeit beim
Überlisten des vorsichtigen Wildes auf die
Probe stellen, ohne sich vordergründig
mit dem Heiligenschein des Naturbewahrers zu ‚schmücken‘.
Durch den ansteigenden Wohlstand und
den sozialen Aufstieg breiter Bevölkerungsschichten nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Jäger und der
Jagdkartenbesitzer und damit auch die
der ‚revierlosen Jäger‘ stark zu. Das Bestreben, Jagdgelegenheiten zu bekommen,
wurde zum Wettstreit, und dabei kamen
meist die finanziell potenteren Jäger ‚aus
der Stadt‘ und später auch aus dem
Ausland als neue Jagdpächter zum Zug,
während die bisher Jagdberechtigten,
darunter vielfach die Ortsansässigen, das
10
Nachsehen hatten. Durch die Teilung
größerer Jagdgebiete in kleinere Reviere
konnten mehr Jagdpächter ‚untergebracht‘ werden, die Anzahl der Jagdreviere nahm ständig zu.“ (PROSSINAGG,
1997)
PROSSINAGG beklagt hier auch, dass bei
Wild die „Mast wie bei landwirtschaftlichen Nutztieren“ um sich greift und
dass die Häufigkeit des Vorkommens
„kapitaler Trophäen“ zum Gütezeichen
der Reviere wurde. Über die Jagd als
Sport schreibt er:
„Die mitteleuropäische Jagdkultur kennt
keinen ‚Jagdsport‘, und auch nach den
üblichen Merkmalen, welche die Jagd bei
uns auszeichnen, ist die Jagd kein ,Sport‘
im Sinne einer spielerischen körperlichen
Aktivität, eines Wettkampfes oder eines
Vergleichsstrebens um beste Leistungen.
Nur der ‚Schießsport‘, wie etwa das Tontaubenschießen, ist auch nach jagdlichem
Begriffsverständnis ein echter ‚Sport‘ – hat
aber mit Jagd nichts zu tun. Genauso wird
auch der ‚Schießsport‘ auf lebende Tiere,
von einigen besonders geschickten Schützen auf Flugwild aus Brutanstalten oder
auf Zugvögel ausgeübt, nicht nur von
Tierschützern, sondern auch vom Großteil der Jägerschaft strikt abgelehnt und
nicht als ‚Jagd‘ anerkannt. Jene Schützen,
die Spaß daran haben, möglichst viele
Vögel, die aus Volieren ausgelassen oder
während der Migration gekonnt vom
Himmel geholt werden, sollten ihre
Schießfertigkeit nicht als ‚Jagd‘ bezeichnen, um nicht die übrigen Jäger, die dieses
Vorgehen strikt ablehnen, zu diskreditieren.
In den vergangenen Jahrhunderten haben
die Angehörigen des Feudaladels das
‚Schießen auf lebende Ziele zur Anhebung der Schießfertigkeit‘, etwa bei Wildfütterungen, auch nicht als ‚Jagd‘, sondern
– richtigerweise – als ‚Abschießung‘ bezeichnet.
Wer es sich leisten kann, erlegt heute
hochkapitales Wild im Ausland, oder er
nimmt an Jagdreisen teil, um möglichst
viele Trophäen des Großwildes aus aller
Welt bei sich ausstellen zu können. Dieses
‚Trophäensammeln‘ von exotischem Wild
ist aber nicht ‚Sache der Jägerschaft‘ und
hat auch mit der ‚Jagd‘ im engeren Sinn
des Wortes nichts zu tun, sondern ist kostspielige Liebhaberei.
Jagd als angewandter Trophäenkult: Von
den Jägern wird immer noch die Erbeutung starker Trophäen bzw. einer
möglichst großen Zahl an Niederwild als
wichtigster Maßstab für erfolgreiches Jagen gewertet.“
In dem Buch „Kaiserliche Jagdreviere“
(PROSSINAGG
und
HAUBENBERGER,
2007) wird nochmals der Begriff „Abschießung“ angeführt und auch von
„jagdlicher Belustigung“ gesprochen:
„Anlässlich der Hochzeit von Kaiser Leopold I. (1658–1705) im Jahre 1666 mit
Margarethe, der erbberechtigten Prinzessin von Spanien, gab es im Wiener Prater
eine Prunk- und Schaujagd, derartigen
Ausmaßes, wie man sie bis dahin noch
nie erlebt hatte. Das ‚Eingestellte
Jagen‘, der massenweise Abschuss war
beliebt und entsprach dem Zeitgeist. So
viel zusammengetriebenes Wild hatte
man bis dahin noch nicht gesehen und
somit auch noch nie eine derartige
‚jagdliche Belustigung‘, wie man das
damals bezeichnete. Als ‚Bild-Berichterstatter‘ wurde der Künstler Melchior
Küsell engagiert, um der Nachwelt diese
‚Abschießungen‘ anschaulich zu erhalten.“
© WEIDWERK 2008
Foto Helmut Ctverak
Jagd und Gesetz
Die Zentralstelle Österr. Landesjagdverbände, ein Zusammenschluss aller
neun österreichischen Landesjagdverbände, gibt auf ihrer Website dazu bekannt:
„Grundlage des Jagdrechts in Österreich
ist das Bundesverfassungsgesetz (B-VG
1920). Nach den Bestimmungen der österreichischen Verfassung ist Jagd ‚Landessache‘. Daher gibt es auch in jedem der
9 Bundesländer ein eigenes Landesjagdgesetz. Ein ‚Bundes-Rahmengesetz‘ für
Jagdwesen gibt es in Österreich nicht.
Österreichs Jagdwesen stützt sich sohin
auf 9 Landesjagdgesetze und 9 dazugehörige Durchführungsverordnungen.
In Österreich gibt es ein Reviersystem,
das andere Personen als die Inhaber
des Jagdausübungsrechts von jagdlichen
Tätigkeiten oder Aneignungen im jeweiligen Jagdrevier (Jagdgebiet) ausschließt.
Jagdrecht ist in Österreich untrennbar mit
dem Eigentum an Grund und Boden verbunden. Von diesem Grundsatz gibt es
keine Ausnahmen. Das Jagdrecht enthält
aber nicht zwingend das Recht zur Jagdausübung. Dieses Jagdausübungsrecht hat
der Eigentümer von Grund und Boden
nur dann, wenn er die sogenannte ‚Eigenjagdberechtigung‘ besitzt. Diese wird ihm
in der Regel dann zugesprochen, wenn er
einen zusammenhängenden Grundbesitz
von mehr als 115 ha (in manchen Bundesländern gelten andere, höhere Mindestgrößen) an Grundfläche aufweisen kann.
Er kann dieses Eigenjagdgebiet selbst
bejagen, wenn er eine Jagdkarte besitzt,
sonst muss er dieses Jagdgebiet verpachten
oder verwalten lassen. Grundstücke, die
nicht zu Eigenjagden gehören, werden
den sogenannten Genossenschaftsjagdgebieten zugerechnet. Jede Gemeinde
Österreichs bildet aus allen ‚nicht zu
Eigenjagden gehörigen Grundflächen‘
das jeweilige Genossenschaftsjagdgebiet
dieser Gemeinde. Solche Genossenschaftsjagdgebiete müssen zwingend verpachtet
werden, in all diesen Fällen sind dann die
Pächter die Jagdausübungsberechtigten.
Die Grundeigentümer erhalten für ihr
verpachtetes Jagdrecht Ersatz in Geld.
Der Jagdausübungsberechtigte ist der
Träger aller Berechtigungen und Verpflichtungen bezüglich der Jagd im jewei-
© WEIDWERK 2008
Mit dem Jagdrecht ist die Berechtigung und Verpflichtung verbunden, das
Wild unter Rücksichtnahme auf die Land- und Forstwirtschaft zu hegen,
damit sich ein artenreicher und gesunder Wildstand entwickeln kann
ligen Eigenjagdgebiet oder Genossenschaftsjagdgebiet (Jagdrevier).
Ein Jagdgebiet kann von einer Person
gepachtet werden. Mehrere Personen
können sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammenschließen, die den
Zweck hat, ein Jagdgebiet zu pachten
(Jagdgesellschaft). Wer ein Jagdgebiet
pachten will, muss eine gültige Jahresjagdkarte besitzen und schon über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren eine Jagdkarte in Österreich besessen haben.
Die Hege hat zum Ziel: einen gesunden
und artenreichen Wildstand zu erhalten,
dabei aber gleichzeitig auf die Interessen
der Land- und Forstwirtschaft Rücksicht
zu nehmen. Die Jagdausübung und die
Wildhege haben so zu erfolgen, dass die
Erhaltung des Waldes und seiner Wirkungen nicht gefährdet wird. Die Hege ist
sowohl Berechtigung als auch Verpflichtung.“
Auch das Niederösterreichische Jagdgesetz 1974 i. d. g. F. enthält z. B. in seinen
allgemeinen Bestimmungen keine Definition des Begriffes Jagd, wohl aber solche
über Begriffe, wie Jagdrecht, Hege, Weidgerechtigkeit und Jagdwirtschaft:
„§ 1 – Begriff des Jagdrechtes: (1)
Das Jagdrecht besteht in der ausschließlichen
Befugnis,
innerhalb
eines
bestimmten Jagdgebietes dem Wild
nachzustellen, es zu fangen, zu erlegen
und sich anzueignen; es umfasst ferner
die
ausschließliche
Befugnis,
sich
verendetes Wild, Fallwild, Abwurfstangen sowie die Eier des Federwildes
anzueignen.
(2) Das Jagdrecht unterliegt den Beschränkungen dieses Gesetzes.
§ 2 (1) Mit dem Jagdrecht ist die Berechtigung und Verpflichtung verbunden, das
Wild unter Rücksichtnahme auf die Interessen der Land- und Forstwirtschaft zu
hegen, damit ein artenreicher und gesunder Wildstand sich entwickeln kann und
erhalten bleibt. Die Jagdausübung
und die Wildhege haben insbesondere so
zu erfolgen, dass die Erhaltung des Waldes
und seiner Wirkungen nicht gefährdet
wird.
(2) Die Jagd ist in einer allgemein
als weidgerecht anerkannten Weise und
unter Beobachtung der Grundsätze
einer geordneten Jagdwirtschaft auszuüben.“
11
Diskussion
Die gängigen Jagdrechtsbestimmungen
im deutschsprachigen Raum definieren in
erster Linie den Begriff des Jagdrechts. Sie
sagen aber wenig über die Art des Nachstellens, Verfolgens, Fangens, Erlegens
und sich Aneignens von jagdbarem Wild
aus, das seinerseits aber wieder genau in
den Jagdgesetzen definiert ist. Somit kann
zumindest abgeleitet werden, dass das
Töten von Haustieren (oder Kreuzungen
12
Foto Unterweger
Foto Klaus Schneider
Der Wiener Landesjagdverband wird
hinsichtlich des Begriffes „Jagd“ konkreter. Er veröffentlicht auf seiner Website Folgendes:
„Jagd ist eine der ältesten Formen von
Ressourcen-Nutzung, neben dem Sammeln gleichsam die Urform überhaupt.
Jedoch haben sich im Laufe der Geschichte
sowohl die jagdlichen Rahmenbedingungen als auch die Einstellungen der
Gesellschaft zum Thema Jagd tiefgreifend
verändert.
Das Wiener Landesjagdgesetz definiert
Jagd wie folgt: „Die Jagd ist ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen
Volkswirtschaft und gründet sich auf das
Jagdrecht. Das Jagdrecht ist das ausschließliche Recht, in einem bestimmten
Jagdgebiete den jagdbaren Tieren nachzustellen, sie zu verfolgen, zu fangen, zu
erlegen und sich anzueignen; es umfasst
ferner das ausschließliche Recht, sich Fallwild, verendetes Wild, Abwurfstangen
sowie Eier des Federwildes im Jagdgebiete
anzueignen.“
Auch im österreichischen Bundestierschutzgesetz (BGBL 118/2004) i. d. g. F.
kommt der Begriff Jagd vor, wenngleich
vor allem hinsichtlich einer Abgrenzung,
was nicht als Ausübung der Jagd gilt:
„§ 3. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für alle
Tiere.
(4) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für die
Ausübung der Jagd und der Fischerei.
Nicht als Ausübung der Jagd oder der
Fischerei gelten:
1. die Haltung und Ausbildung von
Tieren, die zur Unterstützung der Jagd
oder der Fischerei eingesetzt werden,
2. die Haltung von Tieren in Gehegen zu
anderen als jagdlichen Zwecken,
3. die Haltung von Fischen zu anderen
Zwecken als der Fischerei.“
Bei kurz vor
der „Jagd“
ausgesetzten
Volierenfasanen muss von
„lebenden Zielscheiben“
gesprochen
werden. –
Pseudojagd?
Bei gutem, natürlichem Fasanbesatz macht die Jagd
ehrliche Freude
zwischen Wild- und Haustieren), auch
wenn dies jagdähnlich erfolgt, keine Jagd
ist. Keine Jagd im Sinne des Jagdgesetzes
ist z. B. in Österreich derzeit auch das
Töten von Bibern, da diese dem Naturschutzgesetz unterliegen und daher keine
jagdbaren Wildtiere sind. In anderen Ländern und theoretisch auch in Österreich
kann das Nachstellen von Bibern jedoch
Jagd im philosophischen Sinne sein.
Andererseits gilt aber z. B. das Töten von
ausgesetztem Wild in Form von lebenden
Zielscheiben (vor allem Fasane, Wildenten
oder Rebhühner aus Aufzuchtvolieren)
und das von Gatterwild – auch wenn
es erst vor kurzer Zeit ins Jagdgatter 1)
eingebracht und vorher als Farmwild 2)
gehalten wurde – rein jagdrechtlich uneingeschränkt als Jagd, da diese Vorgangsweisen derzeit gesetzeskonform möglich
sind. Seitens der Jagdgesetze ist also keine
über die normative Regelung hinausgehende Definition des Begriffes Jagd
gegeben und derzeit wohl auch nicht zu
erwarten.
Auch die Österreichische Tierschutzgesetzgebung definiert nicht, was unter Jagd
zu verstehen ist, sondern nur, welche
Tierhaltungsformen nicht als Ausübung
der Jagd zu sehen sind. Wird
Farmwild, dessen Haltung nach dem
Tierschutzrecht nicht als Ausübung
der Jagd zu sehen ist, in ein Jagdgatter
oder in die freie Wildbahn ausgebracht,
was nicht selten erfolgt, mutiert es
zu jagdbarem Wild (nach dem Jagdgesetz,
da das Tierschutzgesetz in diesem
Fall nicht mehr anzuwenden ist). Eine
Unterscheidung gegenüber jenen Tieren,
1)
Def. VO-EG 853/2004: „frei lebendes Wild“ –
frei lebende Huf- und Hasentiere sowie andere Landsäugetiere, die für den menschlichen Verzehr gejagt
werden und nach dem geltenden Recht des betreffenden Mitgliedstaats als Wild gelten und in einem
geschlossenen Gehege unter ähnlichen Bedingungen
leben wie frei lebendes Wild.
2)
„Farmwild“, Zuchtlaufvögel und andere als die
in Nummer 1.2 genannten Landsäugetiere aus Zuchtbetrieben (1.2. „Huftiere“ Haustiere der Gattungen
Rind (einschließlich Bubalus und Bison), Schwein,
Schaf und Ziege sowie als Haustiere gehaltene Einhufer).
© WEIDWERK 2008
© WEIDWERK 2008
in vielfältiger Weise die Grausamkeiten
vor allem der Gesellschaftsjagden dokumentiert: ausgesetzte Zuchttiere, durch
Fütterung erzeugte Überpopulationen,
langsamer Tod angeschossener Tiere: ‚notwendige‘ Jagd? Durch die Jagd sterben
jedes Jahr eine Million Tiere in Österreich! Die Mehrheit davon stirbt langsam
und auf unglaublich grausame Weise und
ein gutes Drittel dieser Tiere wird extra
für die Jagd in massenhaltungsähnlichen
Einrichtungen gezüchtet und kurz vor
dem Abschuss freigesetzt.“ Und weiter ist
zu lesen: „Eine Reihe von Jagdgesell-
schaften bietet extra gezüchtete Wildschweine zum teuren Abschuss an. Aber
um die gezüchteten Tiere nicht etwa aus
dem Jagdrevier zu verlieren, treibt und
schießt man die Tiere gleich im eingezäunten Gatter.“
Dennoch darf nicht übersehen werden,
dass eine Reihe von Personen sich grundlegende Gedanken gemacht hat, was als
Jagd zu bezeichnen ist und was nicht,
und dies auch publiziert hat. Dies wurde
und wird nur bislang zu wenig gelesen
bzw. beachtet. Das mag einerseits daran
liegen, dass die jeweiligen Definitionen
Jagd und Wild waren auch in der Kunst immer wieder ein Thema, z. B. bei
Friedrich Gauermann: Ölgemälde „Hirsch, von einem Luchs verfolgt“ (1831)
Foto NÖ Landesmuseum
die immer in freier Wildbahn gelebt
haben, ist rechtlich nicht vorgesehen.
Aufgrund dieser Rahmenbedingungen
bezeichnen derzeit die Öffentlichkeit, die
Presse, die Tierschutzgruppierungen und
die sogenannten Jagdgegner jegliche
Tötungsform von Wildtieren durch Jäger
undifferenziert als Jagd – nicht einmal die
nahe liegende Bezeichnung „Pseudojagd“
wird verwendet. So ist z. B. in der Zeitschrift des Österreichischen Tierschutzvereins (ANONYM, 2008) folgende Schlagzeile zu lesen: „Wiens Nobeljäger deklarieren sich als Lusttöter.“ In der Folge
wird berichtet, dass ein Jagdklub nach
Tschechien reiste, um dort auf Fasane
zu „ballern“, die unmittelbar vorher in
Kisten auf einem Lkw herangeschafft
wurden. Sobald die Fasane die Kisten verlassen hatten, war die gesamte Gewehrsalve auf sie gerichtet. Die Chance auf ein
Überleben war gleich Null – wird weiter
berichtet. Typisch für derartige Berichterstattung ist auch der Satz: „Andächtig
verweilte die gut betuchte Jägerschaft
nach dem Gemetzel vor den Tierleichen
und lobte sich der weidgerechten und
erfolgreichen Jagd.“ Unabhängig vom
Wahrheitsgehalt dieser Darstellung ist
diese Form der „jagdähnlichen Fasanentötung“ aus unserer Sicht abzulehnen und
daher auch nicht als Jagd zu bezeichnen,
sondern korrekterweise in Anlehnung
an die Diktion des Tierschutzrechts als
Veranstaltung. Diese Tötungspraxis anzuprangern, ist aus ethischer Sicht absolut
legitim. Dass in diesem Zusammenhang
allerdings unreflektiert dafür der Begriff
„Jagd“ verwendet wird, ist höchst diskussionswürdig und reformbedürftig,
und zwar ungeachtet dessen, dass im vorhin zitierten Fall der Begriff „Jagd“ für
dieses Geschehen von den Schützen selbst
gewählt wurde. Offensichtlich täuschen
sich so manche Jäger/Schützen gerne
selbst, indem sie für ihr Töten von z. B.
zum Abschuss eigens produziertem Flugwild oder für das Abschießen von Schalenwild in völlig überfüllten Jagdgehegen
(Jagdgattern) den Begriff Jagd verwenden,
statt richtigerweise Veranstaltung.
In die gleiche Kerbe schlagen die Tierschutznachrichten (Aktiver Tierschutz
Steiermark, 2008), wenn sie unter dem
Titel „Die Jagd in Österreich“ berichten:
„TierschützerInnen haben letzten Herbst
13
der Jagd nicht vollständig übereinstimmen, andererseits auch daran, dass im
deutschen Sprachgebrauch für „jagdähnliche Tötungsformen“ keine definierten
Begriffe zur Verfügung stehen (KALCHREUTER, 1977, und PROSSINAGG, 1997).
SCHWENK (1994) legt bei ihrer Interpretation dessen, was Jagd in unserer Zeit
bedeutet, noch den Schwerpunkt darauf,
Wild als fundamentale natürliche
Ressource zu achten, Sorge zu tragen für
die Erhaltung oder Wiederherstellung
geeigneter Habitate, Jagd als nachhaltige
Bodennutzung und als Ernte nachwachsender Ressourcen zu verstehen. Wie
und auf welche Weise dann tatsächlich
„gejagt“ wird, macht sie nicht zum
Gegenstand ihrer Betrachtungen. Wohl
aber lehnt sie strikt all jene Praktiken
ab, bei denen Wild zu „lebenden Schießscheiben“ degradiert wird – etwa wenn
z. B. Fasane, Rebhühner oder Enten ausgesetzt werden, um kurz darauf zur
Vergrößerung der Strecke erlegt zu
werden. Problematisch scheinen ihr auch
diverse Gatter- oder Gehegejagden zu
sein.
ORTEGA Y GASSET (1953) grenzt dagegen
sehr genau ab, was er nicht unter Jagd
versteht. Es sind dies all die Situationen,
in denen jeweils das zu jagende Wild nicht
extra aufgespürt werden muss, in denen
es zu häufig vorkommt oder keine ent-
sprechende Scheu vor dem Menschen –
oder Angriffslust gegenüber dem Menschen – hat, in denen es nicht fliehen kann,
bei denen die menschliche bzw. technische Überlegenheit des Jägers zu groß
ist und bei denen der Jäger nicht unmittelbar handelt. Als höchste Form der Jagd
sieht er an, wenn ein Jäger allein in den
Bergen das Wild sowohl ausmacht, verfolgt und erlegt. Wie die anderen Handlungen zu benennen sind, die auch das
sich Bemächtigen eines Wildtieres oder
dessen Tötung zum Ziel haben, sagt er
nicht. Er erklärt lediglich, dass dann,
„wenn das Weidwerk übermäßig künstlich geworden ist und seinen köstlichsten
Reiz verloren hat, nämlich die Waldeinsamkeit und die Illusion, sich an Orten zu
bewegen, wohin die Zivilisation nicht
reicht, sich das Jagen auf reizlose Teilfunktionen beschränkt: das Bergsteigen
und das Zielschießen!“ Dabei hilft er der
Diskussion insofern weiter, als er somit
postuliert, dass die Jagd nach seiner Definition aus verschiedenen Teilfunktionen
besteht. Fehlt (Fehlen) eine (oder mehrere) wesentliche Teilfunktion(en), dann
reduziert sich die Tätigkeit eben wie in
dem angeführten Beispiel auf „Bergsteigen“ und „Zielschießen“. In dieselbe
Kerbe schlägt auch SCHMIDT (2007), wenn
sie davon spricht, dass das Ziel des Jägers
wohl die ehrliche Trophäe ist, wenngleich
Aus den Sammlungen des NÖ Landesmuseums
„Jagd auf Wachteln“
(Aus dem Jagd-Album von Josef Anton Strassgschwandtner)
14
hier auch das Schwindeln, der Selbstbetrug breiten Raum hat.
Nach CARTMILL (1995) ist der Begriff
Jagd eng auszulegen. Zur Jagd reicht es
seiner Meinung nach nicht, dass man
loszieht und einfach das nächstbeste Tier
tötet. Er definiert das Jagen als das bewusste, direkte, gewaltsame Töten ungehinderter wilder Tiere, wobei wilde Tiere
in diesem Zusammenhang solche sind, die
den Menschen scheuen oder angreifen.
Für ihn ist ein Töten von Tieren, das nicht
alle diese Kriterien erfüllt, kein Jagen,
sondern etwa anderes: Fischen, Fallenstellen, Schlachten, Vandalismus, religiöses Opfer, Selbstverteidigung, Schädlingsbekämpfung oder Überfahren mit
oder ohne Mordabsicht. CARTMILL trennt
somit ganz eindeutig und klar die Begriffe. Seine Sichtweise hat wohl, ähnlich
wie die weitgehend idente Sichtweise
ORTEGA Y GASSETS, weite Zustimmung in
Personenkreisen, die sich ernsthaft mit
dieser Thematik auseinandersetzen. Seine
Diktion für jagdähnliche Tötungsformen
konnte sich bislang aber nicht ausreichend
durchsetzen. Das mag daran liegen, dass
auf der einen Seite der sehr geläufige und
vielfach – auch als Metapher – verwendete
Begriff „Jagd“ steht und auf der anderen
Seite eine Reihe von Begriffen, die etwas
mehr Nachdenken erfordert, um die richtige Wortwahl zu finden. CARTMILL war
offensichtlich aber das Problem des Tötens von Wildtieren in Gattern oder von
ausgesetztem Flugwild nicht bekannt, da
er dafür keinen Begriff in seiner Auflistung anführte.
Eine Lösung dafür zeigen PROSSINAGG
und HAUBENBERGER (2007) auf, die
hinsichtlich ihrer Definition von Jagd in
keinem Widerspruch zu ORTEGA Y GASSET und CARTMILL stehen, wenn man
davon absieht, dass PROSSINAGG (1997)
bezüglich der Bezeichnung von Jagd als
Sport eine andere Argumentation verfolgt
als ORTEGA Y GASSET, was aber die grundsätzliche Übereinstimmung nicht mindert. PROSSINAGG und HAUBENBERGER
(2007) zitieren, dass es schon zu
Zeiten der Monarchie eine Unterscheidung zwischen Jagd und Abschießung
gegeben habe und die sogenannten
„eingestellten Treiben“ der Barockzeit
als „jagdliche Belustigungen“ bezeichnet
worden seien.
© WEIDWERK 2008
Schlussfolgerung
Was unter „Jagd“ zu verstehen ist,
definieren ORTEGA Y GASSET und CARTMILL wohl am treffendsten. Diese beiden
Definitionen zu verschmelzen und aktuell zu ergänzen führt sicher zur Definition
einer Tätigkeit, die für „vernünftige
Menschen“ akzeptabel ist, wobei vernünftig im Sinne der autonomen Humanität zu verstehen ist: Ein Mensch, der
dem Leitbild der autonomen Humanität
folgt, zeichnet sich dadurch aus, dass er
von sich aus – also aufgrund seines spezifischen, lebensgeschichtlich erworbenen
Selbststeuerungsvermögens – das aus
humanistischer Perspektive objektiv
Verantwortliche anstrebt und das
Unverantwortliche ablehnt –, und dies
selbst dann noch, wenn äußere Zwänge
dem entgegenstehen (SCHMIDT-SALOMON
2006). Jagdliches Tun ist eben nicht
beliebig oder neutral, sondern enthält
Momente, die nur dann für richtig
befunden werden können, wenn sie gewisse Kriterien erfüllen (ROSENBERGER,
2008).
Da eine Definition der „Jagd“ nie wirklich vollständig und umfassend sein
kann, ist es zielführend, deutlich
auszudrücken, was sicher nicht unter den
Begriff „Jagd“ fällt, auch wenn es von
Jagdkarteninhabern betrieben wird. Hier
kann man vollends FORSTNER et al.
(2006) folgen und festhalten, dass
Tätigkeiten, die den Prinzipien einer
nachhaltigen
Jagd
widersprechen,
nicht als „Jagd“ bezeichnet werden
sollten.
Exzessive Steigerungen und perverse
Auswüchse dieser genannten Tötungsarten, wie sie z. B. bei Riegeljagden (Treibjagden) auf Schalenwild
in überbesetzten Wildgehegen oder
bei massenweise eigens für den
Zweck des Abschießens ausgesetztem
Flugwild (lebenden Zielscheiben) vorkommen, die ausschließlich der Belustigung dienen, sind am treffendsten
mit „Abschießbelustigungen“ zu bezeichnen.
Mit den Begriffen „Abschießung“ und
„Abschießbelustigung“ stehen eindeutige
und sich weitgehend selbst erklärende
Bezeichnungen
von
jagdähnlichen
Tötungsarten zur Verfügung, die seit ei-
© WEIDWERK 2008
LITERATUR
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vorkommen, in vielen Fällen auch gesetzeskonform sein können, aber nicht nur
von Tierschützern, sondern auch von vielen Jägern aus ethischen Überlegungen
abgelehnt werden. Derartige Ereignisse
können auch als Veranstaltungen
(Abschieß-Veranstaltungen) oder „Pseudojagd“ bezeichnet werden. Diese
Abgrenzung trägt vor allem auch dem
Umstand Rechnung, dass Tiere so
etwas wie einen Eigenwert haben,
zumindest auch Selbstzweck sind und
nicht nur instrumentalisiert werden
dürfen. Der Begriff Jagd bleibt somit für
den Bereich reserviert, der entsprechend
der Definitionen von ORTEGA Y GASSET
und CARTMILL von weiten Teilen der Bevölkerung auch heute noch akzeptiert
werden kann.
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Für den Weiterbestand der Jagd, als Teil
der menschlichen Natur- und Kulturgeschichte, ist es entscheidend, sich klar
und deutlich von den jagdähnlichen Tötungsarten (Abschießungen, Abschießbelustigungen) und somit von der „Pseudojagd“ abzugrenzen. Im Interesse der
Versachlichung jeglicher Diskussion über
die Jagd sind alle angehalten, sich der
klaren begrifflichen Differenzierung zu
bedienen.
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Zu den Autoren:
PROF. DR. RUDOLF WINKELMAYER, DIPL. ECVPH,
ist Amtstierarzt, prakt. Tierarzt
und Autor zahlreicher Fachbücher
UNIV.-PROF. DR. KLAUS HACKLÄNDER
ist Vorstand des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft
(Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung) an der Universität für Bodenkultur Wien
UNIV.-PROF. DR. DR. H. C. PETER KAMPITS
ist Dekan der Fakultät für Philosophie und
Bildungswissenschaften und Vorstand des
Instituts für Philosophie an der Universität Wien
Anmerkung der Redaktion:
In dieser umfangreichen Darstellung werden grundlegende
wissenschaftliche Überlegungen zur Jagdethik angestellt,
die in ihrer Klarheit und Offenheit richtungweisend
erscheinen und erstmals so dargestellt werden.
Hans-Friedemann Zedka,
Chefredakteur
© WEIDWERK 2008
Redaktion WEIDWERK,
Wickenburggasse 3,
1080 Wien, Österreich
www.weidwerk.at
Sonderdruck aus der Jagdzeitschrift WEIDWERK 9, 10 und 11/2008
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