SZ-Archiv: A42755333

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Süddeutsche Zeitung
MÜNCHEN
24.09.2008
München
Mensch gegen Mikrobe
Daniel Wilson vom Genzentrum der LMU untersucht, wie Antibiotika auch auf multiresistente Keime wirken
Von Martin Thurau
Die Zahlen sind dramatisch: Allein in
deutschen Kliniken sterben jährlich
rund 500 Patienten, weil sie sich an typischen Krankenhauskeimen infiziert haben, gegen die die meisten Antibiotika
versagen. Manche Experten gehen bei ihren Schätzungen sogar von weit mehr Opfern aus. Auf jeden Fall sind solche Bakterien, die mit dem Kürzel MRSA bezeichnet werden, heute ein gravierendes
Problem im OP und auf Station. Und alles spricht dafür, dass sich die Situation
weiter verschärfen wird, weil die Keime
gleichsam aufrüsten und zunehmend widerstandsfähig gegen die gängigen Antibiotika werden. „Da muss etwas passieren“, stellt Daniel Wilson nüchtern fest.
Nun gut, Wilson ist kein Fachmann für
Krankenhaushygiene, doch als Grundlagenforscher am Genzentrum der Universität München (LMU) hat er trotzdem
mit solchen Fragen zu tun. So hat er zum
Beispiel vor kurzem entdeckt, wie das Antibiotikum Linezolid tatsächlich wirkt.
Diese Substanz ist nicht irgendein Bakterientod, sondern die Substanz, die die Mediziner als ihre derzeit beste Waffe betrachten. Sie begründete eine neue Substanzklasse und kam erst im Jahr 2002 in
Deutschland auf den Markt. Noch zeigen
sich nur in Einzelfällen Resistenzen gegen das Mittel, wie auch Deutschlands
oberste Hygienewächter vom RobertKoch-Institut (RKI) in Berlin melden.
Doch ist es nach den Erfahrungen der
Vergangenheit nur eine Frage der Zeit,
bis diese derzeit noch scharfe Waffe ebenfalls stumpf wird. Es ist ein Wettlauf um
wirksame Mittel, und wenn man so will,
ist auch Wilson auf seine Weise dazu angetreten. Nur wenn man wisse, wie die
Substanzen wirken, sagt der LMU-Wissenschaftler, könne man sie variieren
und verbessern. Sein Team analysiert
derzeit eine ganze Reihe potenzieller
Wirkstoffe.
Eigentlich untersucht Wilson Funktion und Steuerung der sogenannten Ribosomen. Sie sind die Werkzeugmaschinen
in jeder biologischen Zelle, Riesenmoleküle, die Eiweiße nach den Bauplänen
des Erbgutes zusammensetzen. Linezolid, so fand Wilsons Team zusammen mit
der Gruppe von Paola Fucini an der Universität Frankfurt heraus, legt die Eiweißsynthese lahm, weil es gleichsam die
Werkbank blockiert und so die Montage
des Eiweißes aus seinen Einzelbausteinen, den Aminosäuren, an der empfindlichsten Stelle stört. Das haben die Wissenschaftler vor allem mit den Methoden
der Röntgenkristallographie herausgefunden. Die riesigen Molekülpakete des
Ribosoms zu einem sauberen Kristall zu
machen, ist eine äußerst kitzlige Prozedur. Doch aus den Daten, die die Röntgenstrukturanalyse liefert, lässt sich im
Eigentlich erforscht Daniel Wilson die sogenannten Ribosomen und die Eiweißmontage in biologischen Zellen, doch untersucht er dabei auch Antibiotika, die genau dort die Erreger angreifen.
Foto: Robert Haas
Rechner ein verlässliches räumliches Modell der Ribosomen zusammensetzen. Sie
zeigen in Wilsons Experimenten auch,
wie sich das Linezolid-Molekül in das Reaktionszentrum des Ribosoms setzt.
Um Bakterien plötzlich gegen Linezolid resistent zu machen, dafür reicht womöglich schon eine kleine Veränderung
des Ribosomenaufbaus außerhalb des Reaktionszentrums. Damit ändert sich
auch die räumliche Struktur des Zentrums geringfügig, das Linezolid-Molekül kann nicht mehr andocken. Dass solche Fälle auftreten, wird umso wahrscheinlicher, je länger das Antibiotikum
am Markt ist und je häufiger es eingesetzt wird. Gemessen an der äußerst
schleppenden Entwicklung neuer Substanzen jedoch gilt Linezolid noch als
durchaus neu. Auch setzen Kliniken es
als Reserveantibiotikum nur nach strenger Indikation gegen MRSA-Keime ein –
eben damit der Damm bricht und damit
Bakterien nicht auf breiter Front gegen
Linezolid widerstandsfähig werden.
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Eine Dienstleistung des SZ-Archivs
Denn dass sich MRSA-Bakterien überhaupt entwickeln konnten, das sind die
Folgen verlorener Etappen in einem verhängnisvollen Wettlauf von Mensch und
Mikrobe, das Ergebnis ungewollter
Zuchtversuche sozusagen. Ein Kontakt
mit den Substanzen, der nicht die Keimpopulation ausradiert, baut nämlich einen sogenannten Selektionsdruck mit
auf: Der begünstigt resistente Erreger,
die per Zufall durch eine Änderung des
Erbgutes entstehen können.
Im Sturzflug
Im Fall der Klinikkeime geht es um ein
allgegenwärtiges Bakterium, das den wissenschaftlichen Namen Staphylococcus
aureus trägt. Solange die Erreger nicht
in den Körper gelangen, sind sie weitgehend harmlos, dort aber können sie
Wundinfektionen, Lungenentzündungen und Blutvergiftungen verursachen.
Und sie sind natürlich umso gefährlicher, je weniger Gegenmittel zur Verfü-
gung stehen. Ursprünglich stehen die ersten beiden Buchstaben im Kürzel MRSA
für die Widerstandsfähigkeit gegen die
fast 50 Jahre alte Substanz Methicillin
und ihre direkten Abkömmlinge. Heute
wird es meist bündig als „multiresistent“
ausbuchstabiert. Das Tempo der Resistenzentwicklung ist atemberaubend.
„Das ist miterlebte Evolution“, sagt ein
RKI-Experte. 1990 waren nur zwei Prozent der Staphylokokken multiresistent,
heute sind es gut 20 Prozent, in manchen
Krankenhäusern kommt ihr Anteil auf
bald 50 Prozent.
Die Medizin hat sich im Wettlauf mit
den Mikroben also ein wenig abhängen
lassen. Das liegt auch daran, dass die
Pharmabranche offenbar zu wenig Geld
in die Entwicklung neuer Antibiotika gesteckt hat. Linezolid war die erste neuartige Substanz seit gut 35 Jahren. „Da ist
lange Zeit immer weniger passiert“, sagt
Wilson, seine Rechte deutet einen Sturzflug an. Seine Arbeiten, so hofft er, könnten zur „Revitalisierung“ beitragen.
A42755333
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24.09.2008
München
Mensch gegen Mikrobe
Daniel Wilson vom Genzentrum der LMU untersucht, wie Antibiotika auch auf multiresist
Von Martin Thurau
Die Zahlen sind dramatisch: Allein in
deutschen Kliniken sterben jährlich
rund 500 Patienten, weil sie sich an typischen Krankenhauskeimen infiziert haben, gegen die die meisten Antibiotika
versagen. Manche Experten gehen bei ihren Schätzungen sogar von weit mehr Opfern aus. Auf jeden Fall sind solche Bakterien, die mit dem Kürzel MRSA bezeichnet werden, heute ein gravierendes
Problem im OP und auf Station. Und alles spricht dafür, dass sich die Situation
weiter verschärfen wird, weil die Keime
gleichsam aufrüsten und zunehmend widerstandsfähig gegen die gängigen Antibiotika werden. „Da muss etwas passieren“, stellt Daniel Wilson nüchtern fest.
Nun gut, Wilson ist kein Fachmann für
Krankenhaushygiene, doch als Grundlagenforscher am Genzentrum der Universität München (LMU) hat er trotzdem
mit solchen Fragen zu tun. So hat er zum
Beispiel vor kurzem entdeckt, wie das Antibiotikum Linezolid tatsächlich wirkt.
Diese Substanz ist nicht irgendein Bakterientod, sondern die Substanz, die die Mediziner als ihre derzeit beste Waffe betrachten. Sie begründete eine neue Substanzklasse und kam erst im Jahr 2002 in
Deutschland auf den Markt. Noch zeigen
sich nur in Einzelfällen Resistenzen gegen das Mittel, wie auch Deutschlands
oberste Hygienewächter vom RobertKoch-Institut (RKI) in Berlin melden.
Doch ist es nach den Erfahrungen der
Vergangenheit nur eine Frage der Zeit,
bis diese derzeit noch scharfe Waffe ebenfalls stumpf wird. Es ist ein Wettlauf um
wirksame Mittel, und wenn man so will,
ist auch Wilson auf seine Weise dazu angetreten. Nur wenn man wisse, wie die
Substanzen wirken, sagt der LMU-Wissenschaftler, könne man sie variieren
und verbessern. Sein Team analysiert
derzeit eine ganze Reihe potenzieller
Wirkstoffe.
Eigentlich untersucht Wilson Funktion und Steuerung der sogenannten Ribosomen. Sie sind die Werkzeugmaschinen
in jeder biologischen Zelle, Riesenmoleküle, die Eiweiße nach den Bauplänen
des Erbgutes zusammensetzen. Linezolid, so fand Wilsons Team zusammen mit
der Gruppe von Paola Fucini an der Universität Frankfurt heraus, legt die Eiweißsynthese lahm, weil es gleichsam die
Werkbank blockiert und so die Montage
des Eiweißes aus seinen Einzelbausteinen, den Aminosäuren, an der empfindlichsten Stelle stört. Das haben die Wissenschaftler vor allem mit den Methoden
der Röntgenkristallographie herausgefunden. Die riesigen Molekülpakete des
Ribosoms zu einem sauberen Kristall zu
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sucht er dabei auch Antibiotika, die genau dort die Erreger angreifen.
Rechner ein verlässliches räumliches Modell der Ribosomen zusammensetzen. Sie
zeigen in Wilsons Experimenten auch,
wie sich das Linezolid-Molekül in das Reaktionszentrum des Ribosoms setzt.
Um Bakterien plötzlich gegen Linezolid resistent zu machen, dafür reicht womöglich schon eine kleine Veränderung
des Ribosomenaufbaus außerhalb des Reaktionszentrums. Damit ändert sich
auch die räumliche Struktur des Zentrums geringfügig, das Linezolid-Molekül kann nicht mehr andocken. Dass solche Fälle auftreten, wird umso wahrscheinlicher, je länger das Antibiotikum
am Markt ist und je häufiger es eingesetzt wird. Gemessen an der äußerst
schleppenden Entwicklung neuer Substanzen jedoch gilt Linezolid noch als
durchaus neu. Auch setzen Kliniken es
als Reserveantibiotikum nur nach strenger Indikation gegen MRSA-Keime ein –
eben damit der Damm bricht und damit
Bakterien nicht auf breiter Front gegen
Linezolid widerstandsfähig werden.
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Denn dass sich MRSA-Bakterien überhaupt entwickeln konnten, das sind die
Folgen verlorener Etappen in einem verhängnisvollen Wettlauf von Mensch und
Mikrobe, das Ergebnis ungewollter
Zuchtversuche sozusagen. Ein Kontakt
mit den Substanzen, der nicht die Keimpopulation ausradiert, baut nämlich einen sogenannten Selektionsdruck mit
auf: Der begünstigt resistente Erreger,
die per Zufall durch eine Änderung des
Erbgutes entstehen können.
Im Sturzflug
Im Fall der Klinikkeime geht es um ein
allgegenwärtiges Bakterium, das den wissenschaftlichen Namen Staphylococcus
aureus trägt. Solange die Erreger nicht
in den Körper gelangen, sind sie weitgehend harmlos, dort aber können sie
Wundinfektionen, Lungenentzündungen und Blutvergiftungen verursachen.
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und ihre direkten Abkömmlinge. Heute
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ausbuchstabiert. Das Tempo der Resistenzentwicklung ist atemberaubend.
„Das ist miterlebte Evolution“, sagt ein
RKI-Experte. 1990 waren nur zwei Prozent der Staphylokokken multiresistent,
heute sind es gut 20 Prozent, in manchen
Krankenhäusern kommt ihr Anteil auf
bald 50 Prozent.
Die Medizin hat sich im Wettlauf mit
den Mikroben also ein wenig abhängen
lassen. Das liegt auch daran, dass die
Pharmabranche offenbar zu wenig Geld
in die Entwicklung neuer Antibiotika gesteckt hat. Linezolid war die erste neuartige Substanz seit gut 35 Jahren. „Da ist
lange Zeit immer weniger passiert“, sagt
Wilson, seine Rechte deutet einen Sturzflug an. Seine Arbeiten, so hofft er, könnten zur „Revitalisierung“ beitragen.
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