Diagnosen am laufenden Band - Vetsuisse

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Tages-Anzeiger – Mittwoch, 28. November 2012
Wissen
Diagnosen am laufenden Band
Damit Tierärzte bei Sportpferden Leistungsschwächen besser diagnostizieren können, führen sie Tests auf einem Laufband durch.
Dank detaillierten Analysen können die Pferde auf dem Band auch gleich therapiert werden.
Von Carolin Reischauer
Mit donnernden Hufen galoppiert der
600 Kilogramm schwere Hengst in der
Halle des Sportmedizinischen Leistungszentrums für Pferde von der Universität Zürich – und bewegt sich dennoch keinen Zentimeter vorwärts. Das
Tier rennt an Ort auf einem Laufband.
Eine Pflegerin steht an seiner Seite und
treibt ihn durch Schnalzgeräusche an.
Von vorne bläst ihm stetig Wind
­­entgegen, der seinen schwitzenden
­Körper kühlt.
Michael Weishaupt
Der Veterinär leitet
die Abteilung Sportmedizin für Pferde an
der Vetsuisse-Fakultät
der Universität Zürich.
Der Warmblüter ist eines von 80 bis
150 Sport- und Rennpferden, die jährlich im Zentrum untersucht werden.
«Ein Pferd kommt aufgrund jahrhundertelanger Zuchtselektion als Spitzenathlet zur Welt», erklärt Tierarzt und Abteilungsleiter Michael Weishaupt. «Dennoch können kleinste Funktionsschwächen in Leistungseinbussen resultieren.» Um die Ursachen dafür besser
identifizieren zu können, werden diagnostische Tests auf einem Laufband
unter Belastung durchgeführt. Mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 35 Kilometern pro Stunde rennen die Pferde dort
auf der Stelle, und die Experten analysieren jeden Schritt und je nach Patient
auch jeden Herzschlag und Atemzug.
Ein Schlauch führt in eine der bebenden Nüstern des Warmblutes. An dessen
Ende ist eine kleine Kamera befestigt,
mit der die Tierärzte die Funktion des
Kehlkopfes im Galopp untersuchen. Der
Hengst ist ein Dressurpferd der Klasse S,
der Challenge League im Pferdesport.
Obwohl er mit 20 Jahren bereits im Pensionsalter ist, nimmt er weiterhin an
Wettkämpfen teil.
Ein Pferd trabt auf der Stelle: Um den Gang zu analysieren, gibt es ein solches Laufband auch am Tierspital Zürich. Foto: Tim Flach (Getty Images)
Um Topleistungen erbringen zu können, haben Pferde die Versorgung ihrer
Muskeln mit Sauerstoff über Jahrhunderte perfektioniert. Kommt es zu einer
Fehlfunktion in nur einem Element der
Versorgungskette, kann dies drastische
Leistungseinschränkungen verursachen. Im Galopp saugt ein Pferd 85 bis
100 Liter Luft pro Sekunde an. Zum Vergleich: Ein Industriestaubsauger kommt
auf die Hälfte dieses Wertes. Und auch
eine riesige Lungenoberfläche sorgt dafür, dass der in der Luft enthaltene
Sauerstoff blitzschnell ins Blut übergeht.
Die Oberfläche einer Pferdelunge ent-
spricht der von fünf Tennisplätzen. Darüber hinaus können Pferde unter Belastung die Zahl ihrer roten Blut­körperchen
verdoppeln und dadurch zweimal so viel
Sauerstoff im Blut transportieren.
Michael Weishaupt steht jetzt unmittelbar neben dem vierbeinigen Patienten und schaut sich auf einem Bildschirm die ­Videoaufzeichnungen des
Kehlkopfes während des Leistungstests
an. «Im Galopp sieht man, dass das
Stimmband den Durchgang auf der geschädigten Seite teilweise verschliesst»,
erklärt der Zürcher Pferdespezialist.
Und das kann man sogar hören, denn
mit jedem Atemzug des Pferdes erklingt
ein leises Pfeifen im Raum.
Nach einer halben Stunde wird das
Laufband abgestellt, und der Hengst bekommt eine kurze Verschnaufpause, bevor ein weiterer Test durchgeführt wird.
Mit diesem werden die Strömungsgeschwindigkeiten der vom Tier ein- und
ausgeatmeten Luft im Galopp bestimmt.
Denn es ist nicht klar, wie sehr die Teillähmung des Kehlkopfes die Luftaufnahme tatsächlich behindert. Etwas widerwillig lässt sich das Pferd hierfür eine
durchsichtige Maske überstülpen, bevor
das Laufband erneut angestellt wird. Die
Heilungsverlauf des Pferdes, indem sie
Verspannungen und Bewegungseinschränkungen lösen. Vermuten die Tierärzte, dass der Sattel die Beschwerden
verursacht, führen sie eine Satteldruckmessung durch. Diese erfasst die Druckverteilung unter dem Sattel auf dem
­Rücken des Pferdes in Schritt, Trab und
Galopp detailliert mit dem Ziel, eine
­rückenschonende Lösung durch individuelle Sattelanpassungen zu finden.
Nicht zuletzt arbeitet bei Bedarf ein weiterer Physiotherapeut auch mit dem Reiter, um dessen Haltung langfristig zu
verbessern. (rei)
Sie sehen aus wie ein Tintenfisch mit
Tentakeln nach allen Seiten: Nervenzellen, die Grundbausteine des Gehirns.
Abermilliarden solcher Zellen bilden
das gewaltigste Netzwerk, das die Natur
je hervorgebracht hat – unser Gehirn.
Jede Nervenzelle hat zwei Arten von
Tentakeln: die Dendriten und das Axon.
Die Dendriten nehmen das Signal einer
benachbarten Nervenzelle auf. Die Impulse sind minimale elektrische Signale,
die zum Zellkern und weiter zum Axon
wandern, die bis zu einem Meter lang
werden können und auch Nervenfasern
genannt werden. Dieses transportiert
den Impuls vom Zellkern weg in die Synapsen, wo der Stab an die nächste Zelle
weitergegeben wird.
Die Nervenimpulse pflanzen sich an
der Membranoberfläche fort, angetrieben alleine durch ein winziges, höchst
lokales, elektrochemisches Ungleichgewicht, das vom Impuls selber ausgelöst
wird. Die Impulse funktionieren nach
dem Ein/Aus-Prinzip: Entweder es gibt
einen Impuls, oder es gibt keinen. Die
Bedeutung des Signals wird nicht über
die Stärke, sondern über die Häufigkeit
der Impulse kodiert.
Man kennt schnelle und langsame
Nervenzellen. Die schnellen Nervenfasern sind durch eine Reihe dicker Fettumhüllungen isoliert, den Myelinscheiden, die nur durch kurze myelinfreie Abschnitte unterbrochen werden. Bei der
Krankheit multiple Sklerose wird das
Isoliermaterial vom eigenen Immunsystem angegriffen. Infolge der Störungen
der Nervenleitung werden Informationen verzögert weitergeleitet, und Befehle können nur zum Teil oder gar nicht
ausgeführt werden.
Die schnellsten Nervenzellen leiten
die Impulse mit einer Geschwindigkeit
von über 300 Kilometern pro Stunde
weiter und geben sie über die Axone an
bis zu 1000 Neuronen weiter. Schmerzneuronen gehören zu den langsameren
Typen, sie leiten die Impulse rund
­100-mal weniger schnell weiter als die
isolierten Nervenzellen. Tröstlich:
Nicht die «lange Leitung» schmerzt,
­sondern der Schmerz hat eine lange
­Leitung.(mma)
Tierspital Zürich
Seit Geburt ist das Tier auf einem Auge
blind. Vor einigen Jahren entdeckten die
Tierärzte zusätzlich ein ungewöhnliches
Herzgeräusch. Dennoch konnte der
Hengst bisher an seine erfolgreiche
sportliche Karriere anknüpfen. Neu diagnostiziert wurde nun eine Teillähmung
des Kehlkopfes. Dieser bildet die Pforte
von den oberen zu den unteren Atemwegen. Bei gesunden Pferden dehnt er sich
unter Belastung aus, um eine erhöhte
Luftzufuhr und damit eine verbesserte
Sauerstoffversorgung der Muskeln zu ermöglichen. Durch die heutigen Tests
wollen die Ärzte herausfinden, wie sehr
die Luftzufuhr durch die Teillähmung
eingeschränkt ist und ob das Pferd deshalb operiert werden muss.
Physio­therapeuten und Chiropraktiker für Pferde
Meeresspiegel steigt
schneller als gedacht
Körperwissen
Um jedes Wort rang der Weltklimarat
2007. Sein Bericht sollte zeigen, wie sich
das Klima künftig wandelt. Jetzt berichten Forscher, dass einiges noch schlimmer wird. So steigt der Meeresspiegel
einer Studie zufolge viel rascher als vorausgesagt. Er klettere derzeit um 60 Prozent schneller, als Wissenschaftler noch
vor einigen Jahren berechnet hatten.
Das geht aus einer Studie hervor, die ein
Forscherteam um Stefan Rahmstorf vom
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in den «Environmental Research Letters» des britischen Institute
of Physics präsentiert.
Satellitenmessungen haben ergeben,
dass der Meeresspiegel seit Beginn der
90er-Jahre durchschnittlich nicht um 2,
sondern um 3,2 Millimeter pro Jahr
stieg. Der jüngste Sachstandsbericht des
Weltklimarates (IPCC) von 2007 geht
noch von einem jährlichen Anstieg um
höchstens 2 Millimeter aus. Dagegen
können die aktuellen Messungen den zuvor vom IPCC angenommenen Temperaturanstieg um 0,16 Grad pro Jahrzehnt
bestätigen, heisst es in der Studie. (SDA)
Ein Schwerpunkt des Rehabilitationsprogramms ist die Bewegungsschulung
des Pferdes nach einer Verletzung oder
wenn Fehlhaltungen zu Beschwerden
führen. Auf dem Laufband können die
Pferde neue Haltungen einüben oder ein
gezieltes Krafttraining absolvieren. Darüber hinaus ist es möglich, den Bewegungsablauf des Pferdes mithilfe einer
Ganganalyse im Detail zu dokumentieren. Hierfür ist das Laufband mit Kraftsensoren ausgestattet, welche die Gliedmassenbelastung bestimmen.
Gleichzeitig unterstützen Physio­
therapeuten und Chiropraktiker den
Linkes Stimmband verkleinern
Das Pferd hat die knapp eineinhalbstündige Untersuchung gut gemeistert und
verlässt verschwitzt das Laufband. Nach
einer warmen Dusche geht es, abgetrocknet und in eine warme Decke gehüllt, zurück in den Stall. «Bei einem
Rennpferd müsste man operieren, da es
sportliche Leistungen an seiner körperlichen Leistungsgrenze erbringen muss»,
sagt Weishaupt. «Da es sich aber um ein
Dressurpferd handelt, muss es vorläufig
nicht unters Messer.»
Ein ambulanter Eingriff mit dem
Laser reicht aus, um das linke Stimmband etwas zu verkleinern. Durch den
geringeren Atemwiderstand wird dann
der Kehlkopf auf der gelähmten Seite
weniger nach innen gezogen, sodass
sich das Atemzugvolumen wieder erhöht. Dies sei viel schonender, betont
Weishaupt, und habe nur den kleinen
Schönheitsfehler, dass das Pferd in Zukunft heiser wiehere.
Teillähmung des Kehlkopfes
Bei Sport- und Rennpferden sind neben
den Erkrankungen des Atemsystems Beschwerden des Bewegungsapparates der
häufigste Grund für Leistungsschwächen. Am Sportmedizinischen Leistungszentrum der Universität Zürich befindet
sich derzeit ein ganzheitliches Rehabilitationskonzept im Aufbau, welches
neben dem Pferd auch den Reiter miteinbezieht. In den nächsten Jahren wird das
Programm weiter ausgebaut. Deshalb
sollen im Rahmen des geplanten Neubaus einer Poliklinik für Pferde auch eine
neue Reithalle sowie ein grösserer Rehabilitationsbereich entstehen.
Ergebnisse zeigen, dass die Geschwindigkeit der eingeatmeten Luft leicht reduziert ist. Weishaupt deutet am Computer auf die Atemkurve des Tieres: «Der
Hengst kompensiert den durch die Teillähmung verursachten Atemwiderstand
in der Einatmung.» Er atme besonders
tief ein, was dazu führe, dass er phasenweise nur einmal alle zwei Galoppsprünge atme. «Ein gesundes Tier holt
genau einmal pro Galoppsprung Luft.»
Stafettenlauf im Neuronennetz
Dendrit
Ranvier-Schnürringe
Synapsen
Zellkern
Mitochondrium
Myelinscheide
Axon
Quelle: Tony Smith, Anatomie-Atlas, Dorling-Kindersley-Verlag, München 2011
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