24 THEMA: KOMPONIST SEIN Edward Elgars musikalische Geheimnisse Die „Enigma-Variationen“ als szenisches Spiel im Musikunterricht lars oberhaus vorgeschichte Im Spätherbst 1898 sitzt der englische Komponist Edward Elgar im Wohnzimmer am Klavier und improvisiert. Seine Frau Alice hört zu und bemerkt: „Edward, diese Melodie, die du gerade spielst, gefällt mir! Was ist das?“ Elgar schaut seine Frau an und überlegt einen Moment. „Es ist über dich … Es kann noch etwas ganz anderes daraus werden. Ein großes musikalisches Rätsel über mich und meine Freunde ….“ Ob die Enigma-Variationen wirklich so entstanden sind, ist unbekannt. Sicher ist allerdings, dass Elgar ein paar Monate später in seiner handschriftlichen Partitur vermerkt: „Enigma“ – das griechische Wort für „Rätsel“. In Elgars Variationen über ein eigenes Thema finden sich zwei Rätsel! Zum einen sind die Titel der einzelnen Stücke sonderbar: Was bedeuten die Abkürzungen „CAE“ oder „HDS-P“? Zum anderen behauptete Elgar, dass es ein weiteres Thema gibt, das aber niemals gespielt wird. Beide Rätsel sind Grund genug, die EnigmaVariationen auch im Musikunterricht zu behandeln, um sich mit den Lebensumständen und dem Freundeskreis Edward Elgars auseinanderzusetzen. Die in den Variationen charakterisierten Personen werden dabei in Form eines szenischen Spiels dargestellt. Das erste Rätsel: Personen als Variationen Das erste der beiden oben genannten Rätsel konnte gelöst werden: Die Buchstaben im Titel sind die Anfangsbuchstaben der Vor- und Nachnamen von Elgars Freunden. „Gewidmet meinen Freunden, die darin abgebildet sind.“ Mit diesen Worten schickte er die fertige Partitur Anfang des Jahres 1899 an den Dirigenten Hans Richter, der das Orchesterwerk in London uraufführte. Der Erfolg war überwältigend und bedeutete den internationalen Durchbruch für Elgar als anerkannter Komponist. Die erste der insgesamt 14 Variationen charakterisiert seine Frau Caroline Alice Elgar („CAE“). In „HDS-P“ macht er sich über den Klavierstil seines Freundes Hew David Steuart-Powell lustig, der gerne Tonleitern übte. Der Name der Variation „Nimrod“ spielt auf die Legende des altorientalischen Helden und Jägers Nimrod an und ist Elgars bestem Freund August Jaeger gewidmet. In der Variation „RBT“ beschreibt Elgar Richard Baxter Townshend, einen exzentrischen Schauspieler, der gerne Dreirad fuhr. In der Variation „WMB“ stürmt der energische William Meath Baker in einen Raum, verkündet den Freunden lautstark seine Anweisungen und verschwindet wieder. In der letzten Variation schließlich beschreibt Elgar sich selbst. Das zweite Rätsel: das unbekannte Thema Das zweite Rätsel konnte noch nicht entschlüsselt werden. Elgar gab den Hinweis, dass neben dem Originalthema noch ein weiteres Thema existiere. Dieses „ertönt zwar, wird aber nicht gespielt“, sodass der wichtigste Charakter „niemals auftritt“ (Elgar).1 Bis heute zerbrechen sich Musikwissenschaftler die Köpfe, was das für ein verborgenes Thema sein soll.2 Am wahrscheinlichsten gilt hierbei, dass sich Elgar auf das Lied Rule, Britannia! bezieht, das eine ähnliche Melodie besitzt. Weitere Möglichkeiten sind das englische Volkslied Auld lang syne und die Nationalhymne God Save the Queen. Denkbar ist auch, dass Elgar sich auf ein literarisches Motto oder ein Bild bezieht. Nicht auszuschließen ist, dass es kein verborgenes Thema gibt. Elgar könnte sich einen Scherz erlaubt haben und wollte die Musikwelt verwirren. Auch wenn diverse Theorien aufgestellt wurden, ist bis heute die Lösung dieses Rätsels unbekannt. einstieg in rätsel Als Einstieg bietet sich ein Lückenrätsel an, das die SchülerInnen ausfüllen, um so den Namen „Edward Elgar“ zu entschlüsseln. Zudem wird damit bereits dessen Interesse für Rätsel angedeutet (Arbeitsblatt „Lückenrätsel“). Alternativ wird eine musikalische Fantasiereise vorgelesen, während das Enigma-Thema leise im Hintergrund erklingt (Arbeitsblatt „Fantasiereise zu Edward Elgar“ auf der Heft-DVD und HB 3). So lassen sich die musikalische Stimmung und die Entstehungsumstände der Komposition verdeutlichen. Anschließend werden verschiedene Verschlüsselungsmethoden vorgestellt, wie z. B. das Morsealphabet und daran gebundene Rhythmisierungen oder die ENIGMA-Verschlüsselungs- musik 25 4.10 ng u d bil & maschine, die im Zweiten Weltkrieg im Nachrichtenverkehr des deutschen Militärs verwendet wurde (Arbeitsblatt „Verschlüsselungsmethoden und -maschinen“). Aus musikgeschichtlicher Perspektive ist v. a. Robert Schumann dafür bekannt, Personen musikalisch zu verschlüsseln. Insbesondere im Carnaval wird der Freundeskreis musikalisch porträtiert. Zudem hat Schumann – ähnlich wie Elgar – die Buchstaben in seinem Namen (Es, C, H, A) oder in dem Ort Asch (A, Es, C, H), aus dem seine Verlobte Ernestine von Fricken stammte, dazu benutzt, Beziehungen und versteckte Botschaften darzustellen. Im Unterricht lassen sich musikalische Experimente mit Morsen und Vertonen von Tonbuchstaben gestalten (Arbeitsblatt „Verschlüsselungsmethoden und -maschinen“).3 Anschließend wird in Form eines Lückentextes auf Elgars Vorliebe für Verschlüsselungen eingegangen (Arbeitsblatt „Edward Elgar und seine Geheimschriften“). Alternativ bietet sich auch ein Lehrervortrag in Form einer PowerPoint-Präsentation an („Enigma“ auf der HeftDVD). das enigma-thema entschlüsseln Im Zentrum des Unterrichts steht die szenische Erarbeitung von fünf ausgewählten Variationen (Arbeitsblatt „Ausgewählte Enigma-Variationen“; HB 4-7). Zunächst erhalten die SchülerInnen Informationstexte zu den Variationen / Personen. Die dazugehörigen Hörbeispiele werden vorgespielt und Notenbeispiele den Namen der charakterisierten Personen zugeordnet. Der Dreirad fahrende Richard Baxter Townshend lässt sich z. B. im leicht schwankenden 3/4-Takt und den Triolen wiedererkennen. Und die Dogge von Dr. G. R. Sinclair, die sich in den Fluss stürzt, wird anhand der rasanten Abwärtsbewegungen der Streicher erkennbar. Auf Grundlage der Höreindrücke ergänzen die SchülerInnen die Informationstexte und präzisieren das Verhalten der Personen. Anschließend werden die einzelnen Variationen / Personen auf Gruppen verteilt, die ausgehend von Standbildern kleine Szenen entwerfen. Die Gruppen erarbeiten sich die Variationen im Plenum, indem die anderen SchülerInnen als Beobachter anwesend sind und durch Szene-Stopp-Verfahren in die Gestaltung des szenischen Spiels eingreifen.4 Abschließend werden die Ergebnisse präsentiert. Die vollständigen Informationstexte zu allen Variationen finden sich auf dem Arbeitsblatt „Szenische Interpretation der Enigma-Variationen von Edward Elgar“ auf der Heft-DVD. 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Arbeitsblätter ▲ ▲ Lückenrätsel – S. 26 Edward Elgar und seine Geheimschriften – S. 26 Verschlüsselungsmethoden und maschinen – S. 27 Elgar: Enigma-Variationen – S. 28 Ausgewählte Enigma-Variationen – S. 28-29 Hörbeispiele – CD Edward Elgar: Enigma-Variationen: HB 3: Thema HB 4: Variation II „H. D. S.-P.“ HB 5: Variation III „R. B. T.“ HB 6: Variation IV „W. M. B.“ HB 7: Variation XI „G. R. S.“ ▲ ▲ ▲ ▲ ▲ Dateien – DVD ▲ ▲ ▲ PowerPoint-Präsentation „Enigma“ Fantasiereise zu Edward Elgar Szenische Interpretation der EnigmaVariationen von Edward Elgar musikpädagogik-online.de Kostenloser Download für AbonnentInnen ▲ Die Enigma-Thematik eignet sich im Unterricht auch für weitere Themenschwerpunkte wie z. B. Filmmusik.5 Der Film Matrix (1999) spielt auch mit dem Thema „Wirklichkeit und Identität“. In dem dazugehörigen Filmsong Clubbed to Death von Rob Dougan wird explizit das EnigmaThema aufgegriffen und mit elektronischen Klängen bearbeitet. Auch im Film selbst ist der Song an verschiedenen markanten Stellen aufzufinden. Die Filmmusik von Don Davis hat in der Verbindung von neuer Musik und Elektronik neue Maßstäbe gesetzt. Das zu Beginn der 1990er-Jahre von dem Produzenten Michael Cretu ins Leben gerufene „Enigma-Projekt“ diente als Wegbereiter der meditativen, religiös angehauchten Ambient-Musik. Die Single Mea Culpa wurde ein großer Hit und die darin verwendeten Gregorianischen Gesänge wurden vielfach nachgeahmt. Im Unterricht lassen sich nicht nur Verbindungen zur Musik des Mittelalters knüpfen, sondern auch die geschickte Vermarktung von geheimnisvoller Musik the- 1 Nach der Auskunft von Charles A. Barry hat Elgar folgende Andeutungen in einem Gespräch geäußert: „The Enigma I will not explain – its ,dark saying’ must be left unguessed, and I warn you that the connection between the Variations and the Theme is often of the slightest texture; further, through and over the whole set another and larger theme ,goes’, but is not played…. So the principal Theme never appears, even as in some late dramas … the chief character is never on the stage.” 2 vgl. dazu Eric Sams: „Variations on an original theme (Enigma)“, in: The Musical Times 3/1970, S. 258-262. Online unter: www.ericsams.org/sams_elgar2_eng.htm. 3 vgl. auch Wulf Dieter Lugert: „Der Heute-Jingle. Morsen im Musikunterricht“, in: Praxis des Musikunterrichts 72 (2002), S. 4-15. Der eigentliche Morsevorgang ist deutlich komplizierter, da auch mit verschiedenen Pausenlängen gearbeitet wird. 4 Das Szene-Stopp-Verfahren stammt aus der szenischen Interpretation von Musik: Außenstehende können die szenische Erarbeitung mit Stopp-Rufen unterbrechen und alternative Darstellungen vorschlagen. 5 vgl. auch die Verfilmung der Pomp & Circumstance Marches in Fantasia 2000. ▲ darüber hinaus matisieren. Cretu verbindet die an Enthaltsamkeit und Einsamkeit erinnernden Mönchsgesänge mit dem erotisch-hauchigen Gesang einer Frauenstimme, um Wunschfantasien bei einer potenziellen Käuferschicht zu wecken. ▲ ▲ Einige Kompositionen Elgars dürften den SchülerInnen bekannt sein. Hierzu gehören das Thema und die „Nimrod“-Variation, die auch als Filmmusik eingesetzt wurden (Matrix, Australia) und der erste Marsch aus Pomp and Circumstance Marches (op. 39), der mit den Worten „Land of Hope and Glory“ unterlegt wurde und gerne als inoffizielle Nationalhymne Englands bezeichnet wird. In Bezug auf Elgar wird durch den hymnischen Charakter die patriotische Einstellung des Komponisten deutlich, wie sie in vielen seiner Werke wiederzufinden ist. Hierbei ließen sich auch Videoausschnitte der Last Nights of the Proms zeigen, bei der es Tradition ist, dass das Publikum sich verkleidet und zu Pomp and Circumstance mitsingt. Solche karnevalistische Fröhlichkeit wirkt in Zusammenhang mit der Feierlichkeit eines klassischen Konzerts skurril. In Form einer musikalischen Analyse der Motivik im Enigma-Thema lässt sich veranschaulichen, wie detailliert Elgar seine Musik aufbaut und strukturiert (Arbeitsblatt „Edward Elgar: EnigmaVariationen“). Im zweiten Takt wird der erste rückwärts gespielt (Krebs) und sequenziert. Auffällig sind auch die abfallenden Septsprünge in Takt drei und vier, die in den anderen Variationen wiederkehren. Auch das Spiel mit den vielen Terzen im Thema ist Bestandteil weiterer Variationen. szenisches spiel Beitrag als PDF-Datei