Leventina Bedrettotal

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Strada alta – Leventina – Bedrettotal
Spezialwanderführer
Büchi
Strada alta – Leventina – Bedrettotal ist ein
Spezialwanderführer, der sich interessanten
Wanderungen im Nordtessin widmet. Die rund
zwanzig Wandervorschläge werden mit Bild- und
Kartenmaterial ergänzt. Neben den Wanderungen
wird über Land und Leute berichtet, über vergessene Dörfer fern vom rasanten Fortschritt der Zeit
oder über die Bedeutung der Eisenbahnlinie für
das Tal. Auch die geologische Entstehung der
Umgebung wird nicht ausser Acht gelassen. In
einem kompakten, feuilletonistischen Stil
beschreibt der Autor die Wanderungen durch die
Täler des Nordtessins und lässt keine Zweifel
offen, dass es sich auch lohnt, in abgelegenere
Gegenden vorzustossen.
Strada alta
Leventina
Bedrettotal
Fred Büchi
7. Auflage
Inhaltsverzeichnis
DANK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Geologie . . . .
Geschichte . . .
Bahnbau/Neat .
Gefahrensituation
Land und Leute .
Kulinarisches . .
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WANDERUNGEN
1 Die Besonderheiten des Nufenenpasses . . .
2 Das Juwel der Leventiner Strada alta . . . .
3 Bedretto-Höhenweg . . . . . . . . . . . .
4 Rundgang um den Monte Piottino bei Prato .
5 Entdeckung des Narapasses . . . . . . . . .
6 Strada alta − einmal anders von Rossura
nach Deggio . . . . . . . . . . . . . . . .
7 Das Postauto erweist wertvollste Dienste . . .
8 Drei stille Bergseen ob Airolo: Laghi Ritom,
Tom und Cadagno . . . . . . . . . . . . .
9 Wer lüftet das Geheimnis des Lago Tremorgio?
10 Am Lago di Ravina dauert der Winter lang . .
11 Durch die Brennoschlucht nach Malvaglia
im Bleniotal . . . . . . . . . . . . . . . .
12 Ein lohnenswerter Flop . . . . . . . . . . .
13 Gotthard-Wanderweg verbindet neuartig . . .
14 Reise ins Blumenparadies der Schweiz . . . .
15 Gemütlichkeit eröffnet neue Sichtweisen . . .
16 Ein Aufstieg zum Träumen . . . . . . . . .
17 Von Dalpè nach Fusio . . . . . . . . . . .
18 Störmanöver der üblen Sorte . . . . . . . .
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19 Ein Abstieg ohne Folge, wenn … . . . .
20 Der Passo Sassello winkt . . . . . . . .
21/22 Zweitages-Rundtour im Grenzbereich .
23 Sentiero Alto del Tremorgio – phänomenal
24 Eine Bergtour von Hütte zu Hütte . . . .
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VON B WIE BUCH BIS V WIE VOLLMOND
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QUELLENVERZEICHNIS
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Vorwort
Strada alta – Leventina – Bedrettotal ist bewusst in zwei unterschiedliche
Teile gegliedert worden. Die Einleitung besteht aus Hinweisen auf Geologie,
Gefahrensituation, Soziologie im Alpenraum und einem Hinweis auf
aktuelle, kaum wahrgenommene Risiken der Moderne im Verband mit dem
Altertum. Der zweite Teil handelt von Wanderungen im Gebiet.
Airiels, Eriels oder heute Airolo ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt der
Region am Zusammenfluss von Leventina und Val Bedretto, sondern auch
dieses Buches. Tiefblauer Himmel inspiriert schon dort allenfalls beeinträchtigte Geister aus dem Unterland, Kapellen mit und ohne Campanile, für das
Tessin und andere Regionen typische Türme, führen in eine weitgehend unberührte Gegend, die eines verheisst: Ruhe. Gegensätze auch, die sich in
Zeugen des Altertums in schwieriger Verbindung mit Neuem manifestiert.
Der Raum war und ist eng, was so interessante Errungenschaften wie Betonstrassen in der Vordergrund stellt.
Kultur und Tourismus in einer neueren Art beherrschen die Gegend, Landschaftsschutz erlaubt Studien in einem Lago Cadagno, die nicht nur Biologen aus aller Herren Ländern begeistern und anziehen. Phänomene, unerklärliche wie am sagenumwobenen Lago Tremorgio, passen nahtlos dazu.
Sprachlich ist vieles möglich. Italienisch ist überall gefragt, im Umlautdominierten Dialekt ohnehin. Mit Englisch und Französisch ist kaum Gegenwehr zu erwarten, wenn es denn verstanden wird – wir haben in der Schweiz
ein Bildungsproblem −, Deutsch eher nicht zu empfehlen, weil die Jahrhunderte zurückliegende Urner Herrschaft nachwirkt wie in der Waadt diejenige Berns.
Sommer und Winter, der eine kurz, der andere übermässig lang. Am
schönsten sind wohl Frühling und Herbst, Spriessen und Welken, Farbenpracht allerorten, auf Höhen über 2000 m über Meer für Nichtgeübte
schwierig, gleichwohl lohnenswert für Leute mit dem nötigen Hintergrundwissen, zu dem dieses Buch auch einen Beitrag leisten soll. Gelingt das, ist
der Weg zu einer wenig begüterten, aber sehr liebenswürdigen einheimischen Bevölkerung, der das Sozialleben etwas bedeutet, nicht mehr weit.
Fred Büchi
Vorwort 9
Geologie
Alpenfaltung wirkt als Grossereignis nach
Das Gotthardgebiet zählt geologisch zu den interessantesten Regionen
der Schweiz. Ursprung war die Untertunnelung des Massivs. Weit mehr als
100 km (Stand 2007) Stollen in beiden Gotthard-Scheitel- (Bahn und
Strasse) sowie dem Furkatunnel (Bahn) haben Erkenntnisse zutage gefördert, die trotz Einschränkungen beim Ausbrechen viel Aufschluss über die
Gegebenheiten im Berginnern ermöglicht haben. Ausgedehnte Kraftwerkbauten haben das ergänzt.
Aus der Entstehungsgeschichte der Alpen
Die Geschichte der Alpen beginnt am Ende der Permzeit vor rund 250 Mio.
Jahren. Alle heutigen Kontinente bildeten bis dahin eine homogene, riesige
Landmasse. In der Triaszeit (vor ca. 200 Millionen Jahren) begann der
Superkontinent als Folge von Plattenverschiebungen zu zerbrechen. Im
Verlaufe der nächsten 100 Mio. Jahre öffnete sich sukzessive ein westöstlich orientiertes Meeresbecken in den Dimensionen des heutigen Mittelmeeres. Die Kontinentblöcke im Norden und im Süden dieses Urmittelmeeres (Geologen nennen es Tethys) können als Ur-Europa und Ur-Afrika
bezeichnet werden. Übrigens ist der Bergeller Granit der einzige während
der alpinen Faltung entstandene magmatische (vulkanische) Gesteinskomplex der Schweizer Alpen.
Gesteine des Gotthards
Das Gotthardmassiv liegt im geologischen Sinne im helvetischen Grundgebirge. Sein Aufbau ist recht einfach. Die Grenzen sind im Norden wie
im Süden – eher ungewöhnlich – markiert durch steil stehende Schichten
von kalkigen Sedimenten aus dem Erd-Mittelalter (Mesozoikum). Im Süden
ist dies sehr auffällig. Im Nufenengebiet (Altstafel, Corno, Alpe di Cruina),
am Ritomsee und im Lukmaniergebiet (Scopi) finden sich dunkle, fast
schwarze Kalksteine und Schiefer. Die aussergewöhnliche Farbe dieser
Sedimente geht auf ihre Ablagerung in einem sauerstoffarmen Meeresbecken der Tethys zur frühen Jurazeit (Lias) zurück. In auffallendem
Farbkontrast dazu stehen helle Gesteine wie Dolomitmarmor, Rauwacke,
10 Geologie
Gips und hellgrüne Schiefer. Dies sind Flachmeerablagerungen aus der
Triaszeit.
Das Bedrettotal zwischen Cantina di Cruina und Airolo folgt genau dem
Verlauf dieser weichen, erosionsanfälligen Gesteine. Gegen Osten verlaufen
sie durch das Val Canaria in das Val Piora. Am Lago di Tom, im Val Piora und
in den Bergen gegen den Lukmanierpass bilden sie eigenartige, reizvolle
Landschaften mit bizarren Erosionsformen. In dieser Piorazone (Pioramulde)
ist der Verlauf dieser Schichten nicht genau bekannt, was beim Bau des
Gotthard-Basistunnels der Neat eine Rolle spielt. Der sandig zerfallende,
zuckerkörnige Dolomit ist ein im Tunnelbau ausserordentlich gefürchtetes
Gestein.
Mehrere rundliche, scharf abgegrenzte Granitkörper mit einer Oberfläche
von zwischen 10 und 40 Quadratkilometern sind gut erkennbar. Gemeinsam
ist ihnen ein durch radiometrische Messung bestimmtes Alter von rund
300 Mio. Jahren. Rotondogranit zählt zu den schönsten Graniten, ein sehr
kompaktes helles Gestein mit viel bräunlichem Quarz, Feldspäten und
wenig Glimmer – ein bestgeeignetes Klettergestein.
Angeordnet sind diese Gesteine in west-östlich lang gestreckten, steil
stehenden, schmalen, aber oft über viele Kilometer zu verfolgenden Zügen.
In kleineren Einlagerungen und Linsen findet man aber noch viele weitere
Gesteine. Zu erwähnen sind etwa Serpentin und Giltstein (Speckstein, Ofenstein), aus denen man von alters her bis zum heutigen Tag Öfen auskleidet
(Gruben von Kämmleten ob Hospental und am Piz Calmot).
Eine Gletscherlandschaft
Erst vor wenigen zehntausend Jahren muss der Gotthard noch von Gletschern bedeckt gewesen sein. Davon zeugen die bis knapp unter die höchsten Gipfel reichenden gerundeten Geländeformen, was in diesem Führer
besonders das Gebiet Corno-Bedretto betrifft. Im Gotthardmassiv macht
sich die Klimaerwärmung in Form von Gletscherschwund deshalb besonders
bemerkbar, weil die Eisgebilde relativ klein sind. Sie werden in wenigen
Jahrzehnten ganz verloren sein. Das Gotthardmassiv ist, von Ausnahmen abgesehen (Fibbia), relativ arm an Mineralien und Kristallen. Wichtig zu wissen
ist deshalb, dass im Kanton Tessin die Suche bewilligungspflichtig ist.
Spiegel der Erdgeschichte Europas
Das Tessin lässt sich in zwei Teilen darstellen. Der eine, das Sottoceneri,
ist vorwiegend vor, der andere, das Sopraceneri, während der Alpenfaltung
entstanden. Am Ende der Karbonzeit (vor rund 300 Mio. Jahren) war Mitteleuropa Teil des weltweiten Einheitskontinents Pangäa. Es bestand aus
Gneisen und Graniten, Abtragungsresten des variszischen (zwischen etwa
350 und 300 Mio. Jahren) sowie des kaledonischen (zwischen etwa 460
und 420 Mio. Jahren) Gebirges. Das Klima war tropisch-feucht mit üppiger
Vegetation. Die folgende Permzeit (300 bis 250 Mio. Jahre vor unserer
Zeitrechnung) war durch Wüstenklima und magmatische Aktivität gekenn-
Geologie 11
zeichnet. Untiefes Meer beherrschte die Triaszeit (250 bis 203 Mio. Jahre).
In der Lias (203 bis 175 Mio. Jahre) begann der Einheitskontinent auseinanderzubrechen, durch Meerbildung entfernten Europa und Afrika sich
voneinander. In der mittleren Kreidezeit (100 Mio. Jahre) näherten sich
die beiden Kontinente einander wieder. Das Tessin wurde durch die insubrische Linie, die die geologische Südgrenze der Alpen bildet, getrennt.
Der Nordblock wurde um etwa 15 bis 20 km angehoben. Zudem haben seitliche Verschiebungen den südlichen Block gegenüber dem nördlichen um
etwa 60 km nach Westen versetzt.
Das Nordtessin (Sopraceneri) besteht aus flach liegenden, kilometerdicken Gneis-Spänen (Decken) der bei der Alpenfaltung zusammengestauchten europäischen Erdkruste. Die fast horizontale Lage der Deckengrenzen und der Gneis-Bänderung und -Bankung ist vorab in der Leventina
kaum übersehbar.
Informationen zum Sopraceneri
Die beste allgemein verständliche Zusammenfassung der Tessiner Geologie
und Mineralogie findet sich in italienischer Sprache auf 90 Seiten im Band
Introduzione al paesaggio naturale del Cantone Ticino (1990). Für eine
Grossübersicht eignet sich die Geologie der Schweiz von Toni P. Labhart
(Ott-Verlag, 1998).
Vom geologischen Atlas der Schweiz 1: 25 000 sind für den Raum Sopraceneri Blätter bei der Swisstopo, Wabern, oder im Buchhandel erhältlich.
Weiter helfen auch Publikationen der Ente turistice.
Exkursionen in längst vergangene Zeiten
Die folgenden drei Exkursionen stammen aus der Sammlung geologischer
Führer Nummer 63, Aarmassiv und Gotthardmassiv, verfasst von Toni P. Labhart.
Nufenenpass
Ulrichen, Ausgangspunkt im Obergoms (Kanton Wallis), liegt im Bereich der
Urseren-Zone, die weit ausgreifenden Strassenkehren südlich davon bereits
in der nördlichen Paragneis-Zone des Gotthardmassivs (GurschengneisZone). Die Passhöhe liegt wie die Strasse zwischen Passhöhe und Alpe di
Cruina in Gneisen der Prato-Serie. Es dominieren helle, feinstreifige Zweiglimmer-Kalifeldspat-Gneise, zum Teil granatführend und mit grobem Muskovit. Die Überlagerung einer alpidischen Verschieferung auf einen präalpidischen Faltenbau hat recht komplizierte Strukturen geschaffen. Gute
Aufschlüsse finden sich auf und südlich der Passhöhe, so etwa auf 2240 m
ü. M. unter der Hochspannungsleitung (P Car; LK 25: Pt. 2240 westlich Rosalba). Im Bereich der Strassenschleife Pt. 2239 quert ein rund 200 Meter
mächtiger Zug von Augengneis (Orthogneis) die Strasse.
Von der Kurve Pt. 2099 (P Car liegt 100 m tiefer) überblickt man die
geologische Situation des oberen Bedrettotals gut. Das gegen Westen zur
12 Geologie
tiefsten Stelle des Nufenenpasses ansteigende Tälchen folgt der Grenze
Gotthardmassiv-Kristallin/Sedimente. Die steilen, dunklen Schichten des
Nufenenstocks sind gotthardmassivische Sedimente, die gegen Osten zu
auskeilen. Die Bergzüge südlich des Val Corno und Val Bedretto bestehen
vorwiegend aus braun anwitternden Bündnerschiefern, zwischen die sich in
den höchsten Graten bereits Züge von Tessiner Gneisen schieben.
Von Alpe di Cruina bis Airolo verläuft die Strasse in der Achse des Bedrettotales, dessen Talsohle in die Trias der Bedretto-Mulde oder -Zone zwischen Gotthardmassiv und Penninikum eingetieft ist. Beidseits der Strasse
sieht man sporadische Aufschlüsse triadischer Gesteine (Marmor, Dolomit,
Rauwacke). An verschiedenen Schuttkegeln von Bächen der nördlichen Talflanke kann man die Vielfalt der Gesteine des südlichen Gotthardmassivs
studieren, so etwa am Riale di Ronco (Rotondo-Granit-Gerölle) und am
Riale di Bedretto unterhalb Bedretto.
In Airolo ist Anschluss an die Exkursion Pioragebiet gewährleistet.
Gotthardpass
Der Gotthardpass bietet ein klassisches Querprofil durch das zentrale Gotthardmassiv mit Schwerpunkt auf Gamsboden- und Fibbia-Granitgneis sowie
Tremola-(Rotondo-)Granit und den südlichen Paragesteins-Serien. Die Neuanlage der Gotthard-Passstrasse wirkt sich direkt auf die Gestaltung geologischer Exkursionen im Passprofil aus.
Das Gotthard-Hospiz und seine weitere Umgebung liegen im Fibbia-Granitgneis. Viele gute Aufschlüsse in dem alpidisch tektonisierten, hercynischen Granit finden sich in unmittelbarer Nähe der Passhöhe (viele Parkplätze). Die Berge westlich der Strasse, La Fibbia und Pizzo della Valletta,
sind bekannte Fundorte von Zerrkluftmineralien. Ein sehr schönes, zusammenhängendes Profil durch die südlichen Gesteinszonen des Massivs (Giubine-Serie, Cavanna-Serie, Tremola-Serie) ist abseits des Verkehrs an der
Strasse zum Sellasee und ihrer südöstlichen Fortsetzung, der «Scimfuss»Strasse aufgeschlossen. Für diesen Fussmarsch sind mindestens 3 – 4 Stunden einzusetzen.
Auf dem Rückweg zur Gotthard-Passhöhe lohnt sich ein kurzer Halt, um
die Westseite des Val Tremola zu betrachten, wo in der Ostflanke der Fibbia
bei guter Beleuchtung der Kontakt zwischen Fibbia-Granitgneis/TremolaGranit und den dunkleren, lagigen südlichen Gneis-Serien schön zu sehen
ist.
In Airolo ist der Anschluss an die Exkursionen Nufenenpass und Pioragebiet möglich.
Val Piora
Das Val Piora ist ein west-östlich verlaufendes Hochtal zwischen Valle
Leventina und Valle Santa Maria am Lukmanierpass. Es ist eingetieft in
die mesozoischen Sedimente zwischen Lucomagno-Kristallin im Süden und
dem Gotthardmassiv im Norden. Das Pioragebiet ist für Fussexkursionen
Geologie 13
sehr geeignet; da lassen sich vor allem alpidische Tektonik und Metamorphose an lithologisch überaus vielfältigen Gesteinsserien entlang gut begehbaren Wegen studieren. Die vielen Seen – deren grösster der künstlich
gestaute Ritomsee ist – verleihen dem glazial geprägten Hochtal grossen
landschaftlichen Reiz.
Möglichkeiten in Hülle und Fülle
Wir beschränken uns auf eine kurze geologische Übersicht und die Beschreibung zweier besonders geeigneter Routen. Je nach Ziel und Zeitaufwand lassen sich nach der Literatur eine ganze Reihe weiterer Exkursionsrouten zusammenstellen. Das Pioragebiet erreicht man von Westen her
entweder mit der Drahtseilbahn Piotta – Stazione Piora oder mit Pkw von
Airolo – Piotta über Altanca – Stazione Piora – Piora (Ristorante Lago Ritom bei der Ritom-Staumauer (P = Parkplatz). Ab Altanca schmales, kurvenreiches Strässchen; seine Fortsetzung am Nordufer des Ritomsees nach
Alpe di Piora und Capanna di Cadagno ist nur mit Sonderbewilligung befahrbar.
Aus dem Lukmaniergebiet erreicht man das Val Piora nur zu Fuss über
den Passo dell’Uomo (ab Hospiz Santa Maria), oder den Passo di Sole (von
Casaccia oder Pian Segno aus). Unterkunft bieten das Ristorante Lago Ritom (Zimmer und Massenlager), die Capanna di Cadagno S.A.T. (Massenlager), evtl. die Cadlimo-Hütte SAC.
Dominierende Grossstruktur des Pioragebiets ist eine west-ost-streichende, südvergente, in sich verschuppte Synform mesozoischer Sedimente
(Piora-Mulde) zwischen den mittelsteil nordwärts einfallenden Kristallinserien des Gotthardmassivs im Norden und des Lucomagno-Kristallins im
Süden. In der Mulde dominieren gotthardmassivische Trias (von unten nach
oben Quarzite; karbonatische Gruppe mit Dolomit, Gips und Rauwacke
sowie Quartenschiefer, die mesometamorph als graugrüne Glimmerschiefer
mit Dolomitlagen, Granat-Glimmerschiefer mit Disthen und Staurolith oder
Hornblende-Garbenschiefer vorliegen) und Lias (black garnet schist series)
erscheinen.
Im Muldenkern finden sich westlich des Ritomsees (zwischen Fölsc und
Camoghè) penninische Bündnerschiefer. Im Westteil ist die Mulde relativ
einfach und symmetrisch gebaut, mit normal liegender Trias über dem Lucomagno-Kristallin und verkehrt liegender Trias unter der gotthardmassivischen Tremola-Serie. Östlich des Ritomsees setzt sie infolge axialen Anstiegs der Lias im Innern der Mulde aus, und das östliche Val Piora besteht
nur aus karbonatischer Trias und Quartenschiefern. Östlich der Wasserscheide gegen das Valle Santa Maria splittert die Piora-Mulde auf. Eine schmale
südliche Synform streicht, in tektonischem Kontakt zum Lucomagno-Kristallin, vom Passo di Sole gegen Frodalera-Brönich. Die nördlich anschliessende Antiform zieht vom Pizzo Colombe (karbonatische Trias) in die
Kristallinaufwölbung von Selva Secca. Auf die nächste Synform zwischen
Passo delle Colombe und Campo Solario (karbonatische Trias mit Quarten-
14 Geologie
schieferkern) folgt als «Aufwölbung» das Gotthardmassiv, das in die Antiform von Casaccia (Bergell) zieht. Der Ablauf der tektonischen und metamorphen Vorgänge bei der Bildung der Piora-Mulde ist sehr komplex.
Beim gesamthaft gesehen geringen Tiefgang der Piora-Mulde stellt sich
die Frage nach der tektonischen Stellung und der Verwandtschaft des nördlich und südlich angrenzenden Kristallins. Der nordfallende Südkontakt des
Gotthardmassivs zeigt nicht den typischen Massivbaustil und das gleichartig gelagerte Lucomagno-Kristallin, ebenso wenig den typischen penninischen Deckenbaustil.
Geologie 15
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