Nutzung von Nabelschnur-Blutstammzellen aus ethischer Sicht

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Nutzung von Nabelschnur-Blutstammzellen aus ethischer Sicht
Vortrag im Rahmen der Niedersächsischen Gespräche zwischen Ärztinnen, Juristinnen
und Theologinnen am 29.11. 2008 im Leibnizhaus zu Hannover
von Prof. Dr. theol. Friedrich Weber, Braunschweig
I.
Heilungserwartungen und Heilserwartungen
Am 14. Mai 1999 hat die Bundesärztekammer „Richtlinien zur Transplantation von
Stammzellen aus Nabelschnurblut“ veröffentlicht. Es wird festgestellt, dass im Blut
von Neugeborenen hämopoetische Vorläuferzellen in größerer Zahl als bei
Kindern und Erwachsenen zirkulieren. Diese zeichneten sich durch eine erhöhte
Teilungsfähigkeit aus und seien deshalb für eine Stammzelltransplantation
besonders geeignet. Gewonnen werden sie nach einer Geburt und Durchtrennung
der Nabelschnur ohne Beeinträchtigung des Neugeborenen aus der Plazenta. Die
Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut sei „ausschließlich im
Rahmen geplanter, von der zuständigen Ethik-Kommission geprüfter klinischer
Studien durchzuführen“.1 Besonders verwiesen wird darauf, eigentlich für jeden
Außenstehenden selbstverständlich, dass bei der Entnahme eines CB-Präparates
(=Cord-Blood) es das vordringlichste Ziel sein müsse, dass für die Gebärende und
für das Neugeborene kein zusätzliches Risiko entstehe. Auch sei das Risiko für
den potenziellen Transplantatempfänger zu minimieren. Mit diesen Hinweise sind
seitens der Bundesärztekammer Fragen ethischer Natur in den Blick genommen.
Die Berichte über Therapieansätze mit Stammzellen aus Nabelschnurblut sind in
den letzten Monaten sprunghaft angestiegen. So wird von einem gemeinsamen
Workshop der Deutschen Gesellschaft für regenerative Medizin am 26. September
2008 im Universitätsklinikum Heidelberg berichtet, dass Nabelschnurblut wohl in
wenigen Jahren als Primärquelle für Stammzellen das Knochenmark ablösen
werde.2 In einem von der Universität Texas 2007 ins Internet gestellten Bericht ist
zu lesen, dass es Forschern im Labor gelang, Stammzellen aus Nabelschnurblut
Insulin produzieren zu lassen. Damit sei zum ersten Mal gezeigt worden, dass die
noch unspezialisierten Zellen prinzipiell in der Lage seien, die Insulinproduktion zu
übernehmen
und
damit
auch
das
Potenzial
besäßen,
einmal
defekte
1 Richtlinien zur Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut (CB=Cord Blood), in: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19,
14. Mai 1999, A1297ff
2 http://innovations-report.de/specials/printa.php?id=12041l
1
Bauchspeicheldrüsenzellen bei Diabetikern zu ersetzen. Es sei allerdings bis
dorthin noch ein weiter Weg. Für die ökonomischen Nutznießer scheint der Weg
allerdings weniger weit zum Erfolg. Die Texaner sehen die Gefahr und
problematisieren das Verhalten privater Nabelschnurblutbanken als eventuelle
Nutznießer von überschießenden Heilungs- sprich Heilserwartungen.3 Dass die
kritischern Hinweise nicht unbegründet sind, zeigen sich ebenfalls im Internet
findenden Informationen zu „Einlagerung von Nabelschnurblut“, die werdende
Eltern dazu auffordern, ein „Gratis Info-Paket“ zur Einlagerung zu bestellen.4
Natürlich meldet die Firma auch ihr Interesse und ihr Know-how an, über Kosten
wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht geredet. Dass es aber auch um die
wirtschaftliche Verwertung geht ist deutlich. Die Heilsbekundungen sind groß. Es
ist ganz offensichtlich, dass die Hoffnung auf Heilung bzw. die Angst vor Krankheit
und Tod hohe Erwartungen auf künftige Therapiemöglichkeiten auslösen, die mit
diesen adulten Stammzellen möglich sein könnten.
Es ist durchaus verständlich, wenn Menschen, die von schweren Krankheiten
getroffen sind oder sich von ihnen gefährdet fühlen, diese Hoffnungen hegen.
Auch aus der Sicht des christlichen Glaubens ist es geradezu zwingend, neue und
leistungsfähige Therapiemöglichkeiten zu entwickeln und den Betroffenen zur
Verfügung
zu
stellen.
Natürlich
wissen
wir,
dass
auch
die
neuesten
Therapiemöglichkeiten den Tod nicht aus der Welt schaffen werden, aber das
ändert nichts daran, dass die Heilung oder die Linderung von Krankheiten ein
hohes Gut sind. Die Problematik allerdings liegt darin, dass Therapiehoffnungen
als zu weit reichend beschrieben werden.
Heilungserwartung, das wäre eine erste Anmerkung aus theologischer Sicht im
Blick auf die ethische Bewertung von neuen Therapiemöglichkeiten, darf nicht zur
Heilserwartung werden. Ich zitiere aus einem EKD-Text vom Juni 2002: „Für den
christlichen Glauben ist die Unterscheidung zwischen dem irdischen Wohl und
dem ewigen Heil wesentlich. Ohne eine solche Unterscheidung kann die Annahme
und Verarbeitung der Endlichkeit des Daseins nicht gelingen, weil Krankheit,
Behinderung, Sterben und Tod dann den Charakter der radikalen Bedrohung und
des
totalen
Sinnverlustes
annehmen.
Indem
die
christliche
Kirche
so
unterscheidet, schätzt sie das irdische Wohlergehen nicht gering. Vielmehr wertet
3 http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/drucken/278575.html
4 http://nabelschnurblut.de/nabelschurblut/landing/06/index.shtml
2
sie es als ein begrenztes, vorläufiges zum Vergehen bestimmtes Gut. Und gerade
das Wissen um die Begrenztheit und Endlichkeit macht dieses irdische Leben mit
seinen Gütern wertvoll.“5
Anders
als
beim
Streit
um
die
ethische
Zulässigkeit
der
Präimplantationsdiagnostik, der verbrauchenden Embryonenforschung oder auch
des so genannten therapeutischen Klonens, wo grundsätzlich die Frage nach dem
ontologischen, moralischen und rechtlichen Status von Embryonen, das heißt aber
nach dem
Zusammenhang von Embryonenschutz, Recht auf Leben und
Menschenwürde zu fragen ist, bewegen wir uns bei der ethischen Bewertung von
Forschungen und Arbeiten mit Blutstammzellen in einem ethisch unbedenklichen
Raum.
II.
Zur Diskussion über neonatale Stammzellen
Ich beschreibe im Folgenden kurz den Diskussionsstand über neonatale
Stammzellen, so wie er sich uns in den Kirchen darstellt.
1.
Als Nabelschnurblut (= Plazentarestblut), das reich an so genannten
neonatalen Stammzellen ist, wird das nach der Abnabelung des Kindes noch
in der Nabelschnur und Plazenta befindliche kindliche Blut bezeichnet.
a. Vorteile von Nabelschnurblut-Stammzellen gegenüber anderen adulten (=
somatischen) Stamm-, bzw. Progenitorzellen (die besonders im Knochenmark, in
der Haut, aber auch im Fettgewebe, im Gehirn, der Leber oder der
Bauchspeicheldrüse zu finden sind):
•
Neonatale Stammzellen sind risikoarm zu gewinnen, da bei der Entnahme
niemand geschädigt wird und dabei kein menschliches Leben vernichtet wird. Auf
einer ethischen Ebene ist also die Gewinnung neonataler Stammzellen
unbedenklich, im Vergleich zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen [vgl.
dazu: Der Mensch: Sein eigener Schöpfer? Zu Fragen von Gentechnik und
Biomedizin, hrsg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001].
•
Neonatale Stammzellen weisen keine Kontamination durch biographisch spät
erworbene Krankheiten auf.
•
Sofortige Verfügbarkeit durch Langzeitlagerung (Kryokonservierung).
•
In autologer (d. h. Spender und Empfänger sind identisch) Verwendung gute
Verträglichkeit wegen fehlenden Immunogenität, d. h. die transplantierten
5 Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen. EKD Texte 71, Hannover 2002, 10
3
Zellen werden vom Immunsystem nicht als fremd erkannt und ggf.
abgestoßen.
•
Neonatale Stammzellen weisen ein hohes Differenzierungspotenzial auf.
Bereits nachgewiesen wurde die Fähigkeit von Nabelschnurblut-Stammzellen,
sich nicht nur in Blutzellen, sondern auch zu Nerven-, Leber-, Blutgefäß-,
Muskel-, Knochen-, Knorpel- und Inselzellen zu entwickeln. Diese Eigenschaft
wird in der Biotechnologie zur Regeneration von Körpergewebe genutzt.
•
Neonatale Stammzellen sind im Vergleich zu somatischen Stammzellen noch
jung und unverbraucht.
b.
Nachteile von Nabelschnurblut-Stammzellen gegenüber KnochenmarkStammzellen:
•
Nabelschnurblut ist nur in begrenzter Menge und nur einmalig, zur Geburt des
Kindes, zu gewinnen. Für die Behandlung erwachsener Patienten ist jedoch
eine relativ große Menge erforderlich.
•
Genetisch manifeste Defekte/Krankheiten sind auch im Nabelschnurblut
vorhanden und können aus diesem Grund zu einer eingeschränkten
Verwendungsfähigkeit führen.
•
Ein zu frühzeitiges Abklemmen der Nabelschnur zur Nabelschnurblutspende
widerspricht aktuellen Standards und kann zu einem Abfall der kindlichen
Blutmenge führen.
2.
Anwendung von Nabelschnurblut
a.
Allogene Transplantation (Fremdtransplantation)
Die allogene Transplantation von Nabelschnurblut ist derzeit der Regelfall.
Dabei werden dem Patienten Nabelschnurblutstammzellen übertragen, die
nicht von ihm selbst, sondern einem geeigneten Spender stammen. Wenn es
sich
nicht
um
eine
gerichtete
Spende
handelt,
werden
dabei
Nabelschnurblutstammzellen aus Stammzellregistern verwendet. Allogene
Nabelschnurblutstammzellen werden derzeit vor allem bei Leukämien,
Blutbildungsstörungen und genetisch bedingten Erkrankungen angewendet.
Der Nachteil bei der Transplantation von Nabelschnurblut verglichen mit
Knochenmarkstammzellen, bzw. anderen adulten Stammzellen oder iPSZellen (induzierte pluripotente Stammzellen) liegt in der geringeren Menge an
4
Stammzellen, die verfügbar ist. Eine Behandlung erwachsener Patienten ist
jedoch nur bei einer ausreichenden Zellzahl möglich.
b.
Autologe Transplantation (Eigentransplantation)
Bislang
sind
erst
wenige
Fälle
von
körpereigenen
(autologen)
Nabelschnurbluttransplantationen bekannt.
3.
Konservierung von Nabelschnurblut
a.
Als Spende an ein Stammzellregister und für die Forschung
Die (kostenfreie) Spende an ein Stammzellregister dient dazu, einen Pool an
Stammzellpräparaten aufzustellen, um im Bedarfsfall darauf zugreifen können.
Durch die Kryokonservierung ist es zudem möglich, Stammzellen für Patienten
mit relativ selten vorkommender genetischer Ausstattung zu bevorraten und
so die Spendersuche im Anwendungsfall zu verkürzen. Nabelschnurblut kann
in Deutschland an die Stammzellregister in Düsseldorf, Mannheim, München,
Freiburg, Erlangen, Dresden sowie Hannover gespendet werden. Diese
Register arbeiten einer Anzahl von Krankenhäusern in ihrem Einzugsbereich
zusammen. Nur dort ist derzeit die Entnahme möglich.
Bei der Nabelschnurblutspende für die Forschung werden die Stammzellen
genutzt, um deren Wirkungsweise zu untersuchen, Gewebezüchtung weiter zu
entwickeln und neue stammzellbasierte Therapien zur Behandlung von
Krankheiten zu gewinnen. Insgesamt sind jedoch Forschungen zu möglichen
Therapieformen
noch
in
einem
frühen
experimentellen
Stadium
mit
ungewissem Ausgang. Die Spende für die Stammzellforschung wird von den
Stammzellregistern,
universitären
Einrichtungen
sowie
privaten
Nabelschnurblutbanken angeboten. Sie ist für die Eltern kostenfrei, aber nicht
flächendeckend möglich.
b.
Als (gerichtete) Spende zur Behandlung eines erkrankten Familienmitglieds
Stammzellen eines nahen Verwandten, vorzugsweise Geschwisters, sind bei
vorliegender
Übereinstimmung
der
Gewebeverträglichkeit
gut
zur
Transplantation geeignet. Dazu wird das Nabelschnurblut bei schon
vorliegender Erkrankung zielgerichtet zur späteren Behandlung des Patienten
gewonnen und aufbereitet. Die (gerichtete) Nabelschnurblutspende ist für die
Eltern kostenfrei und wird sowohl von den Stammzellregistern als auch
privaten Nabelschnurblutbanken angeboten.
5
c.
Als Eigenkonservierung zur privaten Vorsorge (autologe Einlagerung)
Die Eigenkonservierung von Nabelschnurblut zur privaten Vorsorge wird
kontrovers diskutiert. Hauptkritikpunkt ist, dass die Wahrscheinlichkeit, eigene
Stammzellen im Kindesalter zu benötigen, sehr gering ist. Hinzu kommt, dass
bei hämatologischen Erkrankungen des Kindes zu prüfen ist, ob die
Stammzellen bereits die Disposition zur Entwicklung der Krankheit enthalten.
Außerdem liegen bislang keine gesicherten Erfahrungswerte über die
tatsächliche Haltbarkeit von Nabelschnurblutpräparaten vor. In Studien wurde
nachgewiesen, dass Nabelschnurblut-Stammzellen mindestens 15 Jahre
halten, ohne ihre Vitalität und Proliferationsfähigkeit zu verlieren. Es gibt
jedoch auch Forschungen, die einen wesentlich längeren Haltbarkeitszeitraum
angeben.
Deutlich kritisiert wird auch der kommerzielle Aspekt bei der autologen
Einlagerung, da die Unwahrscheinlichkeit der autologen Nutzung von
Nabelschnurblut wenig oder gar nicht offen gelegt wird, dieses aber als
Allheilmittel für spätmanifeste Krankheiten propagiert wird.
Die Eigenkonservierung von Nabelschnurblut ist für die Eltern kostenpflichtig
und mit zum Teil sehr hohen Kosten, v.a. für die Einlagerung, verbunden. Die
Eigenkonservierung ist in Deutschland flächendeckend möglich.
4.
Fazit:
Wenngleich
die
Gewinnung
neonataler
Stammzellen
ethisch
unbedenklich ist, dürfen dennoch ethische Fragen, die im Zusammenhang mit
der weiteren Verwendung stehen, nicht außer acht gelassen werden,
beispielweise:
•
Wie geht ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft mit der Werbung privater
Unternehmen um, die Lagermöglichkeiten für Nabelschnurblut anbieten?
•
Inwieweit übernimmt das Krankenhaus eine Verantwortung dafür, dass die
Eltern sachgerecht über die Möglichkeiten, die mit einer solchen Einlagerung
verbunden sind, aufgeklärt werden? Stichwort: unberechtigte Hoffnungen.6
6 Richtlinien der Bundesärztekammer zur Transplantation von Stammzellen aus Nabelschnurblut-Gewinnung, Lagerung und
Anwendung von CB als Stammzellquelle. In: Dt. Ärzteblatt 1999; 96: 1297-1304.
Regenerative Medizin und Biologie. Die Heilungsprozesse unseres Körpers verstehen und nutzen. Hrsg. vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005;. Der Mensch: Sein eigener Schöpfer? Zu Fragen von Gentechnik und
Biomedizin, hrsg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001.
6
III. Zur Ethik des Helfens und Heilens
Eine Ethik des Helfens und Heilens diskreditiert sich dann selbst, wenn sie für
Mittel des Helfens und Heilens plädiert, die ethisch nicht vertretbar sind. Das heißt
also, Helfen und Heilen kann nicht um jeden Preis geschehen. An diesem
Grundsatz orientiert sich beispielsweise das Verbot des Organhandels. Eine Ethik,
in deren Zentrum Helfen und Heilen steht, kann zwar mit guten Gründen dafür
eintreten, die Zahl der verfügbaren Spendeorgane zu erhöhen, aber das Mittel des
Organhandels ist nicht nur in Deutschland bewusst und dies sogar mit einer
gesetzlichen Regelung ausgeschlossen worden. Der Hintergrund der ethischen
Bewertung ist der, dass der Mensch nicht einen Körper hat, den er
gewissermaßen als Ware behandeln könnte, so auch das Blut aus der
Nabelschnur, sondern er ist Körper.
Hat
im
Juni
2003
der
Direktor
der
Klinik
für
Allgemeine
und
Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum in Essen in einer Veranstaltung
des Bioethikkommission des Landes Rheinland-Pfalz und des Ministeriums der
Justiz Rheinland-Pfalz mit seiner behutsamen Anfrage, ob man nicht wegen des
Mangels an Spendeorganen über „finanzielle Anreize“ vor allem für die
Lebendspende reden müsse, die schmale Grenze verletzt? Deutet sich hier an,
dass der Rubikon überschritten ist? 7 Sie wissen, dass diese Redensart durch die
Deutschen Forschungsgemeinschaft im Mai 2001 eingeführt wurde. Dort heißt es,
dass sich die Forschungsgemeinschaft „der Problematik bewusst (sei), einerseits
frühes menschliches Leben zu Forschungszwecken zwar nicht explitizitär zu
stellen, andererseits aber doch zu verwenden. Sie ist der Meinung, dass der
Rubikon in dieser Frage mit der Einführung der künstlichen Befruchtung
überschritten wurde und das es unrealistisch wäre zu glauben, unsere
Gesellschaft könne in einem Umfeld bereits bestehender Entscheidungen zum
Lebensrecht des Embryos (dauerhafte Aufbewahrung künstlich befruchteter
Eizellen, Einführung von Nidationshemmern, Schwangerschaftsabbruch) zum
Status quo zurückkehren“.8
7 Hermann Barth, Rechtfertigung durch Heilungshoffnungen? - Einige gute Gründe gegen das sogenannte therapeutische
Klonen. Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung des Evangelischen Klosterforums: "Therapeutisches Klonen ... Ethisch
verantwortbar?" in Braunschweig, in: http://www.ekd.de/vortraege/barth/050202_barth_klonen.html
8 Empfehlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen“ vom 03. Mai 2001
7
Johannes Rau hat am 18. Mai 2001, also wenige Tage nach der Veröffentlichung
dieser Redensart vom Rubikon ausgeführt, dass es „immer leicht (sei), die
Trauben zu verschmähen, die unerreichbar hoch hängen. Schwierig ist es,
Grenzen da zu setzen und zu akzeptieren, wo man sie überschreiten könnte und
sie sogar zu respektieren, wenn man dadurch auf bestimmte Vorteile verzichten
muss. Ich glaube aber, dass wir genau das zu tun müssen. Ich glaube, dass es
Dinge gibt, die wir um keines tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteils Willen tun
dürfen. Tabus sind keine Relikte einer modernen Gesellschaft, keine Zeichen von
Irrationalität. Ja, Tabus anzuerkennen, dass kann ein Ergebnis aufgeklärten
Denkens und Handelns sein.“ Und er führte wörtlich noch weiter an: „Ich bin fest
davon überzeugt, dass wir unendlich viel Gutes erreichen können, ohne das
Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch bedenkliche Felder begeben
müssen. Es gibt viel Raum diesseits des Rubikon.“9
Die Forschung an Stammzellen, die aus Nabelschnurblut gewonnen werden,
zeigt, dass Johannes Rau mit seiner Positionierung im Jahre 2001 durchaus die
Spannung zwischen Einengung und Herausforderung von Forschung sieht. Es ist
ja in der Tat so, dass die Stammzellforschung nicht endet, wenn die an
menschlichen embryonalen Stammzellen eingeschränkt wird. Gerade die
Forschung an adulten Stammzellen hat offenbar ein großes Potenzial.
Dieses Potenzial darf aber nur – zumindest sieht das die christliche Ethik so – in
dem
Rahmen
genutzt
werden,
den
der
Schutz
der
unveräußerlichen
Menschenwürde erlaubt.
IV. Die unveräußerliche Würde des Menschen
Der Heidelberger Theologe Wilfried Härle hat 2005 treffend in 6 Punkten
beschrieben, worin sich diese Würde des Menschen Ausdruck verschafft. Er
meint, die Menschenwürde konkretisiere sich darin, dass ein Mensch
1. Als Zweck und nicht als bloßes Mittel bebraucht wird
2. Zweitens als Person geachtet und nicht zum Objekt herabgewürdigt wird
3. Selbstbestimmung üben kann und nicht völlig fremd bestimmt wird
4. Entscheidungsfreiheit behält und nicht durch Zwangsmaßnahmen gefügig
gemacht wird
9 Johannes Rau, Wird alles gut? Berliner Rede von Johannes Rau: Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß
http://www.berlinews.de/archiv/1958.shtml
8
5. In der Sphäre seiner Intimität bleiben kann und nicht bloß gestellt wird und
6. Als Gleichberechtigt behandelt und nicht diskriminiert wird.10
Die christliche Theologie verweist in diesem Zusammenhang auf den ersten
Schöpfungsbericht. Dort heißt es: „Und Gott sprach, lasset uns Menschen
machen, ein Bild das uns gleich sei. Die da herrschen über die Fische im Meer
und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des
Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann
und Weib.“ (1. Mose 1,26f)
Menschenwürde und Gottes Ebenbildlichkeit hängen also zusammen. Die
Menschenwürde gebietet es, den Menschen stets als Zweck an sich und niemals
als Mittel zu gebrauchen. Darauf hat auch Kant in seiner „Grundlegung der
Metaphysik der Sitten“ abgehoben, wenn er schreibt: "Im Reich der Zwecke hat
alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen
Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen
über allen Preis erhaben ist [...] das hat eine Würde"11, der "Achtung" gebührt.12
Der Mensch, jeder Mensch, ist über allen Preis erhaben, weil er als freies
Vernunftwesen, als das wir ihn ansehen müssen, selbst "ein gesetzgebend Glied
im allgemeinen Reiche der Zwecke"13 ist. Wolf Krötke hält fest: „Als solcher
schuldet er sich Selbstachtung als autonomes Individuum, aber in dieser
Selbstachtung vollzieht er zugleich die Achtung der Anderen. Die Vorstellung der
Menschwürde spricht dem Individuum zwar einen unersetzbaren Status zu, aber
sie ist kein individualistisches Prinzip. Denn der kategorische Imperativ gebietet
dem Menschen immer, zugleich an der Stelle eines anderen zu denken. Unsere
Würde als menschliche Individuen kann nur zusammen mit der Würde aller
anderen bestehen. Sie ist Würde in Beziehung. Sie kommt allen zu, indem alle
verpflichtet sind, sie sowohl in Anspruch zu nehmen wie sie sich gegenseitig
zuzusprechen.
Daraus folgt aber, dass der Gedanke der Menschwürde es ausschließt,
10 Wilfried Härle, Begründung von Menschenwürde und Menschenrechten, Freiburg 2008 und http://www.eakbadenwürttemberg.de/dev/web/presseOnlineContent.php?press_id=17
11 IMMANUEL KANT, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, in: WILHELM WEISCHEDEL (Hg.), Immanuel Kant, Werke in
zehn Bänden (Abk. Werke), Darmstadt 1983, Band 6, 68
12 a.a.O., 69
9
irgendeinen Menschen aus irgendwelchen Gründen zu irgendwelchen Zwecken zu
verwenden, zu funktionalisieren, zu gebrauchen oder zuzurichten. Als Mensch da
sein, heißt von anderen um seiner selbst willen geachtet werden und andere um
ihrer selbst willen achten. Das bringt der Begriff der "Person" zum Ausdruck.
Achtung der Menschenwürde ist Achtung der Person. Das schließt aber notwendig
die Achtung vor der leib-seelischen Integrität jedes Menschen ein. Diese Achtung
folgt nicht aus den Eigenschaften der menschlichen Natur als solcher.“14
Aus diesen Aspekten entwickeln sich für mich folgende Leitlinien für die ethische
Burteilung:
-
-
Menschenwürde
-
Respekt vor dem Leben der Anderen und
-
das Tötungsverbot.
Autonomie, das heißt forschende Verantwortung für die Schöpfung
übernehmen (vorausschauendes Handeln ist unerlässlicher Bestandteil
eigenverantwortlicher Existenz).
-
Recht auf Integrität und Identität (jeder gentechnische Eingriff der an
Menschen vorgenommen wird, muss das Recht des Menschen auf leibliche
Integrität und auf personale Identität achten; der Mensch ist von Anfang an
Person und kann deshalb niemals nur Objekt des Handelns sein)
-
Recht auf Nichtwissen
-
Einbeziehung von Alternativen
-
Eigenwert und eigene Rechte der Schöpfung (Pflanzen und Tiere dürfen
nicht unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für den Menschen bewertet
werden)
-
Abschätzung der Folgen und Bewertung der Risiken (es ergibt sich die
moralische Forderung, die Folgen die das eigene Handeln haben könnte,
bei der Handlungsentscheidung selbst zu berücksichtigen).
Wende ich diese Gesichtpunkte auf die anstehende Problematik an, ergeben sich
folgende ethische Fragestellungen:
13 a.a.O., 72
14 Wolf Krötke, Die ethischen Herausforderungen durch die Genetik. Überlegungen im Anschluss an Immanuel Kant, in:
http://www2.hu-berlin.de/theologie/sys3/lst/kroe/genomkant.htm
10
1. Darf der Mensch Handlungen vornehmen, deren Folgen er nicht überblicken
bzw. korrigieren kann?
2. Darf er Forschung betreiben, über deren moralische Vertretbarkeit er keine
Klarheit besitzt?
3. Kann es oberstes Ziel sein, das Leiden zu beseitigen?
4. Jede Entscheidung ist ein Verstoß gegen das ethische Gebot: Du sollst nicht
töten“
5. Dürfen Menschen Risiken zugemutet werden, wenn damit anderen erhebliche
Hilfe erwiesen werden kann? (Tendenz zum Präferenz-Utilitarismus)
Werner Bergengruen stellt 1942 fest, dass die Verfechter der biologischen
Welterfassung erstaunlicherweise nichts von der Heiligkeit, sondern nur von der
Brauchbarkeit des Lebens wissen. Als ob zum Urteil über Wert und Unwert des
Lebens nicht ein Standpunkt oberhalb unserer Welt nötig wäre. Von diesem aber
leitet sich die Setzung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ab. Darum ist
es Anliegen der Kirche, das Bewusstsein für die Heiligkeit, die Unantastbarkeit
aber auch die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens zu wecken, zu
entwickeln und entsprechendes Verhalten einzufordern. Für mich folgt daraus,
dass wir unbedingt den Vorrang auf die Forschung mit adulten Stammzellen legen
sollten, deren Gewinnung keine Tötung menschlichen Lebens zur Voraussetzung
hat oder zur Folge hat. Zugleich müssen wir allen Versuchen wehren, Menschen
zu verzwecken und sie mit ungerechtfertigt geweckten Hoffnungen auf Heilung zur
ökonomischen Selbstverwertung ihres Körpers zu verführen.15
Oft ist alles schon von anderen gesagt, man muß es nur wiederholen. Ich tue dies
und schließe mit Johannes Rau: „Die Zukunft ist offen. Sie ist kein unentrinnbares
Schicksal. Sie kommt nicht einfach über uns. Wir können sie gestalten - mit dem,
was wir tun und mit dem, was wir nicht tun. Wir haben viele, wir haben große
Möglichkeiten. Nutzen wir sie für einen Fortschritt und für ein Leben nach
menschlichem Maß.“16
15 Verantwortung für das Leben. Eine evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin, Wien 2001, 37f
16 Johannes Rau, Wird alles gut? …hier: http://www.berlinews.de/archiv/1959.shtml
11
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